Lepold, Kristina: Ambivalente Anerkennung. Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 2021. 210 Seiten. [978-3-593-51355-3]

Rezensiert von Gianluca Cavallo (Goethe-Universität Frankfurt am Main) & Andrea Bianchi (Università Ca’ Foscari Venezia)

I

Kristina Lepold unternimmt in ihrem Buch Ambivalente Anerkennung (Frankfurt, Campus Verlag, 2021) den Versuch, durch an sich ganz unterschiedliche Theorieansätze – die von Honneth, Althusser, Bourdieu und Butler ‒ den Begriff der Anerkennung zu erläutern, um zu zeigen, was an Anerkennung problematisch sein kann.

Ein solcher Versuch scheint von Anbeginn zum Scheitern verurteilt, da diese Autor:innen zwar von „Anerkennung“ sprechen, damit aber unterschiedliche Phänomene beschreiben. Lepold gelingt es allerdings, mit hervorragender begrifflicher und argumentativer Klarheit zu zeigen, dass die Ambivalenz der Anerkennung keine sprachliche, sondern vielmehr eine sachliche ist. Trotz unterschiedlicher Definitionen lässt sich Lepold zufolge Anerkennung bei all den genannten Autor:innen als ein epistemischer Vorgang mit normativen Implikationen verstehen: Jemanden als X anzuerkennen setzt voraus, dass die Person als X identifiziert wird, und impliziert, dass dem gesellschaftlich etablierten normativen Status von X im Handeln Rechnung getragen wird. Wenn ich zum Beispiel jemanden als Professorin anerkenne, dann muss ich sie als Professorin identifiziert haben und (normalerweise) bereit sein, sie als wissenschaftliche Autorität zu respektieren. Die Unterschiede zwischen den Autor:innen seien also darauf zurückzuführen, wie sie den Prozess begreifen, wodurch jemand als X identifieziert werden kann bzw. sich als X identifiert.

Der Ausgangspunkt von Lepolds Forschung ist Axel Honneths Anerkennungstheorie, die – anknüpfend an den grundlegenden Hegelschen Anerkennungsbegriff – die Debatten der letzten Jahrzehnte in der sozialen und politischen Philosophie stark beeinflusst hat. Honneths Projekt zielt darauf ab, die Aufgabe einer kritischen Gesellschaftstheorie, nämlich die Bestimmung einer emanzipatorischen sozialen Praxis, neu zu denken. Dies ist bereits die Idee, die Max Horkheimer in seinem programmatischen Text Traditionelle und kritische Theorie (1937) entwickelt. In dem Aufsatz definiert Horkheimer die traditionelle Theorie als jenes Theorieverständnis, das darauf abzielt, bestimmte Bereiche der Wirklichkeit wissenschaftlich zu erklären. Neben dem rein wissenschaftlichen Zweck der Forschung verfolgt die traditionelle Theorie aber auch ein außerwissenschaftliches Interesse, nämlich die gesellschaftliche Aufgabe, die Lebensgrundlagen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zu reproduzieren. Demgegenüber verfolgt die kritische Theorie – als intellektuelle Seite des historischen Emanzipationsprozesses – das Interesse an der Emanzipation der Menschen von gesellschaftlicher Herrschaft, und verwirklicht damit eine wissenschaftliche Forschungstätigkeit, die auf die Überwindung kapitalistischer und bürgerlicher Lebensbedingungen abzielt.

Honneth will diese Denktradition kritisch fortsetzen und jene Aporien aufzeigen, die das emanzipatorische Projekt scheitern lassen. Was die erste Generation der Frankfurter Schule – insbesondere Adorno und Horkheimer, aber auch Foucaults Analyse der Macht – kennzeichnet, ist laut Honneth die mangelnde Wertschätzung sozialer Kämpfe und ihrer normativen Implikationen. Honneth betrachtet mit Interesse den Versuch von Habermas (1965), den monistischen Reduktionismus von Marx (der sich ausschließlich auf die Kategorie der gesellschaftlichen Arbeit konzentrierte) zu überwinden und die Idee eines normativ konnotierten Konflikts ins Zentrum zu rücken. Allerdings wird die emanzipatorische Bedeutung der moralischen Grammatik sozialer Konflikte aus Honneths Sicht mit der Theorie des kommunikativen Handelns (1981) nicht angemessen beschrieben.

Die Aufwertung der sozialen Kämpfe und ihres normativen Wertes ermöglicht Honneth ein neues Verständnis von emanzipatorischer Praxis zu entwickeln. Er vertraut die Bewältigung dieser Aufgabe einer Theorie der Anerkennung an, die sich nicht auf die epistemische Dimension der Identifikation beschränkt, sondern die normative Dimension der Zuweisung eines Wertes an die anerkannte Person einschließt. Die Anerkennungsbeziehung setzt die Wahrnehmung bestimmter normativer Eigenschaften voraus und ermöglicht die Zuweisung eines normativen Status an das anerkannte Subjekt; die Handlungen, die A gegenüber B ausführt, beruhen auf der Wahrnehmung des Wertes von B und werden von B als Bestätigung seines eigenen normativen Status interpretiert. Diese Anerkennungsdynamik ermöglicht B, frei und selbständig zu sein, indem B sich selbst verwirklicht. Nur durch Anerkennung kann sich eine Person mit ihren Eigenschaften identifizieren, und nur durch die intersubjektiven Beziehungen können diese Eigenschaften konkret verwirklicht werden. Diese positive Funktion, die Honneth der Anerkennung zuschreibt, wird von Lepold als „die ethische Bedeutung von Anerkennung für Personen“ beschrieben (62).

Neben diesen positiven moralischen Folgen der Anerkennung betrachtet Honneth auch die negativen Folgen der Missachtung in ihrer doppelten Bedeutung der verweigerten Anerkennung (das Fehlen der Zuweisung einer Eigenschaft an eine Person) und der unvollendeten Anerkennung. Lepold hebt diesen letzteren Aspekt von Honneths Analyse besonders hervor: Innerhalb einer intersubjektiven Beziehung kann das Handeln von A gegenüber B trotz der Zuweisung einer bestimmten Eigenschaft von B als eine Form von Missachtung, als Enttäuschung normativer Erwartungen erlebt werden, wenn B sich mit der Eigenschaft nicht selbst identifizieren kann.

An den Beziehungen der Anerkennung oder Missachtung sind nicht nur Individuen beteiligt, sondern auch soziale Institutionen und Praktiken, die eine wichtige Vermittlerrolle in den intersubjektiven Beziehungen spielen. Durch die Vermittlung einer sozialen Institution schreiben sich die Individuen gegenseitig einen normativen Status zu, der wiederum auf Normen der Anerkennung beruht.

Dies bedeutet auch, dass Institutionen und Praktiken eine entscheidende Rolle in Beziehungen von Missachtung spielen, entweder im Sinne der Verweigerung der Anerkennung (z. B. das Fehlen eines spezifischen Rechts zum Schutz bestimmter Minderheiten innerhalb eines Rechtssystems) oder im Sinne der unerfüllten Anerkennung, die eintritt, wenn die von den Institutionen geschützten Rechte nicht mehr den normativen Erwartungen der Individuen entsprechen, die sich inzwischen verändert haben.

Am Ende ihrer Auseinandersetzung mit Honneths Anerkennungstheorie fragt Lepold, ob diese zu den positiven oder negativen Anerkennungstheorien gehört. Lepold stimmt mit der Sekundärliteratur darin überein, Honneth als positiven Anerkennungstheoretiker zu bezeichnen, allerdings besteht für sie die Positivität von Honneths Anerkennungstheorie nicht nur in der positiven ethischen Funktion von intersubjektiven Beziehungen. Honneths Theorie ist laut Lepold vielmehr deshalb als „positiv“ zu bezeichnen, weil sie der Anerkennung eine gesellschaftlich positive Funktion zuschreibt, nämlich die Überwindung von ungerechten Herrschaftsstrukturen, die Anerkennungsbeziehungen strukturell verunmöglichen. Erfahrungen von Missachtung vereiteln das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung und können nur durch die Abschaffung von ungerechten sozialen Verhältnissen überwunden werden. Die Erfahrung der Missachtung motiviert unterdrückte Subjekte dazu, für die Anerkennung ihrer eigenen Identität und Bedürfnisse zu kämpfen. Das Resultat des Kampfes um Anerkennung ist ein neues soziales Verhältnis, dessen Normativität die Anerkennung der zuvor unterdrückten Subjekte ermöglicht.

II

Ganz anders verwendet Althusser den Anerkennungsbegriff. Für Althusser ist vor allem wichtig, wie das Subjekt sich selbst anerkennt. Althusser zufolge kann sich eine Person selbst als ein X anerkennen, wenn sie sich sozialen Normen fügt, die bestimmen, was es bedeutet, ein X zu sein. Menschen werden von Institutionen und Praktiken in der sozialen Welt, wie Lepold zusammenfassend schreibt, „fortwährend angerufen“ (108) und diese „Anrufung“ geht der Möglichkeit voraus, sich selbst als jemanden zu identifizieren und anzuerkennen. Die Identität von Personen ist also für Althusser gesellschaftlich konstituiert. Weil aber die „Anrufung“ eine Antwort erfordert, ist dieser Prozess nicht völlig fremdbestimmt, sondern wird aktiv vollzogen. Der Person bleibt die Möglichkeit, sich der Anrufung durch Weigerung zu entziehen. Außerhalb von sozial normierten Kontexten kann jedoch das Subjekt keine Identität ausbilden.

Die Menschen sind sich dieses Vorgangs meistens nicht bewusst. Gerade deshalb, weil sie durch ihr normiertes Verhalten ihre Identität ausbilden, erscheint es ihnen so, als würde ihr Handeln „aus ihnen kommen“ (115). Sie handeln wie ein X, weil sie sich bestimmten Normen und Verhaltenserwartungen unterwerfen, denken aber, so zu handeln, weil sie ein X sind. Das ist für Althusser eine sozial notwendige Täuschung, die sich – so Lepold – „nicht aufheben lässt“ (116). Anerkennung, verstanden als die Selbstzuschreibung von Eigenschaften, ist also für Althusser ideologisch (118). Eine nicht-ideologische Form von Anerkennung ist aus seiner Sicht nicht möglich. Sie ist aber, wie Lepold argumentiert, nicht für das Subjekt problematisch, denn das Subjekt leidet nicht darunter. Sie ist gesellschaftlich problematisch, weil das Subjekt sich im Prozess seiner Identitätsbildung an soziale Normen anpasst, die problematisch sind bzw. sein können. Weil das Subjekt sich dieses Vorgangs nicht bewusst ist und glaubt, frei und autonom zu handeln, werden diese Normen außerdem naturalisiert und jeglicher Kritik entzogen.

III

Die These Bourdieus kann als eine Radikalisierung von der Althussers gelesen werden. Die Identität des Subjekts ist für Bourdieu völlig fremdbestimmt. Menschen, die wie ein X handeln und sich als X identifizieren, täuschen sich nicht über den Ursprung ihres Handelns, wie Althusser meinte. Sie sind ein X geworden und handeln in diesem Sinne tatsächlich von selbst, wenn sie den Verhaltensnormen entsprechend handeln. Sie täuschen sich dennoch insofern, als sie ihre Identität als gegebene Tatsache der Natur verstehen. Bourdieu definiert Anerkennung aber nicht als Selbstzuschreibung von bestimmten Eigenschaften, sondern als soziale Wertschätzung. Es ist das Bedürfnis nach sozialer Wertschätzung, das erklärt, warum die Menschen bereit sind, sich sozialen Normen zu unterwerfen. Wie Lepold schreibt: „Anerkennung motiviert Personen, sich den ihrer Position entsprechenden Verhaltenserwartungen zu fügen, und unterstützt so die Ausbildung einer Identität und eines Habitus“ (139).

Das Ergebnis, zu dem Lepold mit Bourdieu kommt, ist, dass Anerkennung zur Reproduktion von sozialen Normen und Praktiken beiträgt, weil sie Menschen dazu motiviert, sich diesen zu unterwerfen. Da die Menschen dadurch ihre Identität ausbilden, erscheinen außerdem diese Normen, wie schon Althusser klar gemacht hatte, als natürliche Gegebenheit und werden dadurch hypostasiert. Anerkennung trägt also für Bourdieu „auf zwei Weisen – motivational und epistemisch – zur Reproduktion der Sozialstruktur der Gesellschaft bei“ (143). Lepold bezeichnet deshalb Bourdieu als einen „gesellschaftliche[n] Anerkennungsskeptiker“ (ebd.), weil er die gesellschaftliche Wirkung von Anerkennung negativ sieht.

IV

Auch bei Butler steht der Prozess der Identitätsbildung im Fokus. Ähnlich wie Bourdieu versteht sie Anerkennung als Fremdzuschreibung von Eigenschaften, wodurch jemand als X identifiziert wird. Sie teilt aber mit Althusser die Idee, dass die Identität des Menschen nicht völlig fremdbestimmt ist. Diejenigen, die sich herrschenden sozialen Normen nicht unterwerfen, können keine soziale Identität bilden, bleiben deshalb unsichtbar und können keine Anerkennung genießen. In diesem Sinne „existieren“ sie nicht und können von anderen nur verkannt werden. Das ist zumindest Lepolds Lektüre, denn für Lepold kann es keine falsche Anerkennung geben. Wenn eine Person als X identifiziert wird, sich selbst aber nicht so versteht, dann kann von Anerkennung keine Rede sein: Die Person wird in ihrer Identität verkannt.

Die Menschen müssen sich sozialen Normen anpassen, um überhaupt in der Gesellschaft existieren zu können. Dies erklärt für Butler, so wie Lepold sie liest, warum die meisten Menschen sich anpassen. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie entfremdet sind und darunter leiden. Sie können tatsächlich zu dem werden, was ihnen vorgeschrieben wird. Aber sie täuschen sich über ihre Identitäten, weil sie nicht einsehen, dass sie gesellschaftlich konstruiert sind. Genau wie mit Bourdieu kann also Lepold mit Butler zu dem Schluss kommen, dass Anerkennung sowohl motivational als auch epistemisch zur Aufrechterhaltung von sozialen Normen beiträgt.

V

Wie Lepold mit Althusser, Bourdieu und Butler argumentiert, kann Anerkennung problematisch sein, indem sie Menschen zur Konstruktion von normierten Identitäten motiviert und damit zur Naturalisierung und Reproduktion von sozialen Arrangements beiträgt, die problematisch sein können. Darin besteht die gesellschaftliche Ambivalenz der Anerkennung: die Normen, auf deren Basis Anerkennung zugeteilt wird, und die durch den Prozess der Identitätsbildung reproduziert werden, können sowohl freiheitsstiftende als auch freiheitsunterdrückende Normen sein. Anerkennung ist an sich weder gut noch schlecht, sie trägt aber dazu bei, Normen zu reproduzieren, die für bestimmte Subjekte unterdrückend sein können. Mit Honneth kann aber Lepold zugleich behaupten, dass sich unterdrückende Normen nur durch einen Kampf um Anerkennung überwinden lassen, dessen Ziel eine Veränderung der normativen Ordnung der Gesellschaft ist. Das sind die überzeugenden Hauptthesen des Buches. Lepold argumentiert dabei mit einer seltenen Klarheit, die nicht nur überzeugt, sondern das Buch auch für diejenigen lesbar macht, die keine Vorkenntnisse über das Werk der behandelten Autor:innen besitzen. Insofern kann das Buch auch zu didaktischen Zwecken herangezogen werden.

Eine zweitrangige These des Buches, die Lepold nicht ausführt, weil sie sie quasi für selbstverständlich zu halten scheint, ist dennoch aus unserer Sicht weniger überzeugend. Diese These basiert auf einer in der Einleitung des Buches eingeführten Unterscheidung zwischen der ethischen und der sozialen Bedeutung von Anerkennung. Erstere ist die Wirkung von Anerkennung auf das Subjekt; letztere ist die Wirkung von Anerkennung auf die Gesellschaft. Für Lepold ist Anerkennung nur im zweiten Sinne ambivalent, weil sie nämlich zur Reproduktion von potentiell problematischen Normen beiträgt. Für das Subjekt aber ist Anerkennung für Lepold immer positiv, solange es anerkannt (und nicht verkannt) wird. Durch Anerkennung wird das Subjekt in seiner Identität bestätigt, und die Eigenidentität kann für das Subjekt – so die implizite Annahme – nicht problematisch sein kann. Lepold definiert Identität als „das, als was oder wen sich eine Person selbst begreift“ (181). Sie wird „durch Selbstidentifizierung oder die Selbstzuschreibung von Eigenschaften konstituiert“ (ebd.). Damit will Lepold die Freiheit des Subjekts unterstreichen, das aus ihrer Sicht immer aktiv bleibt, selbst wenn es sich Normen und Verhaltenserwartungen unterwirft. Wenn das Subjekt sich selbst als X identifiziert, dann wünscht es sich, als X anerkannt zu werden, unabhängig davon, welche Mechanismen dazu geführt haben, dass es sich als X identifiziert. Wenn es sich selbst nicht als X identifiziert, kann es von anderen nicht als X anerkannt werden. Diejenigen, die es als X identifizieren, verkennen seine Identität. Wie Lepold schreibt: „Für Personen ist es prinzipiell gut, Anerkennung zu finden, während keine oder keine richtige Anerkennung zu finden ein Problem darstellt“ (194). Lepold scheint die These der positiven ethischen Bedeutung der Anerkennung von Honneth zu übernehmen. Sie vernachlässigt jedoch die für Honneth zentrale intersubjektive Dimension der Identitätsbildung und verwickelt sich damit in Widersprüche.

Das Problem liegt in Lepolds Definition von Identität als Selbstzuschreibung von Eigenschaften und dem daraus folgenden Verständnis von Anerkennung als Bestätigung des subjektiven Selbstverständnisses. Diese vereinfachte Definition widerspricht Lepolds eigenem Verständnis von der ethischen Bedeutung der Anerkennung. Wie sie selber schreibt, „können (...) Selbstidentifizierungen affirmativ sein, müssen dies aber keineswegs“ (181). Eine Person kann sich selbst eine negative Identität zuschreiben, wenn sie ein niedriges Selbstwertgefühl hat. Anerkennung, so wie Lepold sie definiert, wäre in diesem Fall eine Bestätigung von negativen Selbstzuschreibungen und würde zur Verringerung des Selbstwertgefühls beitragen. Dann wäre Anerkennung in ihrer ethischen Bedeutung für das Subjekt problematisch. Eine positive ethische Bedeutung hätte in diesem Fall nur die Verkennung des subjektiven Selbstverständnisses. Dies zeigt, dass Lepolds Definition von Identität und Anerkennung inadäquat ist.

Es ist nicht leicht einzusehen, wie eine selbstzugeschriebene Identität von anderen erkannt und anerkannt werden soll. Menschen können nur durch das Verhalten einer Person ihre Identität erkennen. Das Verhalten, und nicht die Identität, ist der unmittelbare Gegenstand der Anerkennung. Es kann deswegen passieren, dass Menschen durch die Anerkennung des Verhaltens einer Person dieser dazu verhelfen, ihr negatives Selbstverständnis zu korrigieren und ein positives Selbstbild zu entwickeln, sowie es passieren kann, dass das Bedürfnis nach Anerkennung eine Person zwingt, sich als etwas zu benehmen, das sie lieber gar nicht wäre. Eine Person kann sich wie ein X verhalten und von anderen deshalb als X identifiziert und anerkannt werden, obwohl sie sich selbst nicht als X identifiziert. In diesem Fall kann für Lepold von Anerkennung keine Rede sein. Wie sie schreibt: „in diesem Fall erfüllt sie [die Person] zwar Verhaltenserwartungen, ihr fehlt jedoch die innere Entsprechung“ (ebd.).

Die Person wird also Lepold zufolge verkannt, weil sie als etwas identifiziert wird, das dem nicht entspricht, womit sie sich selbst identifiziert. Tatsächlich handelt diese Person aber, als wäre sie ein X. Eine Person, die sich regelmäßig wie ein X benimmt, und zugleich behauptet, kein X zu sein, leidet an kognitiver Dissonanz. Ihre Behauptung, sie sei kein X, obwohl sie sich wie ein X benimmt, ist eine defensive Verleugnung. Lepolds Argument, dass diese Person verkannt wird, weil sie sich nicht als X identifiziert, wird der Komplexität der psychischen Realität nicht gerecht. Nimmt man diese in Betracht, so erscheint die positive ethische Bedeutung der Anerkennung, von der Lepold ausgeht, nicht mehr selbstverständlich. Anerkennung ist auch in ihrer ethischen Bedeutung ambivalent, weil sie Menschen dazu motivieren kann, sich Verhaltensnormen zu fügen, mit denen sie nicht einverstanden sind. Diese Anpassung bleibt aber nicht bloß äußerlich, als könnte sich das Subjekt von seinem Verhalten und seiner realen gesellschaftlichen Identität distanzieren, sondern bewirkt eine innere, psychische Spaltung, unter der das Subjekt leidet (zu diesem Thema s. Rolo 2015: 87ff.).

Lepolds Buch verdeutlicht mit großer Klarheit die Koordinaten, innerhalb derer sich die soziale Ambivalenz der Anerkennung konstituiert. Anerkennung kann sowohl eine positive als auch eine negative Rolle im sozialen Bereich spielen, indem sie zur Aufrechterhaltung problematischer sozialer Verhältnisse beitragen kann. Mit ähnlichen Begriffen lässt sich auch die ethische Ambivalenz der Anerkennung denken: Sie kann zur Aufrechterhaltung problematischer Verhaltensnormen dienen, denen sich Menschen auf Kosten ihrer psychischen Integrität unterwerfen müssen. Die Aufrechterhaltung problematischer sozialer Verhältnisse geschieht nicht zwingend mit der stillschweigenden Zustimmung der Unterdrückten. Oft fügen sie sich mehr oder weniger freiwillig Normen und Mustern, die sie zwar innerlich ablehnen, die aber ihre Identität und ihr Verhalten im Wesentlichen bestimmen. Lepolds Arbeit stellt somit ein wertvolles Instrument dar, mit dem die von ihr am Ende des Buches offen gelassene Frage wieder aufgegriffen werden könnte, nämlich die der Bewertung (und damit der Kritik) sozialer Ordnungen und der ihnen zugrunde liegenden Normativität: eine Frage, die Horkheimer in seinem programmatischen Aufsatz bereits aufgeworfen hatte.

Literatur

Habermas, Jürgen. „Erkenntnis und Interesse“, in: ders.: Technik und Wissenschaft als »Ideologie«, 146–168 Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1965.

Habermas, Jürgen. Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1981.

Horkheimer, Max. „Traditionelle und kritische Theorie“, in: Zeitschrift für Sozialforschung 6. 2 (1937), 247–294.

Rolo, Duarte. Mentir au travail. Paris: Presses Universitaires de France, 2015.

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