Das Gespenst der Pluralisierung von Müttern, Eltern und Verwandtschaftsbeziehungen

Lewis, Sophie: Full Surrogacy Now. Feminism Against Family. London / New York: Verso 2019. 216 Seiten. [978-1-78663-729-1].

Rezensiert von Tyna Fritschy (Zürich)

Die Infragestellung eines vermeintlich sicheren Wissens, nämlich der ontologischen Differenz von surrogacy und Elternschaft, führt ins Zentrum der philosophischen Reflexion in Fulll Surrogacy Now. Feminism Against Family. Um Sophie Lewis’ dekonstruktivem Manöver gerecht zu werden, ist allerdings direkt eine gewisse Vorsicht in der Übersetzung von surrogacy ins Deutsche geboten: Übersetzen wir surrogacy mit „Leihmutterschaft“, so überschreiben wir das wesentlich bedeutungsoffenere Begriffskomplement surrogate und fixieren surrogacy auf seine wörtliche Bedeutung, die gesellschaftlich umstrittene Praxis der technologisch assistierten (Fremd-)Reproduktion, – und auf ein gebärendes Geschlecht.1 Leihmutterschaft ist per Definition auf die Unterscheidung von Leihmutter und (auftraggebenden) Eltern angewiesen. Doch dies hindert Lewis nicht daran, diese klare begriffliche Demarkation zurückzuweisen und eine begriffliche Ambivalenz zwischen surrogacy und Elternschaft zu behaupten. Damit wird die Konstellation Original und Ersatz („surrogate“) und die nur vermeintliche Neuheit der gesellschaftlichen Praxis der Leihmutterschaft brüchig. Die Irritation, die durch diese begriffliche Dekonstruktion hervorgerufen wird, nutzt Lewis, um hegemoniale Vorstellungen von Elternschaft zu destabilisieren und Sorgeverhältnisse im globalen Maßstab neu zu denken.

Full Surrogacy Now ist eine ausgesprochen geistreiche Theoretisierung von Schwangerschaft und Gebären „from the standpoint of a plural womb and a world beyond propertarian kinship and work alienation“ (44) und öffnet Wege hin zu einem Reproduktions-Kommunismus, das heißt der radikalen Vergesellschaftung der Technologien, Infrastrukturen und Beziehungen, die Leben generieren, aufrechterhalten und umsorgen. Damit legt Lewis ein bedeutsames Erstlingswerk vor, das an Originalität, Scharfsinnigkeit und Sprachwitz kaum zu überbieten ist. Es teilt die Erfindungskraft der feministischen Philosophie, die Terrains und Methoden der „traditionellen“ Philosophie zu befragen. Die methodische Neuerfindung ist darauf ausgerichtet, marginalisierte und revolutionäre Perspektiven in den Vordergrund zu rücken und marginalisierten Wissensbeständen zur Geltung zu verhelfen, die Widerstand begünstigen und das Denken von alternativen Gegenwelten erlauben (Bailey/Cuomo, 2008, 2). Lewis hält dabei dem Projekt einer „low theory“ die Treue: „Academics like me have been unsurprisingly schooled by the writings of outcasts from the university and refugees from the normative family: the militant queer, trans, and sex worker literatures of many nations.“ (41)

Rhetorische Störungen im Diskurs um Leihmutterschaft

Doch surrogacy fungiert keinesfalls nur als begriffliches Vehikel, um die proprietären Verwandtschaftsbeziehungen als Kern der bürgerlichen Kernfamilie zu stören. Full Surrogacy Now handelt auch von Leihmutterschaft als existierender gesellschaftlicher Praxis. Um ihren begrifflichen Apparat aufspannen und den Horizont eines „gestationalen Kommunismus“ anzeigen zu können, arbeitet sich Lewis durch den Status Quo der bürgerlichen Reproduktion hindurch, genauer durch eine besonders stratifizierte, kommodifizierte, cis-normative und neokoloniale Ausprägung von ihr: die kommerzielle Leihmutterschaft. In den meisten Ländern unterliegt die kommerzielle Leihmutterschaft rechtlichen Restriktionen und Verboten, doch in Indien, einem Schauplatz von Full Surrogacy Now, florierte sie bis im Jahr 2019. Anders als die zahlreich vorhandenen wissenschaftlichen Untersuchungen zur kommerziellen Leihmutterschaft, die vor allem legale, ethische, strukturelle und ethnografische Aspekte abdecken, analysiert Lewis das Äußerungsgefüge aus dem Sektor der kommerziellen Leihmutterschaft – mitsamt ihren nicht intendierten und überschießenden Effekten. Die „rhetorical disruption“ (145), auf die es Full Surrogacy Now ankommt, folgt der Einsicht, dass Rhetoriken Welten konsolidieren und die Arbeit an den Begriffen – „categories pertaining to life, rights and labor“ (145) – nicht den kapitalistischen Kräften überlassen werden darf.

Rhetorische Angriffspunkte sind der universalisierende Business-Feminismus von Dr. Nayna Patel, der Gründerin der indischen Leihmutterschaftsklinik Akanksha, einerseits und der Anti-Leihmutterschafts-Feminismus aus dem globalen Norden andererseits. Sie bilden auch die beiden paradigmatischen Pole in einer binär aufgezogenen Debatte um Leihmutterschaft: pro und kontra. Akanksha stand im Ruf einer progressiven Klinik, die sich von anderen Leihmutterschaftskliniken – im feindlichen politischen Klima derogativ „womb farms“ genannt – unterscheiden soll. Dies ist der Umtriebigkeit von Dr. Patel geschuldet, die das Profitinteresse hinter einem feministischen Eifer zum Verschwinden zu bringen wusste. Ihr Versprechen ist ein doppeltes: dass sie mit ihrer Kliniktätigkeit nicht nur das Unfruchtsbarkeitsproblem der globalen kapitalistischen Klasse beheben kann, sondern auch den indischen working-class Leihmüttern durch Alphabetisierungskurse, informellem feministischen Training im klinischen Alltag und nicht zuletzt einem „generösen“ Honorar, das zu einem besseren Leben mit Zukunftsperspektive verhilft. Doch Lewis zeigt auf, dass Patel die beiden von ihr bedienten „universalen“ Begehren – das Begehren nach der Reproduktion eines bestimmten Lebens und das Begehren nach einem besseren Leben – tatsächlich in eine Opposition bringt; wobei die genetische Reproduktion einer privilegierten globalen Elite das Versprechen für eine bessere Lebensgrundlage für alle überschreibt.

Diesem „universalen“ Business-Feminismus steht ein sich im globalen Norden und in akademischen Kreisen formierender Anti-Leihmutterschafts-Feminismus entgegen. Letzterer hat seit den 1980er Jahren mehrere Konjunkturen durchlaufen, doch ein Kern seines Wirkens scheint unverändert zu bleiben: „[A]nti-surrogacy militates against the separation of babies from bodies in the maternity ward tout court“ (36). Das Gespenst, das den Anti-Leihmutterschafts-Feminismus heimsucht, ist die Pluralisierung von Müttern, Eltern und Verwandtschaftsbeziehungen. Die größte Provokation für diese Spielart des feministischen Denkens, scheint Sophie Lewis’ Analyse zu sein, dass es sich bei der Mutter-Kind-Bindung um eine kontingente, also eine politisch und sozial konstruierte, statt um eine notwendige Formation handelt. Jenseits davon diskutiert Lewis den Anti-Leihmutterschafts-Feminismus als eine Variante des Carceral-Feminismus, der durch Bevormundung und Kriminalisierung jene Subjekte materiell schädigt, die er vorgibt zu schützen.

Von SurrogacyTM zu full surrogacy

Full Surrogacy Now ist eine beherzte Stellungnahme für surrogacy. Genauer: für full surrogacy. Doch in der hier skizzierten Gemengelage ist dies nicht als Affirmation der globalen Leihmutterschafts-Märkte misszuverstehen. Um die von Lewis affirmierte surrogacy von der stark stratifizierten kommerziellen Leihmutterschaft abzugrenzen, prägt sie letzterem den Begriff SurrogacyTM auf. Doch Lewis’ politischer Verve zielt – anders als jener der Anti-Leihmutterschafts-Feministinnen – nicht auf eine Symptombekämpfung, sondern auf die Bekämpfung jener sozialen Kräfte und Institutionen, die SurrogacyTM durchziehen und ihr unterliegen: Kapitalismus, Eigentum, Cis-Heterosexualität, das Patriarchat und die Familie.

SurrogacyTM als eine kontingente Manifestation von Leihelternschaft zu diskutieren, erlaubt es Lewis, das volle Begriffsspektrum von surrogacy für ihre Ziele fruchtbar zu machen. Doch nebst SurrogacyTM und dem kommunistischen Horizont von full surrogacy belegt Lewis noch einen weiteren Begriff: Surrogacy im erweiterten Sinn als Kennzeichen der gegenwärtigen kapitalistischen Arbeitsteilung und -organisation. Im Herzen eines globalisierten Kapitalismus macht Lewis ein Netz von Surrogatsbeziehungen aus, die in die intimsten Winkel der kapitalistischen Gesellschaft reichen:

Social reproduction theory becomes a matter populated by a whole raft of ‘surrogates’: provisioners, test subjects, helps, and tech supports. ‘Surrogate’, more than ‘reproductive’ or ‘feminized,’ might be a word that proves useful for that field in bringing together the millions of precarious and/or migrant workers laboring today as cleaners, nannies, butlers, assistants, cooks, and sexual assistants in First World homes, whose service is figured as dirtied by commerce, in contrast to the supposedly ‘free’ or ‘natrual’ love-acts of an angelic white bougeois femininity it in fact makes possible. (56)

Lewis’ Intervention zielt darauf ab, der in der politischen Ökonomie weithin geteilten These von der Feminisierung der Arbeit etwas entgegenzusetzen. Ein wesentliches Element der globalen Arbeitsmärkte im Neoliberalismus ist gemäß dieser These die Fungibilität der Arbeiter*innenschaft – die Arbeitsausübung auf Abruf, die mit der Drohung einhergeht, die eigene Arbeitskraft möge durch eine andere ersetzt werden. Lewis geht es um eine andere Fungibilität, denn – um beim Beispiel Leihelternschaft zu bleiben – Schwangerschaft verlangt gar eine außergewöhnliche Beständigkeit. Die Austauschbarkeit, auf die Lewis ihr Argument fußt, ist die Fungibilität im Sinne einer stellvertretenden Verrichtung und Erfüllung von bürgerlichen Care-Bedürfnissen im globalen Norden durch eine proletarische Arbeiter*innenschaft im globalen Maßstab. Die Intervention ist klug: Weil sie die globale Arbeitsteilung in Linie bringt mit der Arbeitsteilung im bürgerlichen Haushalt, verweist eine Kritik an der Surrogats-Ökonomie zwangsläufig auf eine Kritik an der privilegierten Organisationseinheit dieser ökonomischen Beziehungen im globalen Norden: die bürgerliche Kernfamilie. Lewis’ Text ist somit auch ein Plädoyer für die Transformation der heteronormativen Beziehungen, auf denen die asymmetrische Organisation von Care-Beziehungen gründet. Dieses Projekt nennt Lewis family abolitionism.

Als treibende Kraft der Umarbeitung dieser Verhältnisse sieht Lewis die Surrogats-Arbeiter*innen selbst. Doch um die politische Schlagkraft dieses heterogenen Heers von Akteur*innen zu erhöhen, entwickelt Lewis eine politische Surrogats-Grammatik: „they will need vast numbers of us to step up and become surrogates in turn for surrogates’ interest; surrogates upon surrogates; actors who can’t even remember if they were doing care on someone else’s behalf or their own, nor tell the difference.“ (56) Die ontologische Unsicherheit, wer Sorgearbeit ausübt und wem diese zukommt, untergräbt proprietär verfasste (Selbst-)Verhältnisse. Die Relationalität, mit der wir es hier zu tun haben, ist nicht eine hierarchische Handreichung. Es ist ebenso wenig eine Solidarität als Mittel zum Erreichen bestimmter politischer Ziele, sondern Zweck an sich. Die Surrogats-Solidarität verausgabt sich in der wechselseitigen Sorgetätigkeit, die ein politischer Kampf ist. Damit sind wir beim dritten Begriff von surrogacy angelangt, bei dem, was Lewis full surrogacy nennt. „We are the makers of one another,“ schreibt Lewis, „and we could learn collectively to act like it. It is those truths that I wish to call real surrogacy, full surrogacy“ (19f.)

Damit ergänzt Lewis die gesellschaftlich virulenten Debatten um Care und Prekarität um den Begriff der surrogacy. Die eine Begriffsdimension von surrogacy benennt in einer globalen Perspektive die Asymmetrie reproduktiver Tätigkeiten in hierarchisch verfassten kapitalistischen Gesellschaften und deren Verankerung in heteronormativen Beziehungsstrukturen, der Kernfamilie. Implizit verweist Lewis damit auf die immanente Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Care-Arrangements, das die gute Sorge gerade mal für eine wohlhabende kapitalistische Klasse garantiert. Die andere Begriffsdimension, jene von full surrogacy, steckt einen kommunistischen Horizont ab und schafft damit einen normativen Ausweg aus diesem ethischen Dilemma. Die unfreiwillige Knechtschaft, die in den hierarchischen Stellvertretungen steckt, wird abgelöst durch solidarische Sorgebeziehungen; die Unterscheidung, wer sorgt und wer umsorgt wird, verschwimmt. Ähnlich dem Marx’schen Kommunismusbegriff bezeichnet full surrogacy weniger einen utopischen Zustand, sondern das Antidot und die Bewegung, die den jetzigen Zustand, die globale stratifizierte und prekäre Surrogatökonomie, aufheben soll.

Queerer Polymaternalismus

Auch wenn die Bezüge implizit bleiben, aktualisiert Lewis eine Idee, die in der feministischen Philosophie schon länger zirkuliert und als ihr wichtigster Beitrag der letzten beiden Dekaden gelten könnte: Die Idee der Verletzlichkeit, die Judith Butler nicht als subjektiven Zustand theoretisiert, sondern als Bedingung allen – und keineswegs nur menschlichen – Lebens (vgl. Butler 2005). In Butlers relationaler Ontologie sind wir immer an die sozialen Strukturen gebunden, die unser Leben ermöglichen und unterhalten – und daher nie ganz eigenständig, nie ganz individuiert. Lewis’ begriffliche Konstellation erinnert an die Unterscheidung von Prekarität und Prekärsein (vgl. Butler 2005 und die begriffliche Schärfung durch Lorey 2012) – und doch lassen sich die Begriffe in ihrer jeweiligen Spezifität nicht zur Deckung bringen.

Bini Adamczak wiederum hat diese Idee für eine Revolutionstheorie fruchtbar gemacht. Sie versteht Revolution als sozialen Transformationsprozess, „in dessen Zentrum nicht die Destruktion der herrschenden Gesellschaft steht, sondern die Konstruktion einer herrschaftsfreien“ (Adamczak 2017, 225). Einen solchen Umformungsprozess nennt Adamczak „synaptisch“, da durch ihn bislang Unverbundenes verbunden wird.

Ohne auf den Begriff des Synaptischen zuzugreifen, ist es das synaptische Potenzial von surrogacy, das Lewis in ihrer Arbeit am Begriff freilegt. Surrogacy fabriziert soziale Strukturen und Relationen: In SurrogacyTM heißt die hegemoniale Operation making parent, nämlich das Herstellen von Verwandtschaftsbeziehungen gemäß einer regulativen Norm, die proprietäre, hetero- und cis-normative Norm, der die ersten und vielleicht fundamentalsten aller menschlichen Beziehungen unterworfen werden. Erst die Abwesenheit dieses Teilungsgesetzes erlaubt das lustvolle und ungeordnete making kin und lässt am Horizont einen queeren Polymaternalismus erscheinen. Dieser Imagination wohnen durchaus romantisierende Tendenzen inne, doch auch bei Lewis wird diese scheinbare Eintracht wiederholt unterbrochen durch Feindseligkeit und Gewalt. Die Gewalt, das eigene Kind zu töten, erscheint sowohl als kulturelle Fantasie als auch als absichtsvolle und wohlüberlegte Tat, gängig in den Brasilianischen Shantytowns, um Kleinkinder als „little angels“ aus unlebbaren Verhältnissen zu befreien. An der Stelle scheint bei Lewis die Unentschiedenheit auf, ob solche Morbidität den sozialen Verhältnissen geschuldet ist oder ob die Relationalität die Grausamkeit notwendigerweise miteinschließt: „The collective labor of reproduction and regeneration involves a quantity of killing: maybe always, but definitely under colonialism, capitalism, and patriarchy.“ (150)

Affront für einen souveränen Arbeitsbegriff

Der wiederkehrende Topos „how morbidity is part of the mutuality of life’s work“ (140) findet sich bereits in der Eröffnungssequenz von Full Surrogacy Now. Lewis’ Text beginnt mit Zahlen: den Zahlen von den Personen, die in den USA jährlich beim Gebären sterben oder „fast sterben“. Diese Gewalt sei keinesfalls eine natürliche und notwendige, sondern eine sozial hergestellte. Damit macht Lewis klar, dass Schwangerschaft und Gebären unter dem gesellschaftlichen Status Quo eine Zumutung sind. Dass diese Zumutung ohne Aufbegehren ausgehalten wird oder gar als begehrenswert erscheint, erfordert ideologische Anästhetika: Die grenzenlose Generosität der Schwangeren.

„Any fool can have a baby [sic]—it takes a smart woman to get paid for it,“ (123) zitiert Lewis eine indische Leihmutter, die bereit ist, der von Schwangeren eingeforderten Generosität eine Grenze zu setzen. Es ist eine von zahlreichen Interventionen, die die ontologische Grenzziehung zwischen Surrogatmutter und Mutter, zwischen Surrogatelternschaft und Elternschaft, zwischen der Delegation der Schwangerschaft und der Schwangerschaft in Frage stellt. Erst die diskursive Rahmung von Leihmutterschaft als Reproduktions-Exzeptionalismus lässt diese Grenze als eine unveränderliche erscheinen. Argumentatives Herzstück von Full Surrogacy Now ist die Dekonstruktion der kulturellen Annahmen, die einen solchen Reproduktions-Exzeptionalismus hervorbringen.

Eine davon ist die Annahme, dass die Leihmutterschaft im Gegensatz zur „natürlichen“ Schwangerschaft technologisch assistiert sei. „All babies are the effect of a ‚politically assisted procreation technology’,“ (118) hält Lewis dem entgegen. Einen anderen Technologiebegriff aufgreifend, benennt Lewis „natural kinship“ als die erste dieser Technologien, „one that happens to militate on a structural level against queerness.“ (117) Was der Begriff der „natürlichen Verwandtschaft“ kaschiert, ist die kontingente proprietäre Verfasstheit von Verwandtschaftsbeziehung.

Zweiter – und weit besser ausgearbeiteter – Angriffspunkt von Lewis ist jenes gesellschaftliche Schema, das Schwangerschaft als altruistische Reproduktionsleistung konstruiert und dieser damit jegliche Möglichkeit monetärer Kompensation entzieht. Die Realisierung von full surrogacy erfordert gemäß Lewis als strategischer Zwischenschritt die Anerkennung der Schwangerschaft als Arbeit. Dieser Punkt ist keinesfalls neu; der Begriff „gestational labor“ wurde bereits 1981 von der Schottischen Philosophin und Hebamme Mary O’Brien geprägt.

Doch Schwangerschaft als Arbeit zu konzeptualisieren, trifft – zumindest im Deutschen – auf die sprachliche Aporie, ein mit Schwangerschaft korrespondierendes Tätigkeitsverb zu finden. Dem am nächsten käme trächtig sein. Doch diese Formulierung verweist nicht nur auf das Tierreich, sondern verweigert sich linguistisch – qua sein – wiederum der Tätigkeit. Auch wenn im Englischen mit to gestate durchaus eine solches Verb verfügbar ist, so schlummert die Aporie auch bei Lewis im Hintergrund und bringt sie zum vielleicht originellsten Vorschlag im Rahmen ihrer materialistisch-feministischen Argumentationsfigur. Es ist der Gedanke, dass Arbeit nicht von der Produzent*in ausgeübt wird, sondern umgekehrt: „You don’t do labor. Labor does you,“ (125) zitiert Lewis die US-Amerikanische Autorin Maggie Nelsons Ausführungen zur Schwangerschaft in der Autobiografie-Theoretisierung Die Argonauten. Schwangerschaft ist keine souveräne Tätigkeit, doch ebenso wenig wird sie passiv erduldet, sondern macht die Unzulänglichkeit der verfügbaren Termini und der dualen Opposition von aktiv und passiv augenscheinlich. Diese Unzulänglichkeit ist ein Affront für einen souveränen, cleanen Arbeitsbegriff.

Die Grenzen kollektiver Handlungsfähigkeit

Ein wichtiger Bezugspunkt bildet für Lewis die in den 1970er-Jahren ins Leben gerufene internationale Kampagne Wages for Housework, die die häusliche Domäne sichtbar machte als Ort der kapitalistischen Produktion von Wohlstand. Bezahlte, unterbezahlte und unbezahlte Arbeitstätigkeiten stellen in dieser Argumentationslinie bloß Abstufungen in der kapitalistischen Wertelogik dar, sind jedoch unterschiedslos Teil der kapitalistischen Inwertsetzung – und damit entfremdet. Diese Formulierung macht denn auch klar, dass die monetäre Honorierung einer bislang unbezahlten Arbeitsleistung nicht das eigentliche Problem zu beseitigen vermag, nämlich die Entfremdung der Arbeit in kapitalistischen Ökonomien. Wages for Housework ist somit in erster Linie eine strategische Forderung und nicht eine buchstäbliche. Lewis verweist zu Recht auf den späteren Slogan Wages against Housework, der die Sabotage der Arbeit im Zentrum dieser historisch wirkmächtigen feministischen Intervention in den marxistischen Diskurs auf den Punkt bringt.

In Analogie dazu konstruiert Lewis ihre Argumentation: Bei einer aus Generosität geleisteten – sprich: unbezahlten – Schwangerschaft haben wir es zwar nicht mit einer kapitalistischen Ausbeutung zu tun, jedoch mit einer kapitalistischen Aneignung von (Arbeits-)Ressourcen, die die Schwangerschaft gleichsam zu einer entfremdeten Arbeitstätigkeit macht. Es ist dieser Punkt, der dem orthodoxen Marxismus entgeht: „Noncommercial pregnancy is a capitalist hinterland. Commercial surrogacy is capitalist industry.“ (59)

Lewis sucht keinesfalls Schwangerschaft und Geburt als positive Erfahrung für Einzelne abzusprechen. Vielmehr zielt ihre Intervention darauf ab, die Ubiquität von prekären und hierarchischen Surrogatsbeziehungen im Kapitalismus – auch dort, wo diese am wenigsten erwartet oder ideologisch kaschiert werden – zu markieren. Von diesen Missständen ausgehend, skizziert Full Surrogacy Now eine Perspektive, die die irreduzible Bedürftigkeit aller ins Zentrum rückt. Die Anerkennung von Schwangerschaft als Arbeit ist bei Lewis ein strategisches Manöver, ein bloßer Zwischenschritt: „In order to become ethically acceptable by any noncapitalist standard, surrogacy will have to change beyond recognition.“ (33) Wichtig ist die Anerkennung gemäß Lewis dennoch, weil sie die Sabotage, die Subversion und den Streik erst ermöglicht.

Lewis’ Vision einer klassenlosen reproduktiven Kommune basierend auf wechselseitiger Hilfe und der bestmöglichen Sorge für alle realisiert sich nicht innerhalb einer Arbeitsgesellschaft. In ihrer Anti-Arbeits-Heuristik ist die substanzielle Umarbeitung der Infrastrukturen und Technologien der Reproduktion von Leben für Lewis weder im Rekurs auf die Autonomie der Arbeiter*innenschaft, noch in einer kooperativen Arbeitsorganisation zu erlangen, sondern sie ist nur als synaptische Revolution zu haben.

Dieser Umarbeitungsprozess beginnt – wie bereits erwähnt – mit der Militanz der Surrogate. Allerdings ist fraglich, ob die Einhegung allen Aufbegehrens der Surrogats-Arbeiter*innen unter den Begriff der Anti-Arbeit zulässig oder zielführend ist. Etwa dann, wenn Lewis schreibt: „Formal gestational workers’ self-interest, like that of their unpaid counterparts, is an anti-work matter.“ (168) Klar ist: Full Surrogacy Now ist kein politisches Programm – Hinweise zur konkreten politischen und juristischen Umsetzung der queeren Reproduktionskommune suchen wir in Lewis’ Text vergeblich. Ungeklärt bleibt, in welcher Machtkonstellation sich full surrogacy zu verwirklichen vermag: Wie kann es ein lokal situierter Widerstand mit der globalen Dimension der kapitalistischen Verhältnisse anlegen?

Die Schwäche ist jedoch zugleich eine Stärke: Lewis’ Text verführt mit einer Imaginationskraft, die den politischen Imperativ Full Surrogacy Now zu einer lustvollen und ansteckenden Unternehmung werden lässt. Ihre flinke und originelle Art zu denken, lässt nicht nur einen militanten Optimismus versprühen, sondern lässt einen auch verzeihen, dass die Frage der politischen Strategie weitgehend ungeklärt bleibt. Allein die begrifflich-theoretische Arbeit – allem voran die die Entwicklung einer eigensinnigen Surrogatsgrammatik, die die Diskurse um Prekarität und Care-Arbeit zu queeren vermögen, und die Dekonstruktion eines souveränen Arbeits- und Handlungsbegriffs – muss als unmittelbar politisch gewürdigt werden. Das offene Begriffsgefüge von Full Surrogacy Now, das mitunter den Anschluss an Konzepte und Kämpfe von First Nations sucht, fungiert auch als generöse Einladung für zukünftige Übersetzungen in andere begriffliche, politische und soziale Konstellationen.

Teil des ansteckenden Optimismus ist Lewis’ Vermögen, die Zeichen der bröckelnden proprietären Ordnung, die mitunter die traditionelle Familienstruktur aufrechterhält, am kulturellen Text der Gegenwart – in Filmen, Science Fiction, etc. – abzulesen. Erstaunlicher ist hingegen, dass Lewis es im gesamten Text die rechtliche Institution der Erbschaft, die jeden Terraingewinn zu begrenzen droht, unthematisiert lässt. Friedrich Engels hat bereits 1884 in Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats (Engels 1962) auf die enge Verbindung zwischen der Organisation von Beziehungen und der Weitergabe von Kapital hingewiesen.

Doch darüber hinaus – und das scheint mir ein sehr wesentlicher Punkt zu sein – zieht sich durch Full Surrogacy Now eine strukturierende Ambivalenz, die die Autorin weder auf die eine noch auf die andere Seite aufzulösen bereit ist:

Fighting in the name of an unnatural, radical ‘mamahood’ might well involve, on occasion, the strategic assertion of ‘property in the body’. But its vision of property is at root a commoning one. (I submit one might conjure it, too, with the slogan full surrogacy now.) (153)

Die Frage der strategischen Bekräftigung eines Eigentums am eigenen Körper – die Bekräftigung einer Selbstverfügung – eröffnet die Frage, ob erprobte marxistische Strategien und der Rekurs auf reproduktive Rechte mitsamt deren ontologischen Grundlagen auch heute noch für das emanzipatorisches Projekt richtungsweisend sein können oder ob womöglich deren Verstrickung in die kolonialkapitalistische Moderne diese als untauglich für das linke Projekt der Gegenwart erscheinen lässt. Lewis’ Text changiert zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Mit ihrer emphatischen Bejahung der kollektivierten Kontrolle über Infrastrukturen der Reproduktion – „seizing the means of reproduction“ (29) – und der eben zitierten strategischen Bekräftigung der Selbstverfügung hält Lewis – zumindest bis zu einem gewissen Grad – einer klassisch marxistischen Handlungsfähigkeit die Treue. Es ist eine Handlungsfähigkeit, die sie zwar nur als kollektive zu denken erlaubt, die aber nicht zu trennen ist vom proprietären Phantasma der Kontrolle über die eigenen (Lebens-)Verhältnisse. Jenseits davon lässt Lewis aber auch neue Perspektiven aufscheinen, wenn ihre Ausführungen relationale Ontologien berühren. Etwa dann, wenn sie von „labor does you“ spricht oder dem indigenen Konzept „wni wiconi“ – zu Deutsch: Wasser ist Leben –, dem sie die letzten Seiten des Buches widmet. Ich will diese Ambivalenz keinesfalls als Schwäche des Textes auslegen. Im Gegenteil, die Offenlegung dieses zentralen Widerspruchs spielt einer lebendigen theoretischen Aushandlung in die Hände. Und sie gibt der feministischen Philosophie eine zukunftsweisende Frage auf.

Literatur

Adamczak, Bini. Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende. Berlin: Suhrkamp, 2017.

Bailey, Alison, und Chris Cuomo, Hrsg. The Feminist Philosophy Reader. New York: McGraw-Hill, 2008.

Butler, Judith. Gefährdetes Leben. Politische Essays. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2005.

Engels, Friedrich. Marx Engels Werke. Bd. 21: [Der Ursprung der Familie, das Privateigenthums und des Staats]. Berlin: Dietz, 1962.

Lorey, Isabell. Die Regierung der Prekären. Wien: Turia + Kant, 2012.


  1. Lewis schreibt durchgängig von „pregnant people“, um damit zu markieren, dass auch nicht-binäre Personen und (Trans-)Männlichkeiten schwanger sein können.↩︎

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