Zeitschrift für philosophische Literatur 10. 1 (2022), 31–40

Jopp, Julia/Martins, Ansgar/Trauer, Hanna Zoe/Witter, Kathrin (Hg.): Ultima Philosophia. Zur Transformation von Metaphysik nach Adorno. Berlin: Neofelis 2020. 243 Seiten. [978-3-95808-314-1]

Rezensiert von Felix Brandner (Freie Universität Berlin)

Radikaler Gesellschaftskritik schien ihr Verhältnis zur Religion einmal ganz unzweideutig. So konnte Alfred Sohn-Rethel im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts noch statuieren, dass „das Christentum und der dialektische Materialismus […] die beiden einzigen großen Grundpositionen [sind], die sich heute in bezug auf das Problem der Praxis […] überhaupt gegenüberstehen." (Sohn-Rethel 1985, S. 220) Das Ausbleiben der endzeitlichen Wiederkehr Christi trifft aber auch den Marxismus und so droht zusammenzufallen, was einst noch so sauber zu trennen war. Die „Christianisierung der Kritik" (Scheit 2011, S. 42) folgt aus der fehlenden Bereitschaft zu reflektieren, weshalb die Revolution ausblieb. Die Kritische Theorie ist die dritte Stellung zum Problem der Praxis, deren Existenz Sohn-Rethel noch bestritt. Jenseits der Verwandlung des Proletariats in eine Art christliche Erlösungsfigur und ohne ersatzutopischer Heimholungen von Transzendenz hält die Kritische Theorie der Möglichkeit der Befreiung im Zeitalter ihres tendenziellen Verschwindens die Treue, ohne im Glauben einen Halt zu suchen, den der Negativismus nirgends findet.

Nicht, weil ihr „Scheitern" sie „zum Übergang in Metaphysik nötigt" (Theunissen 1983, S. 57), sondern weil sie aufrichtig nach den Bedingungen der Möglichkeit der Verwirklichung des Marx’schen Imperativs fragt, muss sie das Verhältnis von Kritik und Metaphysik neu bestimmen. „Dieser vom Dogma total verschiedene Weg zum Materialismus ist es, der mir jene Affinität zur Metaphysik, beinahe hätte ich gesagt: zur Theologie, zu verbürgen scheint" (Adorno/Scholem 2015, S. 414). Das Changieren zwischen den Kategorien des Materialismus und der Theologie erschwert die Bestimmung des Verhältnisses von Kritik und Metaphysik im Denken Theodor W. Adornos ungemein. In der Forschung hat dessen Affinität zur Metaphysik bei gleichzeitiger Treue zur Marx’schen Kritik denn auch zu einigen Missverständnissen geführt. Mit dem von Julia Jopp, Ansgar Martina, Hanna Zoe Trauer und Kathrin Winter herausgegebenen Band Ultima Philosophia. Zur Transformation von Metaphysik nach Adorno ist jüngst ein bemerkenswertes Buch zum Verhältnis von Kritik und Metaphysik in der Kritischen Theorie erschienen. Die Beiträge, die Ultima Philosophia versammelt, gehen auf das Symposion „Zur Gegenwart metaphysischer Widersprüche in der Kritischen Theorie" zurück, das im Jahre 2017 an der Humboldt-Universität Berlin abgehalten wurde.

Die Stärke des Bandes besteht einerseits in der Treue der Beiträge zur Intention der Kritischen Theorie. Andererseits – und das hängt mit dieser Treue durchaus zusammen – wird der Anspruch der Kritischen Theorie, materialistische Gesellschaftskritik auf der Höhe ihrer Zeit zu sein, ernst genommen. Das Verhältnis von Metaphysik und Kritik wird dabei nicht überhistorisch stillgestellt, sondern vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung der 50 Jahre diskutiert, die seit dem Tode Adornos vergangen sind.

Die doppelte Wendung der Frage der Transformation von Metaphysik nach Adorno kann daher auch als Klammer dienen, die Beiträge, die Ultima Philosophia versammelt, zusammenzufassen und aufeinander zu beziehen. Um die einzelnen Beiträge nicht im Gesamteindruck zu nivellieren, und um darstellen zu können, dass der zu besprechende Band mehr ist als die Summe der in ihm enthaltenen Aufsätze, sollen die einzelnen Beiträge im Folgenden anhand der doppelten Wendung des Titels geordnet, vorgestellt und diskutiert werden.

I.

Die ersten drei Beiträge beziehen sich im Sinne einer Hinführung auf die Frage nach der Transformation von Metaphysik nach Adorno. Der Fokus liegt nicht so sehr auf der Diskussion des Verhältnisses von Kritik und Metaphysik in Adornos Philosophie selbst, sondern einleitend werden andere Denker aus der Tradition der Kritischen Theorie auf diese Themen hin befragt.

Den Band eröffnet Gerhard Schweppenhäuser (17-39) mit einer Darstellung der Aspekte des Konzepts der materialistischen Metaphysik bei Adorno, Karl Heinz Haag und Günter Mensching. Durch den Einbezug Menschings und Haags gelingt es, die materialistische Metaphysik Adornos im erweiterten Zusammenhang zu diskutieren. Mit Haag wird eine Perspektivierung der Kritischen Theorie Adornos im Kontext des erkenntnistheoretischen Streits um den Status der Universalien ermöglicht und ein nicht affirmativ bestimmbarer negativ-metaphysischer Begriff der Natur formulierbar. Mit Mensching kann die Philosophie Adornos auf den Marx’schen Materialismus und die begriffliche Rekonstruktion und Kritik der Herrschaft quasi-metaphysischer gesellschaftlicher Realabstraktionen bezogen werden. Schweppenhäuser benennt schließlich den Zusammenhang zwischen den beiden Aspekten: Die erkenntnistheoretische Bestimmung ist Ermöglichungsbedingung für die materialistische Kritik.

Die mit Mensching eingeführte Kritik und begriffliche Rekonstruktion gesellschaftlicher Realabstraktion nimmt Manuel Disegni (41-58) auf und verbindet sie mit der Kantischen Kritik an der Hypostasierung des Realitätsstatus von Transzendentalien in der vorkritischen Schrift über die Träume eines Geistersehers. Relevant an der Frage nach der Parallele zwischen Kants und Marx’ Analyse des Geistes- und Wertbegriffs ist, dass hier die Frage nach der Geltung der Marx'schen Kritik und der Vermittlung ihres ‘Sprungs in die Objektivität’ in den Blick gerät. Bereits die Anschauung zeigt, dass den Transzendentalien, denen die Marx’schen Analysen im Kapital gelten, ein gänzlich anderer Realitätsstatus zukommt als denen, die Kant in Bezug auf den Geisterseher Emanuel von Swedenborg problematisiert. Um diese erkenntnistheoretischen Argumente geht es Disegni allerdings letztlich nicht, sondern er möchte anhand einer Diskussion des Übergangs vom zweiten zum dritten Abschnitt des Kapitals eine Kritik der Metaphysik der Zirkulation und ihrer „praktischen Herrschaft über den materiellen Produktionsprozess" (51) leisten. Disegni hat recht, wenn er betont, dass die Frage nach der Gewalt auf der Ebene der Zirkulation nicht in den Griff zu bekommen ist. Erst auf der Ebene des Produktionsprozesses wird der Zwang zur realen Abstraktion von allem, worin die Arbeiterinnen mit dem Gebrauchswert ihrer Arbeitskraft nicht identisch sind, sichtbar. Schließlich scheint die Kritik an der Metaphysik des Tausches aber auf die Denunziation der Okkupation des „materiellen Produktionsprozess" durch die Abstraktionen des Marktes hinauszulaufen, gegen die das Sein der Produktion als neue Unmittelbarkeit in Stellung zu bringen wäre. Entgegen Marx’ Einsicht in die Vermittlung der Sphären reißt Disegnis Kritik an der Metaphysik der Zirkulation, die der Produktion die Zwangsjacke anlege, die Einheit der Momente auseinander, um eine Form der Synthesis entdecken zu können, die von der falschen des Marktes zu trennen wäre.

Lea Fink (59-78) schließt mit einer erhellenden Einführung in die materialistische Metaphysik Ernst Blochs an und mit der marxistischen Interpretation der Marx'schen Kritik ab. Die These des Beitrags bildet eine Gelenkstelle in der Dramaturgie des Bandes: Blochs „Schriften der 1910er und 20er Jahre [partizipieren] an einer Verschiebung des Metaphysik-Begriffs […], der sich im Werk Walter Benjamins und Theodor W. Adornos weiter entfalten wird – wenn Blochs Affinität zur Metaphysik nicht gar ein Initialmoment für die Genese des Metaphysikbegriffs der Kritischen Theorie als ganzer darstellt." (60) Zwar kann Fink diese These nicht im strengen Sinne belegen und hier ‘bloß’ auf eine offene Fragestellung verweisen, jedoch werden diese Überlegungen durch die folgenden Beiträge durchaus plausibilisiert. Fink folgt zunächst der Verschiebung des Metaphysikbegriffs in den Arbeiten Blochs aus den 1910er und 20er Jahren. In diesen zeige sich eine materialistische Dialektisierung der religiös-metaphysischen Spuren aus dem Frühwerk: Die Metaphysik wird Bloch zum Korrektiv der Kritik. Allein eine unvollendete Metaphysik entkommt der einfachen Verdopplung des Bestehenden in der Theorie und damit der Kapitulation vor ihm. „Blochs metaphysische[r] Intervention" entspringe eine materialistische Metaphysik, die „ohne Illusion eines vom Geschichtsverlauf verschonten Raums ewiger Wahrheit" (77) auskommt und damit die Intention der Marx'schen Kritik vor deren Christianisierung rettet.

II.

Die folgenden drei Beiträge nehmen explizit Adornos Philosophie in den Blick und stellen die Frage nach dem historischen Index der Bestimmung des Verhältnisses von Kritik und Metaphysik in dessen Denken.

Die Diskussion eröffnet Till Seidemann (79-99) mit einem Beitrag über Adornos erkenntnistheoretische Fundierung eines undogmatischen Materialismus, der Adornos Ausspruch „daß die sogenannten metaphysischen Fragen weitgehend von den erkenntnistheoretischen abhängen" (Adorno 2018, S. 218) ernst nimmt. Seidemanns Überlegungen sind besonders hervorzuheben, da der Beitrag den Versuch unternimmt, die Logik der Negativen Dialektik – durchaus gegen Adornos Selbstverständnis und den herrschenden Trend in der Rezeption – als materialistische Dialektisierung der Husserl’schen Phänomenologie zu begreifen. Seidemann kann sich auf Adornos frühe Beschäftigung mit Husserl berufen, in der jener diesen als den „bewußtlosen, doch getreuen Historiographen der Selbstentfremdung des Denkens" (Adorno 1970a, S 231) auszeichnet. In der Überschreitung der statischen Phänomenologie erbringe Husserl selbst den „Nachweis der Historizität der logischen Urteilsform" (86) und in der Ausarbeitung der genetischen Phänomenologie drücke sich für Adorno die Selbstbewusstwerdung der genetischen Vermitteltheit der Denkform aus. Die letzten Schritte auf dem „vom Dogma total verschiedenen Weg zum Materialismus" gehe Husserl freilich nicht, stößt aber das Tor zur materialistischen Überschreitung der idealistischen Erkenntnistheorie weit auf. Von diesen erkenntnistheoretischen Überlegungen aus lässt sich Adornos Philosophie schließlich als materialistische Restitution der Metaphysik auszeichnen, die der Selbstbeschneidung der Kantischen Transzendentalphilosophie entkommt, ohne jedoch wie Hegel einer christologischen Heimholung der Transzendenz zu verfallen: „Die Möglichkeit einer momenthaften Veränderung der Kategorien in der Erfahrung […] eröffnet schließlich den Weg in einen Materialismus, der die Voraussetzung dafür ist, dass […] sich überhaupt noch über Metaphysik nachdenken lässt." (93)

Leonie Wellmann (101-120) arbeitet anschließend die Verknüpfung metaphysischer und erkenntnistheoretischer Fragen im Denken Adornos weiter aus und führt aus der philosophischen Restitution des logischen Raumes des ‘Offenen’ als Begründung der „Denknotwendigkeit der Transzendenz" (108) in das „Hinausdenken über das Bestehende" (103). Die Überschreitung der Erkenntnistheorie, die im Titel von Seidemanns Beitrag angekündigt wird, setzt Wellmann in die Tat um und führt die Frage nach einem konkreten Modell der Transzendenz von der philosophischen Spekulation zur Literatur als „Rückzugsort metaphysischer […] Fragen und Wahrheitsgehalte." (116) Bezieht man Seidemanns und Wellmanns Beiträge aufeinander, zeigt sich, dass hier der Zusammenhang zwischen der Negativen Dialektik und der Ästhetischen Theorie nachvollzogen und ein schlagender Einwand gegen den Habermas’schen Vorwurf der „Abtretung der Erkenntnis-Kompetenzen an die Kunst" (Habermas 1981, S. 514) entwickelt wird. Negative Dialektik und Ästhetische Theorie verweisen nicht ‚hilflos’ aufgrund der Aporien einer totalisierenden Vernunftkritik aufeinander, sondern die Negative Dialektik restituiert ein Denken, das „solidarisch mit der Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes" (Adorno 1970b, S. 400) ist. Die Ästhetische Theorie sucht hingegen nach dem logischen Ort, zu dessen Verteidigung die erkenntnistheoretische Überlegung antrat: die Transzendenz, die nach der gescheiterten praktischen Verwirklichung in der Kunst einen Rückzugsort findet.

Den Impuls der materialen Überschreitung der Erkenntnistheorie nimmt Christian Lamp (121-141) auf und vollzieht entlang der Interpretation der Herkunft, Funktion und Bedeutung der Engelsfiguren in den Texten Adornos „die Verknüpfung von Theologie, Philosophie und Kritik der politischen Ökonomie" (139) auf beeindruckende Weise nach. Lamp versteht Adornos Deutung der Engelsfiguren – die dieser vor allem der Prosa Kafkas entnimmt – als „Modell der Einwanderung von Transzendenz in Immanenz" (127); aber nicht als Vorboten einer hinterweltlerischen Transzendenz, sondern als Stellvertreter der scheinlosen Idee des versöhnten Lebens. Mit der Verweltlichung der Engelsfiguren werden auch die theologischen Versprechungen profaniert. Diese Bewegung vollzieht der Beitrag philosophiehistorisch an der Entwicklung der scholastischen Angeologie und deren Fortleben in der Philosophie Leibniz’ nach, um den Untergrund der Einwanderung theologischer Motive in das Adorno’sche Denken freizulegen. Die Engelsfigur, die für Adorno am ehesten „das Motiv der Transzendenz zeitgemäß in einer profanen Sprache" (140) ausdrücke, ist die kaputte und daher unnütz gewordene, sprich: unveräußerliche Zwirnspule aus Kafkas Die Sorge des Hausvaters: „Der Ladenhüter soll die […] spezifische Form des ökonomischen Motivs sein, die das Versprechen auf Unsterblichkeit aufbewahrt" (139). Wenn Transzendenz in den profanierten Engelsfiguren des „Nutzlosen, Untauschbaren und Kaputten" (140) Zuflucht findet, stellt sich Lamp am Ende des Beitrages allerdings die Frage nach dem historischen Index dieses Modells. In Zeiten von Secondhand und Upcycling wird auch das noch problemlos integriert, was sich vorher aufgrund seiner Unveräußerbarkeit zumindest negativ dem universalisierten Für-andere-Seins entzog. Wenn die Transzendenz im Modus des permanenten Verschwindens aus der Kunst in den Müll abgewandert ist und auch hier nur temporäres Asyl findet, dann „weisen die Engelsfiguren die Philosophie an“, der Transzendenz „anhand des sich verändernden Materials stets aufs Neue” (141) nachzuspüren; sonst droht der Rückzug in das sich autonom wähnende Reich der Gedanken und der Rückfall in eine Philosophie, die sich bloß für materialistisch hält.

III.

Die folgenden drei Beiträge knüpfen an die Frage nach dem historischen Index des Verhältnisses von Kritik und Metaphysik in Adornos Denken an und messen so auch die vorangehenden Überlegungen an der Kritik der Abdichtung der Kritischen Theorie gegen die Geschichte, wie sie der Beitrag von Lamp entwickelt.

Zunächst reflektiert Jakob Hayner (143-154) am Modell des gegenwärtigen Theaters die Frage, ob dieses als Engelsfigur im Sinne Adornos gelten kann. Freilich lassen sich Hayners Analysen durchaus auf die Frage nach dem metaphysischen Status der Kunst heute ausdehnen, um von dort her den Übergang von der Negativen Dialektik in die Ästhetische Theorie mit Treue zu Adornos Intention zu problematisieren. Angesichts der neuen Paradigmen postdramatischer sowie performativer theatraler Aufführungsformen, und der Verwandlung von Kunst in Bekenntnis, lautet Hayners Antwort schlicht: Nein, „[m]an will die metaphysischen Fragen aus der Welt schaffen, nicht ihr Erbe antreten." (150) Fand die Transzendenz nach der gescheiterten praktischen Verwirklichung einen Rückzugsort in der Kunst, so wandere sie wieder zurück in das Wort, das auf die revolutionäre Praxis angewiesen bleibt: „Derweil flüchtet der metaphysische Überschuss aus der Kunst in die Gesellschaftskritik, die ihn noch festhalten kann. So hat Hegel mit dem Ende der Kunst und der Vorherrschaft des Begriffs zunächst recht behalten." (154)

Der Beitrag von Kathrin Witter (155-172) nimmt die These von der „Vergänglichkeit der Engelsfiguren" (141) auf und arbeitet sie skizzenhaft zu einer Gegenwartsdiagnostik aus. Anlass ist die spätkapitalistische Glücksideologie und Genussindustrie, die Witter als die gegenwärtige Gestalt der Neutralisierung der Metaphysik begreift. Indem die Glücksverwaltung in die Innerlichkeit der Subjekte verlagert wird, sei es dem Selbstmanagement der verächtlichen Kreatur überlassen, erfahrene Negativität zum glücklichen Erlebnis umzumodeln. So verschwinde die Erfahrung vom Leid als Mal der Objektivität und damit die Möglichkeit der Erkenntnis, dass es das gesellschaftliche Unwesen ist, das die Verwirklichung der Idee der Objektivität des Glücks verstellt: „Die Konsequenz ist eine ideologische Gleichgültigkeit gegenüber den metaphysischen Ideen […] und worauf sie zielen: Wahrheit im empathischen Sinne, dem Absoluten, Versöhnung." (165) Die gegenwärtige metaphysische Indifferenz konvergiert mit dem Schwinden der Möglichkeit metaphysischer Erfahrung, die – so Witter – „die Last der Rettung der Metaphysik zu tragen hat." (167) Vor dem Hintergrund dieser Gegenwartsdiagnose wären schließlich auch Adornos Modelle auf ihren historischen Index hin zu befragen, um die Kategorie der metaphysischen Erfahrung zu bestimmen. Hayners Beitrag, der dies für die Kunst am Beispiel des Theaters durchführt, kann als Muster für eine solch kritische Reflexion der Kategorien Adornos auf der Höhe der Zeit gelten.

Felix Lang (173-194) knüpft an diesen Befund an und attestiert gerade der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Kritik und Metaphysik in Adornos Philosophie ein Ausweichen vor der aktualisierenden Reflexion und der trostlosen Diagnose, die Witter entwickelt. Bezüglich der Konferenz, auf die der Band zurückgeht, formuliert Lang sein Unbehagen so: „Die Emphase, mit der bei Veranstaltungen wie dieser die Hoffnung beschworen wird, verhält sich gerade umgekehrt proportional zum Grad, in dem die Verhältnisse zur Hoffnung Anlass geben." (178) Statt sich im Zeitalter der tendenziellen Nivellierung der metaphysischen Erfahrung der qualvollen Reflexion auf die eigene Ohnmacht zu stellen, beschwöre die Ideologiekritik in der Tradition Adornos „Zitate von toten Theoretikern als Ersatz für die lebendige Erfahrung" (180). Die Beschäftigung mit Adornos Metaphysik werde (ähnlich der Phrase vom Klassenkampf oder jeder anderen affirmativen Bezugnahme auf eine positive Totalität, die von der falschen abgespalten wird) so zum „Trostpflaster und Identifikationsangebot für deformierte Subjekte" (184). Kritik nach Adorno hat ihre Kategorien aus der gegenwärtigen gesellschaftlichen Konstellation heraus zu bestimmen. Sonst drohen Adornos Arbeiten zu der seelischen Erbauungslektüre zu werden, die Witter treffend zu kritisieren weiß.

IV.

Abschließend folgen zwei Beiträge, die Adornos Philosophie auf die Hegel’sche beziehen und gewissermaßen einen Kontrapunkt bilden, insofern sie Adornos Beschäftigung mit der Metaphysik nach Hegel in den Blick nehmen.

Haziran Zeller (195-219) knüpft an die Kritik der Verkehrung des historischen Materialismus Adornos in eine prima philosophia an, indem er, anhand von Marc Nicolas Sommers’ Dissertation über Das Konzept einer negativen Dialektik, die Verwissenschaftlichung der Kritik denunzieren möchte. Der überheblich polemische Gestus aber, mit dem Zeller Sommer abfertigen zu können meint, macht diese redliche Intention zunichte. Aus zunächst zwei Gründen scheint die Kritik ihr Ziel zu verfehlen: wenn Zeller Sommer die Verwissenschaftlichung der Kritik zum Vorwurf macht, übersieht er, dass akademische Laufbahnschriften schlicht dazu gezwungen sind, der Logik der Wissenschaft etwas entgegenzukommen. Sommer begeht auch nicht die Unaufrichtigkeit das zu verschleiern. Zum zweiten scheint Zeller aufgrund seines recht abstrakten Bildes vom Fortschritt in der Philosophie nicht verstehen zu wollen, dass – dies hat Sommer nachzuvollziehen versucht, weshalb er zur Zielscheibe wird – in Adornos Philosophie der Streit zwischen Kant und Hegel erneut zum Thema gemacht und nicht einseitig entschieden wird. Dass – worüber sich Marx einst mokierte – „für einen Hegelianer nichts einfacher" ist, als gegensätzliches „identisch zu setzen" (Marx 2005, S. 29), führt Zeller mit einem Hegelschen Kniff vor, durch den er die Frage nach der Resurrektion des Kritizismus in der Philosophie Adornos gar nicht aufkommen lässt: „Ein Vergleich von Hegel und Adorno, der nur auf die Differenz geht, muss diese identische Gegenrichtung verkennen und daher das wesentliche der Dialektik verpassen; auch die Beziehung zwischen den Dialektiken ist dialektisch, d. h. identisch in der Nichtidentität." (214)

Den Band beschließt Arne Kellermann (221-243) und nach der Polemik gegen Sommer lässt die Ankündigung des Beitrags in der Einleitung auch hier auf den ersten Blick einen hegelianischen Frontalangriff erwarten: „Arne Kellermann kritisiert Adornos Metaphysik anhand der Hegel’schen Lösung abschließend als kleinbürgerlichen Fluchtversuch." (15) Was zunächst so klingt, als laufe Kellermanns Beitrag auf die Denunziation der Adorno’schen Philosophie vom Feldherrenhügel des Hegelmarxismus hinaus, erweist sich auf den zweiten Blick als ironische Aneignung des Funktionärsbegriffs. Adornos Kritische Theorie wird bestimmt als Revolutionstheorie im Zeitalter der Verwandlung der antagonistischen Proletarierinnen in integrierte Kleinbürgerinnen. Und auch das Wörtchen ‘Fluchtversuch’ meint nicht den Vorwurf des Drückebergerinnentums, sondern eine Bewegung in der Kritik, zu der die Reflexion auf die Realgeschichte nötigt. Im Sinne einer emanzipatorischen Hegellektüre votiert der Beitrag dafür, Hegel nicht als den Metaphysiker des Kapitals, sondern als Vordenker eines befreiten Zustandes zu verstehen, der das objektive Maß der Kritik liefern könne. „Die letzte Philosophie wurde […] von Hegel vollendet; was darauf folgen konnte – und der Wahrheit zu Liebe musste –, war die philosophisch reflektierte wissenschaftliche Darstellung bestimmter Unfreiheit." (231) Im Zeitalter der Nihilisierung des revolutionären Bedürfnisses müsse das objektive Maß der Befreiung angesichts der realen Quasi-unmöglichkeit der praktischen Objektivierung der Vernunft als idealistischer Popanz erscheinen. Adornos verhaltenem Fragen nach der Möglichkeit von Metaphysik gerinne das objektive Maß aus lauter Bescheidenheit beinahe zum transzendentalen Ideal – gerade deshalb wäre es aber als aufrichtige Kritik am Marxismus zu verstehen. Bezogen auf die Dramaturgie des Bandes lässt sich sagen, dass Kellermann Witters Überlegungen zum Index der metaphysischen Fragen der Adorno’schen Philosophie und die Kritik Langs am metaphysischen Bedürfnis der Adepten weiter ausführt.

So hält Kellermann fest, dass „[n]icht der Beschäftigung mit Adornos Metaphysik […] sich zuzuwenden, sondern das Revolutionäre an Adornos Werk […] in Bezug auf das Barbarische von heute zu aktualisieren [wäre]." (241) Abseits der Frage, wie man es nun mit Hegel hält, ist dies ein Appell, auf den sich die Beschäftigung mit Metaphysik nach Adorno zu besinnen hätte, will sie sich nicht in ewiger und damit ahistorischer Rekonstruktion erschöpfen.

Literatur

Adorno, Theodor W. „Zur Metakritik der Erkenntnistheorie." In Gesammelte Schriften Bd. 5, hg. von Rolf Tiedemann, 7–245. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1970a.

Adorno, Theodor W. „Negative Dialektik."In Gesammelte Schriften Bd. 6, hg. von Rolf Tiedemann, 8–409. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1970b.

Adorno, Theodor W. Erkenntnistheorie. Nachgelassene Schriften,Abt. IV: Vorlesungen Bd. 1, hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2018.

Adorno, Theodor W., und Gershom Scholem. Briefwechsel 1939–1969. Briefe und Briefwechsel Bd. 8, hg. von Asaf Angermann. Suhrkamp: Berlin, 2015.

Habermas, Jürgen. Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Theorie des kommunikativen Handelns I. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1981.

Marx, Karl. „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung". In Werke Bd. 1, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, S. 378–391. Berlin: Dietz, 1981.

Marx, Karl. „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie". In Werke Bd. 42, hg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, S. 15–786. Berlin: Dietz, 2005.

Scheit, Gerhard. Quälbarer Leib. Kritik der Gesellschaft nach Adorno. ça ira: Freiburg i.B., 2011.

Sohn-Rethel, Alfred. Soziologische Theorie der Erkenntnis. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985.

Theunissen, Michael. „Negativität bei Adorno". InAdorno-Konferenz. 1983, hg. von Ludwig von Friedeburg udn Jürgen Habermas, 41–65. Suhrkamp: Frankfurt a.M., 1983.

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