Raatzsch, Richard: Versuch über den Sinn des Lebens. Wiesbaden: Springer VS 2022. 130 Seiten [978-3-658-37636-9]

Rezensiert von Héctor Wittwer (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)

I.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens weist drei Eigenheiten auf: Erstens ist nicht ohne Weiteres klar, worauf sie abzielt. Je nachdem, was man unter „Sinn“ versteht, kann die Frage nach dem Sinn des Lebens Verschiedenes bedeuten, z. B. ‚Hat unser Leben ein Ziel?’, ‚Zu welchem Zweck leben wir?’, ‚Hat unser Leben einen Wert, d. h. ist es lebenswert?‘ oder ‚Hat unser Leben eine Bedeutung?’. Zweitens lässt sich mit guten Gründen bezweifeln, dass die Frage sinnvoll ist, weil es sich nicht von selbst versteht, dass ein menschliches Leben zu den Arten von Gegenständen gehört, die ein Ziel, einen Zweck, einen Wert oder eine Bedeutung haben können (vgl. Wittwer 2003: 254–260). Und drittens handelt es sich bei dem Problem des Sinns des Lebens um ein spezifisch modernes philosophisches Problem, das der Antike und dem Mittelalter noch fremd war (vgl. Gerhardt 1995). Man muss davon ausgehen, dass die Frage nach dem Sinn des Lebens zumindest zum Zeitpunkt ihrer Entstehung nicht mit der Frage nach dem guten Leben zusammenfiel, denn dieses Problem gehörte bekanntlich schon seit dem Altertum zum festen Bestand der Praktischen Philosophie.

Schon aus dieser kurzen Charakterisierung der Frage nach dem Sinn des Lebens geht hervor, dass wir es hier mit einem ausgesprochen verwirrenden philosophischen Problem zu tun haben – verwirrend nicht etwa deshalb, weil es besonders schwierig wäre, die Frage zu beantworten, sondern vielmehr deshalb, weil es schwer ist, die Frage zu verstehen.

Richard Raatzsch hat nun einen neuen Versuch über den Sinn des Lebens vorgelegt. Aufgrund seiner konzeptionellen und stilistischen Eigenheiten stellt sein Buch die Leserinnen und Leser vor große Herausforderungen. Unter anderem ist es nicht immer leicht, herauszufinden, welche Thesen der Autor vertritt, und noch schwieriger, festzustellen, welchen Status er diesen Behauptungen zuschreibt. Zumindest findet sich schon in der Einleitung die klare Aussage, „dass die Frage nach dem Sinn des Lebens gar keine echte Frage ist“ (XI). Nicht ganz so klar ist, was damit gemeint ist. Handelt es sich, wie manche Philosophen behauptet haben, bei der Frage nach dem Sinn des Lebens um ein Scheinproblem? Beruht die Frage auf falschen Voraussetzungen? Oder ist sie in dem Sinne „keine echte Frage“, dass sie zwar sinnvoll gestellt, aber nicht beantwortet werden kann? Darüber lässt uns Raatzsch im Unklaren. Außer Zweifel steht aber, dass dem Autor zufolge die Frage nach dem Sinn des Lebens, da sie „keine echte Frage“ ist, auch „keine echten Antworten“ zulässt. Dies schließe allerdings nicht aus, dass Menschen auf das Problem des Sinns des Lebens auf verschiedene Weise reagieren können, und diese „verschiedenen Arten einer symbolischen Reaktion auf die Frage nach dem Sinn des Lebens“ (XII) bilden denn auch den Leitfaden des Buches.

Den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden einige Zitate aus Lew Tolstois Beichte, in denen die Frage im Mittelpunkt steht, wozu Tolstoi und der Mensch im Allgemeinen da sind. Obwohl der Schriftsteller zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes gesund, glücklich verheiratet sowie körperlich und geistig für sein Alter ungewöhnlich leistungsfähig, also alles in allem glücklich war, befiel ihn plötzlich die Befürchtung, dass sein Leben im Angesicht des bevorstehenden Todes sinnlos sein könnte. Tolstoi wurde immer häufiger von der beklemmenden Frage nach dem Wozu? geplagt: „Diese Augenblicke des Stillstands [...] drückten sich immer in denselben Fragen aus: Wozu? Und was dann?“ (Tolstoi, zit. nach Raatzsch, 4) Nun ist die Frage, wozu wir Menschen leben, ihrerseits klärungsbedürftig, weil sie voraussetzt, dass jemand mit unserem Dasein einen Zweck verfolgt. Das kann entweder bedeuten, dass wir zu einem bestimmten Zweck geboren wurden, oder, dass wir unser Leben zu einem bestimmten Zweck führen sollen. Doch wer außer uns selbst könnte einen solchen Zweck setzen?

Wie diese knappen Überlegungen zeigen, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens, wie Raatzsch sie bei Tolstoi vorfindet, zunächst einmal klärungsbedürftig. Solange nicht analysiert worden ist, was diese Frage bedeutet, wird man sie auch nicht auf befriedigende Weise beantworten können. Zu dieser naheliegenden Einsicht gelangt auch der Autor: „Es liegt nun nahe, und ist durchaus verbreitet, zu meinen, zunächst müsse man sich den Sinn der Frage nach dem Sinn des Lebens selbst klar machen, bevor man nach Antworten sucht.“ (10 f.) Überraschenderweise verwirft er diese Option aber mit einer Begründung, die nicht leicht nachzuvollziehen ist:

Für zahllose Fragen ist das in der Tat ein guter Grundsatz. Manchmal jedoch zeigen erst die Antworten, was eigentlich die Frage war. Und zuweilen zeigt erst die Tatsache, dass jede zunächst plausibel aussehende Antwort der näheren Untersuchung nicht standhielt, dass das, was uns ursprünglich wie eine mehr oder weniger normale Frage vorkam, in Wirklichkeit gar keine Frage war. Unser Fall ist ein solcher Fall. (11)

Raatzsch lehnt somit die begriffsanalytische Herangehensweise an das Problem des Sinns des Lebens ab. Stattdessen wendet er sich in den kommenden Kapiteln den verschiedenen möglichen Haltungen zum Problem des Lebenssinns oder den möglichen Reaktionen auf dieses Problem zu.

Die erste mögliche Reaktion auf das Problem besteht in dem Ratschlag „Werde kindlich!“ (13–23). Sie beruht auf der stillschweigenden Annahme, dass der Sinn des Lebens ursprünglich klar vor Augen liegt und nur durch die mit dem Erwachsenwerden verbundene Intellektualisierung des Daseins verdeckt wird. Es gelte demnach, die Naivität des Kindes wiederzugewinnen. Wenn das gelinge, dann werde sich der Sinn des Lebens ganz von selbst zeigen. Raatzsch hält diesen Vorschlag aus einem überzeugenden Grund für ungeeignet. Kinder seien noch gar nicht imstande, die Frage nach dem Sinn des Lebens in Bezug auf deren Inhalt und Tragweite zu erfassen (vgl. 17). Darüber hinaus fehle dem Leben des Kindes eine wesentliche Voraussetzung dafür, die Frage nach dem Sinn des Lebens ernsthaft stellen zu können: die Sorge, dass das eigene Leben verfehlt sein könnte. Daher kann der Autor die erste Antwort auf das Problem zu Recht verwerfen: „‚Werde kindlich!‘ ist keine wirkliche, sondern nur eine symbolische Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.“ (21)

Es folgt ein sehr kurzes Kapitel, in dem das philosophische Problem des Sinns des Lebens von dem psychologischen Problem des Leidens an der Sinnlosigkeit des eigenen Daseins abgegrenzt wird (25–31). Wenn die Frage nach dem Sinn des Lebens als ein „Hilferuf“ verstanden werde, dann könne sie von der Philosophie nicht beantwortet werden.

Nach diesem Zwischenspiel wendet sich der Autor der zweiten möglichen Reaktion auf das Problem zu: dem Verweis auf den Glauben (33–48, 53–54). Hier setzt sich Raatzsch vor allem mit einigen Überlegungen und Thesen von William James auseinander. Im Gegensatz zu James vertritt der Autor die Auffassung, dass der Glaube ebenso wenig wie die kindliche Naivität geeignet sei, das Problem des Lebenssinns zu lösen, allerdings aus einem anderen Grund:

Der religiöse Mensch kann, darin dem Kinde gleichend, die Frage nach dem Sinn gar nicht in der Weise stellen, die uns hier beschäftigt. Während es jedoch dem Kind am Verständnis der Frage mangelt, fehlt es dem religiösen Menschen an der Ungewissheit, die nötig ist, um die Frage wirklich zu stellen. Seine Religiosität ist ihm bereits die Antwort, nur hat er, eben weil er religiös ist, gar keine Frage. [...] Nach einer Antwort, die man bereits kennt, kann man nicht suchen. (39)

Gläubige Menschen könnten sich die philosophische Frage nach dem Sinn des Lebens daher gar nicht ernsthaft stellen. Denjenigen, denen der Glaube fehlt, könne man allerdings mit dem Hinweis ‚Glaube!‘ auch nicht helfen, weil man sich zum Glauben nicht einfach entschließen könne.

Nach dem Kapitel über den Glauben folgt ein weiterer Einschub. Diesmal handelt es sich um einen metaphilosophischen Exkurs zu dem Thema „Wo, in der Philosophie, was steht – und warum es da steht, wo es steht“ (55–65). Danach kommt Raatzsch auf die Frage nach dem Sinn des Lebens zurück, indem er sich dieser aus einer anderen Richtung nähert: vom Tod her (67–97). Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist hier die Annahme, dass die „Angst vor dem Tod“ insofern mit dem Problem des Lebenssinns zusammenhänge, als „der Tod das Leben begrenzt“ (70). Deshalb wird der Tod in diesem Kapitel ausführlich thematisiert. Raatzsch diskutiert einige geläufige Probleme der philosophischen Thanatologie, ohne dass zunächst deutlich würde, inwiefern diese Erörterung einen Beitrag zur Lösung des Problems des Lebenssinns leisten könne: Ist die Idee der Unsterblichkeit, d. h. eines ewigen Lebens kohärent (72)? Wie kann der Tod ein Verlust sein, obwohl das Subjekt des Verlustes mit dem Tod vernichtet wird (81)? Ist es für die Beurteilung des Todes relevant, zu welchem Zeitpunkt ein Mensch gestorben ist, z. B. als Kleinkind oder als Greis (84 f.)?

Verwirrend ist in diesem Zusammenhang, dass der Autor auf der einen Seite ausdrücklich behauptet, dass der Tod „Teil des Problems“ des Sinns des Lebens ist, „nicht der Lösung“ (88), dass er aber andererseits die Frage „Warum sollte sich einem Unsterblichen die Sinnfrage nicht stellen?“ (89) folgendermaßen beantwortet: „Soweit wir uns überhaupt ein Bild davon machen können, was es heißt, ein unendliches Leben zu haben [...], spricht alles dafür, dass auch ein solches Leben die Frage nach dem Sinn aufwirft.“ (89 f.) Es dürfte schwierig sein, beide Behauptungen widerspruchsfrei miteinander zu verbinden, denn wie können der Tod oder die Sterblichkeit Teil des Problems des Sinns des Lebens sein, wenn auch Unsterbliche mit diesem Problem konfrontiert wären?

Raatzschs ausführliche Ausführungen über den menschlichen Tod kulminieren am Ende des Kapitels in einem metaphysischen Übersprung vom Sinn des Lebens zum Sinn der Welt:

Der Tod ist die Grenze des Lebens und damit, symbolisch verstanden, auch die Grenze der Welt. Also ist auch dieser Begriff der Welt nur ein Symbol. Wenn das Leben einen Sinn haben soll, dann muss auch die Welt einen haben. Die Frage, warum ich lebe, hat als Gegenstück die Frage, warum überhaupt etwas ist. (96)

Es ist nicht leicht, diesen Schritt nachzuvollziehen, weil nicht deutlich wird, warum die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht auch unabhängig vom Problem des Sinns der Welt (was auch immer das heißen mag) diskutiert werden kann. Darüber hinaus ist die ursprüngliche Frage, wozu, d. h. zu welchem Zweck wir leben, hier stillschweigend durch die Frage ersetzt worden, warum, d. h. aus welchem Grund wir leben. Dass die Frage nach der Ursache unseres Daseins nicht mit der Frage nach dessen Zweck zusammenfällt, liegt aber auf der Hand. Bei Raatzsch hat sich die Tolstoi’sche Ausgangsfrage nach dem Wozu unseres Daseins unmerklich in die ganz andere Frage verwandelt, warum wir da sind: „Dass wir leben, nicht wie wir leben, ist das Thema.“ (100)

Nach Raatzsch handelt es sich bei dem sogenannten Problem des Sinns des Lebens letztlich gar nicht um eine Frage, sondern um die Aufforderung, uns auf unser jeweils eigenes Leben zu besinnen (102). Diese Besinnung ziele darauf ab, herauszufinden, unter welchen Bedingungen ein Leben sinnvoll ist. Dementsprechend kann der Autor seinen Gedankengang so resümieren: „Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist unsinnig oder sie ist die Frage nach unseren Kriterien für die Verwendung des Ausdrucks ‚sinnvolles Leben‘.“ (107) Dieses Problem – das Problem der Kriterien eines sinnvollen Lebens – wird im letzten Kapitel exemplarisch anhand eines Briefes von Mozart an seinen Vater behandelt (107–123).

II.

Raatzsch macht es seinen Leserinnen und Lesern aus mehreren Gründen nicht leicht. Wie bereits erwähnt wurde, verwirft der Autor die Möglichkeit, zunächst einmal zu klären, was die Frage nach dem Sinn des Lebens bedeutet, bevor man sich daranmacht, sie zu beantworten. Für diesen Verzicht auf die begriffliche Analyse des Problems zahlt der Autor jedoch einen hohen Preis: Bis zum Ende des Buches wird nicht klar, um welches Problem oder um welche Probleme es eigentlich geht. Erwähnt und erörtert werden mehrere, miteinander zusammenhängende Fragen, die aber nicht identisch sind, z. B: Ist unser Leben wert, gelebt zu werden? (44) Wovor fürchten wir uns, wenn wir unseren Tod fürchten? Unter welchen Bedingungen kann man zu Recht sagen, dass ein Mensch ein „sinnvolles Leben“ führt? (107) Zwar lässt sich kaum bestreiten, dass zwischen diesen Fragen Zusammenhänge bestehen. Andererseits kann man mit guten Gründen dafür argumentieren, dass es sich bei ihnen um verschiedene Probleme handelt. Beispielsweise belegt allein die Tatsache, dass in der Gegenwart innerhalb der analytischen Philosophie eine Debatte über den Wert des Lebens geführt wird, in der die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht vorkommt, dass man es hier mit zwei verschiedenen Themen zu tun hat. – Bei Raatzsch bleibt bis zum Ende unklar, worin das Problem des Sinns des Lebens denn nun besteht. Zumindest diese Klärung hätte man von einem Versuch über den Sinn des Lebens jedoch erwarten dürfen.

Zweitens ist das Buch in einem Stil verfasst, der selbst professionell geschulten Lesern das Verständnis erschwert. Der Autor hat eine stark ausgeprägte Vorliebe für paradoxe Formulierungen. Außerdem wird beinahe jede Behauptung, gleich nachdem sie aufgestellt worden ist, wieder eingeschränkt, relativiert oder zurückgenommen, sodass man stellenweise gar nicht mehr weiß, was der Autor denn nun sagen will. Eine willkürlich ausgewählte Stelle mag als Beleg für diesen nahezu hermetischen Schreibstil genügen:

Was wir jedoch tatsächlich an Begründung geben können, ist auch wieder keine ganz gewöhnliche Begründung. Denn sie beruft sich auf etwas, was ja schon jeder weiß. Gerade weil es jeder weiß, kann man es eigentlich nicht als Reaktion auf die Forderung nach einem Grund vorbringen – es sei denn, diese Frage entsteht dadurch, dass wir genau das vergessen haben, was jeder weiß, oder ihm nicht das Gewicht im Gefüge unserer Begriffe zukommen lassen, welches ihm gebührt. Es erlangt sein Gewicht (wieder), indem es zum Ausgangspunkt der Betrachtung gemacht wird. Jedoch nicht, um aus ihm alles Mögliche abzuleiten, sondern um gerade alle Ableitungsversuche zurückzuweisen. (105)

Drittens und letztens weist das Buch zahlreiche, teilweise lange Passagen auf, in denen Themen behandelt werden, in Bezug auf die zumindest nicht ohne Weiteres deutlich wird, welchen Beitrag ihre Erörterung zur Lösung des Problems des Sinns des Lebens leisten könnte. Das gilt in erster Linie für das Kapitel „Wo, in der Philosophie, was steht – und warum es da steht, wo es steht“ (55–65), aber auch für den Einschub „Bekenntnis, Geständnis, Aufruf“ (49–52) und für andere Passagen. Man muss davon ausgehen, dass dem Autor beim Schreiben klar vor Augen lag, worin der Zusammenhang zwischen den in diesen Kapiteln behandelten Themen und dem Problem des Lebenssinns besteht. Leider ist es ihm nicht gelungen, diesen Zusammenhang so darzustellen, dass er auch für die Leserinnen und Leser sichtbar wird. Damit soll übrigens nicht bestritten werden, dass die Ausführungen zu den vielen verschiedenen in dem Buch behandelten Themen von philosophischem Interesse sind. Im Gegenteil: Viele Gedankengänge sind an sich durchaus bedenkenswert, nur wird nicht deutlich, was sie zur Beantwortung der Frage nach dem Sinn des Lebens beizutragen vermögen.

Erwähnenswert ist darüber hinaus, dass der Autor offenbar mit Bedacht darauf verzichtet hat, den Anschluss an die gegenwärtige Debatte über den Sinn des Lebens zu suchen. Abgesehen von Thomas Nagel und Bernard Williams, stammen alle seine Referenzautoren aus dem 19. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Tolstoi, Thoreau, Emerson, Nietzsche, James, Russell, Schlick und Wittgenstein. Raatzsch behandelt das Problem des Sinns des Lebens so, als ob es die in der Gegenwart zu diesem Thema geführte philosophische Diskussion gar nicht gäbe (vgl. den ausführlichen Literaturbericht in Rüther 2021a; Rüther 2021b). Insofern ist sein Buch absichtlich unzeitgemäß.

Abschließend sei auf eine Eigenheit hingewiesen, die sich gewissermaßen nur zwischen den Zeilen entdecken lässt. Obwohl aus der ideengeschichtlichen Forschung bekannt ist, dass die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht zu den Problemen gehört, die in der Philosophie bereits seit der Antike diskutiert worden sind, und obwohl sich die Entstehung der Frage nach dem Sinn des Lebens recht genau datieren lässt, behandelt Raatzsch das Thema gleichsam auf zeitlose Art und Weise, so als ob es in allen Menschen unabhängig davon, wo und wann sie lebten oder leben, das metaphysische Bedürfnis gäbe, sich die Frage zu stellen, wozu oder warum sie da sind. Diese Annahme wird aber durch die Ideengeschichte widerlegt: Die Frage nach dem Sinn des Lebens findet sich weder bei Platon noch bei Aristoteles, nicht in der Stoa und auch nicht in der mittelalterlichen Philosophie. Die Rede vom Wert und Sinn des Lebens ist überhaupt erst im 18. Jahrhundert, also verhältnismäßig spät aufgekommen, und es wäre ein lohnendes philosophiehistorisches Unterfangen, der Frage nachzugehen, warum das Problem des Lebenssinns so spät und ausgerechnet im 18. Jahrhundert entstanden ist.

Alles in allem lässt sich sagen, dass Richard Raatzsch einen originellen Versuch über den Sinn des Lebens vorgelegt hat, der Nachfragen und Widerspruch herausfordert.

Literatur

Gerhardt, Volker. „Sinn des Lebens.“ In Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 9, hg. v. Joachim Ritter u. Karlfried Gründer, 815–824. Basel: Schwabe und Co. AG, 1995.

Rüther, Markus. „Meaning in Life oder: Die Debatte um das sinnvolle Leben – Überblick über ein neues Forschungsthema in der der analytischen Ethik. Teil 1: Grundlagen.“ Zeitschrift für philosophische Forschung 75.1 (2021a), 115–155.

Rüther, Markus. „Meaning in Life oder: Die Debatte um das sinnvolle Leben – Überblick über ein neues Forschungsthema in der der analytischen Ethik. Teil 2: normativ-inhaltliche Fragen.“ Zeitschrift für philosophische Forschung 75.2 (2021b), 316–354.

Wittwer, Héctor. Selbsttötung als philosophisches Problem. Über die Rationalität und Moralität des Suizids. Paderborn: mentis, 2003.

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