Ahlhaus, Svenja: Die Grenzen des Demos. Mitgliedschaftspolitik aus postsouveräner Perspektive. Frankfurt am Main: Campus 2020. 278 Seiten. [978-3-593-51281-5]

Rezensiert von Fabian Rasem

Die Frage, wer zum ‚Wir‘ gehört, zählt zum festen Inventar politischer Selbstverständigung und gilt zugleich als ein Gradmesser für den Stand der Demokratie in modernen Gesellschaften. Einen wesentlichen Bestandteil der demokratischen Selbstreflexion bilden dabei Kritiken, die sich gegen eine als konservativ (miss)verstandene Verteidigung bestehender Diskriminierungsstrukturen oder das lauterwerdende rechtsextreme Begehren nach Ausschluss richten. In solch kritischer Absicht wurden jüngst ganz unterschiedliche Phänomene in den Blick genommen, etwa die „Rhetorik der parlamentarischen Rechten“ (Detering 2019), die ausbleibende Anerkennung einer „postmigrantischen Gesellschaft“ (Foroutan 2019) oder der US-amerikanische Gefängniskomplex (Alexander 2016).

Eine andere Facette in dieser breiten Debatte um das demokratische ‚Wir‘ beleuchtet die Hamburger Politikwissenschaftlerin Svenja Ahlhaus. Sie geht demokratietheoretisch gewissermaßen back to the roots und stellt die Idee jenes politisch souveränen Kollektivs von Staatsbürger:innen ins Zentrum der Kritik, das für gewöhnlich Demos genannt wird. Dabei richtet sie ihren Fokus auf demokratische Mitgliedschaftspolitiken, also „politische Prozesse und Entscheidungen, die zu einer Veränderung der Normen der Staatsbürgerschaft oder des Wahlrechts führen“ (27). Diese analysiert Ahlhaus als ein „boundary making“ (27), durch das die Grenze zwischen dem Demos, der citizenry (Staatsangehörige ohne volle politische Rechte, z.B. Kinder, Menschen mit Behinderung, Häftlinge) und den outsiders (Ausländer:innen, Staatenlose) gezogen und immer wieder neu ausgehandelt wird.

„Der Status quo der Mitgliedschaftspolitik ist undemokratisch“ (245), so lautet hierbei Ahlhaus’ Ausgangsthese. In ihrem Buch, das das Resultat ihres 2018 abgeschlossenen Dissertationsprojektes ist, legt Ahlhaus deshalb eine politiktheoretische und normative Kritik des souveränen Vorrechts von politischen Gemeinschaften vor, selbst zu entscheiden, wer ihnen wie rechtlich angehören darf. Im Gegenzug stellt sie anhand der Demokratiekonzepte von Jürgen Habermas, Nancy Fraser und Seyla Benhabib Überlegungen an zu „einem Modell legitimer Mitgliedschaftspolitik […], das eine Alternative zum souveränen Dogma darstellen könnte“ (201). Sie formuliert diese in den ‚postsouveränen‘ Konzepten eines Global Membership Law und der Boundary Assembly aus.

Die Mitgliedschaftspolitik der Mitgliedschaftspolitik – und ihre Grenzen

Der charakteristische Aspekt an Ahlhaus’ normativer Kritik der aktuellen Mitgliedschaftspolitik ist, dass diese nicht vorrangig bei den zu kritisierenden Inhalten ansetzt. Gegenwärtige „mitgliedschaftspolitische Auseinandersetzungen“ (9), wie die Debatten und Konflikte um Aufenthaltstitel, eine Absenkung des Wahlalters oder die Ausbürgerung von Terrorist:innen, bilden nur den empirischen Anlass ihrer Untersuchung. Im Zentrum der Kritik stehen stattdessen die generelle Entscheidungsstruktur und Funktionsweise von Mitgliedschaftspolitik. Mit Nancy Fraser kann man sagen, dass es Ahlhaus weniger um eine Ebene des „Was?“ denn um eine Ebene des „Wer?“ und „Wie?“ geht (Fraser 2009: 30–47), also um die Metastruktur der gegenwärtigen Art, Mitgliedschaftspolitik zu machen.

Den Kern dieser gegenwärtigen Metastruktur stellt für Ahlhaus das „Dogma souveräner Mitgliedschaftspolitik“ (33f.) dar. Gemeint ist mit diesem Sichtwort die kaum hinterfragte Prämisse, dass die mitgliedschaftspolitische Entscheidungsgewalt ausschließlich bei den einzelstaatlichen Demoi liegen sollte. Jede politische Gemeinschaft, so die Idee, habe das Vorrecht, selbst zu regeln, an welche Kriterien ihre Mitgliedschaft gebunden sein soll und wie sie Mitgliedschaftsfragen verhandeln und entscheiden will (28–33). Praktisch bedeute das, dass die Vollbürger:innen eines Staates über das Schicksal von Nicht-Bürger:innen oder solchen, die es werden sollen, unilateral entscheiden, während viele Betroffene keine Stimme haben. Ahlhaus hält das in zweierlei Hinsicht für kritikwürdig:

Zum einen merkt sie in empirischer Hinsicht an, dass angesichts der Realitäten des 21. Jahrhunderts, die von internationalen Normen und Abkommen, Migration und überlappenden politischen Mitgliedschaften geprägt sind (34–37), „die einfache Idee souveräner Mitgliedschaftspolitik zunehmend unter Druck gerät“ (37). Wo kein Demos tatsächlich noch in der Lage sei, unabhängig über seine Belange zu entscheiden, verkomme staatliche Souveränität zur „Fiktion“ (10).

Zum anderen wendet Ahlhaus ein, dass ihr ein Festhalten an der Begründungsformel der Souveränität auch „aus normativer Perspektive unmöglich“ (10) erscheint. Sie hält den Souveränitätsgedanken in seiner aktuellen Form für „undemokratisch“ (245, vgl. 19). Wegweisend für Ahlhaus’ Kritik ist dabei das sogenannte boundary problem (37f.). Dieses breit diskutierte theoretische Problem, das andernorts auch als boundary paradox verhandelt wird, betrifft die Frage, wie eigentlich die mitgliedschaftlichen Grenzen jenes Demos gezogen werden, der dann mitgliedschaftspolitisch souverän über genau diese Grenzen verfügen soll. Ahlhaus’ normativer Kritik geht es demnach um eine Mitgliedschaftspolitik der Mitgliedschaftspolitik. Hierbei macht sie ein demokratietheoretisch schwerwiegendes „bisher unreguliertes Unterwerfungsproblem“ (39) aus, weil Mitglieder und Nicht-Mitglieder des Demos zwar gleichermaßen die Adressat:innen von Mitgliedschaftspolitiken sind, allerdings „Nicht-Mitglieder nicht an der Entscheidungsfindung beteiligt sind“ (39). Die Frage, wer darüber (mit)entscheiden darf, wer (mit)entscheiden darf, wirft also, wie Ahlhaus zurecht konstatiert, ein „Externalitätsproblem“ (39) auf, das theoretisch und politisch häufig unbeachtet und – vor allem – weiterhin ungelöst bleibt.

Jenseits des Liberalismus, diesseits des Agonismus…

Weil dem so ist, sucht Ahlhaus eine demokratische „Alternative zur souveränen Mitgliedschaftspolitik“ (11), die „ein legitimes Verfahren für die Festlegung von Mitgliedschaftsnormen“ (9) gewährleistet. Dafür zieht Ahlhaus zunächst (Teil I) drei mögliche Herangehensweisen in Betracht, die sie als liberalen, agonistischen und deliberativen Ansatz bezeichnet.

Die liberale Perspektive, die Ahlhaus schnell verwirft, wird von ihr mit einem mitgliedschaftstheoretischen „mainstream“ (49) identifiziert, dem sie etwa Joseph Carens und Rainer Bauböck zurechnet. Liberale Ansätze, so Ahlhaus, diskutierten vor allem normative Prinzipien der Inklusion und Exklusion und leiteten daraus Kriterien für die Legitimierung von Einschluss- und Ausschlussverhältnissen ab (50–55). Weil Liberale hofften, das boundary problem mit solchen philosophischen Maßgaben lösen zu können, „entpolitisieren“ (64) sie dieses aber bzw. verdrängen dessen „paradoxen Charakter“ (64), so Ahlhaus.

Der agonistischen Perspektive, die Ahlhaus etwa mit Engin Isin, Étienne Balibar, Chantal Mouffe und Bonnie Honig assoziiert, attestiert sie demgegenüber ein ausgeprägteres Paradoxiebewusstsein. Sie kommt für Ahlhaus aber ebenso wenig in Frage, da sich die entsprechenden Theoretiker:innen letztlich auf eine idealisierende „Beschreibung und Befürwortung widerständiger Politiken“ (65) beschränkten, ohne ein eigenes „positive[s] Mitgliedschaftsziel“ (61) zu benennen. In der agonistischen Lesart würden das boundary und foundation problem im Endeffekt „überbetont“ (65) bzw. „überpolitisiert“ (44), weil diese für schlichtweg unlösbar erklärt und eine demokratische Gemeinschaft der Gleichen als „Illusion oder zumindest gefährliches Ideal“ (65) verworfen werde. Beide angeführten Perspektiven, so resümiert Ahlhaus, „bieten keine Orientierung bei der Frage, wie und von wem Entscheidungen über Mitgliedschaft getroffen werden sollten“, und folglich auch „keine überzeugende Alternative zur souveränen Mitgliedschaft“ (12, vgl. 64).

Als einzig vielversprechenden Ansatz präsentiert Ahlhaus daher die deliberative Theorietradition. Deren Kern sieht sie darin, Aushandlungs- und Argumentationsarenen ins Zentrum des demokratischen Prozesses zu rücken (68) und dabei die institutionelle Verankerung einer jeweils spezifischen demokratischen „Idee der Reflexivität“ (202) zu bezwecken (s.u.). Speziell die Werke von Jürgen Habermas, Nancy Fraser und Seyla Benhabib, bei denen jeweils „die Reflexivität von Mitgliedschaftspolitik eine andere Bedeutung“ (202) annehme, ließen sich in ein fruchtbares Verhältnis zueinander setzen und als eine „ausgleichende Mittelposition zwischen liberalen und agonistischen Ansätzen“ (68f.) verstehen.

… die Deliberation? Die Theoriepolitik in der Mitgliedschaftstheorie

Ahlhaus’ Urteil über die liberalen und agonistischen Ansätze und ihre „Festlegung auf einen deliberativen Ansatz“ (12) erstaunen vor allem in ihrer Rigorosität. Erstens irritiert die Pauschalität, mit der die beschriebenen Ansätze von Ahlhaus gewissermaßen zu ‚Pappkamerad:innen‘ stilisiert werden. So beschreibt Ahlhaus etwa die liberalen Ansätze auf eine Weise, die die drastischen verfahrenstechnischen und souveränitätstheoretischen Implikationen von „issue-specific non-territorial demoi“, wie sie etwa Bauböck vorschlägt (Bauböck 2017: 79), ausblendet. Auch eine denkbare Politisierung gerade egalitärer Liberalismen (Brunkhorst 1995), das heißt eine Verschiebung von „einem theoretizistischen Verständnis von Rechten“ zugunsten „einer praktisch-demokratietheoretischen Lesart“ (Brunkhorst 1995: 630), die konfliktive Verfahren der Gesetzgebung und politischen Öffentlichkeit stärkt, wird von Ahlhaus nicht thematisiert. Im Hinblick auf die von Ahlhaus als agonistisch beschriebenen Theorien wiederum überzeugt besonders der Vorwurf nicht, dass diese normativ unentschlossen und „zu abstrakt“ (62) blieben. So blickt Ahlhaus über Ansätze für agonistisch-inspirierte Institutionen hinweg, die besonders in den letzten Jahren konkretisiert werden (z.B. Westphal 2017; Lowndes/Paxton 2018; Herrmann/Flatscher 2020).

Zweitens werden die Trennlinien zwischen einem deliberativen, liberalen und agonistischen „Zugriff auf Mitgliedschaftsfragen“ (68) von Ahlhaus insgesamt zu schematisch gezogen. Nicht nur verkommen poststrukturalistische Einflüsse auf Benhabibs Iterationskonzept bei Ahlhaus zur Randnotiz (165, 167f.). Auffälliger noch ist die Umstandslosigkeit, mit welcher Ahlhaus gerade Frasers Ansatz einer deliberativen Tradition zurechnet, obwohl dieser stark von marxistisch-agonistischen Anleihen geprägt ist und Fraser explizit für diesen in Anspruch nimmt, die scheinbare Opposition von deliberativem und agonistischem Denken aufzulösen (Fraser 2009: 73). Ahlhaus reproduziert hier also eine Abgrenzung, die von Fraser selbst „as a false antithesis“ (Fraser 2009: 74) verworfen wird.

Weil Ahlhaus’ Argumentation dadurch theoriepolitisch schief aufgehängt wirkt, bietet es sich an, diese – entgegen Ahlhaus’ eigenem Bekunden – weniger als strikt deliberativen, denn als offenen eigenständigen Ansatz zu lesen.

‚Demokratische Selbstkorrektur‘ und darüber hinaus

Stilgeberin einer so verstandenen eigenen Perspektive (Teil II) ist für Ahlhaus die diskursive Rechtstheorie, die Jürgen Habermas vor allem in Faktizität und Geltung entwirft. Die darin ausbuchstabierte Idee der „Volkssouveränität als Verfahren“ (109), die den Wesenskern der Demokratie als Form eines kommunikativen Austauschs beschreibt, zieht Ahlhaus als Blaupause für die demokratische Bearbeitung von Grenzfragen heran (109). Der paradoxe Charakter des von Ahlhaus ausgemachten boundary problem soll demnach nicht philosophisch, sondern politisch bewältigt werden (72), indem immer wieder aufs Neue in geregelter Form darüber verhandelt wird, wer Bürger:in sein sollte und was es heißt, Bürger:in zu sein.

In Einklang mit Habermas betont Ahlhaus vor allem die zentrale Funktion des Rechts im Prozess der „demokratische[n] Selbstkorrektur“ (202). Zum einen versteht sie die Diskrepanz zwischen dem normativen Gehalt demokratischer Prinzipien (Geltung) und der gesellschaftspolitischen Wirklichkeit von deren Verankerung (Faktizität) als produktives Moment. Die Möglichkeit, die Geltung von Mitgliedschaftsnormen immer wieder gegen die dahinter zurückbleibende Faktizität auszuspielen, deutet Ahlhaus als eine souveränitätskritische „interne Reflexivität über [die] Zeit [hinweg, F.R.]“ (16).

Zum anderen folgt Ahlhaus Habermas in der Prämisse eines dem staatlichen Recht und der politischen Aushandlung notwendig zur Seite gestellten „Systems der Rechte“ (119). Da es die Grundbedingung jedes demokratischen Prozesses sei, Mitgliedschaft als „Status der Autonomie und Gleichheit“ (241) zu verstehen, müssten gewisse mitgliedschaftspolitische Rechte als notwendig vorausgesetzt werden. Diese können geschützt und missachtet, aber nicht entzogen werden. Das System der Rechte eröffne in diesem Sinne einen diskursiven Spielraum, in dem Mitgliedschaftspolitik sich legitimerweise vollziehen kann und schränkt umfassende Souveränität ein. Während die Ausbürgerung von Personen für Ahlhaus demgemäß undenkbar ist, wenn damit eine substanzielle Entrechtung einhergeht, bleiben einzelne mitgliedschaftspolitische Aberkennungsprozesse grundsätzlich möglich (z.B. bei Auswanderung oder Gefangenschaft) (123).

Diese Lesart des Selbstkorrektur-Mechanismus stellt eine gelungene Übertragung der zentralen Annahmen von Habermas’ Demokratiekonzeption auf den Bereich der Mitgliedschaftstheorie dar. Zu Recht bemängelt Ahlhaus jedoch auch Habermas’ souveräne Vorstellung des Demos, die diesen als homogene und statische Einheit unterstellt und das ‚Selbst‘ der Selbstkorrektur weitgehend unhinterfragt lässt. „Postsouveräne Mitgliedschaftspolitik“, so Ahlhaus’ entgegengesetzte Überzeugung, „öffnet das Subjekt der Mitgliedschaftspolitik für Nicht-Mitglieder und bietet eine Prozedur, die Ein- und Ausschluss zum Gegenstand grenzüberschreitender Entscheidungen macht“ (128).

Von der Meta-Demokratie zum Global Membership Law

Als Korrektiv zu Habermas’ Souveränitätskonzeption schlägt Ahlhaus deshalb vor, Nancy Frasers Theorem der ‚Meta-Demokratie‘ hinzuzuziehen. Entscheidend ist für Ahlhaus hierbei, dass Fraser das boundary problem aus einer Perspektive politischer Gerechtigkeit betrachtet, von der ausgehend sie die Idee einer „postwestphalian democratic justice“ (Fraser 2009: 16) entwickelt. Dabei fragt Fraser zunächst, wer in demokratische Prozesse einbezogen sein sollte. Anhand verschiedener gerechtigkeitstheoretischer Aufsätze von Fraser und in Rückgriff auf die Argumentation von Arash Abizadeh (2008) arbeitet Ahlhaus hierbei schlüssig eine Lesart heraus, die dem sogenannten ‚Unterworfenheitsprinzip‘ Priorität gegenüber dem Staatsbürger:innenstatus einräumt: Personen, die zwar keine Mitglieder eines spezifischen Demos, aber entsprechenden mitgliedschaftspolitischen Governance-Strukturen unterworfen sind (136ff., 149), seien grundlegend in mitgliedschaftspolitische Entscheidungen einzubeziehen. Diesen bewussten Bruch mit einer auf den territorialen Einzelstaat fixierten Politikvorstellung (131) identifiziert Ahlhaus als eine „externe Reflexivität“ (16, 205), die in Habermas’ Deliberationskonzept fehlt.

In Fortführung des Gedankens dieser externen Reflexivität plädiert Ahlhaus mit Fraser anschließend dafür, „die Zirkularität des boundary problems durch die Einführung meta-politischer Institutionen aufzubrechen“ (133). Damit ist bei Fraser eine Art ergänzender ‚Meta-Demos‘ jenseits der Grenzen des Nationalstaats gemeint, der wie eine legitimierende „zweite Ordnung“ der politischen Entscheidungsfindung „die Grenzen und Maßstäbe politischen Handelns festlegt“ (203). Während Fraser ausdrücklich an ein globales deliberatives Gremium (im Sinne einer ‚Weltdemokratie‘) zu denken scheint (152), schlägt Ahlhaus hier eine Differenzierung und mehr Realismus vor.

Einerseits argumentiert Ahlhaus gegen Fraser (und mit Habermas und Benhabib) nachvollziehbar für ein Global Membership Law (159ff.), das heißt ein kosmopolitisch-universelles mitgliedschaftspolitisches Rahmenwerk, das an den Menschenrechten orientiert ist. Dieses soll im Sinne des ‚Systems der Rechte‘ „den Spielraum für die postsouveräne Mitgliedschaftspolitik einzelner Demoi setzen“ (239) und zugleich zur Beteiligung von Nicht-Mitgliedern bei mitgliedschaftspolitischen Entscheidungen verpflichten (235). Andererseits optiert Ahlhaus für ein postsouveränes Entscheidungsgremium auf einzelstaatlicher Ebene, das jenen „Kosmopolitismus im eigenen Land“ realisiert, den schon ihr Doktorvater Peter Niesen hervorhebt als „oft übersehene Möglichkeit“ (Niesen 2011: 286), das einzelstaatliche Demokratieverständnis zu transzendieren. Konkrete mitgliedschaftspolitische Entscheidungen sollen für Ahlhaus nicht weiter exklusiv von den Bürger:innen eines Staates getroffen werden, sondern jeweils von einer auf der Staatenebene institutionell verankerten „anders zusammengesetzten Gemeinschaft“ (147).

Postsouveränität ohne Illusionen

Die in der kritischen Rezeption von Fraser angedeutete Lösung des boundary problems durch ein Zwei-Ebenen-System, in dem die allgemeine Legitimität von Mitgliedschaftspolitik auf globaler Ebene, die konkreten Reglungen aber auf einzelstaatlicher Ebene verhandelt werden (158), wird zuletzt mit Blick auf Seyla Benhabibs Konzept „demokratischer Iterationen“ theoretisch gerahmt.

Als demokratische Iterationen werden bei Benhabib alle komplexen öffentlich-deliberativen Prozesse bezeichnet, in denen eine faktische Norm vor dem Hintergrund universaler Rechtsansprüche angefochten oder rekontextualisiert wird (vgl. 165). Ahlhaus nutzt den Iterationsbegriff deshalb, um die angestrebte Vermittlungsdynamik zwischen globalen Mitgliedschaftsrechten und der Mitgliedschaftspolitik der Einzelstaaten zu beschreiben. Dafür macht sie eine latente „postsouveräne Dimension demokratischer Iterationen“ (178) in Benhabibs Texten zu einem Kosmopolitismus ohne Illusionen gegen die dort tonangebenden konventionellen Deutungen stark. Da Benhabib davon ausgeht, dass „Selbstkonstituierung niemals ein unilateraler Akt sein kann“ (Benhabib 2008: 172), argumentiert Ahlhaus, dass ein reinterpretiertes Konzept demokratischer Iteration als „ein Lernprozess verstanden werden könne, an dem Nicht-Mitglieder teilhaben“ (203). In dieser nicht nur pluralistischen, sondern souveränitätskritischen Lesart vereine das Iterationskonzept zentrale Momente interner und externer Reflexivität (203) und könne als ‚Mittelweg‘ zwischen Habermas’ und Frasers Konzeptionen (184) sowie als „Modell postsouveräner Mitgliedschaftspolitik“ (178) verstanden werden.

Diese These leuchtet bis zu einem gewissen Punkt ein. Letztlich entpuppt sich der postsouveräne Impuls in Benhabibs Iterationsbegriff jedoch als „schwächer als zunächst vermutet“ (187). Das größte Hindernis für eine theorieinterne postsouveräne Reinterpretation von Benhabibs Konzept des ‚kosmopolitischen Föderalismus‘ sieht Ahlhaus in dessen Unterscheidung von kosmopolitischen Diskurs- und einzelstaatlichen Entscheidungsebenen (180f., 187). Diese reduziere die „postsouveräne Dimension auf die diskursive und kontestatorische Beteiligung von Nicht-Mitgliedern“ (16) und räume Letzteren weiterhin keinerlei Entscheidungskompetenz ein. Schlussendlich rede Benhabib somit einer „Verteilung von Partizipationsansprüchen“ das Wort, die „dem gegenwärtigen Zustand souveräner Mitgliedschaftspolitik weitgehend entspricht“ (187).

An der Grenze des Demos: Die Idee der Boundary Assembly

Weil demnach alle von Ahlhaus rekonstruierten Ansätze konkrete postsouveräne Entwürfe schuldig bleiben (182), macht Ahlhaus im kurzen letzten Abschnitt diesbezüglich selbst einen Vorschlag (Teil III). Dabei empfiehlt Ahlhaus neben einem Global Membership Law als allgemeinem mitgliedschaftspolitischen Referenzrahmen eine neuartige Institution für die einzelstaatliche Ebene, die sie Boundary Assembly nennt. Diese soll über konkrete Mitgliedschaftspolitiken verhandeln und ist an bestehende basisdemokratische Experimente angelehnt (217f.).

Die Boundary Assemblies sollen jeweils unabhängige Gremien mit etwa 100–150 Teilnehmenden sein. Sie sollen paritätisch mit Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern des jeweiligen Demos besetzt sein, die per Los und im Sinne eines stratified samplings quotiert auswählt werden (222f.). Dabei geht es Ahlhaus nicht um eine perfekte Zusammensetzung, sondern eine „good enough representation“ (224), die ein „demokratisches Minimum“ (145) erreicht. Wichtig ist Ahlhaus zudem, dass mit der dezentralisierenden Wirkung auch eine Entscheidungsbefugnis einhergeht (230), die das mitgliedschaftspolitische Monopol der Vollbürger:innen aufbricht – selbst wenn Ahlhaus offenlässt, welchen Status die Entscheidungen der Boundary Assembly im komplexen Gesetzgebungsprozess genau haben sollen (vgl. 230f.). Zudem soll der mehrstufige Meinungsbildungs- und Beratungsprozess der Teilnehmenden für die Zivilgesellschaft geöffnet werden, etwa durch Modelle des Crowdsourcings (232) oder dezentrale Mini-Publics (228, 232). Auch sollen die Boundary Assemblies selbst in ein umfassenderes Netz postsouveräner Akteur:innen eingebettet werden (230), das z.B. Ombudspersonen für mitgliedschaftspolitische Fragen (231f.) sowie inner- und überstaatliche Gerichte umfasst. Erst durch dieses Zusammenspiel, so argumentiert Ahlhaus schlüssig, würden tatsächlich demokratische Legitimitätseffekte erzeugt (230).

Was (von der Souveränität) bleibt

Insgesamt legt Ahlhaus mit dem konzeptuellen Doppel aus Global Membership Law und Boundary Assembly einen gelungenen und innovativen Entwurf eines an Fraser und Benhabib orientierten „Beitrags zur Mitgliedschaftstheorie“ (67) vor. Auf dem theoretischen Weg zur Boundary Assembly rekonstruiert sie die Referenzmodelle überzeugend, erläutert diese hilfreich an empirischen Fällen und bringt präzise treffende Einwände an. Der kursorische Institutionenentwurf zum Schluss stellt einen selbstbewussten „Vorschlag zur Demokratisierung von Mitgliedschaftsbedingungen“ (13) dar, der eingespielte Intuitionen auf erfrischende Weise zur Disposition stellt. Die globale Verankerung von Staatsbürgerschaftsnormen und die von Ahlhaus beschriebenen Assemblies wirken dabei nur auf den ersten Blick illusorisch. Insgesamt erscheinen sie als stimmige Fortsetzungen eines Konzepts normengeleiteter Politik, die ein tatsächlich demokratisierendes Potenzial im Hinblick auf mitgliedschaftspolitische Verfahren aufweisen und zugleich gegen eine Tendenz zur Renationalisierung internationaler Politik vorgehen. Sie sollten als bemerkenswerte souveränitätskritische Ansätze einer „transformative politics of framing“ gelesen werden, wie sie Fraser vor Augen hat (Fraser 2009: 23).

Sperrig erscheint allerdings die methodologische Diskussion (75–95), auf die der Text immer wieder zurückkommt. Weil diese für die Argumentation insgesamt verzichtbar scheint, wurde sie hier bislang ausgeklammert. Denn selbst wenn Ahlhaus im Rahmen ihrer Kritik letztlich „auch methodische Gründe“ (208) geltend macht, wirken die Verweise – und der fast schon beiläufige Vorschlag einer genuin neuen (!) Methode der „pluralen Rekonstruktion“ (88–94) – eher wie ein separater, in den Text hineingeschobener „Beitrag zur aktuellen Methodendiskussion der politischen Theorie“ (248). Tendenziell haben die Einlassungen zu rekonstruktiven Methoden sogar mehr Potenzial, Zweifel an Ahlhaus’ Untersuchungsrahmen zu wecken, als ihr Anliegen zu stützen. So muss sich Ahlhaus’ Kritik, Habermas, Fraser und Benhabib würdigten entweder die Pluralität der gesellschaftlichen Debatten nicht zur Genüge oder übersetzten die darin enthaltenen Emanzipationspotenziale nicht in (real)politische Alternativvorschläge, in Teilen wie eine Kritik an Ahlhaus’ eigener ‚Fallauswahl‘ lesen. Beispielsweise rührt ja Benhabibs Föderalismuskonzept die Idee von einzelstaatlicher Souveränität und Territorialstaatlichkeit ganz bewusst nicht an (Benhabib 2008: 174).

Insgesamt scheinen gerade die Auswahl der Referenztheoretiker:innen und die rigide Deliberationskonzeption Ahlhaus’ Kritik am Dogma der Souveränität unnötig von vornherein zu beschränken. So bleibt Ahlhaus’ Souveränitätskritik letztlich immer auf die Frage einer empirischen ‚Externalität‘ – nämlich den gegenwärtigen Ausschluss von Nicht-Mitgliedern – bezogen und sieht von der konstitutiven Verflochtenheit von Innen und Außen ab. Hier hätte eine größere Offenheit für poststrukturalistische und postkoloniale Perspektiven gutgetan. Wäre ‚das Fremde‘ als konstitutiver Teil ‚des Selbst‘ anerkannt worden (z.B. Derrida 2001), hätte das ausgemachte ‚Externalitätsproblem‘ nicht nur in der Inklusion des konkreten ‚Anderen‘ bestanden, sondern „in der realen Möglichkeit [d]er Selbstaufhebung“ (Klass 2010: 329). Diese Perspektive hätte also die Tatsache der Mehrdeutigkeit des Selbst, seiner (reflexiven) Veränderung über Zeit und die grundlegende Kontingenz der ‚eigenen‘ Mitgliedschaft stärker ins Gewicht fallen lassen. Damit wäre dann einerseits auch die Kritik der Souveränitäts-„Fiktion“ (10) ins Zentrum getreten (vgl. Loick 2019: 610–613), nicht nur jene des souveränen Ausschlusses. Andererseits wäre zudem stärker zu problematisieren gewesen, ob die bestehenden Demoi überhaupt die legitimen Bezugspunkte der angestrebten Meta-Demoi bleiben können – besonders angesichts von Mehrfachmitgliedschaften (Meine 2018). Darüber, ob Ahlhaus’ Perspektive tatsächlich ‚postsouverän‘ ist, lässt sich vor diesem Hintergrund streiten.

Zuletzt muss sich Ahlhaus fragen lassen, ob sie nicht mitunter hinter den kritischen Anspruch ihrer Protagonist:innen zurückfällt. Das gilt gerade mit Blick auf die von Fraser betonte Dreidimensionalität aus politischer Repräsentation, soziokultureller Anerkennung und ökonomischer Umverteilung (Fraser 2009: 21), schließlich widmet sich Ahlhaus selbst ausschließlich repräsentational-juristischen Fragen. Aber auch der oft gegen ‚ideale‘ Theorien vorgebrachte Vorwurf, dass Machtverhältnisse und soziale Kämpfe nahezu vollständig ausgeklammert bleiben, lässt sich gegen Ahlhaus’ normativen Ansatz anbringen. Fraglich erscheint in diesem Sinne etwa, ob Ahlhaus’ Zwei-Ebenen-Lösung des boundary problems und deren Legitimitätsversprechen nicht eine Abwesenheit tiefgreifender politischer Konflikte voraussetzen, die gerade in mitgliedschaftspolitischen Fragen uneinlösbar erscheint.

Gegen diese grundlegenden Einwände muss hervorgehoben werden, dass Ahlhaus ‚lediglich‘ einen spezifischen, normativ orientierten Teilvorschlag macht, der in ein größeres Setting eingebettet und durch weitere Gleichheit stiftende Politiken komplementiert werden müsste (232f.). Als solcher Teilvorschlag gelesen, ist Ahlhaus ein Entwurf geglückt, der die gegenwärtigen liberalen Demokratien tatsächlich verbessern und zugleich als Gegenstand weiterer demokratischer Kritik dienen kann.

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