Lovett, Frank: The Well-Ordered Republic. (Oxford Political Theory) Oxford: Oxford University Press 2022. 287 Seiten. [978-0-19-285955-6].

Rezensiert von Sarah-Lea Effert (Universität Duisburg-Essen)

Noch immer ist es üblich, dass aktuelle Publikationen in der republikanischen politischen Theorie mit einem Verweis auf deren „Wiederbelebung" in den 1990er Jahren beginnen. Nicht nur wurde dieses Narrativ mittlerweile mit Verweis auf lebendige republikanische Traditionen im 19. und 20. Jahrhundert z.B. in Form von Black Republicanism (Rogers 2020) und Labor Republicanism (Gourevitch 2020) in den USA oder im Zuge antikolonialer Revolutionen (Ramgotra 2018) aufgebrochen. Nach drei Jahrzehnten scheint es auch angemessen, die gegenwärtige republikanische politische Theorie nicht mehr als aufstrebend zu beschreiben; sie nicht (mehr) an ihrem Neuigkeitswert, sondern an ihrem eigenständigen philosophischen Beitrag zu messen. Eben dies ist das Unterfangen Frank Lovetts, der eine aktuelle Gesamtdarstellung und Einordnung des Projekts des Neorepublikanismus unternimmt. Lovett zielt darauf ab, den Republikanismus als eine kohärente politische Tradition zu erfassen, mit geteilten, distinkten Prinzipien und einer plausiblen Geschichte davon, wie diese historisch weitergegeben und -entwickelt wurden (3). In diesem seit Philip Pettit vermutlich umfassendsten Projekt einer Gesamtfassung des Neorepublikanismus bleibt Pettit zentraler Bezugspunkt, doch sind weitere Verweise auf die gegenwärtig hauptsächlich in Zeitschriftenartikeln geführte republikanische Diskussion zahlreich und vielfältig. Seine Ambition, gegenwärtige republikanische Positionen umfassend abzubilden, macht Lovett explizit. Zugleich hat das Werk Lovett zufolge keinen reinen Überblickscharakter. Vielmehr gibt er hier seine eigene philosophische Position wieder. Durch dieses Spannungsfeld navigiert er eindrücklich, indem er seine präzise analytische Argumentation auf geteilte republikanische „Intuitionen" zurückführt. Diese werden wiederum in historischen Ausschnitten republikanischer Theorie nachverfolgt, oder auch in konkurrierenden gegenwärtigen Positionen, die durchweg genannt und stellenweise auch ausführlicher diskutiert werden, identifiziert.

Auf diese Weise bestimmt Lovett im ersten einleitenden Kapitel zunächst zentrale Prinzipien des Republikanismus, die ihn zu einer kohärenten politischen Tradition machen: Priorität der Nicht-Beherrschung, Rechtsstaatlichkeit und Kontrolle politischer Amtsträger*innen. Im Gegensatz zu (manchen) Spielarten des Liberalismus, könne der Republikanismus darüber hinaus kein strenges Neutralitätsprinzip verfolgen, sei aber vereinbar mit einem Prinzip der Toleranz. Ablehnen muss der Republikanismus ein liberales Prinzip der Nicht-Einmischung, an dessen Stelle er sein zentrales Prinzip der Nicht-Beherrschung setzt.

Den (Nicht-)Beherrschungsbegriff untersucht Lovett im zweiten Kapitel. Nach seinem republikanischen Verständnis sind wir genau dann frei in unseren Entscheidungen, wenn diese robust vor unkontrollierten Eingriffen gesichert, d.h. wir frei von Beherrschung sind. Demnach ist Freiheit nicht natürlich, sondern immer institutionell konstituiert. Ausgehend von Lovetts grundlegender Definition von Beherrschung – „A’s choice whether to [φ] *is dominated to the extent that some B has the uncontrolled ability to intentionally frustrate that choice“* (26) - finden sich im Kapitel entlang des oben skizzierten Spannungsfelds sowohl die Zurückführung auf die grundlegende Intuition „to have a master is to be dominated” (26) als auch Lovetts jüngst gemeinsam mit Sean Ingham entwickelter (und umstrittener) „Ignorability Test“. Letzterer beginnt mit der Vorstellung verschiedener „Typen” von Beherrschenden – dem „benevolent master“, der sich nicht für das Verhalten der von ihm Beherrschten interessiert, und dem, der geneigt ist, jede ihrer Entscheidungen zu frustrieren. Bs Fähigkeit, in As Entscheidung einzugreifen, wird dann als angemessen kontrolliert angesehen, wenn alle potentiellen Typen von B, für die es trotz institutionalisierter Kontrolle rational wäre, in As Entscheidung einzugreifen, „ignorierbar” geworden sind. Lovett illustriert das wie folgt: In einer Gesellschaft, in der Ehemänner bestimmen, ob ihre Frauen einer Lohnarbeit nachgehen, macht es einen praktischen Unterschied für potentielle Arbeitgeber, zu wissen, um welchen „Typ" Ehemann es sich handelt. In einer Gesellschaft, in der Frauen über ihre Arbeit selbst entscheiden können, werden alle Arbeitgeber die Möglichkeit ignorieren, dass As Ehemann entgegen aller öffentlichen Beschränkungen versuchen wird, sie daran zu hindern, ihrer gewählten Arbeit nachzugehen. Diese Typen an Ehemännern (die es weiterhin geben kann), sind „ignorierbar" geworden. „Ignorability" ist dabei keine Definition, sondern nur ein Indikator für angemessene Kontrolle, die unterschiedliche Formen annehmen kann.

Unabhängig von diesem spezifischen Verständnis von „angemessener Kontrolle", ist Lovetts Berufung auf diesen Begriff hilfreich, weil sie mit einer gut begründeten Absage an den Begriff der willkürlichen Machtausübung (arbitrary power) einhergeht, der sich in vielen historischen und auch immer noch in gegenwärtigen republikanischen Ansätzen findet. Lovett verweist zum einen auf die Ambiguität des Begriffes, der etwa Unvorhersehbarkeit oder Unfairness implizieren kann, beides nicht relevant für das republikanische Verständnis von Beherrschung. Zum anderen lenke der Begriff der Willkür die Aufmerksamkeit auf die tatsächliche Ausübung von Macht, wohingegen der republikanische Fokus gerade auf der bloßen Möglichkeit der Frustration von Entscheidungen liegt, unabhängig davon, ob diese genutzt wird.

Ausgehend von diesem Verständnis von Beherrschung und Nicht-Beherrschung widmet sich Lovett in Kapitel drei der in seinem Schema ersten Stufe republikanischer politischer Analyse, nämlich der Gestaltung des Systems öffentlichen Rechts anhand des Prinzips der Priorität der Nichtbeherrschung und des Prinzips der Rechtstaatlichkeit. Nach diesen Prinzipien sollten Gesetze, Politiken und Institutionen so gestaltet sein, dass sie der Reduzierung von Beherrschung Priorität einräumen; sowie jeder öffentliche Einsatz von Zwang dem Recht unterstehen. Es wird deutlich, dass für Lovett hier der Kern des Republikanismus liegt. Der unpersönliche und öffentliche Charakter des Rechts garantiert für ihn, dass Entscheidungen robust vor Eingriffen geschützt sind. Auch überträgt das Recht denen, die so durch es geschützt sind, den distinkten öffentlichen Status einer „freien Person“. Auch wenn Lovett Nicht-Beherrschung an einigen Stellen als die richtige Beziehung zwischen Menschen beschreibt, so vertritt er einen konsequentialistisch begründeten Republikanismus, bei dem sich das „Gut” der Nicht-Beherrschung aus der Bedeutung ableitet, die Nicht-Beherrschung für das menschliche Wohlergehen (human flourishing) hat, bzw. der Art und Weise, in der (selbst wohlwollende) Beherrschung dieses gefährdet (etwa durch die Frustration von Handlungen und Entscheidungen, existenzielle Unsicherheit, Investitionen in das Wohlgefallen der Herrschenden und einen reduzierten sozialen Status, 74 f.).

Im vierten Kapitel diskutiert Lovett die für ihn zweite und dritte Stufe republikanischer politischer Analyse nach der ersten Stufe der Gestaltung eines Systems öffentlichen Rechts: demokratische Kontrolle über dieses System und die Anpassung von Gesetzen und Regelungen im Laufe der Zeit. Letztere ist deshalb bemerkenswert, weil sie für Lovett das schwierigste (most vexed) Problem der republikanischen Theorie darstellt (156). Denn auch wenn das Recht nach Lovett nicht beherrschend ist, so kann doch die Macht, Recht zu erlassen und zu verändern, beherrschend sein. Interessanterweise folgt er hier nicht Pettits Argumentation, dass es bei (perfekter) demokratischer Gleichheit keine Beherrschung gibt. Für Lovett geht legislative Kompetenz immer mit Beherrschung einher, egal, ob sie in der Hand Einzelner liegt oder vollständig demokratisch ist – denn auch dann braucht es nur eine Mehrheit, um Gesetze zu ändern. Unter geeigneten Bedingungen, insbesondere inklusiver Partizipation, kann diese Beherrschung jedoch aufgewogen werden durch sich an gegebene politische Situationen anpassende Gesetze, die ihrerseits zu weniger Beherrschung führen. Aus den in Kapitel drei und vier behandelten Stufen 1) Gestaltung des Rechtssystems, 2) öffentlicher oder demokratischer Kontrolle und 3) Gesetzgebung im Laufe der Zeit, ergibt sich für Lovett eine vollständige Theorie republikanischer Institutionen.

Bereits innerhalb dieser Theorie klingt bei ihm das weit geteilte republikanische Verständnis von Freiheit als Nicht-Beherrschung als ein fortlaufendes, kollektives Projekt an. Entsprechend ergänzt er die dargestellte institutionelle Theorie in Kapitel 5 um eine Theorie der Stabilität republikanischer Institutionen. Er argumentiert für eine natürliche Pflicht der Freiheit, wonach alle Menschen verpflichtet sind, sich für die Schaffung und den Erhalt republikanischer Institutionen einzusetzen – und weicht damit ab von einem Verständnis politischer Pflicht (political obligation), wonach diese erst durch bestimmte institutionelle / staatliche Bedingungen konstituiert wird. In diesem fünften Kapitel findet sich außerdem, nicht so prominent wie in anderen republikanischen Theorien, eine Diskussion der Bedeutung von Bürger*innentugenden (Civic Virtue) für die Stabilität der Republik. Lovett zeichnet diese parallel zu einem Rawlsianischen Verständnis von politischer Kongruenz zwischen Institutionen und Einstellungen der Bürger*innen nach. Dies zeigt, dass die Tugenden für ihn zwar ein republikanisches Charakteristikum darstellen, jedoch nicht zwingend distinktiv und den republikanischen Grundprinzipien nur abgeleitet und nachgelagert sind.

Etwas losgelöst von den vorangegangenen Kapiteln diskutiert Lovett im abschließenden Kapitel sechs den Geltungsbereich republikanischer Prinzipien und entwickelt eine recht knappe republikanische Theorie internationaler Beziehungen und globaler Gerechtigkeit. Aus der Universalität des Guts der Nicht-Beherrschung folgt für ihn, dass Republikaner*innen mit Blick auf ökonomische Gerechtigkeit Kosmopolit*innen sein sollten. Dies sei jedoch – auch aufgrund einer fehlenden gemeinsamen politischen Kultur –im Rahmen einer politischen Ordnung anzustreben, die mehr oder weniger der gegenwärtigen gleicht, nämlich einer Welt von Staaten, die je interne und externe Nicht-Beherrschung anstreben sollten.

Innerhalb dieser Struktur deckt das Buch erstaunlich viele Fragestellungen ab, auch solche, die bislang in der republikanischen Theorie noch wenig Beachtung finden, etwa unsere politische Beziehung zu zukünftigen Generationen (Kapitel 3.9). Auch Aspekte, denen Lovett selbst bislang weniger Aufmerksamkeit schenkte, die aber von anderen republikanischen Theoretiker*innen immer ausführlicher bearbeitet werden, insbesondere „identitätsbasierte" Beherrschung (Sexismus, Rassismus) und Beherrschung auf und durch (Arbeits-)Märkte(n), werden in eigenen Unterkapiteln diskutiert (Kapitel 3.6 – 3.8). Gerade mit Blick auf identitätsbasierte Beherrschung gelingt Lovett hier eine interessante Integration in sein analytisches Schema, indem er Identität als einen der effektivsten (impliziten) Koordinationsmechanismen beschreibt, welcher die Beherrschung durch mehrere Akteur*innen ermöglicht.

So wird das Buch seinem eigenen hohen Anspruch an eine aktuelle Positionierung innerhalb einer Gesamtdarstellung des Republikanismus als kohärenter politischer Theorie in vielerlei Weise eindrücklich gerecht. In meiner Kritik möchte ich deshalb eher einen Schritt zurück gehen und aufzeigen, wo die Ambition der möglichst kohärenten und einenden Darstellung des Republikanismus wichtige republikanismusinterne Auseinandersetzungen verdeckt und damit eine Weiterentwicklung des Republikanismus eher erschwert als befördert. Lovett konzentriert sich stark – und bewusst – auf das Einende des Republikanismus und weniger auf dessen Kontroversen. An mehreren Stellen schreibt er ausdrücklich, dass unterschiedliche Auffassungen keine besondere Bedeutung für den Republikanismus hätten, da man sich im Grunde – d.h. mit Blick auf die dahinterliegenden Intuitionen – doch einig sei. Soweit diese Erkenntnis denn zutrifft, ist sie wertvoll wenn es eben darum geht, den Republikanismus als eine distinktive politische Theorie zu fassen. Dies ist Lovetts Projekt. Zugleich wirkt diese Haltung auf eine Weise passiv, als riskiere der Republikanismus seine theoretische Stellung, wenn er Kontroversen offen austrägt und unterschiedliche Positionen aushält. Aus der Überzeugung heraus, dass der Republikanismus dadurch eher bereichert wird, möchte ich im Folgenden exemplarisch drei versteckte Kontroversen aus Lovetts Buch herausarbeiten, wo sie sich für mich zeigen.

Die erste Kontroverse ist eine grundsätzliche um das Wesen der Beherrschung und insbesondere die Frage, ob und in welchem Sinne es strukturelle Beherrschung gibt oder geben kann. Lovett lehnt das Verständnis etwa von Alex Gourevitch (2013) oder Dorothea Gädeke (2020) ab, wonach es Beherrschung geben kann, ohne dass es möglich ist, konkrete Beherrschende zu identifizieren (etwa die Beherrschung einer Klasse durch eine andere oder die Beherrschung von Frauen durch das Patriarchat). Als einen von mehreren Gründen dafür führt er an, dass die Erfahrung der vermeintlich so Beherrschten nicht vergleichbar sei mit der Erfahrung, die die tatsächlich Beherrschten mit einem bestimmten Agenten als beherrschendem Gegenüber machten. Interessanterweise ist eben die Erfahrung der Beherrschten – als entmachtet (disempowered) – ein Argument, das Gädeke für die gegenteilige Auffassung anführt, wonach etwa sexistische Beherrschung eben gerade nicht davon abhängig ist, in welchen konkreten Beziehungen zu welchen Männern Frauen stehen. Wichtiger noch als diese konkrete Differenz scheint mir jedoch die übergeordnete Ebene, auf der Lovett der Meinung ist, von dieser Kontroverse hänge nicht viel ab. Das scheint mir in zweierlei Weise verkürzt: Zum einen, weil etwa Gädeke so weit geht, zu sagen, dass interaktionale Formen von Macht, die bloß opportunistische Kapazität zur Entscheidungsfrustration mit sich bringen (ihr Beispiel ist ein Raubüberfall), überhaupt nicht als Beherrschung zu werten sind, da diese immer robust sein müsse. Damit schließt Gädeke viele Fälle aus, die Lovett wohl als Beherrschung bezeichnen würde, und sagt, dass letztlich jede Form der Beherrschung strukturelle Beziehungen beschreibt. Die Kontroverse ist also größer als die Frage, ob und inwiefern es Beherrschung ohne ein konkretes beherrschendes Gegenüber geben kann. Das führt zu meinem zweiten Punkt: „kritische" republikanische Theorien mit einem Begriff struktureller Beherrschung zielen oft explizit darauf ab, soziale und politische Realitäten zu erfassen und zu kritisieren. Diese kritische Ambition des Republikanismus erkennt Lovett mit Blick auf seine historischen Ursprünge an, jedoch scheint er ihre gegenwärtige Bedeutung zu unterschätzen. Hier geht die Kontroverse in der Tat tief, nämlich um das Ziel republikanischer politischer Theorie und um die Frage, woran sie sich messen lassen muss. An ihrer internen Konsistenz, ihrer analytischen Plausibilität oder – zumindest auch – an ihrer Fähigkeit zur kritischen gesellschaftlichen Analyse und der Erfassung der prägendsten gesellschaftlichen Missstände? Eine mögliche Antwort Lovetts, die sich aus dem Buch erahnen lässt, ist sein pluralistisches Beharren darauf, dass Nicht-Beherrschung nicht der einzige politische Wert ist. Es ist für ihn also möglicherweise weniger ein Problem, als hier vermutet, wenn sich etwa Dimensionen von Rassismus oder Sexismus nicht mit dem Begriff der Nicht-Beherrschung erfassen lassen. Diese Debatte jedoch sollte aus meiner Sicht geführt und nicht vorschnell bei Seite gelegt werden, da sie sich um die Frage, was Beherrschung bedeutet, dreht – und damit um den Kern des Republikanismus.

Ausgehend von einem strukturellen Verständnis von Beherrschung gibt es auch einige aktuelle Publikationen, die auf historische radikale Formen des Republikanismus verweisen – etwa die bereits genannten Melvin Rogers und Black Republicanism sowie Alex Gourevitch und Labor Republicanism in den USA im 19. Jahrhundert. In diesen Theorien nimmt ein Element des Republikanismus eine hervorgehobene Rolle ein, die Lovett nicht auf diese Weise vorsieht: Bürgertugend (Civic Virtue). Während Lovett selbst diese Rolle in seinem Stanford Encyclopedia Artikel (2022 überarbeitet, erstmals 2006) zum Republikanismus ebenfalls als hervorstehend (salient) beschrieben hat, betont er hier, dass es sich bei der Bürgertugend nicht um ein zentrales Prinzip des Republikanismus handelt. Vielmehr sei die Bürgertugend von den anderen zentralen Prinzipien abzuleiten und ihre Rolle abhängig von kontingenten Fakten über den politischen und historischen Kontext. Auch hierzu lassen sich zwei Fragen stellen: erstens, wieso folgt aus einer politischen und historischen Kontingenz – deren grundsätzliche Bedeutung der Republikanismus doch ohnehin immer betont hat – so unmittelbar die Schlussfolgerung einer nachgelagerten und, es scheint fair zu sagen, untergeordneten Rolle der Bürger*innentugenden? Zweitens, wenn Lovett etwa im vierten Kapitel zur Frage von der Veränderbarkeit von Gesetzen und insbesondere Judicial Review schreibt, dass die politische Kultur (background political culture) dafür sorgt, dass einige Formen der Gesetzgebung der politischen Betrachtung entzogen sind, erkennt er damit nicht eine Kontingenz auch der Rolle des Rechts in Abhängigkeit der politischen Kultur an? Eben diese Abhängigkeit der Rolle des Rechts von der politischen Kultur stellen Autoren wie Rogers und Gourevitch mit Verweis auf die historischen radikalen Formen des Republikanismus in den Vordergrund. Sie verweisen eindrücklich darauf, warum sich gerade die Beherrschten nicht auf das Recht verlassen können, solange die politische Kultur eine beherrschende ist. Auch hier sind viele Antworten von Lovett denkbar, die im Buch fehlen, da er die Frage nicht stellt.

Drittens und abschließend zu Lovetts Behandlung der Frage nach globalen Beziehungen. Repräsentativ für die politische Theorie in Rawls’ Tradition wird diese Frage nachgeordnet behandelt, nachdem zunächst eine staatsbezogene republikanische Position entwickelt wurde. Das ist insofern bemerkenswert, als Lovett dann aber betont, dass ausgehend von der Universalität des Prinzips der Nicht-Beherrschung der Gegenstand der natürlichen Pflicht der Freiheit die realisier- und erreichbaren globalen Grundstrukturen (global basic structures) sind. Anders als in weiten Teilen der globalen Gerechtigkeitsdebatte impliziert, geht es also nicht um die Frage, welche Pflichten wir angesichts einer gegebenen globalen Grundstruktur haben, sondern darum, welche globale Grundstruktur wir anstreben sollten. Doch leider bleibt Lovett dann gerade bei dieser Frage knapp und zurückhaltend. Dabei hätte die Frage der Gestaltung unserer globalen Beziehungen, dem Argument der Universalität folgend, doch vermutlich auch Ausgangspunkt eines aktuellen Buchs zum Republikanismus, anstelle eines nachgelagerten letzten Kapitels, sein können. Lovett folgt der weit geteilten republikanischen Annahme, wonach politische Institutionen durch eine geteilte politische Kultur gestützt werden müssen (interessanterweise nimmt diese hier also erneut eine prominentere Rolle ein, als es über lange Strecken des Buches scheint) und stellt fest, dass es eine solche derzeit global nicht gibt. Dazu ist zunächst zu sagen, dass insofern Menschen mit unterschiedlichen Traditionen und entsprechend voneinander abweichenden Lebenserfahrungen nicht das notwendige geteilte politische Grundverständnis haben, um gemeinsam demokratische Kontrolle auszuüben, dies vermutlich auch ein größeres Problem für die meisten modernen Staaten darstellt, als Lovett im Buch anspricht. Die Frage nach der Möglichkeit einer global geteilten politischen Kultur stellt für Lovett dann ein Dilemma dar: Diese sei nur entweder durch Imperialismus erreichbar oder müsse spontan entstehen. Und in der Frage, ob eine spontane Herausbildung ermutigt oder abgelehnt werden sollte, bleibt er agnostisch, mit einer Intuition, dass weder das eine noch das andere getan werden sollte. So bleibt für ihn im Moment nur eine in Staaten aufgeteilte Welt, innerhalb derer sich Republikaner*innen für kosmopolitische ökonomische Gerechtigkeit einsetzen sollten. Hier sei die Frage gestellt, ob man sich von einer politischen Theorie, die traditionell Wert auf die Erkämpfung politischer Freiheiten und die Förderung von Einstellungen und Haltungen im Sinne der Nicht-Beherrschung legt, nicht mehr erwarten kann. Sicherlich sind es auch aktuelle politische Entscheidungen und Strukturen (etwa in der Entscheidung über die Produktion und Verteilung von Impfstoffen in der Pandemie), die eher nationalistische als kosmopolitische politische Kulturen fördern und wieso sollten Republikaner*innen mit Blick auf ihr universelles Anliegen dies nicht hinterfragen? Erneut schiebt Lovett eine zentrale Kontoverse des Republikanismus – zwischen denen, die umfassendere globale politische Strukturen fordern und denen, die eine streng auf Staaten beruhende politische Ordnung vorsehen – vorschnell beiseite, indem er impliziert, es gebe hier ohnehin kaum Gestaltungsspielraum. Dabei gäben historisch geführte republikanische Kämpfe möglicherweise Hinweise auf die Frage, welche Form der geteilten politischen Kultur es tatsächlich braucht für Nicht-Beherrschung und wie diese gemeinsam erarbeitet werden kann.

Referenzen:

Gädeke, Dorothea. 2020. ‘Does a Mugger Dominate? Episodic Power and the Structural Dimension of Domination’. Journal of Political Philosophy 28 (2): 199–221.

Gourevitch, Alex. 2013. ‘Labor Republicanism and the Transformation of Work’. Political Theory 41 (4): 591–617.

———. 2020. ‘Solidarity and Civic Virtue. Labour Republicanism and the Politics of Emancipation in Nineteenth-Century America’. In Radical Republicanism: Recovering the Tradition’s Popular Heritage, edited by Bruno Leipold, Karma Nabulsi, and Stuart White, New product. New York: Oxford University Press.

Lovett, Frank. 2022. ‘Republicanism’. In The Stanford Encyclopedia of Philosophy, edited by Edward N. Zalta and Uri Nodelman, Fall 2022. Metaphysics Research Lab, Stanford University. https://plato.stanford.edu/archives/fall2022/entries/republicanism/.

Ramgotra, Manjeet K. 2018. ‘Postcolonial Republicanism and the Revival of a Paradigm’. The Good Society 26 (1): 34–54.

Rogers, Melvin L. 2020. ‘Race, Domination, and Republicanism’. In Difference Without Domination. Pursuing Justice In Diverse Democracies., edited by Danielle Allen and Rohini Somanathan, 59–89. Chicago / London: The University of Chicago Press.

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