Schürmann, Eva: Vorstellen und Darstellen. Szenen einer medienanthropologischen Theorie des Geistes. Paderborn: Wilhelm Fink 2018. 293 Seiten. [978-3-7705-6337-19]

Rezensiert von Theresa Eisele (Universität Wien)

Vorstellen und darstellen: Die Philosophin Eva Schürmann begibt sich in ihrer Publikation auf die Spur dieser beiden Tätigkeiten und schließt so an frühere Arbeiten zur Visualität und Wahrnehmungstheorie an (vgl. u.a. Schürmann 2002). Sie nimmt dabei nicht nur zwei große Handlungsmodi sozialer menschlicher Existenz in den Blick, sondern befragt auch deren Verhältnis und ihre verschiedentlichen Dimensionen über disziplinäre Grenzen hinweg. Schürmann interessiert sich dafür, wie Darstellungspraxen unsere Welt prägen und präsentiert einführend ihre das Buch leitende Hauptthese: Darstellen sei eine „Verfahrensweise des Geistes“ (9), die Vorstellungen artikuliere und „geistige Auffassungsweisen“ wahrnehmbar mache. Vorstellungen und Darstellungen sind damit wechselseitig verwoben, sie bedingen sich gegenseitig – als „gleichursprüngliche Vergegenwärtigungsleistungen des Bewusstseins“ (9). Gerade diese wechselwirkende Verwobenheit der Tätigkeiten des Vor- und Darstellens birgt bei Schürmann das reizvolle Versprechen, wir könnten über die kritische Analyse von Darstellungen unseren Denk- und Sichtweisen auf die Welt näherkommen. Dementsprechend wirbt die Publikation für eine analytische Durchdringung von Darstellungsstrategien als „Gebot der praktischen Vernunft“ (22). Die theoretische Diagnose soll letztlich einen verständigen Umgang mit Darstellungen ermöglichen und gleichfalls unsere Vorstellungen, Deutungen und Perspektivierungen von Welt sicht- und verstehbar machen.

Schürmann arbeitet damit an einer Philosophie in „therapeutisch-kritischer Absicht“ (22), die sie medienanthropologisch perspektiviert und exemplarisch anlegt. Der Fokus auf die mediale Dimension erlaubt einerseits – so legt Schürmann dar – die Tätigkeiten des Vor- und Darstellens um eine dritte, verschränkende Dimension zu erweitern, andererseits verspricht diese Dreierkonstellation einen Ausweg aus binären Gegenüberstellungen zwischen Subjekt und Objekt, Selbst und Welt – Dichotomien also, die im Sprechen über Darstellen und Vorstellen selbst stets angelegt sind. Darüber hinaus scheint der medienanthropologische Blick nur folgerichtig, wenn es um die Annäherung an Vorstellungen und Darstellungen geht, deren Produkte und Formate doch, etwa bei Darstellungen im Film, medial vermittelt sind. In diesem Sinn ist die Publikation interdisziplinär und exemplarisch angelegt, sie vollzieht nicht allein eine philosophische Begriffsgeschichte, sondern unterfüttert und entfaltet ihre Argumentation anhand von Beispielen aus der künstlerischen Praxis.

In sieben, schlüssig aufeinanderfolgenden Kapiteln vollzieht Schürmann ihr Argument zwischen Begriff und Exempel. Während in den ersten drei Kapiteln Begriffsklärungen unternommen werden (Was heißt Darstellen? Was heißt Vorstellen? Was heißt Repräsentieren?), zielen die folgenden Kapitel auf methodische Konsequenzen oder auf die konkrete Anwendung philosophischer Erkenntnis ab; in diesem Sinn schließt das Buch mit einem Plädoyer für die medienkritische Urteilskraft.

Bereits in den ersten drei Kapiteln verknüpft Schürmann ihre Annäherungen an die für sie zentralen Begriffe vom Darstellen, Vorstellen und Repräsentieren mit konkreten Beispielen, sogenannten „Szenen“: Ingmar Bergmanns Film Persona dient zur Darlegung des „Paradigmas des Darstellens“, der französische Filmklassiker Letztes Jahr in Marienbad (F/I 1961) von Alain Resnais exemplifiziert Verfahrensweisen des Vorstellens und Diego Velàzquez’ Gemälde Las Meninas (1656, Museo del Prada) dient schließlich dazu, das „Paradigma des Repräsentierens“ (100) zu veranschaulichen. Die Publikation bewegt sich damit im Spannungsverhältnis zwischen einer exemplarischen und einer generalistischen Vorgehensweise, zwischen Beispielhaftigkeit und Paradigma. Sie nimmt einzelne künstlerische Auseinandersetzungen zum Exempel, um daran typische Merkmale bzw. die „gemeinsamen Formierungsprinzipien all dieser Darstellungsformen“ (13) beschreiben zu können. Im ersten Kapitel werden dementsprechend Grundstrukturen und Eigenschaften des Darstellens herausgestellt – etwa die Differenz von Dargestelltem und Darstellendem sowie die Medialität und Aspekthaftigkeit von Darstellungen: Diese, so Schürmann, vergegenwärtigten etwas Abwesendes, sie vermittelten Wirklichkeit stets ausschnittweise und aus einer bestimmten Perspektive – und sie seien mit dem „vorstellenden Geist wie auch der dargestellten Welt“ gleichermaßen verschränkt (33). Die im ersten Kapitel hergeleitete Verschränkung führt letztlich zur These, dass sich Vorstellungen in Darstellungen manifestieren und umgekehrt also Darstellungen „Entäußerungen von Auffassungsweisen“ sind.

Die Darlegung dieser Zusammenhänge gelingt im zweiten Kapitel (Was heißt Vorstellen?) auf besondere Weise und mit Hilfe des Films Letztes Jahr in Marienbad, der folgerichtig auch das Cover der Publikation bebildert. Schürmann deutet den Film, seine Handlung, Kameraführung und Regie als eine „Selbstthematisierung des Bewusstseins“ (77), anhand derer evident werde, was Amélie Rorty als „Mind in Action“ beschrieben hat. Der Film veruneindeutigt systematisch, was Wahrnehmung oder Erinnerung, was Vorstellung oder Darstellung, was Fakt, Fiktion oder Erwartung ist – und verdeutlicht nach Schürmann damit die Aktionsmodi unseres Geistes. Diese Aktionsmodi arbeitet die Autorin mit Kant, Fichte, Hume und Schopenhauer aus und exemplifiziert sie anhand des Films. Während Kant und Fichte als Kronzeugen dafür dienen, dass die Einbildungskraft die Wirklichkeit gleichzeitig vorfindet und erschafft, folgt Schürmann Hume in der Unterscheidung von Eindrücken (impressions) und Vorstellungen (ideas) und Schopenhauer in der Aufwertung des Vorstellungsbegriffs als „Weltbestimmungs-Begriff“ (57). Sie arbeitet die Schnittmengen und fließenden Übergänge des Vorstellens und Wahrnehmens heraus und findet deren szenische Figuration im Film von Alain Resnais.

Im Folgekapitel, das sich mit der Repräsentation als Darstellungsweise befasst, verfährt die Publikation ähnlich: sie arbeitet anhand eines Beispiels – dem Velàzquez-Gemälde Las Meninas, das Sehen und Zeigen, Akteure und Zuschauer ineinanderschiebt, – zentrale Aspekte menschlicher Darstellungsmodi aus, wobei Selbstdifferenz erneut als bestimmendes Strukturmoment positioniert wird. Da Repräsentationen für etwas stehen, mit dem sie selbst nicht identisch sind, vergegenwärtigen sie etwas außerhalb ihrer selbst. Anhand der zahlreichen Ebenen des Gemäldes von Velàzquez werden zudem Intentionalität, Aspekthaftigkeit und das „Problem der Interpretation“ von Darstellungen zum Thema. Ihren Befund, dass Darstellungen immer auch Ergebnis von Interpretation und Erzählung sind, bespricht Schürmann als Freiheit und Gefahr zugleich – ein Spannungsverhältnis, das die Folgekapitel durchzieht.

Kapitel vier beschäftigt sich mit den Konsequenzen der zuvor erarbeiteten Intentionalität; Edmund Husserl hilft bei der weiteren Unterscheidung von Auffassungsakt und -weise und Ludwig Wittgensteins „Ideenbrillen“ (114) machen nochmals verstehbar, dass wir die Welt stets aus einem bestimmten Blickwinkel und unter spezifischen Aspekten wahrnehmen. Mit Hilfe der Leibnizianischen Monadologie (als „Gründungstext des philosophischen Perspektivismus“, 119) bespricht Schürmann schließlich Perspektivität und Aspekthaftigkeit der wahrgenommenen Welt sowie der Sichtweisen auf sie. Dabei bieten Leibniz’ Monaden in mehrfacher Hinsicht spannende Denkanstöße: Sie sind ein „Pluriversum von Blicken, Vorstellungen und Perspektiven“ (124) und unterlaufen damit den cartesianischen Dualismus. Gleichzeitig thematisiert Leibniz mit ihnen die menschliche Stellung in der Welt und innerhalb einer multiperspektivischen Wirklichkeit, ohne dabei einem fatalistischen Relativismus zu erliegen.

Genau diesen Punkt macht Schürmann stark, indem sie mit Leibniz Möglichkeiten aufzeigt, die Aspekthaftigkeit von Weltwahrnehmung sowie die Subjektivität des Vor- und Darstellens anzuerkennen und aus der Freiheit, Standpunkte einzunehmen, ein gesteigertes Erkenntnispotential zu ziehen. Denn, so Schürmann, dass sich die menschliche Perspektive auf die Welt dynamisch ändern könne, heiße nicht, dass nicht mehr zwischen besseren und schlechteren, angemessenen und weniger angemessenen Standpunkten unterschieden werden könne. Es gelte vielmehr, die Standpunkte nicht als beliebige Wahl, sondern als kontext- und situationsabhängig, als Teil des menschlichen In-der-Welt-Seins zu betrachten. Die so analysierten Standpunkte sind dann die Voraussetzung für Erkenntnis. In diesem Sinn hat Reinhart Kosselleck den Perspektivismus als „erkenntnistheoretischen Durchbruch“ (128) gefeiert und Volker Gerhardt die epistemische Perspektive überhaupt untrennbar mit dem „Erkenntnisakt“ (128) verbunden.

Die Konsequenz aus der Verschränkung von pluralen Perspektiven und Erkenntnis führt Schürmann zu ihrem ursprünglichen Anliegen zurück, nämlich Vor- und Darstellungen (in ihrer perspektivischen Charakteristik) analytisch zu durchdringen und damit auch Standpunkte zu erlangen, „mit denen man politisch, praktisch oder therapeutisch leben“ kann (132).

Dementsprechend schließt das Buch mit Szenerien der Historiographie und des Gerichts, anhand derer Praktiken des Stellung-Beziehens, Entscheidens und des Einstehens für einen Standpunkt diskutiert werden. Damit wendet sich das Buch von den künstlerischen Beispielen ab und hin zu nicht primär ästhetischen Praktiken des sozialen Miteinanders. Auch in den historischen und juridischen Szenerien entdeckt Schürmann ein Spannungsverhältnis zwischen Wahrheitsanspruch und Interpretationsleistung, anhand dessen sie wiederum fragt, wie die Multiperspektivität auf die Welt anerkannt werden kann, ohne dabei Standpunkte der Willkür anheim zu geben. Konsequenterweise schließen die letzten Seiten mit einem Plädoyer für die mühevolle Operation, darstellerische Praxis so detailliert wie möglich zu befragen und damit eine selbstbestimmte Urteilskraft zu praktizieren.

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Schürmann entfaltet ihr Argument überzeugend Kapitel für Kapitel. Dennoch können die einzelnen Teile – wie der Untertitel „Szenen einer medienanthropologischen Theorie des Geistes“ bereits vorschlägt – auch separat gelesen werden und auf anregende Weise dazu beitragen, dass ein philosophisch informierter, interdisziplinärer Dialog über das Vor- und Darstellen entsteht. Dafür ist die Argumentation des Buchs durch ihre sprachliche Klarheit besonders geeignet. Schnittpunkte zu anderen Disziplinen, etwa zur anthropologisch oder kulturhistorisch ausgerichteten Theater-, Film- und Medienwissenschaft, sind im Gegenstand des Buchs bereits angelegt und werden im Lauf der Lektüre weiter ausdifferenziert. Manche Anknüpfungs-, aber auch Abgrenzungspunkte benennt die Autorin selbst: So grenzt sie sich etwa von der Narrativitätsphilosophie oder einer essentialistisch betriebenen philosophischen Anthropologie ab, andere Schnittmengen ergeben sich abhängig vom Lesepublikum. Vom Standpunkt der kulturwissenschaftlich orientierten Theaterhistoriographie sind die Ausführungen zur Monadologie etwa gewinnbringend; haben diese doch stellenweise das Nachdenken jener Fachrichtung geprägt, die sich damit von einer teleologischen Reformtheatergeschichtsschreibung abzuwenden suchte. Die Vergleiche, die Schürmann zwischen Quantenphysik und dem Leibnizianischen Perspektivismus zieht, ähneln wiederum dem Bestreben der Leipziger Theatergeschichtsforschung, Schauspiel, historische Anthropologie und physikalische Erkenntnis zusammenzubringen (vgl. u.a. Koch 2012). Das mehrfache Plädoyer für kontextualisierende und historisierende Herangehensweisen dürfte aus vielerlei Blickwinkeln anschlussfähig sein. Der strukturelle Vergleich von Monaden und Kunstwerken, den Schürmann im Anschluss an Adorno vorschlägt, lohnt ebenso die interdisziplinäre Diskussion: Qualifizieren sich Kunstwerke notwendig und immer als „Darstellung einer Vorstellung“ bzw. als „Sichtbarmachung einer Sichtweise auf ihren Gegenstand“ (127)?

Dass Schürmann ihr Anliegen, geistige Auffassungsweisen sichtbar zu machen, mit dem Buch selbst in die Tat umsetzt, zeigt sich im Kapitel zu „Medialität und Anthropologie“. Darin unternimmt die Autorin eine „diskursive Selbstverortung“ (137) ihrer Theorie des Vor- und Darstellens und benennt disziplinäre und theoretische Anschlüsse, bspw. an die Kulturphilosophie und Medienanthropologie. Mit ihrer „medienphilosophischen Standortbestimmung“ situiert sie ihr Buch als medienanthropologische Perspektive auf die Tätigkeiten des Vor- und Darstellens – und unterbreitet dabei den Vorschlag, die Selbstdifferenz des Menschen, die sich zwischen Körper und Leib, Person und Rolle auftut, als „ursprüngliche Medialität“ (143) zu denken. Aus Sicht der Theaterwissenschaft wird immer wieder diskutiert, wie Medialität für Fragen des Schauspielens, des Darstellens von Rollen und des Spielens oder Zeigens von Figuren brauchbar gemacht werden kann, sodass Schürmanns medienanthropologischer Vorstoß hier anregend einzubringen wäre.

Zentral für einen Dialog zwischen philosophischem und theaterwissenschaftlichem Nachdenken über Darstellungen scheint aber nicht zuletzt die Frage nach dem von Schürmann angelegten Schauspielbegriff zu sein. So treffen die Beispiele aus dem Bereich des Schauspiels meist nur für ein spezifisches, oft veristisch begriffenes Spiel zu. Die Annahme, ein Schauspieler mache die von ihm dargestellte Figur nur „in dem Maße anwesend, indem er selbst dahinter verschwindet und vice versa“ (38), klammert verschiedentliche Schauspieltraditionen des Zeigens, des Rhetorischen, des Virtuosen oder des Performativen aus; aus theaterwissenschaftlicher Sicht genauer zu befragen wäre ebenso die tendenziell theaterfeindliche Unterscheidung von Darstellung und Spektakel in Bezug auf Guy Debord (36, vgl. hier weiterführend Warstat 2018) oder die Differenz von Darstellung und Ausdruck am Beispiel des Schauspiels (148). Die Diskussion dieser Fragen und das Ringen um ein gemeinsames Verständnis zwischen den Disziplinen schmälert gleichfalls nicht die Errungenschaften von Schürmanns medienanthropologischen Szenen; sie können vielmehr zur Schärfung von Begrifflichkeiten wie zur vertiefenden Erkenntnis beitragen.

Literatur

Koch, Maria. „‚Contraria sunt complementa‘. Von den Gegensätzen in der kleinen und großen Welt.“ In Akteure und ihre Praktiken im Diskurs. Aufsätze, hg. von Corinna Kirschstein und Sebastian Hauck, 267–286, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2012.

Schürmann, Eva. Erscheinen und Wahrnehmen. Eine vergleichende Studie zur Kunst von James Turrell und der Philosophie Merleau-Pontys. Paderborn: Wilhelm Fink, 2000.

Warstat, Matthias. Soziale Theatralität. Die Inszenierung der Gesellschaft. Paderborn: Wilhelm Fink, 2018.

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