Burgbacher, Astrid: Moralische Intuition. Eine Annäherung an einen mentalen Zustand. Paderborn: mentis 2018. 353 Seiten. [978-3-95743-123-3]

Rezensiert von Cyrill Mamin (Universität Luzern)

Auf moralische Intuitionen wird sowohl im Alltag als auch in der akademischen Philosophie oft rekurriert. Dabei stellt sich insbesondere die Frage nach dem rechtfertigenden Status moralischer Intuitionen. Liefern sie grundlegende Erkenntnisse, taugen sie gar als Fundament ethischer Theorien? Bevor diese Fragen angegangen werden, sollte ein Schritt zurückgetreten und untersucht werden, was moralische Intuitionen sind.

Dieser Aufgabe widmet sich Astrid Burgbacher in ihrer Monografie, welche auf einer an der Universität Duisburg-Essen eingereichten Dissertation beruht. Auf äußerst kenntnisreiche, präzise und überzeugende Weise untersucht Burgbacher Natur und Genese moralischer Intuitionen. Zunächst charakterisiert sie moralische Intuitionen anhand ihrer spezifischen intentionalen und phänomenologischen Merkmale. An entscheidenden Stellen nimmt sie hierbei Bezug auf Millikans Teleosemantik. Darauf folgt eine profunde Auseinandersetzung mit Prinz’ Emotionstheorie, welche die Autorin zu einem Modell der Genese reaktiver Emotionen weiterführt. Da Burgbacher (anklagende) moralische Intuitionen mit reaktiven Emotionen identifiziert, ist damit schließlich die Genese moralischer Intuitionen erklärt.

Im Folgenden werde ich einige zentrale Inhalte der einzelnen Kapitel hervorheben und diskutieren. Nach der Einleitung nähert sich Burgbacher im zweiten Kapitel ihrem Untersuchungsgegenstand anhand von repräsentativen Beispielen moralischer Intuitionen an. Auch grenzt sie den weiteren Fokus auf anklagende moralische Intuitionen ein. Dabei handelt es sich um Intuitionen einer unbeteiligten Beobachterin, welche sich auf einen moralbezogenen Fall richten und in denen „eine ablehnende Bewertung substantieller Art zum Ausdruck kommt“ (45). Als ein Beispiel dafür schildert Burgbacher die Intuition, die sie nach dem Sehen eines TV-Beitrags zur Tierschlachtung hat: „Der Anblick dieses Sachverhalts löste in mir unmittelbar den Eindruck aus, dass diese Praxis des Schlachtens zutiefst empörend, falsch, ja zutiefst unmoralisch ist“ (34). Ausgehend von diesem und ähnlichen Beispielen arbeitet Burgbacher auf überzeugende Weise die Merkmale (anklagender) moralischer Intuitionen heraus: Spontaneität, starke Glaubhaftigkeit, evaluativer Charakter, Bezug auf einen Inhalt, distinkter Erlebnischarakter und motivationale Kraft.

Eine Frage, welche Burgbacher nicht behandelt, soll an dieser Stelle kurz angesprochen werden: Zeigt eine anklagende moralische Intuition tatsächlich das Anzuklagende an? Angesichts der zahlreichen psychologischen Befunde zur Fehleranfälligkeit von Intuitionen im Allgemeinen (zum Überblick siehe z.B. Kahneman 2012) kann dies für moralische Intuitionen wohl kaum gewiss sein. Ich werde auf diesen Punkt zurückkommen.

Die angesprochenen Merkmale des Inhaltsbezugs und der motivationalen Kraft sowie des distinktiven Erlebnischarakters führen Burgbacher zu jeweils ausführlichen Untersuchungen der Intentionalität (Kapitel 3) sowie der Phänomenologie (Kapitel 4) moralischer Intuitionen.

Bezüglich der Intentionalität stellt Burgbacher fest, dass moralische Intuitionen sowohl eine Geist-zu-Welt- als auch eine Welt-zu-Geist-Passung haben. Sie stellen einerseits „eine Art von moralischem Wissen“ (93) bereit und verfügen andererseits über motivationale Kraft. Dichotome Deutungen, wie diejenige eines Überzeugungs-Wunsch-Paares, weist Burgbacher für den Fall moralischer Intuition zurück. „Vielmehr sind die darstellenden und motivierenden Aspekte untrennbar im Erlebnischarakter der Erfahrung verwoben“ (103). Somit haben Intuitionen Burgbacher zufolge eine Sui-generis-Intentionalität und lassen sich z.B. nicht auf Überzeugungen reduzieren. Für eine nähere Bestimmung des intentionalen Doppelcharakters erweist sich Ruth Millikans Teleosemantik, und hier insbesondere Millikans Konzept der Pushmi-Pullyu-Repräsentation, als hilfreich. In dieser evolutionär basalen Repräsentationsform „wird etwas gleichzeitig auf eine Weise repräsentiert, die nicht zwischen direktiv und deskriptiv unterscheidet“ (126, Hervorhebung im Original).

Aus Burgbachers ungemein kenntnisreicher Erörterung und Anwendung der Millikanschen Teleosemantik sei nur ein Element herausgegriffen: Millikans Repräsentationstheorie unterscheidet zwischen Produzenten- und Konsumentenmechanismen. Die Produzenten-Konsumenten-Unterscheidung findet sich sowohl subjektintern als auch in der Kommunikation zwischen Subjekten. Dieses Theorieelement trifft sehr gut auf moralische Intuitionen zu, wie Burgbacher plausibel aufzeigt. So wird einerseits durch Millikans Theorie klar, inwiefern moralische Intuitionen einen Pushmi-Pullyu-Charakter für das Subjekt haben können, ohne dass sie sprachlich artikuliert werden müssten. Andererseits können auch die Zuhörenden als Konsumenten gelten, insofern die moralische Intuition sprachlich artikuliert wird. In diesem Fall richtet sich der direktive Charakter „auch auf andere Nutzer: nämlich an alle potentiellen Hörer bzw. Rezipienten der Aussage“ (135).

Einen möglichen Einwand gegen Burgbachers intentionale Analyse sehe ich in Bezug auf die Verhältnisbestimmung zwischen moralischer Intuition und Überzeugung. Zwar ist Burgbacher darin zuzustimmen, dass Intuitionen nicht vollständig auf Überzeugungen reduziert werden können. Dies zeigt sich daran, dass wir manchmal Intuitionen haben, die unseren Überzeugungen zuwiderlaufen (Burgbacher nennt dies die „kontra-rationale Hartnäckigkeit“ von Intuitionen, 65). Dennoch haben wir oft Überzeugungen im Blick, wenn wir von moralischen Intuitionen sprechen (z.B. paraphrasierbar als: „Ich habe die Intuition, dass diese Schlachtungsmethode grausam und falsch ist“). Dass in solchen Fällen die Intuition von der Überzeugung separiert werden kann, wie etwa die Wahrnehmung von einer Wahrnehmungsüberzeugung, ist zweifelhaft. Während ich eine (phänomenal allenfalls neutrale) Wahrnehmungsüberzeugung auf eine Wahrnehmung zurückführen kann, scheint im Fall der intuitiven Überzeugung bereits diese Überzeugung die intuitionsspezifische Phänomenologie aufzuweisen: Es fühlt sich auf eine bestimmte Weise an, eine derartige Überzeugung zu haben.

Burgbacher geht davon aus, dass Intuitionen von Überzeugungen unabhängige mentale Zustände sui generis sind. Entsprechend bindet sie die phänomenalen Eigenschaften strikt an solche Sui-generis-Zustände, wogegen sie annimmt, „dass bewusste Überzeugungszustände keine distinkten phänomenalen Eigenschaften haben“ (103). Aufgrund der angesprochenen Disanalogie zur Wahrnehmung scheint es mir dagegen plausibler, Überzeugungen eine Phänomenologie zuzugestehen (vgl. Pitt 2004). Eine solche Auffassung kann zu einer Explikation von ‚Intuition‘ führen, welche als Referenten dieses Begriffes einerseits nichtpropositionale mentale Prozesse und Zustände, andererseits propositionale Intuitionen feststellt. Bei den propositionalen Intuitionen wäre weiter zu unterscheiden zwischen intuitiven Überzeugungen und „Intuitionen, dass p“, welche Überzeugungen des Subjektes entgegenstehen. In jedem Fall wären die phänomenalen Merkmale auf der Ebene der propositionalen Intuitionen angesiedelt.

Im Gegensatz dazu scheint Burgbachers Sui-generis-Konzeption von Intuitionen und die spätere Identifikation von Intuition und Emotion vorauszusetzen, dass phänomenale Merkmale einer Intuition bereits auf der Ebene des nicht-propositionalen psychologischen Prozesses bestehen. Für diese entscheidende Weichenstellung wäre angesichts der erwähnten Bedenken eine explizite Argumentation der Autorin wünschenswert.

Die angesprochene Zuordnung phänomenaler Merkmale zur nicht-propositionalen Ebene der Repräsentation setzt sich in Kapitel 4 („Zur Phänomenologie moralischer Intuitionen“) fort. Hier kommt Burgbacher auf das Merkmal des distinkten Erlebnischarakters zurück. Auf Grundlage der Teleosemantik präzisiert sie den Erlebnischarakter als repräsentationales Vehikel, „welches nach bestimmten Abbildungsregeln vom repräsentationsproduzierenden System gebildet wird. Demgemäß müsste der Erlebnischarakter eine bestimmte Strukturierung aufweisen, die mit der Struktur des Repräsentierten korrespondiert“ (161).

Die Rede von einer Strukturierung des Erlebnischarakters erschließt sich mir nicht vollständig. Als Beispiel für eine solche Strukturierung führt Burgbacher Millikans Beispiel des Bienentanzes an, in welchem die Bewegungsabläufe der Biene die Richtung, Entfernung und Qualität der Nahrungsquelle anzeigen. Durchaus nachvollziehbar kann in diesem eine komplexe Repräsentation gesehen werden, deren Strukturierung isomorph zu den Verhältnissen in der Welt ist. Doch laut Burgbacher soll nicht bloß der Erlebnisinhalt die entsprechende Struktur aufweisen (Repräsentation), sondern der Erlebnischarakter selber (Phänomenologie). Unter dem Erlebnischarakter einer moralischen Intuition verstehe ich das „wie-es-ist“, eine solche Intuition zu haben. Nun ist unklar, wie dieses „wie-es-ist“ strukturiert sein, und noch viel mehr, wie dessen Struktur mit einer Struktur der Welt korrespondieren soll. Zwar deutet Burgbacher die Richtung an:

Der phänomenale Charakter wird als Einheit erlebt, dennoch sind analytisch einzelne Bestandteile (Qualia) separierbar. In der introspektiven Analyse kann man sich der einzelnen Quale insbesondere durch Abgrenzung zu anderen Qualia bewusst werden. (167)

Bei diesem Vorschlag bleiben zwei Aspekte jedoch unbeleuchtet: erstens das Verhältnis zwischen den einzelnen Bestandteilen (Qualia) und dem Gesamterleben und zweitens die Isomorphie zwischen den Qualia-Relationen und den Relationen in der Welt. Es darf ja nicht bloß um die Struktur des repräsentationalen Inhalts gehen, sondern die Strukturiertheit muss sich auf das Erleben selber bzw. dessen einzelnen Komponenten beziehen.

Diese Differenzierung zwischen repräsentationalem Inhalt und Erleben scheint Burgbacher auch im Fortgang nicht vornehmen zu wollen. Ihre weiteren Thesen zur Phänomenologie moralischer Intuitionen, für die die Autorin präzise argumentiert, erscheinen aber unabhängig davon plausibel.

Zunächst zur These des affektiv-intentionalen Gefühlscharakters: Moralische Intuitionen haben diese Phänomenologie mit Gefühlen gemeinsam. „Affektiv-intentional“ bedeutet hier beispielsweise: „Mein emotionales Gefühl repräsentiert das Ereignis als auf eine bestimmte Weise seiend und gleichzeitig als von mir nicht gewünscht“ (168). Dadurch haben emotionale Erfahrungen einen „gerichteten Gefühlscharakter“ (171), welcher sich aus einer für die jeweilige Emotion spezifischen Mischung einzelner Erlebnisqualitäten ergibt. Diese umfassen körperliche Qualia (z.B. bei Angst: die „zugeschnürte Kehle“), Valenz-Qualia (Angst fühlt sich unangenehm an), motivationale Qualia (Angst fühlt sich so an, dass ich das Beängstigende vermeiden möchte), und weitere emotionsspezifische Qualia (das „Angstgefühl“).

Weiter zeigt die Autorin anhand von Beispielen, dass auch moralische Intuitionen den genannten Gefühlscharakter aufweisen. Außerdem weist sie zu Recht darauf hin, dass moralische Intuitionen bedeutende weitere Gemeinsamkeiten mit Emotionen haben, so etwa die rationale Unerklärbarkeit ihrer Herkunft. Durch die phänomenologische Gemeinsamkeit rückt Burgbacher moralische Intuitionen bereits in große Nähe zu moralischen Emotionen, was den Boden für die Identifikation von Intuition und Emotion im zweiten Teil der Studie bereitet.

Burgbachers zweiter phänomenologischen These zufolge sind moralische Intuitionen mit einem Objektivitätseindruck verbunden. Anhand der analysierten Beispiele wird klar:

Es ist in allen diesen Fällen Teil des Erlebens, dass das, was man erlebt, tatsächlich so ist: In der Erfahrung erlebt man das qualvolle Schlachten der Rinder als wirklich unmoralisch. So, wie ich den Baum vor mir als objektiv grüne Blätter und einen robusten Stamm habend sehe, so erlebe ich […] die Tötungshandlungen der Schlachter als objektiv unmoralisch seiend, d. h. als objektiven Sachverhalt in einer von mir unabhängigen Welt. (194f.)

Dieser Befund ist weitgehend nachvollziehbar. Allerdings schiene mir plausibler, beim eingangs festgestellten Merkmal der starken Glaubhaftigkeit zu bleiben, statt auf Objektivität zu rekurrieren. Auf die Phänomenologie gemünzt ließe sich hier z.B. von einem „Gewissheitseindruck“ sprechen. Bei der visuellen Wahrnehmung eines Gegenstandes wie im Baum-Beispiel scheint die Rede von einem Objektivitätseindruck klar: ich unterstelle ein Objekt in der Außenwelt. Doch was ist das Objekt in der Außenwelt, welches ich bei einer moralischen Intuition unterstellen würde? Was solche „moralischen Objekte“ sein könnten, ist unklar, insbesondere vor dem Hintergrund einer Position wie derjenigen Burgbachers, welche sich von Auffassungen distanziert, wonach rationale Intuition als eine Art intellektueller Wahrnehmung metaphysischer Objekte gelten könnte. Daher wäre es wohl besser, bei der ähnlichen, aber doch zu unterscheidenden These der erlebten Gewissheit zu bleiben. Verbalisiert könnte dies etwa heißen: „Ich habe ganz stark das Gefühl, bzw. es scheint mir kaum bezweifelbar, dass das Schlachten der Tiere falsch ist“. Wohlgemerkt bleibt hier offen, ob das Schlachten der Tiere tatsächlich falsch ist, so wie mit Burgbachers Vorschlag des Objektivitätseindrucks offen bleibt, ob ein diesem Eindruck entsprechender Gegenstand besteht.

Burgbachers für den Fortgang der Untersuchung zentraler Befund, wonach „eine starke Ähnlichkeit zwischen moralischen Intuitionserfahrungen und emotionalen Erfahrungen“ (212) besteht, bleibt in jedem Fall überzeugend.

In Teil II ihrer Untersuchung wendet sich Burgbacher der Frage nach der Entstehung moralischer Intuitionen (ihrer mentalen Genese) zu. Die Untersuchung der mentalen Genese soll dabei insbesondere dem Ziel dienen, „weitere Erkenntnisse über den Bewertungsaspekt moralischer Intuitionen zu gewinnen“ (219). Dieses Vorhaben kann Bedenken hervorrufen. So ist sicherlich umstritten, ob eine Untersuchung der Genese moralischer Intuitionen deren normative Geltung untermauern kann. Hier zeigt sich erneut Burgbachers naturalistische Haltung, zu welcher sie sich bereits am Anfang der Untersuchung bekannt hat. Doch auch wer mit diesem Naturalismus nicht einverstanden ist, kann in Burgbachers Analysen wertvolle Einsichten zur Genese moralischer Intuitionen finden; bloß wäre damit ihr normativer Status noch nicht festgestellt.

Die genetische Analyse des zweiten Teils dient Burgbacher dazu, die wohl wichtigste These des Buches zu untermauern. Dieser zufolge lassen sich moralische Intuitionen auf moralische Emotionen reduzieren:

Als erstes Ergebnis ist festzuhalten, dass anklagende moralische Intuitionserfahrungen mit reaktiven Emotionserfahrungen gleichgesetzt werden können. Letztere weisen alle Eigenschaften auf, welche in Teil I der Arbeit als charakteristisch für erstere ausgewiesen wurden. Darüber hinaus kann der skizzierte Geneseprozess einige dieser Eigenschaften erklären (317)

Als Basis für die genetische Untermauerung der Reduktionsthese (Intuition = Emotion) dient Burgbacher Jesse Prinz’ teleosemantische Theorie moralischer Emotionen. Nachdem die Autorin einige begründete Anpassungen an Prinz’ Theorie vorgenommen und den Fokus weg vom Subjektbezug und hin zum Wohlergehen anderer gerichtet hat, kann sie vor diesem theoretischen Hintergrund die anklagenden moralischen Intuitionen plausibel mit bestimmten moralischen Emotionen identifizieren. Einige ausgewählte Aspekte aus Burgbachers Argumentation zur mentalen Genese und hierbei insbesondere zur Identifikation von moralischen Intuitionen mit Emotionen möchte ich im Folgenden herausgreifen.

Im fünften Kapitel diskutiert Burgbacher Prinz’ Theorie der Genese moralischer Emotionen. Prinz zufolge sind Emotionen „Wahrnehmungszustände von körperlichen Veränderungsmustern“ (226). Sie repräsentieren dadurch zentrale, d.h. für das Wohlergehen relevante Beziehungen zwischen Subjekt und Umwelt. Aufgrund eines Ereignisses wird zunächst eine bestimmte Kalibrationsdatei aktiviert, welche dem jeweiligen Emotionstyp zugrunde liegt und Informationen über die Verknüpfung von Auslöseereignis und körperlichem Veränderungsmuster enthält. Neben der Wahrnehmung dieses Veränderungsmusters umfasst die Emotion in Prinz’ Modell einen Valenzmarker, welcher „eine Art Metabewertung der verkörperten Wertung“ zum Ausdruck bringt und dadurch als „eine Art innerer Befehl dafür, bestimmte Zustände behalten bzw. loszuwerden“ (233) fungiert, wie Burgbacher nachvollziehbar erklärt.

Nach einer detaillierten Diskussion von Prinz’ Theorie und überzeugenden Modifikationen daran kommt Burgbacher zum Zwischenresultat, dass „Prinz’ Theorie eine gute Grundlage für ein an Millikan angelehntes Modell bestimmter Emotionstypen“ (257) darstellt. Während die Autorin im ersten Teil mit Millikan für die Pushmi-Pullyu-Intentionalität von moralischen Intuitionen argumentiert, charakterisiert sie im zweiten Teil Emotionen gleichermaßen als Pushmi-Pullyu-Repräsentationen. Nach den Gemeinsamkeiten zwischen Intuitionen und Emotionen in Bezug auf deren wesentliche Eigenschaften (Teil I) dient diese Gemeinsamkeit als weiterer Anhaltspunkt für die Reduktion von Intuitionen auf Emotionen.

Um die Reduktion von Intuitionen auf Emotionen weiter zu untermauern, diskutiert Burgbacher im sechsten Kapitel, wie die bisher auf ich-gerichtete Emotionen bezogene genetische Beschreibung auf fremd-gerichtete Emotionen erweitert werden kann. Nach Darstellungen und Abwägungen einschlägiger empirischer Befunde kommt sie zum Schluss, dass Prinz’ Theorie der moralischen Emotionen diese Erweiterung leisten kann. Die Erweiterung setzt bei den bereits erwähnten Kalibrationsdateien an. Im Gegensatz zu basalen ich-bezogenen Emotionen sind moralische Emotionen vorwiegend durch komplexe und kulturelle, d.h. durch Lernprozesse erworbene Konzepte kalibriert.

Die damit eingeführte „Idee, dass anklagende moralische Intuitionen Manifestationen reaktiver moralischer Emotionstypen sein könnten“ (288), verfolgt Burgbacher im inhaltlich abschließenden siebten Kapitel weiter, indem sie ihr eigenes Modell der mentalen Genese moralischer Intuitionen entwickelt. Aus den Ergebnissen der beiden vorangegangenen Kapitel leitet sie zunächst ein teleosemantisches Modell der mentalen Genese moralischer Emotionserfahrungen ab. Demnach entstehen moralische Emotionen als Reaktionen auf bestimmte Inputs, die aufgrund ihrer Übereinstimmung mit gespeicherten Kalibrationsdateien ein repräsentationales Vehikel (Millikan, siehe oben) aktivieren, welches als Emotion erfahren wird. In Abgrenzung zu Prinz bestimmt Burgbacher dieses emotionale Vehikel als intentional gerichtet, was durch eine zusätzliche mentale Verbindung des Vehikels mit der auslösenden Repräsentation realisiert wird. Dadurch entsteht eine komplexe Repräsentation. „Diese repräsentiert ein bestimmtes Ereignis / eine bestimmte Handlung als diejenige Werteigenschaft habend, für welche der Emotionstyp steht“ (319).

Bilanzierend zeigt Burgbacher auf, dass moralische Emotionserfahrungen viele Merkmale mit moralischen Intuitionserfahrungen teilen (u.a. Pushmi-Pullyu-Intentionalität, spontanes Auftreten, Glaubhaftigkeit, kontra-rationale Hartnäckigkeit, substantieller Wertungsaspekt). Dies erlaubt den Schluss auf die erwähnte These, wonach anklagende moralische Intuitionserfahrungen identisch mit bestimmten moralischen Emotionserfahrungen sind. Burgbacher verdeutlicht dies anhand ihrer Beispiele u.a. wie folgt:

Die moralische Intuition, dass der reiche Vermieter unmoralisch handelt, wäre demnach identisch mit der Emotion der Empörung hierüber. Und die moralische Intuition, dass der Inzest von Julie und Mark falsch ist, bestünde in einer moralischen Emotionserfahrung des Abscheus gegenüber dem Inzest. (305)

Diese Gleichsetzung erlaubt Burgbacher, die oben beschriebenen Ergebnisse zur Genese moralischer Emotionen auf die Genese moralischer Intuitionen zu übertragen.

Als weitere Konsequenz aus dem genetischen Modell Burgbachers ergibt sich, dass „der Wertungsaspekt anklagender moralischer Intuitionen sui generis ist“ (326). Im Unterschied zu moralischen Überzeugungen beziehen moralische Intuitionen ihren Wertungsaspekt nicht aus rationalen Schlussfolgerungen und sind dadurch von diesen Überzeugungen inferentiell isoliert. Überzeugend entwirft Burgbacher in allen Feinheiten das Bild eines alternativen Mechanismus, der auf Basis „genetischer, individueller und kultureller Einflüsse“ (326) ebenso Wertungen bereitstellt wie rationales Schlussfolgern. Dies führt dazu, dass die Ergebnisse der beiden Mechanismen – moralische Intuitionen vs. moralische Überzeugungen – miteinander in Konflikt geraten können. Es ist eine Stärke von Burgbachers Ansatz, dass sie die Herkunft dieses bekannten Konflikts auf eine differenzierte genetische Analyse der moralischen Intuition bzw. Emotion zurückführen kann.

Eine offene Frage sei zum Schluss erwähnt: Burgbacher hält fest, dass ihr Ansatz nicht auf eine bestimmte ethische Theorie wie etwa den Intuitionismus festgelegt ist. Dennoch stellt sich die Frage, wo sich ihr Ansatz in Bezug auf solche Theorien verorten lässt. Die traditionelle Hoffnung, moralische Intuitionen als Fundamente ethischer Begründungen heranziehen zu können, wird durch die Ergebnisse von Burgbachers Untersuchungen in Frage gestellt. Indem sie neben biologischen zu Recht auch individuelle und kulturelle Einflüsse in der Genese moralischer Intuitionen feststellt, ergibt sich die relevante moralische Intuition aus einem kontingenten Zusammenspiel der genannten Faktoren und scheint stark variieren zu können, was zu ihrer Anfälligkeit für diverse kognitiven Verzerrungen beitragen dürfte. Die Folge davon wäre, dass „moralische Intuitionen“ im Sinne Burgbachers, die moralisch äußerst fragwürdig sind, häufig vorkommen.

Burgbacher bezieht ihre Analysen auf Beispiele moralischer Intuitionen, die wenig umstritten scheinen (z.B. Verwerflichkeit der Folter, grausame Tierschlachtung). Doch wie würde sie etwa „moralische“ Intuitionen einschätzen, die auf rassistischen biases beruhen? Stellt ihr Ansatz Möglichkeiten bereit, nicht nur zu beschreiben, wie wir intuitiv werten, sondern das intuitive Werten selber zu bewerten? Eine deutlichere Positionierung der Autorin zu dieser Frage wäre wünschenswert.

Welche normative Tragweite können moralische Intuitionen haben, wenn sie mit moralischen Emotionen identisch sind? Diese Frage bleibt also am Ende von Burgbachers Abhandlung offen. Dies ist jedoch nicht Burgbachers äußerst umfassender, präziser und erhellender Studie anzulasten, welche ihr Ziel – eine plausible Erklärung des Wesens und der Genese moralischer Intuitionen zu geben – vollumfänglich erreicht.

Literatur

Kahneman, Daniel. Schnelles Denken, langsames Denken. Übers. von Thorsten Schmidt. Berlin: Suhrkamp, 2011.

Pitt, David. „The Phenomenology of Cognition or ,What Is It Like to Think That P?‘“ Philosophy and Phenomenological Research 69.1 (2004), 1–36.

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