Honneth, Axel; Rancière, Jacques: Anerkennung oder Unvernehmen? Eine Debatte. Hg. von Katia Genel und Jean-Philippe Deranty. Berlin: Suhrkamp 2021. 174 Seiten. [978-3-518-29833-6]

Rezensiert von Christoph Honold (Universität Leipzig)

Debatten sind oftmals der Prüfstein für eine Theorie. Als eine der bekanntesten Debatten aus der jüngeren Geschichte der Philosophie dürfte die Auseinandersetzung zwischen Jürgen Habermas und Michel Foucault gelten, die grundsätzliche Divergenzen zwischen der deutschen und französischen Variante kritischer Theorie zutage förderte. Eine Neuauflage dieser Auseinandersetzung verspricht nun das vorliegende Buch, das die bereits im Jahr 2009 stattgefundene Begegnung zwischen Axel Honneth und Jacques Rancière dokumentiert und erstmals dem deutschsprachigen Publikum zugänglich macht. Anders als bei der Auseinandersetzung zwischen Habermas und Foucault, die hauptsächlich über Texte stattgefunden hat, ist es hier gelungen, zwei Vertreter für einen persönlichen Austausch zu gewinnen. Dazu werden von den Herausgeber*innen Jean-Philippe Deranty und Katia Genel die anlässlich des Treffens von den Autoren gehaltenen Vorträge und das Protokoll ihrer anschließenden Diskussion zusammengestellt. Beide Denker wurden zunächst gebeten, den Standpunkt ihres Gesprächspartners kritisch zu rekonstruieren. Anschließend erhielten sie die Chance, im gemeinsamen Gespräch auf die von ihrem Gegenüber geäußerten Kritikpunkte einzugehen. Dieser Diskussionsteil wird durch eine ausführliche Einleitung der Herausgeber*innen und je einen Beitrag von Honneth und Rancière zur Methode der kritischen Theorie gerahmt.

Nun lässt schon allein die Einleitung keinen Zweifel an der Bedeutung aufkommen, die zumindest die Herausgeber*innen dem Treffen der zwei Philosophen beizumessen bereit sind. Aus dem erklärten Anspruch heraus, die Debatte zwischen der Kritischen Theorie Frankfurter Prägung und dem französischen Poststrukturalismus zu erneuern, ergibt sich auch die Aufgabe, die die Herausgeber*innen dem Band zumuten. Im Ausgang der Diskussion von Honneth und Rancière soll das Buch zur Klärung der normativen Grundprinzipien und methodologischen Herangehensweisen einer kritischen Theorie im weitesten Sinn beitragen (8). Zu diesem Zweck verwenden die Herausgeber*innen einige Mühe darauf, sowohl „erwartbare Divergenzen“ (21) als auch Überschneidungspunkte (30) zwischen den beiden Denkern herauszuarbeiten.

Deshalb ist es angezeigt, zunächst anhand der Vorträge der Autoren und der Rekonstruktion, die die Herausgeber*innen bieten, noch einmal die Positionen von Rancière und Honneth kurz zu skizzieren (I). In einem zweiten Schritt können dann die zentralen Konfliktpunkte vorgestellt werden, die während der gemeinsamen Diskussion zutage traten (II). An diesen Ausführungen lassen sich in einem dritten Schritt weiterführende Überlegungen anschließen, die die Berechtigung einiger der im Gespräch verhandelten Konfliktpunkte prüfen und auf das Anliegen des Buches zurückkommen (III).

I.

Gemeinsam ist beiden Denkern das Anliegen, eine Theorie zu entwickeln, deren begriffliches Instrumentarium in der Lage ist, einerseits bestehende Verhältnisse der Ungerechtigkeit theoretisch zu beschreiben, und andererseits emanzipatorische Bewegungen auch praktisch anleiten zu können. Sowohl für Rancière als auch für Honneth ist die Frage nach der diskursiven Schwelle zentral, die darüber entscheidet, welche Geltungsansprüche an die Gesellschaft als berechtigt wahrgenommen werden und welche nicht.

Honneth verfolgt das Verfahren einer normativen Rekonstruktion, die sich im Geiste Hegels von dem Gedanken leiten lässt, dass die Kriterien, mittels derer wir die gegebene Gestalt gesellschaftlicher Institutionen beurteilen können, dem normativen Selbstverständnis dieser Institutionen entnommen sind. Er untersucht gesellschaftliche Institutionen vorrangig als Verkörperungen historisch wandelbarer Formen der wechselseitigen Anerkennung (142). Folgt man den Herausgeber*innen, kann man Honneths Theorie der Anerkennung konsequenterweise als eine Theorie der Moderne verstehen, insofern die Kerninstitutionen der Anerkennung, die für Honneth der Rechtsstaat, die soziale Marktwirtschaft und die Konzeption romantischer Liebe darstellen, einen historischen Index aufweisen (42). Die in den modernen Institutionen sedimentierten Erwartungshaltungen können wir Honneth zufolge als normative Grundlage für unser Zusammenleben betrachten. Unter Berufung auf diese moralischen Erwartungen, auf deren Erfüllung wir als Mitglieder der modernen Gesellschaft bestehen dürfen, sind Betroffene von sozialer Missachtung imstande, ihre vorenthaltene Anerkennung begründetermaßen einzuklagen.

Steht Honneths Institutionentheorie in der Tradition einer kritischen Geschichtsphilosophie, die in der Institutionalisierung von moralischen Erwartungshaltungen einen „normativen Fortschritt“ (57) sieht, basiert Rancières politische Theorie auf einem sozialontologischen Konzept, das ausdrücklich ohne einen starken Fortschrittsbegriff auskommen möchte (69). Die Herausgeber*innen verstehen Rancière so, dass ihn – anstelle einer historisch sensiblen Institutionentheorie – die Ausarbeitung eines „formalontologischen Ansatzes“ (36) von Politik interessiert. Nach Rancière basiert jede substanzielle Definition der politischen Gemeinschaft auf der Voraussetzung eines Vermögens, die zugleich jene, welche keinen Anteil an diesem Vermögen haben – der sogenannte „Anteil der Anteilslosen“ (17) – vom politischen Leben ausschließt. Dazu beruft sich Rancière auf Aristoteles’ berühmte Unterscheidung zwischen dem Sklaven und dem Bürger. Der Sklave wird zwar durchaus in einer bestimmten Kompetenz, etwa in seiner Arbeitsfähigkeit, anerkannt. Aber bezogen auf das politische Leben „verkehrt“ sich diese Kompetenz zugleich in eine Inkompetenz (68). So deutet etwa das anerkennende Lob einer Hausfrau nach Rancière zugleich auf eine Aufteilung des Sozialen hin, in der Frauen typischerweise die Fähigkeit zur Teilnahme am öffentlichen Leben verwehrt bleibt. Rancière fasst die „Aufteilung des Sinnlichen“ daher als Operationsweise einer gouvernementalen Verteilung von Plätzen, Identitäten und Funktionen, die eine bestimmte Herrschaftsstruktur bis in die sinnlichen Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster durchsetzt (27). Er ist deshalb skeptisch, ob sich der Begriff der Anerkennung für eine politische Theorie der Emanzipation eignet.

Tätigkeiten, die im weitesten Sinn zur Aufrechterhaltung der politischen Ordnung beitragen, und die wir herkömmlicherweise als öffentliches oder politisches Handeln bezeichnen würden, rechnet Rancière der administrativen „Logik der Polizei“ (110) zu. Darunter fallen mithin die Anerkennungsverhältnisse, die in der zeitgenössischen Sozialphilosophie dazu gebraucht werden, um die soziale Komponente der Subjektbildung zu konzeptualisieren, unter anderen auch von Honneth. Rancière kehrt diese Vorstellung um, und bestimmt die politische Subjektivierung demgegenüber als einen Akt der Des-Identifizierung von den herrschenden Anerkennungsverhältnissen (70). Wir können politisches Handeln laut Rancière in der Folge nicht als das Verlangen nach der Anerkennung einer Identität verstehen. Vielmehr sei Politik der Akt, die Art der Zuweisung eines Platzes durch die bestehende Aufteilung des Sinnlichen zurückzuweisen. Im Hinblick auf die Fähigkeit der Des-Identifizierung verbinden sich die politischen Subjekte auf eine Weise, die ohne Bezug auf positive Identitätszuschreibungen auskommt (71). Dieser Gedanke öffnet den Blick für eine politische Ontologie, bei der gerade das „Fehlen jedes Kriteriums, das eine Unterscheidung zwischen denjenigen, die zum Regieren bestimmt sind, und denjenigen, die dazu bestimmt sind, regiert zu werden“ (95) uns laut Rancière die Idee einer politischen Subjektivität gewährt, die auf einer nicht-identitären Gleichheit beruht.

II.

Beide Autoren formulieren in ihren Vorträgen zu Beginn der Debatte eine kritische Rekonstruktion der Position ihres Gesprächspartners. Rancière hält Honneth vor, von einem „identitären Subjektverständnis“ (63) auszugehen. Rancière gesteht zwar sehr wohl zu, dass es Honneth mit dem Modell des Kampfes um Anerkennung um ein „dynamisches Identitätsbildungsmodell“ (69) geht, das Anerkennung nicht einfach als Forderung eines bereits gebildeten Subjekts nach Bestätigung seiner Identität auffasst. Allerdings verstehe Honneth, wie dieser auch nicht verneint, das Ziel des Anerkennungsprozess als die Herstellung einer „intakten Selbstbeziehung“ (92). In den Augen Rancières führt uns diese Zielvorstellung dazu, politische Aktivität auf die Herstellung von positiven Identitäten zu verengen, selbst wenn dieser teleologische „Fluchtpunkt aller Kämpfe um Anerkennung“ (93) konstitutiv unerreicht bleibt, wie Honneth beschwichtigend einwendet.

Honneth hält im Gegenzug Rancières formalistisches Verständnis politischer Subjektivität für unzureichend, weil es Politik nur als negative „Unterbrechung einer politisch-normativen Ordnung“ (76) in den Blick bekomme. Honneth sieht die Entgegensetzung von Politischem und Sozialem kritisch, nicht nur weil er vermutet, dass Rancière mit dieser holzschnittartigen Entgegensetzung die Reflexionskapazitäten gesellschaftlicher Institutionen unterschätzt (85). Rancières Begriff des Politischen sei zudem auf das Modell bürgerlicher Revolutionen zugeschnitten, über dessen historische Begrenztheit er keine Rechenschaft ablege (86). So moniert er an Rancières Fixierung auf Gleichheit, dass der Autor sich hierbei ungeprüft auf die Vorstellung universeller Werte beruft, die historisch relativ jungen Datums ist, aber von Rancière geschichtlich entkoppelt wird (82).

Wie Honneth glaubt, dass Rancière außerstande sei, seine eigenen historischen Voraussetzungen zu reflektieren, bemängelt umgekehrt Rancière die Abhängigkeit Honneths Denkens von einer geschichtsphilosophischen Zielorientierung (69). Während Honneth bei Rancière vergeblich nach einer Thematisierung der motivationalen Gründe für politisches Handeln sucht (83), wirft Rancière Honneth vor, dass sein Subjektbegriff zu stark von psychologischen und anthropologischen Annahmen abhängig sei (64). Da für Honneth politisches Handeln seinen Anlass in der Erfahrung sozialen Unrechts hat, die auf der Grundlage institutionalisierter Anerkennungserwartungen zu einer Einforderung unabgegoltener Ansprüche motiviert, sucht er in Rancière eine analoge Motivationsstruktur ausfindig zu machen. Rancière verwehrt sich der Verpflichtung auf ein solches „egalitaristisches Verlangen“ (77), das ihm Honneth unterstellt. Er will die „Gleichheit als reine Kontingenz“ (108) verstanden wissen. Gleichheit bezieht sich für Rancière folglich nicht auf ein anthropologisches Wesen oder geteilte Werte, mit denen politische Subjekte sich identifizieren. Sie verweist als Resultat des Vorgangs der Desidentifizierung auf den Verzicht derselben. Gegen Honneths Vorwurf, den Vollzug des Politischen nach dem negativistischen Modell des „Ausnahmezustandes“ (113) lediglich als negative Unterbrechung der polizeilichen Herrschaft aufzufassen, unterstreicht Rancière, dass er die Kompetenz der Gleichheit als „positive Praxis“ versteht, „die Gleichheitseffekte in unsere Gesetze und Praktiken“ (109) einschreibt.

Das Streitgespräch endet mit Honneths erneuter Bekräftigung seiner Bedenken, was durch Rancière schließlich unerwidert bleibt. Es bleibt den Leser*innen überlassen, über die Gründe für das recht abrupt eintretende Ende zu mutmaßen. Anmerkungen über die Hintergründe sind jedenfalls in dem Band nicht dokumentiert. Auch die anschließenden Aufsätze zur Methode der kritischen Theorie werfen in dieser Hinsicht kein neues Licht auf die zurückliegende Diskussion. Rancières Artikel kann man als eine generelle Wiederholung seiner Position lesen, ohne dass hier Honneth oder die Debatte noch einmal ausdrückliche Erwähnung finden, während Honneth in dem im vorliegenden Band erstmals veröffentlichten Aufsatz die Gemeinsamkeiten und Unterschiede seiner Position zum Konzept epistemischer Ungerechtigkeit von Miranda Fricker akzentuiert, die vergleichbar zur politischen Ontologie Rancières die hegemoniale Verteilung von Kompetenzen und Ressourcen in den Blick nimmt (151).

III.

Die Herausgeber*innen folgen Christoph Menke, der das Gespräch mit den beiden Philosophen geführt und eine Unterscheidung zwischen Honneths hermeneutischer Herangehensweise und Rancières ästhetischer Methode vorgeschlagen hat (99). Während keiner der beiden Autoren, wie sich im Gespräch herausstellt, mit diesen Kennzeichnungen vollends einverstanden ist, bieten sie zumindest eine Orientierung, wie man die Auseinandersetzung der beiden Denker weiterführend beurteilen kann.

Demnach können wir Honneths Verständnis des politischen Aktes im weitesten Sinne als hermeneutisch bezeichnen, insofern die Arbeit, die soziale Bewegungen leisten, in „einer Um- und Neudeutung des existierenden Normensystems“ (99) besteht. Er selbst übernimmt diese Beschreibung, sieht darin aber keinen rigorosen Bruch zum ästhetischen Modell Rancières, das nach Auskunft der Herausgeber*innen die Diskontinuität zwischen administrativer Aufteilung des Sinnlichen und Neukonfiguration stärker betont. Rancière scheint letzterem zuzustimmen, indem er den Vollzug des Politischen nach dem Modell einer künstlerischen Praxis entfaltet. Die politischen Subjekte „handeln wie Künstler, die in einer neuen Konfiguration etwas ins Leben rufen, das in der gegenwärtigen Konfiguration nicht existiert“ (70).

Nun lässt sich der Verdacht, den Honneth gegen Rancière äußert, dass Rancières interventionistisches Modell politischen Handelns hinter der Realität hochgradig differenzierter Gesellschaften zurückbleibt, nicht ohne Weiteres ausräumen. Um das ästhetische Paradigma der Politik zu veranschaulichen, bietet Rancière zwar gewisse Beispiele an, die den Leser*innen auch aus seinen historiographischen Untersuchungen vertraut sind. Aber diese historiographischen Einsichten scheinen sich nicht bruchlos in die Überlegungen einzufügen, die seine politische Ontologie dominieren. Die Arbeiterdichter beispielsweise, die sich von ihrer vorgegebenen Rolle desidentifizieren, indem sie zum Erstaunen der bürgerlichen Literaturkritik keine „Verse über die Arbeit“ (111), sondern über hochpoetische Empfindungen schreiben, scheinen doch hiermit noch nicht etwas ins Leben zu rufen, das in der gegenwärtigen Konfiguration nicht existiert. Sie scheinen nicht, wie es Marx berühmtes Wort mit Blick auf die proletarische Revolution verlangt, ihre Poesie aus der Zukunft zu schöpfen (vgl. Marx/Engels 1978: S. 117).

In der Tat versteht Rancière genauer besehen den ästhetischen Aspekt der Politik in der Regel vielmehr so, dass die politischen Subjekte sich Wahrnehmungsschemata, Sprech- und Handlungsweisen zu eigen machen, die bereits im Umlauf gewesen sind, und ihnen lediglich aufgrund der bestehenden Aufteilung des Sinnlichen verwehrt blieben (123). Daraus folgt jedoch für Rancière, möchte man meinen, ein Dilemma. Entweder es gibt keinen Dissens zu Honneths hermeneutischer Ansicht politischer Resignifikation und politische Akte bewegen sich sehr wohl in Kontinuität mit der bestehenden Normenordnung. Dann aber verschleift sich die Bedeutung der ästhetischen Suspendierung, die Rancière in Abgrenzung zu Honneth ausdrücklich dem politischen Handeln beimisst. Oder Rancière zieht sich tentativ auf diese Position zurück, die ihm – in einer Reihe mit anderen französischen Denkern des Politischen – den Vorwurf einbrachte, politisches Handeln allein in negativer Hinsicht als Unterbrechung der bestehenden Ordnung denken zu können.

Trifft letzteres zu, lässt dies im Weiteren die Frage aufkommen, ob Rancière die radikale Formalisierung des Subjektbegriffs nicht mit seiner Mystifikation zu einem prometheischen Schöpfer bezahlt (70). Rancières streng autodidaktisches Modell der Emanzipation, das aus seiner Kritik der marxistischen Avantgarde hervorgegangen ist (119–123), will die verbreitete Vorstellung umkehren, dass die verblendeten Individuen von den Eingeweihten über ihre Stellung im Gesamtprozess aufgeklärt werden müssten. Dieses Paradigma reproduziert Rancière zufolge bloß die Hierarchie, der sie zu entkommen trachteten. Wenn es laut Rancière jedoch „keinen Weg von der Ungleichheit zur Gleichheit“, sondern nur „von der Gleichheit zur Gleichheit“ gibt (122) und Emanzipation kein Ziel, sondern Ausgangspunkt von Politik ist, wird dem politischen Subjekt ironischerweise genau die messianische Aufgabe zugemutet, die einmal in Gestalt der marxistischen Überhöhung der Avantgarde den Anlass von Rancières Kritik gegeben hat.

Rancières antiautoritäre „Methode der Gleichheit“ (130), mit der er die noch im Marxismus herrschende Diskurshoheit des Wissenden über den Unwissenden zu unterbrechen gedenkt, erinnert zwar an die post-operaistische Rede des general intellect (vgl. Virno 2005: S. 86), bleibt im Vergleich zu diesem aber historisch und sachlich zu unspezifisch, um erklären zu können, wie ästhetische Handlungsweisen nunmehr distinkt politische Tragweite haben. Es bleibt daneben auch fragwürdig, was Rancière unter einer „anderen Form von Anerkennung“ (68) an Subversionspotential eigentlich aufbieten will, wenn auch ihm es zuletzt lediglich um eine „Neuverteilung der Plätze“ (ebd.) geht. Honneths Modell institutionell verankerter Anerkennungssphären scheint hier besser ausgelegt zu sein, um eine solche doppelte Blickrichtung erfassen zu können; eine, die erlaubt, sowohl Identitätsansprüche in bestehende Modi der Anerkennung aufzunehmen, als auch letztere qualitativ zu erweitern. Das lässt sich umgekehrt freilich nicht so verstehen, dass Honneth sich des oftmals geäußerten Verdachts einer apologetischen Theorie der bürgerlichen Gesellschaft ohne Weiteres entheben könnte. Allein scheint der Anspruch seiner Anerkennungstheorie, anders als Rancières Denken, auch nicht darin zu bestehen, die Möglichkeiten einer radikalen Veränderung der bürgerlichen Ordnung auszuloten.

Honneth hat während des Treffens der beiden Philosophen sichtlich Schwierigkeiten, Rancières Argumentation Plausibilität abzugewinnen. Das liegt jedoch zu einem großen Teil daran, dass die „Logik“ (94) der Gleichheit, die Rancière entfaltet, Honneth unverständlich bleibt. Ihre explanatorische Kraft erhält diese Logik der Gleichheit nicht aus moral- oder geschichtsphilosophischen, sondern aus quasi-ontologischen Überlegungen. Die prinzipielle Gleichheit der Menschen lässt sich nach Ansicht Rancières nicht an einem positiv angebbaren Merkmal oder Bedürfnis festmachen, ohne zugleich schon die Menschen auszuschließen, die diesem Kriterium nicht genügen. Die Unwahrheit einer jeden Seinsordnung, die sich unter Verweis auf ein positives Kriterium identitär schließt, wird durch das Sein derjenigen demonstriert, die infolge des positiven Kriteriums nichts sein sollten. Eine genuine Universalität kann dementsprechend nur negativer Art sein. Darin ist Rancières Methode der Gleichheit nicht unähnlich zu anderen negatorischen Figuren der Kontingenz, wie sie etwa bei Derrida, Laclau und Agamben vorkommen, die ebenfalls ein nicht-identisches Moment veranschlagen, das sich gegenüber der Seinsordnung als konstitutiv über- oder unterzählig erweist.

Honneths anhaltender Versuch, dem Denken seines Gesprächspartners seine eigenen Kategorien überzustülpen und das „Prinzip der Nicht-Unterscheidung“ (96) anthropologisch oder psychologisch zu füllen, wirkt nicht nur einigermaßen hilflos. Ein solcher Versuch bringt auch die unbeabsichtigte Nähe Honneths zu kommunitaristischen Überzeugungen zum Vorschein. Da Honneth politisches Handeln ausgehend von Erfahrungen sozialer Missachtung als Kampf um vorenthaltene Anerkennung auffasst, ist Honneth nicht in der Lage, politisches Handeln verständlich zu machen, ohne dabei anerkennenswerte von nicht anerkennenswerten Fähigkeiten und Bedürfnissen unterscheiden zu müssen. Insofern der Ausgangspunkt das Niveau bereits institutionalisierter Anerkennungserwartungen ist, scheint es hinsichtlich des Streits um die Kriterien, die über die Anerkennungswürdigkeit von Bedürfnissen entscheiden, zudem ein Machtgefälle zu Gunsten der etablierten Anerkennungsordnung zu geben, das Honneth systematisch unterschätzt.

Zur Wahrheit gehört freilich, dass die ontologische Argumentation Rancière vor gewisse Probleme stellt, insofern der Vollzug politischen Handelns Gefahr läuft, sich auf den Akt der „Inszenierung“ (101) des „inneren Widerspruch der politischen Ordnung“ (96) zu verkürzen. Politik verflüchtigt sich auf den Akt der Repolitisierung eines historisch oder sozial nicht näher bestimmten Antagonismus, der gewissermaßen immer am Werk ist, ohne dass Rancière die Möglichkeit der Überwindung dieser Form exklusiver Herrschaft in Aussicht stellen könnte.

Die Herausgeber*innen sind der Meinung, Honneth sei gegen Rancières Vorwurf zu verteidigen, er verfechte einen anthropologisch und psychologisch voraussetzungsreichen Subjektbegriff. Honneth ist, wie sie aufzeigen, im Verlauf seines Denkens schrittweise von der sozialpsychologischen Fassung personaler Autonomie abgerückt und hat sich einer „historistischen“ (52) Theorie institutionell verankerter Anerkennung zugewandt. Statt sich seiner Leitnormen mithilfe eines ontogenetischen Modells gelungener Persönlichkeitsentwicklung zu versichern, vertraut seine spätere Anerkennungstheorie stärker auf die Darlegung der historisch wandelbaren Institutionalisierung moralischer Erwartungshaltungen (42).

Jedoch hatte diese Umstellung weniger zur Folge, wie die Herausgeber*innen meinen, dass Honneth sich dadurch von den „psychologischen, affektiven und somatischen Dimensionen der sozialen Erfahrung“ (49) distanzierte. Wie er im Gespräch wiederholt betont, glaubt Honneth nach wie vor, dass ein solches „Gefühl des Erleidens“ als motivationaler Impulsgeber vonnöten ist, das er „nicht scheuen würde ‚psychologisch‘ zu nennen“ (108). Honneth hält, wie er auch in der Auseinandersetzung mit Miranda Fricker unterstreicht, an der „stark moralpsychologische[n] Ausrichtung“ (142) seines Anerkennungskonzeptes fest. Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass auch Rancières Kritikpunkte bis auf Weiteres nicht entkräftet werden.

Wenn sich zum Schluss auch statt eines Einvernehmens – nicht ohne eine gewisse Ironie – das titelgebende Unvernehmen zwischen den Autoren einstellt, lässt sich feststellen, dass diesem Band gerade dadurch das Verdienst zukommt, die Essenz des Denkens der zwei Autoren in seltener Klarheit zum Vorschein zu bringen, da die Grundhypothesen der beiden Denker hier jeweils an ihre Grenze geführt werden. Es mag vielleicht deshalb auch unerheblich sein, ob dieser Debatte tatsächlich das Gewicht zukommt, das die Herausgeber*innen ihr zuschreiben. Weniger Dokument einer bahnbrechenden Debatte als Zeugnis einer Auseinandersetzung, die sich bereits vor dem Treffen der beiden Philosophen im vollen Gang befunden hatte, stellt dieser Band umso wichtigeres Material bereit, das in ungewöhnlicher Schärfe die blinden Flecke und das gegenseitige Unvernehmen der aktuellen Spielarten französischer und deutscher Sozialphilosophie demonstriert.

Literatur

Marx, Karl. „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte.“ In Karl Marx, Friedrich Engels Werke. Bd. 8, 115–207. Berlin: Dietz, 1978.

Virno, Paolo. Grammatik der Multitude. Öffentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensformen. Wien: Turia + Kant, 2005.

© 2022 Zeitschrift für philosophische Literatur, lizenziert unter CC-BY-ND-3.0-DE