Bosch, Aida/Fischer, Joachim/Gugutzer, Robert: Körper – Leib – Sozialität. Philosophische Anthropologie und Leibphänomenologie: Helmuth Plessner und Hermann Schmitz im Dialog. Wiesbaden: Springer VS 2022. 449 Seiten. [978-3-658-34598-3].

Rezensiert von Jonas Puchta (Universität Rostock)

Der erste Band der Reihe „Vital Turn. Körper, Leib und Emotionen“ stellt den als Denker der Philosophischen Anthropologie ausgewiesenen Helmuth Plessner in ein Verhältnis zu Hermann Schmitz, der als Begründer der Neuen Phänomenologie bekannt ist. Diese Zusammenstellung mag zunächst wenig offensichtlich sein, da diese beiden Autoren im Detail kaum etwas zu verbinden scheint. Lange vor der Entstehung von Schmitz’ zehnbändigem „System der Philosophie“ ist Plessners Buch „Die Stufen des Organischen und der Mensch“ erschienen, das auf das philosophisch-anthropologische Denken maßgeblichen Einfluss ausübte. Die diesen Werken zugrundeliegende Methode impliziert teilweise stark unterschiedliche Vorannahmen. Während Plessner von einer „philosophischen Biologie“ (6) ausgeht, die verschiedene Lebensformen berücksichtigt, kommt es Schmitz primär auf die weitestgehend unverstellte Lebenserfahrung des affektiven und dabei vorrangig menschlichen Betroffenseins an, wie es sich z. B. in der Ergriffenheit von Gefühlen präsentiert. Schmitz hat zwar – nicht zuletzt im vorliegenden Sammelband selbst (437ff.) – auf Plessner Bezug genommen, aber ihm für das eigene Denken wie auch in der gesamten Geistesgeschichte keinen fundamentalen Platz zugestanden. Eine Ausnahme mögen in dieser Hinsicht die Arbeiten zum „Lachen“ und „Weinen“ sein (Plessner 1982: 201-388; Schmitz 2019c: 114-131). Bei beiden Denkern trifft man auf eine unterschiedlich akzentuierte Unterscheidung zwischen Leib und Körper (Plessner 1981: 296f.; Schmitz 2011: 1ff.), wobei auch Schmitz sein Werk als Beitrag, wenn nicht sogar Neubegründung der Anthropologie verstanden hat (Schmitz 1990: 115ff., Schmitz 2019a: XI).

Allein weil dieses Verhältnis zwischen Plessner und Schmitz also alles andere als eindeutig ist, nehmen die siebzehn Beiträge des Sammelbandes die beiden Werke der Autoren mit unterschiedlicher Gewichtung, aber vor allem hinsichtlich der Sozialphilosophie und Soziologie in den Blick. Im ersten Teil geschieht dies im Rahmen eines „begrifflich-konzeptionellen Dialogs“, der theorieinternen Fragestellungen und Überschneidungen nachgeht, wogegen der zweite Teil darüber hinaus als „empirisch-phänomenales Gespräch“ konkrete Phänomene forciert, die sich mit Plessner und Schmitz vielseitig zur Sprache bringen und diskutieren lassen. Dafür greifen die Autor*innen oftmals auf naheliegende Unterscheidungen zurück und sind insgesamt an harmonisch verlaufenden Gegenüberstellungen interessiert, die weniger auf die Differenzen zwischen Plessner und Schmitz verweisen. Die damit einhergehenden terminologischen Wiederholungen sind zwar auffällig, aber unvermeidlich und der Sache selbst geschuldet. Grundsätzlich kreisen die Beiträge um Begriffe wie Körper und Sinn(e), Leib und Einleibung, Positionalität und Person, personale Emanzipation und Regression, Subjektivität und Reflexivität, Lachen und Weinen, Eindruck und Ausdruck, Situation und Mitwelt, Raum und Atmosphäre oder Fassung, Rolle und Takt.

Die Einleitung der Herausgeber*innen nimmt einige allgemeine Perspektiven auf Plessner und Schmitz vorweg. Konstatiert wird die in der soziologischen und sozialphilosophischen Forschung kaum vorhandene „wechselseitige Bezugnahme“ auf deren Werke, die der Band thematisch durch das Verhältnis von Leib, Körper und Sozialität herausstellen möchte (2). Für Plessner ist dabei – wie bereits angedeutet – eine „philosophisch-biologische Blickführung“ charakteristisch, die Pflanze, Tier und Mensch gleichermaßen berücksichtigt (7), wogegen Schmitz primär vom menschlichen Sichfinden in einer Umgebung ausgeht und dafür auf das leibliche Spüren rekurriert (13). Wie die weiteren Beiträge verdeutlichen können, lässt sich Schmitz allerdings nicht auf das ihm oft nachgesagte Label des „Leibphilosophen“ reduzieren. Entscheidend ist außerdem die von beiden Autoren implizit geteilte Absage an einen Naturalismus, Physikalismus und Biologismus, sowie an einen „überspitzten“ Kulturalismus und Sozialkonstruktivismus (18). Fraglich ist jedoch die Behauptung der Herausgeber*innen, dass Plessner und Schmitz gleichermaßen mit der Erkenntnis arbeiten, dass der Mensch zugleich „Natur“ und „Kultur“ sei, was wiederum Rückschlüsse für das Zeitalter des „Anthropozäns“ begünstigen soll (20). Zwar mag Plessner eine solche Beziehung angenommen haben, aber sicher ist auch, dass Schmitz eine kritische Distanz gegenüber einem Naturbegriff pflegte (vgl. Meyer 2022), weshalb er vielmehr von einer davon unterschiedenen „Umgebung“ ausging, welche die Unterscheidung Natur/Kultur nicht impliziert. Dass der Leib „die Natur ist, die wir selbst sind“, ist eine These von Gernot Böhme (20, vgl. Böhme 2019), die Schmitz selbst nicht unterschrieben hätte. Das wiederum hat ihn nicht davon abgehalten, auch Kritik an der „Weltbemächtigung“ durch den Menschen zu üben, die allerdings nicht auf einer Naturkonzeption, sondern einer umfangreichen Untersuchung der Geistesgeschichte fußt.

Joachim Fischer verortet im ersten Aufsatz den gemeinsamen Koinzidenzpunkt von Plessner und Schmitz im lebensphilosophischen Paradigma des frühen 20. Jahrhunderts und versteht ihre Ansätze als Beiträge für einen „vital turn“, weil sie „das sinnlich Lebendige als Basis der sinnhaft sich ordnenden Lebenswelt zur Theoriegeltung bringen“ (32). Dafür sollen sich das Lachen und Weinen als „nicht-sprachliche und gegen-intentionale Konstitutiva“ erweisen, die nicht als Phänomene einer „vita activa“ (Handeln, Sprechen) oder „vita contemplativa“ (Verstand, Rationalität), sondern einer „vita passiva“ gelten müssen, weil sie nicht das selbstwirksame Handeln, sondern den Widerfahrnischarakter des Lebendigen aufzeigen (33, 45f.). Für den Versuch, die gesellschaftlichen Verhältnisse vom Leben her aufzuschlüsseln, könnten diese Ansätze eine Lücke zwischen den soziologischen Theorieangeboten des Naturalismus und Kulturalismus schließen (53).

Steffen Kluck stellt einen Zusammenhang zwischen Plessners und Schmitz’ unterschiedlichen Konzepten von „Person“ her. Eindeutig bekannter ist der von Plessner geprägte Begriff der „exzentrischen Positionalität“ des Menschen, der ein nicht festgelegtes Verhältnis zu sich selbst finden und zu seinem Erleben Stellung beziehen muss. Nach dem neophänomenologischen Verständnis gleitet die Person zwischen verschiedenen Stufen der „personalen Regression“ (z. B. als spürbares Betroffensein) und der „personalen Emanzipation“ (z. B. als Distanzierungsfähigkeit), wobei dem Lachen und Weinen in diesem Verhältnis eine stabilisierende Leistung zukommt (72). Kluck stellt überzeugend heraus, dass Schmitz in Plessners Anthropologie durchaus einen Wegbereiter sehen kann, wenn es etwa um die Weisen des personalen Umgangs mit der besonderen Wesensstruktur des Menschen geht (73).

Weil sich die Person in ihrem Selbstverhältnis als grundsätzlich labil erweist, ist es erforderlich, dass sie für die Selbstbehauptung an Stabilität gewinnt, was Michael Großheim am Beispiel der „Rolle“ (Plessner) und der „Fassung“ (Schmitz) herausarbeitet. Dafür bildet der sozialromantische „Rousseauismus“ einen Ausgangspunkt, der für ausnahmslose Offenheit und Authentizität in der zwischenmenschlichen Begegnung eintritt. Dagegen argumentiert Plessner, dass es für den sozialen Umgang der nötigen Distanz bedarf, die sich durch eine „Kunst des Nichtzunahetretens“ einlösen lässt, wenn zum Beispiel die Formen der „Maske“ oder „Rolle“ vor der Beschämung durch den anderen oder sich selbst schützen (87). Das Programm „Selbstbehauptung durch Selbstformung“ (95) kehrt in Schmitz’ Theorie der Fassung wieder, mit der eine Person dem Blick des anderen etwas entgegenzusetzen vermag – z. B. ein souveränes Lächeln trotz eines Fauxpas – oder sich sensibel im Gespräch auf das Verhalten des anderen abstimmen kann (103f.).

Auch Henning Nörenberg thematisiert das Verhältnis zwischen der Person und den Anderen, wenn er Plessners unwillkürliches „Ausdrucksverstehen“ oder „Ausdrucksverhalten“ als leibliches Geschehen analysiert und schließlich durch das Konzept von (wechselseitiger) „Einleibung“ ergänzt. Seine Erkenntnisse macht Nörenberg für den sozialontologischen Diskurs fruchtbar, indem er sie als einen alternativen Erklärungsversuch für die präreflexive Wir-Orientierung des Menschen präsentiert (126). Das eigene Ausdrucksverhalten ist schließlich nicht vollends der Unwillkürlichkeit preisgegeben, sondern es ist auch formbar, zum Beispiel durch die bereits erwähnte Fassung oder den „Takt“, den Plessner als „erste und letzte Tugend“ verhandelt (128).

Plessners Verständnis vom „Ausdruck“ wird von Hilge Landweer durch den Begriff des „Eindruckes“ ergänzt, den Schmitz als eine von der Umgebung abgehobene Ganzheit versteht, aus der ein Mensch schlagartig Bedeutsamkeit explizieren kann (150), weshalb z. B. ein Gesicht auf Anhieb erkennbar verärgert oder nachdenklich auf eine Person wirkt. Das Ausdrucksverstehen findet außerdem nie in Reinform statt, sondern ist in eine „Situation“ eingebettet, die nicht einen eindeutigen Sinn präsentiert, sondern einen vielsagenden Charakter besitzt (151f.). Solche Situationen unterteilt Schmitz zum Beispiel in „persönliche“ und „gemeinsame“ Situationen, wogegen Plessner – stärker sozialphilosophisch orientiert – Martin Heideggers Kategorie der „Mitwelt“ weiterdenkt (154).

Speziell für die Sozialisationsbedingungen des Menschen bekräftig Barbara Wolf, dass für die Entwicklung der Identität die subjektiv spürbare Dimension von Sozialität in einer Situation fundamental ist (159). Plessner hat bekanntlich gegenüber der Einbettung in eine Gemeinschaft nicht unerhebliche Kritik geübt, aber auch die Erkaltung menschlicher Beziehungen in der Gesellschaft bemerkt (179), was Schmitz weniger kulturkritisch unter die gemeinsamen implantierenden Situationen einerseits und die vom Erleben abstrahierenden „Konstellationen“ andererseits verorten würde. Über die starre Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft hinaus argumentiert Wolf für eine „viable Sozialität“ (180), die sowohl Plessners Plädoyer für eine zwischenmenschliche Distanz berücksichtigt, als auch einer „gespürten Verwurzelung“ ihre Berechtigung zugesteht, insofern sie an einem angemessenen Verhältnis von Vertrautheit und Fremdheit interessiert ist (175f.).

Plessners Differenzierungen zu Positionalität und Mitwelt sowie Schmitz’ „Archäologie des Raumes“ dienen Gesa Lindemann für ihre Kritik an der modernen Vorstellung, nach der Individuen als voneinander unabhängige Systeme in die Welt gestellt sind (184). Die Kategorien von „Dividualisierung“ und „sozialer Unentschiedenheitsrelation“ berücksichtigen dafür den Sachverhalt, dass Tier und Mensch sich grundsätzlich – d. h. nicht erst nachträglich – in potentiellen Berührungsbeziehungen wiederfinden, die leiblich fundiert sind (190, 209). Bereits auf Ebene der zentrischen Positionalität sind Tiere durch Artgenossen leiblich affiziert und stimmen ihr Verhalten darauf instinktiv ab. Durch seine „exzentrische Positionalität“ ist der Mensch auf derartige Mitverhältnisse nicht festgelegt und kann auf diese reflektieren, weshalb Strukturvorgaben oder leibliche Beziehungspunkte fraglich werden (187). Für eine Vertiefung dieser Thesen rekurriert Lindemann schließlich auf Schmitz’ Kategorien von „Weite‑“, „Richtungs-“ und „Ortsraum“.

Am Beispiel sozialer Krisen deutet Anna Henkel Plessners und Schmitz’ Theorien als Erweiterungsmöglichkeit der Luhmannschen Systemtheorie (212). Dafür sei „Sinn“ nicht als rein „symbolisch-sprachhaft“ zu verstehen, sondern der Einbeziehung von leib-körperhaftem Ausdruck bedürftig (222). Soziale Erwartungsstrukturen sind, so Henkels These, besonders stabil, „wenn symbolisch-sprachhafter und leib-körperhafter Ausdruck von Sinn korrespondieren“ (229). Der Beitrag formuliert auch eine Kritik an vorherrschenden Sozialtheorien, welche die sozialen Akteur*innen grundsätzlich durch eine „gelassen-distanzierte Selbst-Weltbeziehung“ auszeichnen (230). Nach diesen Theorien soll der Person immer ein willkürlicher Freiraum für die Reflexion auf ihre Umgebung bleiben, sodass sie ihre Zustände oder Erwartungen beliebig an Veränderungen anpassen kann. Mit Plessner und Schmitz sei dagegen vielmehr davon auszugehen, dass sich das Individuum stets auf einer breiten Skala zwischen einem stabilen Weltzugang und einem sich potentiell aufdrängenden „Chaos“ zurechtfindet (231).

Im letzten Beitrag des ersten Teils fragt Aida Bosch nach den erkenntnistheoretischen Implikationen der Sinneswahrnehmung sowie deren „Synästhesie“ und Bedeutsamkeit in der Interaktion (241ff.). In der Zusammenführung von Plessner, Schmitz und Georg Simmel nimmt sich die Analyse dafür die Haut und deren Grenze, das Sehen und den Blick, das Hören und seine Räumlichkeit oder die Qualitäten von Riechen und Schmecken vor. Dieser Ansatz unternimmt einen weiteren Versuch, eine Brücke zwischen Leib und Körper zu schlagen, bei der Bosch stärker vor dem Hintergrund von Plessners „Ästhesiologie des Geistes“ oder seiner „Anthropologie der Sinne“ (Plessner 2003) argumentiert. Gegen dieses Vorgehen ist nichts einzuwenden, aber strenggenommen hat Schmitz den Leib vom Einsatz der fünf Sinne unterschieden und seine Phänomenologie gegen einen „Sensualismus“ (Schmitz 2019b: 8ff.) verteidigt, der die Wahrnehmung als Zusammensetzung einzelner Sinnesleistungen versteht. Boschs Aufsatz kann als ein Vermittlungsversuch gelesen werden, der diese Trennung auflockern möchte.

Die vom Titel des Sammelbandes anvisierte Verschränkung von Körper, Leib und Sozialität schälen die Beiträge des zweiten Teils an ganz konkreten Phänomenen heraus. Überzeugend führt Robert Gugutzer diesen Zusammenhang an der Praxis des „Fußballspiels“ vor: Für die gelingende Ausübung des Sportes müssen die Akteur*innen lernen, ihren Körper auf eine besondere Weise instrumentell zu handhaben. Aber in anderer Hinsicht sind sie für ein „fließendes“ Spiel auch auf eine gelingende „leibliche Kommunikation“ angewiesen, mit der sich die Mit- und Gegenspieler spürbar – und mitunter unabhängig vom Sehsinn – aufeinander abstimmen (286, 299). In diesem letzten Fall „spürt“ man die Anwesenheit der anderen Mitspieler*innen oder fühlt, ob der Ball – noch bevor er sein Ziel erreicht hat – gut platziert wurde.

Isabella Marcinski erweitert diese Unterscheidungen am Beispiel der Essstörung, wobei sie zu bedenken gibt, dass Plessner noch mehr als Schmitz das Spüren in soziale Zusammenhänge eingebettet habe (310, 322). An Magersucht erkrankte Patient*innen fühlen sich oftmals „prall“ oder „angeschwollen“, obwohl sie ihren Körper als abgemagert erkennen und zur Vergewisserung betasten können (318f.). Bei der Anorexie üben die Betroffenen durch disziplinierende Körperpraktiken eine gezielte Selbstkontrolle über ihr Hungerfühl aus, mit dem sie einen instrumentellen Umgang pflegen. Indem sie Macht über den Körper ausüben, gelangen sie zu einer leiblich spürbaren Selbstgewissheit, die sie mitunter auch genießen können (322).

Die Theoriegebäude von Plessner und Schmitz nutzt Melanie Pierburg als „Seh-Hilfe“ (335), um den menschlichen Selbst- und Weltbezug bei der Hospizausbildung offenzulegen. Im Sinne der „exzentrischen Positionalität“ ist das Sterben eine „reflexive Tatsache“, die als etwas gewusst wird, was sich der aktuellen Situation entzieht und dadurch die Ortlosigkeit des menschlichen Selbstverhältnisses bewusst macht (342). Zugleich ist aber das Wissen um den eigenen Tod auch eine „subjektive Tatsache“ im Schmitzschen Sinne, die den Betroffenen zu Lebzeiten unvertretbar und spürbar aufzeigt, dass auch sie selbst sterben müssen und nicht nur jemand vermeintlich Unbeteiligtes, über den man sich in Distanz austauschen kann (342f.).

Die Ebene des rein Zwischenmenschlichen verlässt Anna Schneider, indem sie die den Weltzugang von Mensch und Tier kontrastiert. Zwar ist der Mensch nicht zuletzt durch die Fähigkeit zur Sprache anders in der Welt positioniert, aber er teilt mit dem Tier dennoch die Dimension des leiblichen Spürens, was wiederum neue Möglichkeiten der wechselseitigen Kommunikation offenbart. Nicht durch das bloße Geben von Zeichen, sondern über das rhythmische Spüren gelingt es, dass zum Beispiel Mensch und Hund als Parter*innen den gemeinsamen Lauf durch einen Parcours meistern (359). Eine so als „becoming animal“ verstandene Begegnung bietet eine neue Sichtweise auf ethische Fragen, weil dadurch verständlich wird, inwiefern der Mensch eine spürbare Interaktion, Kommunikation und Bindung mit einem Tier aufbauen kann (362f., 366).

Eine transhumane Perspektive auf die leibliche Kommunikation bietet Alexander Schmidl an. Seine These lautet, dass ein spürbarer Austausch zwischen Roboter und Mensch nicht nur einseitig, sondern auch wechselseitig stattfinden kann (383). Diese Annahme erweist sich als besonders komplex, wenn man bedenkt, dass der Roboter den Menschen durchaus anblicken oder sein Verhalten auf das lebendige Gegenüber abstimmen kann, was zeitweise den Eindruck eines „situativen-Als-ob-Bewusstseins“ hervorruft (379). Nicht weniger interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Status menschlicher Gefühle, die sich zum Beispiel als Mitleid auf die künstliche Intelligenz richten können, obwohl diese keine Leidensfähigkeit besitzt (385).

Das Gespräch zwischen Plessner und Schmitz führt Kathrin Schlenker anhand der Beziehung von Mensch und Architektur fort. Anhand von Zeichnungen aus architektursoziologischen Studien macht sie plausibel, dass sich der Mensch als exzentrisch positioniertes Wesen eine Form gibt, die er auch in der Auseinandersetzung mit räumlich wahrnehmbaren und ergreifenden Atmosphären finden muss (409). Das Wohnen und die Gestaltung des Raumes haben dabei eine stabilisierende Funktion, durch die der Mensch sein Ausgesetztsein kompensieren und sein affektives Betroffensein in angemessene Bahnen lenken kann (394).

Das in kulturellen Praktiken vorherrschende Zusammenspiel von Leib und Körper belegen Aida Bosch und Gert Schmidt zum Abschluss des zweiten Teils mit dem leiblichen Spüren des „automobilen Subjekts“ (413). Das Auto ist nicht bloß eine instrumentelle und schützende Verlängerung oder Verstärkung des Körpers, sondern das Fahren selbst ist ein „leibhaftiges Tun“ (416). Dabei erspüren Fahrer*innen gewissermaßen mit ihrem Auto das Verhalten des Motors, die Veränderungen durch das Schalten oder den wechselnden Untergrund. Im Rahmen dieser leiblichen Kommunikation mit dem Auto kann es besonders im Geschwindigkeitsrauch zu einer empfundenen Vereinigung von Mensch und Maschine kommen (428).

Es dürfte deutlich geworden sein, dass sich die verschiedenen Beiträge, auch wenn sie oftmals auf das gleiche Begriffsinventar zurückgegriffen haben, doch auf vielseitige Weise ergänzen können. Sicherlich wäre es dabei an mancher Stelle sinnvoll gewesen, den Finger noch ausdrücklicher auf die Differenzen zwischen den beiden Protagonisten des Bandes zulegen. Am offensivsten geschieht dies mit dem „Epilog“ des Bandes, den ein zum Lebensende hin verfasster Aufsatz von Schmitz bildet, der aus einer zuvor verfassten Rezension entstanden ist. Darin lautet ein Vorwurf an Plessner, dass er den spürbaren Leib – wohlgemerkt in Schmitz’ Sinne – nicht kenne, weshalb ihm der „große Bogen des Menschseins zwischen dem Präpersonalen und dem Personalen“ entgangen sei (441). Bei Plessner sei die Spanne zwischen zentrischer Position des Tieres und der exzentrischen Position des Menschen zu weit gedacht, weil eigentlich auch das menschliche Dasein an das Zentrische gebunden bleibt, wenn es zum Beispiel affektiv betroffen ist (439).

Ausgehend vom leib-körperlichen Selbstverhältnis der Person und den Formen ihrer Selbstbehauptung sind die Beiträge anhand konkreter Beispiele unterschiedlichen sozialen Beziehungen zwischen Mensch, Tier, Raum, Roboter oder Fahrzeug nachgegangen. Der Sammelband kann überzeugend darlegen, inwiefern die Arbeiten von Schmitz und Plessner fruchtbringend als einander ergänzende Ansätze lesbar sind. Gemeinsam ist ihnen die „Berührung mit Phänomenen und (Welt-)Verhältnissen des Lebens“ (388), für welche die beiden Denker auf unterschiedliche Weise eine „Seh-Hilfe“ bieten können, die auch die blinden Flecken des jeweils anderen kompensieren kann (345).

Die dabei vorausgesetzte Verschränkung von Leib, Körper und Sozialität ist sicher grundlegender von Plessner postuliert worden. Allerdings haben einige Aufsätze vorgeführt, dass der soziale Umgang zum Beispiel auch mit Schmitz’ Kategorie der leiblichen Kommunikation begreifbar ist, die für die Beschreibung sozialer Phänomene zumindest theoretisch nicht auf die Einbeziehung des Körpers angewiesen ist. Es erscheint aber speziell für eine Phänomenologie des Sozialen weniger sinnvoll, eine rein körperliche oder auch rein leibliche Perspektive anzuvisieren, weil ansonsten in beiderlei Hinsichten wesentliche Aspekte des menschlichen In-der-Welt-seins verloren gehen würden. Ein trauriger Mensch lässt zum Beispiel die Glieder seines Körpers schlaff hängen, wobei ihn die Trauer leiblich spürbar nach unten zieht. Wie ertragreich es ist, diese komplexe Beziehung von Körper und Leib auch für den sozialen Umgang zu reflektieren, haben einige der Beiträge an anschaulichen Beispielen verdeutlichen können. Insgesamt hat der Sammelband aber – wie auch Plessner und Schmitz selbst – vergleichsweise wenig gezeigt, wie sich die ganz konkrete Verschränkung von Körperlichkeit und Leiblichkeit auf einer ontologischen Ebene gestaltet. Dafür müsste zunächst weitestgehende Einigkeit darüber herrschen, inwiefern der Körper vom Leib streng getrennt werden sollte, um auf dieser gemeinsamen Basis über deren Verhältnis – in grundlegender wie auch sozialer Hinsicht – genauer nachzudenken. Wie nicht nur der „Epilog“ des Bandes verdeutlicht, werden hierbei zumindest zwischen Plessner und Schmitz große Unterschiede ans Licht kommen, weil z. B. Letzterer die konkrete Verschränkung von Leib und Körper bewusst offenlässt (288).

Eine lohnenswerte Ergänzung ergäbe auch eine dezidiert kultur- oder sozialkritische Perspektive, die auch eine normative Komponente ins Spiel bringen würde, welche nur in wenigen Beiträgen am Rande zu vernehmen war. Dafür könnte zum Beispiel die Frage leitend sein, welche Grenzen und welches Potential für die Lebensführung unberücksichtigt bleiben, wenn man die von Plessner und Schmitz herausgearbeiteten Konzepte ignoriert. Anstatt sich vermeintlich unbegrenzte Möglichkeiten zur Selbstgestaltung zu attestieren, könnte der Mensch auf sein leibliches und exzentrisch positioniertes Wesen aufmerksam werden, das seiner Selbstbehauptung Grenzen setzt. In zwischenmenschlichen Beziehungen ließen sich angesichts dieser labilen Verfasstheit Formens des Umgangs aushandeln, die sowohl eine angemessene Selbstbehauptung als auch Selbstbeschränkung berücksichtigen könnten. In diesem Zusammenhang kann man die Phänomenologie und Philosophische Anthropologie als ein Projekt der Selbstverortung lesen. Ein „vital turn“ hätte sich zukünftig auch an diesen Problemstellungen zu bewähren. Es ist insgesamt verdienstvoll, dass der Band einen Dialog zwischen diesen Autoren anfacht, der auch über die Sozialphilosophie und Soziologie hinaus noch längst nicht an ein Ende gekommen ist. Auf dieser Grundlage lohnt es sich, sowohl Plessner als auch Schmitz neu zu entdecken.

Literatur

Böhme, Gernot, Leib. Die Natur, die wir selbst sind. Berlin: Suhrkamp Verlag 2019.

Meyer, Kira (Hg.), Wie ist Naturphilosophie möglich? Eine Debatte, in: Rostocker Phänomenologische Manuskripte Heft 37. Rostock 2022 (im Erscheinen).

Plessner, Helmuth, Die Stufen des organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie (=Gesammelte Schriften IV). Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1981.

Plessner, Helmuth: Ausdruck und menschliche Natur (=Gesammelte Schriften VII). Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1982.

Plessner, Helmuth, Anthropologie der Sinne (=Gesammelte Schriften III). Frankfurt a. M. 2003.

Schmitz, Hermann, Der Weg der europäischen Philosophie. Eine Gewissenserforschung Bd. 2: Nachantike Philosophie. Freiburg/München: Karl Alber Verlag 2007.

Schmitz, Hermann, Der unerschöpfliche Gegenstand. Grundzüge der Philosophie. Bonn: Bouvier Verlag 1990.

Schmitz, Hermann, Der Leib. Berlin/Boston: DeGruyter Verlag 2011.

Schmitz, Hermann, System der Philosophie Bd. I: Die Gegenwart. Freiburg/München: Karl Alber Verlag 2019.

Schmitz, Hermann, System der Philosophie Bd. III/5: Die Wahrnehmung. Freiburg/München: Karl Alber Verlag 2019.

Schmitz, Hermann, System der Philosophie Bd. IV: Die Person. Freiburg/München: Karl Alber Verlag 2019.

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