Backhaus, Katia Henriette: Nachhaltige Freiheit. Elemente einer ökologischen politischen Philosophie. Frankfurt/New York: Campus 2020. 393 Seiten. [978-3-593-51166-5]

Rezensiert von Kira Meyer (Universität Hamburg)

Bedeutet die Realisierung von Nachhaltigkeit das Ende der liberalen Freiheit? Zumindest ist dies die Angst, welche sich laut Katia Henriette Backhaus in öffentlichen Diskussionen abzeichnet: „Der Schutz der Natur scheint die Freiheit der Menschen zu beschränken.“ (11) Zugleich befinden wir uns damit auf traditionsreichem Gebiet, denn ebendiese Spannung zwischen Mensch und Natur und die Frage danach, in welchen Verhältnis sie zueinander stehen (sollten), zieht sich durch die Philosophiegeschichte. Im Anthropozän bekommt sie eine besondere Dringlichkeit: Der Mensch ist mittlerweile zu einem bestimmenden Faktor geworden ist, der nicht nur von der Natur abhängig ist, sondern diese in hohem Maße beeinflussen und verändern kann. Damit befinden wir uns in einer Situation, die es erforderlich macht, Freiheit neu zu denken, so Backhaus (12).

Seit einigen Jahren rückt der Nexus von Freiheit und Nachhaltigkeit verstärkt in den Fokus der philosophischen Diskussion (Dobson 2009; Fragnière 2016; Hannis 2016) und ergänzt somit eine Debattenlandschaft, die sich Nachhaltigkeit bislang vor allem aus der Perspektive der Gerechtigkeit genähert hat (Dobson 1999; Beckerman/Pasek 2001; Düwell/Bos/Van Steenberg 2018). Katia Henriette Backhaus bereichert diesen langsam erblühenden Forschungszweig nun mit ihrer Verteidigung einer „nachhaltigen Freiheit“ (13), mit der sie zugleich einen Beitrag zur Lösung der aktuellen ökologischen Krise liefern will. Denn das bisher dominante Verständnis von Freiheit, welches „wachstums- und konsumorientiert“ und damit „dezidiert nicht nachhaltig“ sei, kann ihr zufolge als „eine der Ursachen der ökologischen Krise oder zumindest deren Verschärfung gesehen werden“ (17). Daher sei es vonnöten, eine andere Deutung der Freiheit zu entwickeln, die sich nicht im Widerspruch zur Nachhaltigkeit, sondern gerade im Einklang mit dieser befindet: Denn „freies Handeln [darf] nicht in Unfreiheit resultieren“ (365). Dieser Aufgabe nimmt sich Backhaus in sechs Kapiteln an, die ich im Folgenden kurz darstelle, bevor ich drei Schwachstellen ihrer Theorie aufzeige.

Im ersten Kapitel gibt die Autorin einen pointierten empirischen Überblick über den Stand der ökologischen Krise und zeichnet die Entwicklungslinien in der politiktheoretischen und philosophischen Debatte über Nachhaltigkeit nach. Damit untermauert sie zugleich die Notwendigkeit ihres Vorhabens, da nicht nur das Drohszenario dieser Krise, sondern auch die fehlenden Anknüpfungspunkte der grünen politischen Theorie für eine Theorie nachhaltiger Freiheit die Entwicklung letzterer dringend gebieten. Im Rahmen ihres Ansatzes soll das Mensch-Natur-Verhältnis als ein politisches gedacht werden, wodurch sie sich erhofft, Zusammenhänge sichtbar zu machen, die von bisherigen Positionen wie beispielsweise der Öko-Tugendethik oder dem Öko-Liberalismus nicht aufgezeigt wurden (36).

Nach diesen Präliminarien wendet sich die Autorin im zweiten und dritten Kapitel des Buches der Klärung der zwei zentralen Begriffe zu. Im zweiten Kapitel entwickelt sie ihren Begriff einer nachhaltigen Freiheit, bevor sie im dritten Kapitel denjenigen der Nachhaltigkeit unter die Lupe nimmt. In Auseinandersetzung mit der klassischen Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit lotet die Autorin im zweiten Kapitel also aus, welche Kriterien ein akzeptables Konzept von Freiheit erfüllen muss. Aus den „blinden Flecken“ von Konzeptionen positiver und negativer Freiheit – wobei ihre Kritik vor allem der negativen Freiheit gilt – ergeben sich schließlich fünf Kategorien, die ein umfassendes Freiheitsverständnis enthalten muss (84). Dazu zählt erstens das Subjekt der Freiheit sowie zweitens dessen individuelle Absichten oder Ziele. Durch die soziale wie politische Einbettung der Individuen werden diese jedoch beeinflusst, wodurch wir laut Backhaus auf die dritte und vierte Kategorie verwiesen sind: Die „Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit“ ebenso wie Freiheitshindernisse (85). In der Auseinandersetzung mit Charles Taylor, Quentin Skinner und Gerald MacCallum hatte die Autorin zuvor herausgearbeitet, dass es sich dabei um zwei verschiedene Aspekte handelt, von denen üblicherweise nur die Hindernisse beachtet werden. Ihr zufolge sollten jedoch vor allem die freiheitsermöglichenden Bedingungen, ohne welche die Realisierung von Freiheit nicht denkbar ist, in den Mittelpunkt gerückt werden. Als fünfte Kategorie muss der „Status des Freiseins“ dazukommen – Menschen sollen sich also in einem Zustand befinden, in dem sie als Freie angesehen und behandelt werden (86). Insbesondere die zweite und dritte Kategorie des umfassenden Freiheitsverständnisses, also die individuellen Ziele sowie die Bedingungen der Möglichkeiten von Freiheit, sind der Grund, weshalb Backhaus Konzepte negativer Freiheit ablehnt. Denn klassischerweise schließen Vertreter negativer Freiheit beides aus ihrer Definition von Freiheit aus, beziehungsweise erachten die genannten Aspekte gar nicht erst für relevant.

Nachdem Backhaus diese fünf Kategorien eines umfassenden Freiheitsverständnisses herausgearbeitet hat, entwickelt sie im weiteren Verlauf des zweiten Kapitels ihr eigenes Konzept der nachhaltigen Freiheit. Dieses umfasst drei Elemente: Erstens die Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit, zweitens Freiheitspotentiale sowie drittens Freiheitsakte (87f.). Der Zusammenhang zwischen diesen lautet wie folgt: Sind die Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit gegeben, so werden den Menschen somit zugleich bestimmte Freiheitspotentiale eröffnet, die sie durch das Handeln aus freien Stücken realisieren (89). Von der Freiheit einer Person kann demnach erst dann gesprochen werden, wenn sie ein Potential in einem Akt verwirklicht hat (90). Hier schließt sich Backhaus der Einsicht von Charles Taylor an, dass die bloße Möglichkeit für Freiheit nicht genügt und es immer auch um ihre Verwirklichung gehen muss. Denn nur so könne garantiert werden, dass alle Hindernisse, die womöglich erst im Laufe der Realisierung hervortreten, auch wirklich beseitigt werden (113). Allerdings dürfe Freiheit nichts erlauben, „was gegen den Erhalt ihrer eigenen Bedingungen wirkt“ – denn ein Freiheitsakt, der seine eigenen Voraussetzungen abschafft, sei sinnlos (112). Positiv gewendet bedeutet dies, so Backhaus, dass ihr Freiheitsverständnis in einem zweifachen Sinne nachhaltig ist: Zum einen nimmt es mit den Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit die „ökologisch-nachhaltige Bedingtheit als Teil der Freiheit“ in den Blick (113). Dementsprechend wird Natur auch nicht als ein vorpolitischer Raum, sondern im Gegenteil als Teil der politischen Welt angesehen (92). Zum anderen ist es nachhaltig, da es durch die Verknüpfung von Freiheitspotentialen und -akten zur „Aufrechterhaltung und Stärkung des jeweiligen Freiheitspotentials, das realisiert wird, beiträgt“ (116). Auch in diesem Sinne sorgt die Freiheit also für ihren eigenen Erhalt.

Das dritte Kapitel wendet sich gegen die Verkürzung des Nachhaltigkeitskonzepts auf den Begriff der nachhaltigen Entwicklung. Während Nachhaltigkeit sich über das Mensch-Natur-Verhältnis definiert, welches zugleich aus politischer, ökonomischer und moralischer Perspektive in den Blick genommen wird, bedeutet die Idee der nachhaltigen Entwicklung einen „Bruch“ mit der Begriffsgeschichte der Nachhaltigkeit (143). Denn die Idee der nachhaltigen Entwicklung, welche beispielsweise im sogenannten Brundtland-Bericht oder der Agenda 21 festgehalten ist, betrachte Mensch-Natur-Verhältnis stets unter einem anthropozentrischen Blickwinkel: Das menschliche Wohlergehen und dessen Verbesserung hätten dabei Priorität, wie an der Fokussierung auf Armutsbekämpfung und Entwicklungshilfe deutlich werde. Natur werde lediglich als Quelle für die Bedürfnisbefriedigung von aktuellen und zukünftigen Menschen betrachtet (132). Deshalb könne mit dem Begriff der nachhaltigen Entwicklung das Verhältnis vom Menschen zur Natur nicht angemessen in den Blick bekommen werden (129) – es gehe im Gegenteil vor allem um das Mensch-Mensch-Verhältnis (141). Daher plädiert Backhaus dafür, den Begriff der Nachhaltigkeit anstatt denjenigen der nachhaltigen Entwicklung zu verwenden (145).

Im Folgenden schließt sich die Autorin einem schwachen Anthropozentrismus an und versteht dementsprechend Menschen als die zentralen, verantwortlichen Akteur*innen der politischen Realisierung sowie normativen Akzeptanz der Idee der Nachhaltigkeit (161). Schwach anthropozentrisch ist diese Position insofern, als dass sie die Menschen aufgrund dieser spezifischen Eigenschaften dennoch nicht an die Spitze einer hierarchischen Ordnung stellt. Die „einfachste moralische Pflicht“, welche Menschen gegenüber der Natur haben, ist es, die Natur nicht mutwillig und ungerechtfertigt zu zerstören, beziehungsweise einer solchen Zerstörung entgegenzuwirken (162). Konkretisiert werden die von der Nachhaltigkeit erlaubten Handlungsspielräume durch die Etablierung eines „normativen Mindeststandards der Nachhaltigkeit“. Dieser gibt die „ökologische Untergrenze für politisches und ökonomisches Handeln in Bezug auf die Natur“ an (166) und zielt im Kern darauf ab, irreversible Schädigungen der Natur zu vermeiden (174). Durch den normativen Mindeststandard der Nachhaltigkeit sollen also die externen, natürlich gegebenen Voraussetzungen Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit1 auch für die Zukunft gesichert werden, beispielsweise das Vorhandensein von ausreichend nicht-verschmutztem Wasser. Dadurch werden zugleich die legitimen Freiheitspotentiale festgelegt, denn nur diejenigen Potentiale sollen dann in Freiheitsakten verwirklicht werden, die nicht gegen den Mindeststandard verstoßen.

Laut Backhaus kommt der Natur aufgrund ihrer Natürlichkeit und Andersartigkeit ein Selbstwert zu (182). Daher sollten die Bedürfnisse nichtmenschlicher Lebewesen auch gleichwertig mit denen menschlicher Lebewesen behandelt werden (174). Auf der Grundlage dieser Perspektive auf den Wert der Natur muss zudem das Zerstörungs-Verbot von Natur um eine Rechtfertigungspflicht ergänzt werden. Sollte eine Schädigung natürlicher Entitäten möglich oder absehbar sein, muss eine Rechtfertigung für diese vorgebracht werden (183). Diese Pflicht wird von Backhaus als „Prinzip der Umkehr der Begründungslast“ ausbuchstabiert, welches in moralischen sowie ethisch-politischen Diskursen Anwendung finden soll (190). Demnach müssen nicht länger Nachhaltigkeits-Verfechter*innen, sondern deren Gegner*innen ihre Position oder Forderungen rechtfertigen (189). Dadurch, so erhofft sich die Autorin, könnte womöglich ein Wandel zu einer anderen Perspektive auf, und einem anderen Umgang mit der Natur angestoßen werden (192).

Nach diesen begrifflichen Vorarbeiten wendet sich die Autorin im vierten Kapitel vertieft dem ersten Element ihrer Freiheitskonzeption – den Bedingungen der Möglichkeit einer nachhaltigen Freiheit – zu. Darin zieht sie eine Unterscheidung zwischen existentiellen und den von Menschen geschaffenen Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit ein. Erstere entwickelt sie ausgehend von Hannah Arendts Existenzphilosophie und derer Ideen von Natalität und Pluralität. Dementsprechend zählen zu den existenziell gegebenen Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit interne, angeborene Eigenschaften und Fähigkeiten (218): Das „Vermögen, Freiheit zu erfahren“, die „Fähigkeit, vernünftig zu begründen“ sowie die „Tatsache, dass Menschen natürliche Wesen sind und deshalb ein Teil der Natur sind“ (251). Die von Menschen geschaffenen Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit hängen für Backhaus eng mit der Konstituierung einer normativen politischen Ordnung zusammen (224). Hierbei stützt sie sich auf die kontraktualistischen Ansätze von Hobbes und Rousseau, da die Freiheit, deren Bedingungen der Möglichkeit von Menschen geschaffen werden stets „des negativen Gegenbilds einer ›natürlichen‹ Freiheit“ bedürften, um diese Bedingungen zu legitimieren (250). Diese von Menschen geschaffenen Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit, zu denen beispielsweise Institutionen wie der Bundestag oder aber Gesetze zählen, bilden zusammen mit natürlich gegebenen Voraussetzungen „externe“ Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit (255). Beide Bedingungskomplexe, die internen wie die externen, müssen zusammen in den Freiheitsbegriff einbezogen werden (262; 290).

Da die Autorin jedoch großen Wert darauf legt, dass Freiheit auch praktisch realisiert werden muss und es nicht reicht, sich bloß ihren Ermöglichungsbedingungen zuzuwenden, fokussiert sie im fünften Kapitel auf die Freiheitspotentiale und -akte, und somit auf das zweite und dritte Element ihrer nachhaltigen Freiheit. Diese Untersuchung führt sie anhand von zwei Beispielen durch, welche das konfliktträchtige Verhältnis zwischen derzeitig verbreiteten Vorstellungen von Freiheit und ihrem Konzept nachhaltiger Freiheit deutlich machen sollen: Zum einen geht es um die Abholzung des Regenwaldes als Beispiel für die Freiheit des Unternehmers, zum anderen um emissionsstarke Autos – hier repräsentiert von einem Porsche – und damit beispielhaft um die Konsumentenfreiheit. Damit will die Autorin unterstreichen, was sie bereits als These an den Beginn des Buches gestellt hatte: dass die Ursachen der ökologischen Krise auch in einem nicht nachhaltigen Freiheitsverständnis zu finden sind (293). Sie kommt zu dem Fazit, dass es „möglich ist, die durch die geforderte Einhaltung eines ‚normativen Mindeststandards‘ der Nachhaltigkeit entstehenden zusätzlichen Freiheitshindernisse politisch zu verhindern oder abzuschaffen“ (361). Mit Blick auf die Konsumentenfreiheit hält sie eine Einschränkung für legitim – solange gesichert ist, „dass den Menschen ausreichend viele verschiedene Freiheitsakte zur Verfügung stehen, um ihr privates Freiheitspotential zu realisieren“ (349). Durch die nachhaltige Freiheit und die damit einhergehenden Erfordernisse sieht sie also keine Gefahr für die Freiheit heraufziehen – selbst, wenn damit bestimmte Einschränkungen, wie beispielsweise das Verbot der Abholzung von Regenwald-Hölzern für den Unternehmer, einhergehen würden (361–362).

Das sechste Kapitel resümiert und gibt einen Ausblick. Der kritische Gehalt sowie die deliberative Anknüpfungsfähigkeit der nachhaltigen Freiheit werden darin als eine Stärke des verteidigten Konzeptes nachhaltiger Freiheit betont (377). Durch die große Bedeutung von vernünftigen Begründungen, welche durch den normativen Mindeststandard der Nachhaltigkeit und dem Prinzip der Umkehrung der Begründungslast mit ihrer Theorie einhergeht, werde zugleich der Stellenwert von deliberativer Politik und der politischen Teilhabe der Bürger*innen betont (380). Als besonders wichtigen Bereich, der im Rahmen des Buches nicht behandelt werden konnte, benennt die Autorin institutionelle Fragestellungen wie beispielsweise die Ausgestaltung der „rechtlichen Ordnung einer nachhaltigen politischen Ordnung“ (360) und konkreter politischer Strukturen (377).

Die Stärke des Buches liegt darin, bestehende Vorschläge zur Konzeptualisierung von Freiheit vor dem Hintergrund der ökologischen Krise weiterzudenken und damit den Boden für die so wichtige Ausarbeitung einer nachhaltigen und somit zeitgemäßen Theorie der Freiheit aufzubereiten. Backhaus’ Vorschlag einer Theorie nachhaltiger Freiheit hat jedoch drei gravierende Schwächen, die ich im Folgenden kurz benennen möchte.

(1) Die erste Schwachstelle hängt damit zusammen, dass Backhaus den Wert der Natur und der daraus resultierenden normativen Implikationen für unser Handeln nicht ausreichend diskutiert. Zwar nimmt sie zu beidem Stellung, allerdings bleiben zentrale Fragen offen. So postuliert sie den intrinsischen Wert und die Selbstzweckhaftigkeit der Natur, doch die Begründung dieser starken und normativ folgenreichen Wertung stützt sich lediglich auf eine Erläuterung von Goodins Argument bezüglich der Natürlichkeit sowie Andersartigkeit von Natur (178–180). Warum aber sollte Natürlichkeit, oder wie Goodin es auch nennt, die Originalität von Natur wertvoll sein? Was genau an ihr ist es, was sie gegenüber der Künstlichkeit abhebt? Zudem geben diese beiden Kriterien keinen hinreichenden Maßstab für den richtigen Umgang mit der Natur an die Hand: Ein Stein und ein Schwein sind beide natürlich und andersartig – ihnen kommt laut Backhaus also gleichermaßen intrinsischer Wert sowie Selbstzweckhaftigkeit zu. Sollen wir sie also gleich behandeln? Das erscheint zweifelhaft, jedoch haben wir mit Backhaus’ Theorie der nachhaltigen Freiheit keine Möglichkeit, zwischen Steinen und Schweinen zu differenzieren. Auch der normative Mindeststandard der Nachhaltigkeit, der im Rahmen ihrer Theorie beantwortet, welche normativen Implikationen die zuvor genannte Perspektive auf Natur hat, hilft uns dabei nicht weiter: Denn durch ihn sind wir lediglich angehalten, die Natur nicht irreversibel zu schädigen. Dass der normative Mindeststandard als Entscheidungshilfe nicht weit trägt, zeigt meines Erachtens auch die spätere Ergänzung um einen Maßstab der Legitimität von Freiheitseinschränkungen, welcher besagt, „dass den Menschen ausreichend viele, verschiedene Freiheitsakte zur Verfügung stehen, um ihr privates Freiheitspotential zu realisieren“ (349). Was aber bedeutet „ausreichend viele, verschiedene Freiheitsakte“ und woran wird das festgemacht? Gerade da es Backhaus um die praktische Realisierung von nachhaltiger Freiheit und damit auch um die Einsetzbarkeit ihrer Theorie in der Praxis geht, hätte man sich hier konkretere Auskünfte gewünscht. So bleibt der Eindruck, dass mit dem normativen Mindeststandard und den zugrundeliegenden normativen Annahmen über den Wert der Natur nicht genügend Trennschärfe einhergeht und diese ihrer Aufgabe, handlungsleitende Maßstäbe zu sein, nicht gerecht werden können.

(2) Eine zweite Schwachstelle betrifft die Bedingungen der Möglichkeit nachhaltiger Freiheit und damit die Grundlagen ebendieser: Sowohl mit Blick auf die internen wie auch auf die externen Bedingungen bleiben theoretische Vorannahmen unklar beziehungsweise werden nicht ausreichend expliziert. Zur Erinnerung: Zu den internen Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit gehört laut der Autorin auch die „Tatsache, dass Menschen natürliche Wesen sind und deshalb ein Teil der Natur sind“ (251). Aufgrund welcher Eigenschaft Menschen aber als natürliche Wesen gelten dürfen, führt sie nicht weiter aus. An dieser Stelle wäre ein Rekurs auf die Leiblichkeit des Menschen, aufgrund welcher er überhaupt erst Teil der Natur ist, hilfreich gewesen. Der Beachtung solcher gerade nicht auf die Vernünftigkeit ausgerichteter Aspekte scheint die rational-diskurstheoretische Ausrichtung von Backhaus’ Theorie jedoch im Wege zu stehen. Das wird auch am zweiten Aspekt der internen Bedingungen der Freiheit deutlich: Hierbei hebt sie „die Fähigkeit, vernünftig zu begründen“ hervor (251). Es kommt ihr darauf an, „dass Menschen in der Lage sein sollten, ihre angeborene Fähigkeit zur Vernunft, die die Fähigkeit zu moralischer Überlegung einschließt, sowie ihre Handlungsfähigkeit zu schulen und zu entfalten.“ (105–106) An dieser Aufzählung wird nochmals deutlich, dass ein übermäßiger Fokus auf dem Menschen als animal rationale liegt und sie den Aspekt, dass Menschen natürliche Wesen sind, zwar als Teil der Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit benennt, selbst jedoch nicht wirklich ernst nimmt. Ansonsten müsste die Aufzählung derjenigen Fähigkeiten, die zu entfalten gerade auch für die Freiheit des Menschen wichtig ist, auch Emotionen, Sinneswahrnehmungen oder soziale Beziehungen, die für uns als leibliche Wesen nicht nur am Anfang des Lebens unabdingbar sind, umfassen.

Zu den externen Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit zählt Backhaus unter anderem die von Menschen geschaffene, normative politische Ordnung. In diese soll die nachhaltige Freiheit eingebettet sein; der politische Charakter der Freiheit wie auch der Natur stellt, wie gezeigt wurde, den Wesenskern von ihrer Theorie dar. Gerade aufgrund dieser herausragenden Bedeutung der normativen politischen Ordnung, die sie als eine notwendigerweise demokratische bezeichnet (177), erscheint die fehlende kritische Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit Demokratien (überhaupt) in der Lage sind, Nachhaltigkeit zu realisieren, besonders problematisch. Schließlich gibt sie selbst zu bedenken: „Auch die Frage, ob die Demokratie die beste Staatsform ist, um der ökologischen Krise zu begegnen, taucht in der Literatur immer wieder auf.“ (94) Und ergänzt: „Öko-diktatorische und öko-autoritäre Ansätze von vornherein auszuschließen ist also wichtig, aber nicht immer einfach.“ (194) Diese wichtige Diskussion und die damit verbundene Deckung eine ihrer wichtigsten Voraussetzungen bleibt jedoch aus, die Leserin muss sich mit dem Hinweis begnügen: „Vertreter_innen der green political theory verteidigen die Demokratie aus normativen Gründen entschieden.“ (ebd.)

(3) Eine dritte Schwachstelle von Backhaus’ Theorie der nachhaltigen Freiheit ergibt sich hinsichtlich des Mensch-Natur-Verhältnisses. Die Autorin hebt vor allem auf dessen politischen Charakter ab: Wie oben dargelegt wurde, gilt ihr Natur als politischer Raum, die nachhaltige Freiheit versteht sie vor allem als eine politische Freiheit. Damit einher geht einerseits ein ‚Kleinreden‘ der Bedeutung der privaten Freiheit. So schätzt sie „Entscheidungen, die mit Blick auf die privaten Freiheitspotentiale getroffen werden“ als „alltäglich und subjektiv“ ein und ergänzt: „Diese Charakterisierung betont zudem ihre begrenzte Reichweite im Vergleich zu den politischen Freiheitspotentialen“ (346). Es stellt sich hier die Frage, ob die Autorin nicht die Reichweite privat realisierter Freiheit unterschätzt. Um ihr Porsche-Beispiel aufzugreifen: Würden nicht immer mehr Privatpersonen emissionsstarke Fahrzeuge von immer größeren Ausmaßen kaufen, wären die CO2-Emissionen des Verkehrssektors in Deutschland um einiges niedriger. Ohne Frage ist und bleibt die politische Regulierung ein unverzichtbares und überaus wirkungsmächtiges Instrument – dies soll durch meine Kritik gar nicht abgesprochen werden. Doch die Bedeutsamkeit individueller, im privaten Raum getroffener Entscheidungen erscheint bei genauerem Hinsehen doch größer, als Backhaus zugestehen mag.

Trotz dieser drei Schwachstellen ihrer Theorie nachhaltiger Freiheit hat Backhaus mit ihrer Untersuchung einen wertvollen Beitrag zu einem fruchtbaren neuen Debattenfeld geleistet. Für die Ausgestaltung, Begründung und Verteidigung einer zeitgemäßen Theorie nachhaltiger Freiheit hat sie somit einen wichtigen Grundstein gelegt, der jedoch noch von seinen Schwachstellen bereinigt werden muss, um eine solide Theorie nachhaltiger Freiheit zu gewährleisten.

Literatur

Beckerman, Wilfred / Pasek, Joanna: Justice, Posterity and the Environment. Oxford: Oxford University Press, 2001.

Fragnière, Augustin. „Ecological Limits and the Meaning of Freedom: A Defense of Liberty as Non-Domination.“ In: De Ethica. A Journal of Philosophical, Theological and Applied Ethics 3.3 (2016), 33–49.

Dobson, Andrew (Hg.): Fairness and Futurity: Essays on Environmental Sustainability and Social Justice. Oxford: Oxford University Press, 1999.

Dobson, Andrew: Freedom and Dependency in an Environmental Age. In: Social Philosophy & Policy, 26.2 (2009), 151–172.

Düwell, Marcus / Bos, Gerhard / Steenberg, Naomi van (Hg.): Towards the Ethics of a Green Future. The Theory and Practice of Human Rights for Future People. Abingdon/New York: Routledge, 2018.

Hannis, Michael. Freedom and Environment. Autonomy, Human Flourishing and the Political Philosophy of Sustainability. Abingdon / New York: Routledge, 2016.


  1. Diesen Terminus führt sie erst im vierten Kapitel ein, ich werde diesen weiter unten näher erläutern.↩︎

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