Früchtl, Josef: Demokratie der Gefühle. Ein ästhetisches Plädoyer. Hamburg: Meiner 2021. 183 Seiten. [978-3787340484]

Rezensiert von Andreas Schindel (Goethe-Universität Frankfurt am Main)

Wie ist aus demokratischer Sicht damit umzugehen, wenn Emotionen, wie Wut, Hass oder Angst, sich in der politischen Öffentlichkeit Bahn brechen? Welche Mittel stehen zur Verfügung, um problematische Gefühlseskalationen zu unterbinden und Gefühlsstrebungen demokratisch auszurichten? Wer an diesen Fragen interessiert ist, so die Ausgangsthese von Josef Früchtls überwiegend essayistisch gehaltenem Buch, sollte das Augenmerk auf die Ästhetik legen. Diese sei nämlich ihrer Anlage nach dafür prädestiniert, Gefühlen politischen Ausdruck zu verleihen und sie in konstruktive, das heißt, die Verwirklichung demokratischer Prinzipien befördernde Formen umzuwandeln. Der Autor führt seinen Begriff von Ästhetik zwar nicht dezidiert aus, doch bezeichnet dieser wohl im engeren Sinne die Kulturbereiche Kunst, Musik und Literatur, wie auch in einem weiteren Sinne die Dimensionen der Wirklichkeit, die von sinnlicher Anschauung und Einbildungskraft konstituiert werden.

Den politiktheoretischen Orientierungspunkt von Früchtls Untersuchung bildet, wie in der Einleitung deutlich wird, das deliberative Demokratiemodell (10). Der Anspruch der Vermittlung von Demokratie und Gefühlen soll vor allem auf dem Weg eingelöst werden, dass Kommunikation und Rationalität auf eine Weise begriffen werden, die den in diesem Theorieparadigma ansonsten häufig vernachlässigten Gefühlsaspekt positiv einschließt (13). Der nicht immer klar erkennbare Schwerpunkt von Früchtls Abhandlung kann in dem Versuch gesehen werden, zunächst einmal die Intersubjektivität und die Mitteilbarkeit von Gefühlen auszuweisen, um ihnen als integralen Elementen demokratischer Kommunikation zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Ästhetik nimmt dabei eine Art Scharnierfunktion zwischen den subjektiv erlebten Gefühlen und dem auf Verständigung ausgerichteten demokratischen Diskurs ein. Sie verweist, so lässt sich der Grundgedanke verstehen, auf eine andere Logik der Sinnstiftung, die das Sein nicht (nur) vermittelt durch Sprache, präpositionales Wissen und argumentative Rede begreift, sondern Aspekte der Wirklichkeit über sinnliche Wahrnehmung und Erfahrung einfängt.

Vor diesem Hintergrund ist auch die von Früchtl eingangs vorgeschlagene, aber nicht systematisch zur Anwendung kommende Analysefolie zu verstehen. Die Benennung von vier Modi des allgemeinen Zugriffs auf Gefühle (Präsentation, Moderation, Kompensation und Transformation) soll eine Perspektive darauf liefern, wie Gefühle über individuelle Grenzen hinweg erfahrbar gemacht und auf demokratische Ziele hin orientiert werden können (11f.).

Der erste Teil des Buches illustriert zunächst am Beispiel von politischen Artikulationsweisen der Wut und des Phänomens der Unverschämtheit die besondere Stellung und Relevanz von Gefühlen für die Kultivierung einer demokratischen Lebensform. Der zweite Teil setzt sich in einer Art Bestandsaufnahme mit vier einflussreichen philosophischen Ansätzen auseinander, durch die unterschiedliche Aspekte des Zusammenhangs von Demokratie, Gefühlen und Ästhetik in den Blick genommen werden. Der dritte, recht kurze Teil stellt schließlich den Versuch dar, auf Basis des ästhetischen Denkens von Immanuel Kant, John Dewey und Jürgen Habermas ein eigenständiges Theoriemodell zu umreißen, das angemessen auf die Frage antworten können soll, „in welchem Ausmaß und in welchem Sinn Gefühle im demokratischen Streit eine Rolle spielen und spielen sollten“ (10).

Inwiefern können Gefühle (un)demokratisch sein?

Den Einstieg in das Thema demokratischer Gefühle wählt Früchtl über den Fokus auf die Wut. Im ersten Schritt werden dazu kursorisch einige markante Stationen des kulturgeschichtlichen Bedeutungswandels von Wut und Zorn nachgezeichnet, bevor im zweiten Schritt auf ihre möglichen politischen Wirkungsweisen und ihre ästhetischen Bearbeitungsformen eingegangen wird. Dies geschieht illustrativ anhand der Proteste gegen geplante Sparmaßnahmen an der Universität Amsterdam im Jahr 2014, denen Früchtl als engagierter Professor selbst beiwohnte. Als systematische Punkte innerhalb dieser eher fallspezifischen und exemplarischen Ausführungen können insbesondere drei Aspekte gelten: Erstens bestimmt Früchtl die „demokratisierte“ Wut als typische Affektregung einer „zwar politisch zur Herrschaft gelangten, aber doch von übermächtigen Gesellschaftsstrukturen in Ohnmacht gehaltenen, weil in ihren Lebensmöglichkeiten eingeengten Subjektivität“ (22). Zweitens weist er auf den inneren Zusammenhang von Wut und Moralität hin: Wut trete auf, „wenn jemand gegen eine Norm verstößt, die für einen selber hoch bedeutsam und geradezu identitätssichernd ist“ (22). Drittens bedürfe die Wut trotz dieses moralischen Kerns der politischen Einhegung, um am Ende produktive Effekte zeitigen zu können (23). Gegen fragwürdige Authentizitätsvorstellungen, wonach Gefühle epistemisch und normativ stets im Recht seien, wird hier also die in der Einleitung aufgestellte These erläutert, dass Gefühle nicht immer schon demokratischen Charakter haben, sondern häufig erst demokratisch ausgerichtet werden müssen. Um dies zu veranschaulichen, bezieht Früchtl sich auf verschiedene Slogans und Aktionen der Universitätsproteste und macht auf die Funktionsweise der dabei zum Einsatz kommenden ästhetischen Mittel aufmerksam (26).

Mit dem Phänomen der Unverschämtheit wählt Früchtl als zweiten beispielhaften Untersuchungsgegenstand eine affektiv aufgeladene Haltung, die bezeichnend für die moderne „ästhetisch-visuelle […] Kultur der Selbstdarstellung“ sei (28). Früchtls Interesse an der Unverschämtheit, der er bereits in seiner 2004 erschienenen Monografie Das unverschämte Ich umfassend nachgegangen ist, erklärt sich aus der Anlehnung an Georg Simmels Diagnose, dass mit dem Eintritt in die gesellschaftliche Moderne eine Form des kulturellen Individualismus vorherrschend wurde, die auf die Besonderheit und Einzigartigkeit des Einzelnen abstellt (34). Unverschämtheit erwachse aus der exzessiven Steigerung der individualistischen Selbstdarstellungskultur (36). Die Politik der Unverschämtheit sei dabei als ambivalent zu bewerten. Der*die Unverschämte trete in manchen Kontexten als Figur auf, die mit schamloser und anti-egalitärer Selbstgewissheit soziale Privilegien für sich geltend macht (41). Auf der anderen Seite gelte es aber auch den Blick für das tugendhafte Moment der Unverschämtheit zu schärfen, das etwa in Situationen zur Geltung komme, in denen sich sozial exkludierte Gruppen das letzte ihnen gebliebene Mittel der Provokation zu Nutze machen, um Teilhaberechte einzufordern (37).

Früchtl legt also in diesem ersten Teil den Schwerpunkt auf zwei agonal verfasste Phänomene, um zu veranschaulichen, dass das Verhältnis von Gefühl und Demokratie allgemein als zwiespältig zu begreifen ist und es stark vom Kontext und vom politisch-ästhetischen Umgang mit Gefühlen abhängt, ob sie sich auf demokratische, das heißt, in letzter Instanz auf Verständigung zielende und gewaltlose Weise äußern. Um die Stoßrichtung von Früchtls Projekt und den Bezug zu den zwei weiteren Teilen besser zu verstehen, wäre es wünschenswert gewesen, wenn die fallspezifischen Betrachtungen um einen allgemeinen Überblick ergänzt worden wäre, in welchen Hinsichten und auf welchen verschiedenen Ebenen das Verhältnis von Gefühl und Demokratie überhaupt thematisch werden kann. Dazu wäre zunächst auch eine grundlegende Klärung des Gefühlsbegriffs selbst nötig gewesen, der leider unterbestimmt bleibt.

Ästhetik und demokratische Gefühlspolitik: vier Modelle

Im zweiten Teil betrachtet und diskutiert Früchtl paradigmatische Sichtweisen auf den Zusammenhang von Demokratie, Gefühl und Ästhetik. Die Auswahl der Positionen wird unspezifisch aus dem Einfluss der Autor*innen in der gegenwärtigen philosophischen Debatte um politische Gefühle hergleitet, sodass die genauere Rolle dieses Vorgehens mit Blick auf das Argumentationsziel des Buches ein wenig im Unklaren bleibt. Als sich durchziehende Themen sind am ehesten Fragen der Intersubjektivität und Normativität von Gefühlen zu erkennen.

Martha Nussbaums politische Emotionstheorie, von Früchtl als „Narrativitätsmodell“ bezeichnet, wird als ein neostoischer und vorwiegend kognitivistischer Ansatz vorgestellt, in dessen Zentrum die Notwendigkeit der Reinigung und Kultivierung von Gefühlen im Dienste der Demokratie steht. Früchtl schließt sich dabei Nussbaums Grundüberzeugung an, dass die „politische Rolle von Emotionen […] von juridischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Institutionen unterstützt werden“ (48) müsse, dass es also eines aktiven und ausdrücklichen gesellschaftlichen Gefühlsmanagements bedarf. In Bezug auf die Frage der Normativität problematisiert er die schematische Einteilung in Gefühle, die der Demokratie förderlich (Mitgefühl, Liebe) und solchen, die ihr abträglich sind (Angst, Neid, Aggression), da die Wertigkeit von Gefühlen nur kontextspezifisch zu bestimmen sei (54). Als fruchtbar an Nussbaums gefühlstheoretischem Vorschlag erachtet Früchtl vor allem, dass hier die ästhetische Dimension der Gefühlskommunikation hervorgehoben wird, indem Nussbaum Gefühle in ein enges Verhältnis zu Narrativität setze und dadurch ihre sonst eher kognitivistischen Vorstellungen über Gefühle relativiere (54).

Die Auseinandersetzung mit dem „Empathiemodell“ von David Hume und Adam Smith nutzt Früchtl vor allem dazu, die intersubjektive Struktur von Gefühlen herauszuarbeiten und so auch ihre normative Dimension zu verdeutlichen. Die herausragende Bedeutung von Gefühlen in diesem Modell erklärt sich aus der von beiden Denkern formulierten Vorstellung, dass moralische Urteile und moralisches Verhalten letztlich auf Gefühlen gründen, insofern der letzte Zweck menschlichen Handelns im Herbeiführen von angenehmen Empfindungen liege (60f). Der für Früchtl wohl wichtigste Gedanke Humes ist dessen Einsicht, dass über ästhetische Gegenstände sinnvoll gestritten werden kann. Das Reden über sie enthalte also mehr als rein subjektive Geschmacksäußerungen und ästhetische Sensibilität wie auch Urteilskraft könnten durch Übung verbessert werden(64).

Während Hume uns also, wie Früchtl ausführt, mit dem Gedanken der Intersubjektivität von Gefühlen vertraut macht, ist Smith in seinen Augen derjenige, mit dem sich die Normativität von Gefühlen diskutieren lässt. In seiner Figur des „unparteiischen Zuschauers“ erkennt Früchtl einen Vorschlag zur Beantwortung der Frage, wie wir im Kontext des Mitfühlens zu einem moralischen Maßstab gelangen können, der nicht einfach individuelle Sympathien oder Urteile anderer Personen reproduziert, mit deren Augen wir uns als Gesellschaftsmitglieder zwangsläufig betrachten. Die Aufgabe bestünde darin, sich mittels der Einbildungskraft in eine spezifische Situation hineinzufühlen und gleichzeitig durch Selbstbeherrschung eine verallgemeinerbare moralische Position einzunehmen (77). Die Vorstellung, das mitfühlende Subjekt könne sich letztlich doch wieder auf einen gleichsam neutralen Standpunkt stellen, kritisiert Früchtl als idealistisch, womit aus seiner Sicht die Frage der Generierung von normativen Maßstäben im Rahmen des Empathiemodells unbefriedigend gelöst bleibt (79).

Als einen dritten einflussreichen Theoriestrang präsentiert Früchtl das „Affektivitätsmodell“, das mit den Namen Spinoza und Deleuze verbunden ist. Er rekonstruiert die Kerngedanken Spinozas dabei im Lichte der post-marxistischen Interpretationslinie, die ihn nicht als rigiden Rationalisten sieht, sondern als einen Denker der „unhintergehbaren Affektivität“ (84) menschlicher Körper. Gemäß Spinozas Ineinssetzung von Körper und Geist würden mit dem Einwirken auf das Handlungsvermögen des Körpers zugleich Ideen über selbige gebildet, die mal mehr und mal weniger adäquat ihren Gegenstand erfassen können (84). Spinoza zufolge käme es für ein Leben in Glückseligkeit darauf an, adäquatere, vernünftigere Ideen über die uns bestimmenden Affektionen auszubilden, die aber gemäß seinem Anti-Dualismus auch auf höherer Erkenntnisstufe an die Affekte gebunden bleiben (86). Spinozas Stärke liege somit darin, die Gegeneinandersetzung von Vernunft und Gefühl zu vermeiden, seine Schwäche hingegen darin, dass er eine explizite Auseinandersetzung mit ästhetischen Fragen vermissen lasse (87).

In einer etwas weit ausholenden Geste stellt Früchtl dann dar, wie in Deleuzes Denken die Ontologie Spinozas mit dem Denken Nietzsches und Bergsons zu einer anti-dialektischen Ontologie der Immanenz verwoben wird, die um das Primat der Differenz und der Vorstellung radikaler Kontingenz kreist (88–92). Die sich an die umrisshafte Darstellung von Deleuzes Philosophie anschließende Kritik fällt scharf aus. Als Apologet des Schöpferischen als solchem, immunisiere sich Deleuze gegen normative Fragen, übe „dogmatische Kritik“ an der argumentativen Rede und gebe sich damit letztlich „anti-demokratische[n] Affekte[n]“ (96) hin.

In ästhetischer Hinsicht interessiert Früchtl das von Deleuze zusammen mit Félix Guattari entworfene Konzept des Empfindungsblocks, mit dem die beiden Denker die grundlegende Wirkungsweise der Kunst zu beschreiben suchen. In Abgrenzung zu den subjektivistisch gefärbten Begriffen Perzeption und Gefühl, verstehen Deleuze und Guattari den Empfindungsblock als einen Komplex von vorbegrifflichen Perzepten und Affekten, der es durch eine Komposition neuer Empfindungen vermag, tradierte Wahrnehmungs- und Gefühlsmuster aufzubrechen (98f.). Insgesamt bewertet Früchtl Deleuzes Affekttheorie aufgrund ihrer Diskursfeindlichkeit, ihres unklaren Bezugs zu normativen Fragen und ihrer Reduktion von Affekten auf die Ebene des Prä-Subjektiven und Körperlichen als unfruchtbar für die Formulierung einer Theorie demokratischer Gefühle (100ff.).

Früchtls Auseinandersetzung mit dem „Freiheitsmodell“ Hegels weicht in der Vorgehensweise von den drei vorherigen Abschnitten deutlich ab. Weniger als die hegelsche Ästhetik insgesamt ist es dessen These vom Ende der Kunst, der sich Früchtl widmet und der er eine neue Wendung geben möchte, um den Status und die Rolle der Kunst im nachmetaphysischen Zeitalter zu bestimmen. Hegel zufolge vollziehe Kunst eine transformierende Leistung, indem sie das Unmittelbare der bewussten Betrachtung und Reflexion zuführe und so Freiheitsräume gegenüber den eigenen Gefühlen eröffne (105). Dieses Vermögen der Kunst, die sie für Hegel in Nachbarschaft zu Religion und Wissenschaft in „die Sphäre des Absoluten“ hebe, verschwinde jedoch mit ihrem Übergang in die „moderne […] romantisch-ironische […]“ (105) Form. In modernen Gesellschaftszusammenhängen seien die sozialen Verhältnisse durch eine Abstraktheit gekennzeichnet, die mit den Mitteln der Kunst nicht zu begreifen sei. Früchtl kritisiert die teleologische Konzeption, die eine bereits erfolgte Vollendung der Kunst postuliere, jedoch nicht in der Absicht sie schlicht zu verwerfen, sondern sie vielmehr so zu deuten, dass die Kunst als kongruent mit demokratischen Prinzipien erscheint. Er schlägt vor, Hegels „posthistorische Kunst“ (109) als dezentrierte Kunst zu begreifen, die Pluralität statt Absolutheit und Agonalität anstelle von Versöhnung zur Aufführung bringt (113). Befreit von ihrem metaphysischen Anspruch, übergeordnete Wahrheiten zu präsentieren, sei die Kunst in die Lage versetzt, an einer demokratischen Kultur mitzustricken (109).

Abgesehen davon, dass fraglich ist, ob es sich bei den dargestellten Ansätzen tatsächlich in einem starken Sinne um „Modelle“ des Zusammenhangs von Demokratie, Gefühl und Ästhetik handelt, mangelt es den Darstellungen insgesamt an einem engeren Fokus und einem systematischen und konsequenten Bezug auf die spezifische Fragestellung des Buches. Zu dem überambitionierten Anspruch, die Ansätze im Hinblick auf die Verschränkung der drei Grundbegriffe zu betrachten, kommt das Ärgernis willkürlicher Gewichtungen hinzu. So werden gelegentlich unnötige Nebenpfade beschritten, etwa wenn Nussbaums politischer Liebesbegriff ins Verhältnis zu Arendts These der Weltlosigkeit von Liebe gesetzt (52f.) oder das Differenzkonzept von Deleuze mit jenem der Kritischen Theorie verglichen wird (93). Eine mögliche methodische Weichenstellung, die der Argumentation mehr Stringenz hätte verleihen können, hätte darin bestanden, die demokratietheoretischen Fragen zunächst auszuklammern und sich auf die Herausarbeitung der jeweiligen Verständnisse von ästhetischer Kommunikation zu beschränken.

Ästhetische Erfahrung und Demokratie: Früchtls Modell

Um die übergeordneten Kernfragen des Buches danach, wie Demokrat*innen „mit den Gefühlen umgehen sollen“ (121) und wie das Verhältnis von Gefühl und rationaler Verständigung zu bestimmen sei, besser als in den vorgestellten Theoriemodellen zu beantworten, müssen laut Früchtl drei weitere Denker*innen hinzugezogen werden. Die ästhetischen Überlegungen von Kant, Habermas und Dewey sollen die Bausteine für eine „normative Konzeption des ästhetischen Urteils“ (122) liefern, die benötigt werde, um Demokratie und ästhetische Gefühlskommunikation auf sinnvolle Weise zu verschränken.

Dazu will Früchtl zunächst noch einmal zeigen, dass ästhetische Urteile mehr sind als nur der Ausdruck subjektiver Präferenzen und schließt daher an Kant an, der in seiner Kritik der ästhetischen Urteilskraft darauf hingewiesen habe, dass sich in ästhetischen Urteilen das Ansinnen artikuliere, der eigene Standpunkt möge bei anderen Zustimmung finden (124). Die Binnenstruktur des ästhetischen Urteils sehe Kant dabei gekennzeichnet durch den Widerstreit zweier Vermögen: der Einbildungskraft, die von gesetzloser Freiheit bestimmt sei und dem Verstand, der sich an logischen Gesetzmäßigkeiten orientiere. Schon Kant habe erkannt, dass es im Streit um das treffendste ästhetische Urteil nicht bloß auf den propositionalen Gehalt der Sprache ankomme, sondern auch auf Rhetorik, der das Vermögen zukomme, an den auf Gefühlen beruhenden Gemeinsinn zu appellieren (125).

Im Folgenden widmet sich Früchtl zusätzlich Deweys Erfahrungstheorie, um die Prozesse, die sich im ästhetischen Streit abspielen, noch genauer zu entwickeln. Deweys Beitrag zur Idee ästhetischer Kommunikation bestehe in der Aufschlüsselung des Erfahrungsbegriffs in die Komponenten Affektion, Perzeption, Imagination, Kognition und Emotion, wie auch in dem Hinweis auf die besondere Qualität der ästhetischen Erfahrung, Erfahrungen in ihrer dynamischen Ganzheit Ausdruck verleihen zu können (127f). Ihre Befreitheit von einem ausgesuchten Zweck erlaube es ihr, einen Zweck höherer Ordnung zu erfüllen, nämlich „eine Erfahrung der Erfahrung“ (126) zu bieten.

Den von Kant vorgedachten und von Dewey verfeinerten Begriff der ästhetischen Erfahrung bezieht Früchtl im dritten Schritt auf das deliberative Demokratiemodell. Dazu räumt er als erstes die verkürzte Lesart aus dem Weg, die Habermas’sche Demokratietheorie sei mit ihrem alleinigen Fokus auf Diskurse gefühlsaversiv und weist darauf hin, dass diese neben moralischen, ethischen und politischen auch ästhetische Geltungsansprüche kenne. Ästhetische Geltungsansprüche seien am Kriterium der Stimmigkeit oder der Kohärenz orientiert und bezögen ihre Geltungskraft aus der Fähigkeit, „ein Werk ‚so evident‘ zu machen, dass die Wahrnehmung oder die ‚Erfahrung selbst ein rationales Motiv werden kann‘, ein Urteil zu akzeptieren oder abzulehnen“ (129). Die spezifische epistemische Form, die der ästhetischen Erfahrung eigen ist, sei von Habermas erkannt, aber nicht genau bestimmt worden, weshalb sich an dieser Stelle der Rückgriff auf Kant und Dewey als nötig erweise.

Neben den von Habermas berücksichtigten ästhetischen Geltungsansprüchen halte dessen Kommunikationstheorie noch einen weiteren Aspekt bereit, der gegen das Bild eines kühlen Rationalisten spreche und eine gewisse Affinität zu den gefühlsbetonten Theorien von Hume und Smith offenbare. Dabei handelt es sich um das Konzept der Übersetzung, das Habermas in Zusammenhang mit der Frage entwickelt, welchen Stellenwert religiöse Argumente im demokratischen Diskurs einnehmen sollten (133). Diese können und sollten laut Habermas zwar nicht ohne weiteres im säkularen Diskurs Akzeptanz finden, dürfen aber auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Daher brauche es die moralische Bereitschaft von Bürger*innen, die religiös gefassten Aussagen in eine allgemeine Sprache zu übersetzen.

Auf dieser Basis gelangt Früchtl also letztlich zur Konturierung eines gefühlsaffinen Kommunikationskonzepts, das die Eigenheit und die kommunikative Bedeutung ästhetischer Erfahrung hervorhebt. Da es in der Ästhetik um die Erfahrung „selber geht“ wird das Gefühl, das in die ästhetische Erfahrung involviert sei, „ebenfalls um ihrer selbst willen ausartikuliert“ (139). Dabei funktioniere die Ästhetik nach der Logik des Exemplarischen: „Sie bietet keine Definition oder gar eine Theorie des verhandelten Gefühls, sondern lediglich ein Beispiel, den Fall eines Allgemeinen, das zugleich aber auch ein vorbildliches Beispiel ist, Repräsentant eines Allgemeinen“ (139). Hierin bestehe die zwischen „idiosynkratischer Subjektivität und definitorischer Objektivität“ (139) angesiedelte Präsentationsfunktion der Ästhetik, die die Mitteilung von individuell erlebten Gefühlen ermöglicht. Damit eine sinnhafte Mitteilung gelingt, müssten die Anderen, das heißt, die Rezipient*innen des ästhetischen Ausdrucks, über die entsprechende ästhetische Sensibilität verfügen, die Früchtl an einer Stelle auch im Begriff des performativen und mimetischen Verstehens fasst (135). Ein Verständigungsprozesses, der diesen Aspekt umfasst, beschränke sich nicht auf das Verstehen von Aussageinhalten, sondern beziehe auch die illokutionäre Seite, die „Musik“ (136) und Stimmung, der Rede ein.

Die demokratietheoretische Stoßrichtung des Buches lässt sich somit am ehesten als interne Korrektur oder Weiterentwicklung des deliberativen Demokratiemodells deuten. Die bei Habermas angelegte ästhetische Dimension des Diskurses wird geschärft, indem das Konzept des performativen, mimetischen Verstehens in Stellung gebracht und so das Repertoire demokratischer Kernpraktiken über die argumentative Rede hinaus erweitert wird. Früchtls Anspruch reicht damit nicht so weit, bereits konkrete Methoden der Gefühlsbearbeitung vorzulegen. Vielmehr geht es ihm darum, eine doppelte Anforderung an die als Lebensform begriffene Demokratie zu formulieren, der wir uns zunächst gewahr werden müssen. Sie muss einerseits „institutionalisierte Verfahren der Übersetzung“ und „Techniken“ (134) entwickeln, die in der Lage sind, auf den ersten Blick unverständliche politische Beiträge verständlich zu machen. Andererseits muss sie Subjekte produzieren, die über die nötige Sensibilität verfügen, sich von der ästhetischen Kommunikation ihrer Mitbürger*innen affizieren zu lassen.

Fazit

Früchtls „ästhetisches Plädoyer“, wie der Untertitel des Buches lautet, ist also am Ende als Parteinahme für die politisch-ästhetische Sichtweise zu verstehen, dass demokratischer Streit auch mit Gefühlen ausgetragen wird und Gefühle, mitsamt den ihnen inhärenten Erfahrungen und Wertungen, selbst zum Gegenstand des demokratischen Streits gemacht werden müssen, und zwar mithilfe von ästhetischen Mitteln. Das Hauptargument, dass der Ästhetik eine besondere Rolle bei der Kommunikation und der politischen Bearbeitung von Gefühlen und somit auch ein Stellenwert in demokratischen Gesellschaften zukommt, wird plausibel begründet. Als interessant, wenn auch noch nicht hinreichend ausgearbeitet, kann der Versuch gelten, durch einen weiter gefassten Kommunikationsbegriff die ästhetische Dimension des deliberativen Demokratiemodells zu schärfen und stärker zu gewichten. Dieses anspruchsvolle und systematische Projekt hätte jedoch nach mehr Klarheit in der Vorgehensweise und argumentativer Stringenz verlangt.

Früchtls Ziel besteht offenbar nicht einfach darin, ein normatives Modell des demokratischen Diskurses zu entwerfen, sondern auch eine realistische demokratietheoretische Perspektive zu entwickeln, die der Nicht-Idealität und Gefühlsdurchzogenheit alltäglicher politischer Auseinandersetzungen gerecht wird. Vor diesem Hintergrund ist es als eine inhaltliche Leerstelle zu werten, dass Früchtl auf ein sozialtheoretisches Vokabular verzichtet, das es vermag, die gesellschaftliche Genese, Zirkulation und kollektivierende Wirkung von Gefühlen analysierbar zu machen. Denn, so ließe sich aus einer stärker materialistischen Perspektive auf Gefühle sagen, wer auf vorherrschende Gefühle politisch einwirken will, muss zunächst ihre sozialen Existenzbedingungen durchdringen. Mit einem konsequenteren Realismus und weniger normativem Ballast wäre dann auch die Frage, inwieweit bestimmte Formen der Gewalt, die aus ungebändigten Affekten hervorgehen, zwar keine erfreulichen, aber vielleicht zuweilen unvermeidbare Momente der Demokratie darstellen, noch einmal zu stellen.

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