John, Emanuel: Die Negativität des Sittlichen. Zur Überwindung des ethischen Leides. Freiburg/München: Karl Albers 2019. 344 Seiten. [978-3-495-49059-4]

Rezensiert von Raphael Gebrecht (Universität Duisburg-Essen)

Die Frage, inwieweit abstrakte, philosophische Bestimmungen eines ethisch anzustrebenden höchsten Guts überhaupt für die komplexen unterschiedlichen Lebensrealitäten sämtlicher Individuen verbindlich sein können, ist zweifellos eines der zentralen Probleme, die die praktische Philosophie seit Platon begleiten. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob derartige Überlegungen über allgemeine sittliche Prinzipien in der Lage sind, einzelnen Menschen in ihren alltäglichen Sorgen, Konflikten und Leiden dahingehend eine Orientierung zu geben, dass sie durch eine dezidiert ethische Auseinandersetzung ihre individuell verschiedenen Probleme und sittlichen Dilemmata auch überwinden können.

Beiden Fragen widmet sich Emanuel John in seiner Dissertation Die Negativität des Sittlichen. Er vertritt die These, dass nur im Ausgang von einer Person und deren ethischer Subjektivität, die in der Lage ist, im eigenen Klagen über Leid den Widerspruch zwischen Allgemeinem und Besonderem zu begreifen, eine Vermittlung zwischen grundlegenden ethischen Prinzipien und individuellen Differenzen geleistet werden kann (19).

Die systematische Einheit beider Perspektiven liegt für John in unserem sittlichen Bewusstsein, das einerseits mit konkreten lebensweltlichen Konflikten und Leiden konfrontiert ist, die eine individuelle Bewältigung verlangen, andererseits aber auf der Suche nach einer verbindlichen Antwort einen Prozess durchläuft, der im praktischen Vollzug ein Verständnis des allgemein Guten herausbildet. Durch kritische Reflexion auf eine ethische Idealvorstellung kann ein Bewusstsein von praktischen Problemen entwickelt werden, ohne ein positiv bestimmtes allgemeines Prinzip oder einen zu realisierenden eudämonistisch konzipierten Endzweck bereits vorauszusetzen (224, 228). Da für John aber weder rein formale Prinzipien, die von singulären Erfahrungen einzelner Personen absehen, noch individuelle Bewältigungsstrategien, kulturelle Traditionen oder technisch-ökonomische Entwicklungen für eine grundsätzliche Überwindung ethischen Leids in Frage kommen, konzipiert er einen Ansatz, der sich als Form „negativer Metaphysik“ versteht (17). Diese Denkweise soll allerdings keinen klassisch metaphysischen Standpunkt artikulieren, der etwa von einer bestimmten, a priori festgelegten Natur des Menschen überhaupt ausgeht, sondern in Form einer negativen Ethik expliziert werden, die von einzelnen Personen und deren Leidenserfahrungen einerseits, sowie deren Freiheit zum Bösen und der daraus resultierenden Gefahr verletzt zu werden andererseits ausgeht. Genau diese Auseinandersetzung führt nach John zu der Herausbildung eines Bewusstseins für sittliche Konflikte, dessen Form und begrifflicher Vollzug einen Lösungsansatz und ein Vermittlungsprinzip zwischen beiden sich scheinbar widersprechenden Prinzipien liefert (10).

Johns Untersuchung fokussiert sich auf drei zentrale, miteinander in Verbindung stehende Gebiete der Ethik, die in zwei Teilen abgehandelt werden. Der erste Teil (25–177) befasst sich mit dem Anfangspunkt der philosophischen Reflexion auf das ethisch Gute und liefert eine kenntnisreiche Darlegung, die unter Rückgriff auf antike und zahlreiche klassische Positionen (Aristoteles, Hume, Kant und Hegel) empiristischer sowie metaphysisch fundierter Ethikkonzeptionen zu dem Schluss kommt, dass keine der beiden Auffassungen für sich betrachtet dem komplexen Lebensvollzug und einer Überwindung sittlicher Widersprüche und Leiden gerecht werden kann.

Daraus resultierend befasst sich der zweite Teil (181–317) mit der Bewusstseinsform der Person und deren negativer Einsicht in abstrakte äußere Moralprinzipien, die den individuellen Wünschen und Erfahrungen nicht gerecht werden können und somit eine andere Lösungsstrategie fordern. Denn weder eine metaphysisch konzipierte Ethik, die von einer unreflektierten schlechthin festgelegten Natur der Dinge ausgeht, die besondere menschliche Handlungen bestimmen soll, noch ein sich in den Einzelheiten verlierender empiristischer Ethikskeptizismus, der aufgrund phänomenaler Mannigfaltigkeit die Allgemeinverbindlichkeit ethischer Ansprüche negiert, kommt nach John zu einer befriedigenden Antwort auf die genannten Probleme. In eigenständiger und systematisch anspruchsvoller Analyse zeigt der Autor, dass nur eine Synthese der beiden vorangegangenen Standpunkte eine grundlegende Analyse sittlichen Verhaltens und eine damit verbundene Bewältigung ethischer Herausforderungen ermöglichen (226).

Der empiristisch geprägte ethische Skeptizismus verweilt dem Autor zufolge, um mit Hegel zu sprechen, in abstrakter Negation zu allen als verbindlich erachteten ethischen Prinzipien, solange er nicht in eine produktive Beziehung zu einem höchsten Gut gesetzt wird, die sich als kritische Reflexion rein äußerlicher Normen versteht und die subjektiven Umstände in ihre Überlegungen einbezieht. Diese Vorgehensweise erinnert an den schon von Hegel in der Phänomenologie des Geistes bemühten Ansatz eines „sich vollbringenden Skeptizismus“, der durch bestimmte Negation nicht in allgemeiner Skepsis verharrt, sondern unhaltbare Ansprüche zurückweist und prospektiv nach plausibleren Lösungsvorschlägen und einem Fortschritt in der Wahrheitsfindung sucht. Als unhaltbare Ansprüche identifiziert der Autor unter anderem etwa dogmatisch gesetzte Bestimmungen eines schlechthin existenten Wesens der Natur, dem sich die menschliche Entscheidungsfindung in allen Belangen unkritisch unterzuordnen habe (21, 120).

Der erste Teil bemüht sich daher in drei Kapiteln um die Zurückweisung falscher Ansprüche sowohl auf subjektivistischer als auch auf metaphysisch verallgemeinernder Seite, und liefert eine kritische Diskussion der Möglichkeit, die konstitutive Form des sittlichen Lebens darzustellen, in dem das allgemeinverbindlich ethisch Gute zum Ausdruck kommt. Im ersten Kapitel (25–69), das den Anfangspunkt philosophischer Reflexion auf das ethisch Gute bestimmen soll, behandelt der Autor eine Vielzahl allgemein-normativer Geltungsansprüche und deren Bedeutung für den partikularen Lebensvollzug einzelner Personen. Die Frage nach der Genesis des Anspruchs auf Allgemeinheit und die damit in Beziehung stehende kritische Reflexion eines ethisch höchsten Guts steht hier im Mittelpunkt der Analyse. Dieses höchste Gut ist nach John aufgrund der Mannigfaltigkeit der Lebensentwürfe nicht in der Lage, einen umfassenden, sittlichen Zweck zu bestimmen, der einen verbindlichen, für alle einsehbaren Geltungsanspruch formuliert (102).

Das zweite Kapitel (70–119) fokussiert sich aus inverser, immanenter Perspektive auf den Zusammenhang partikularer, individualethischer Lebensvollzüge, mit dem ethischen Anspruch auf generelle und unbedingte Verbindlichkeit eines sittlichen Ideals (77, 80). Sowohl Kants Endzweckgedanke eines höchsten Guts als auch Hegels Begriff der Sittlichkeit werden von John als Möglichkeiten einer produktiven Synthese zwischen Besonderem und Allgemeinem herangezogen, weisen aber für ein umfassendes Verständnis dieses Zusammenhangs „sowohl in seiner substantiellen als auch in seiner formalen Deutung Erklärungslücken auf“ (20).

Ausgehend von diesen immanenten Erklärungslücken, die sich aus dem zweiten Kapitel ergeben, geht das dritte Kapitel (120–177) auf den synthetisierenden Ansatz einer negativen Ethik ein, die den Widerspruch zwischen Hegels Begriff der Sittlichkeit und den sittlichen Praktiken der Einzelpersonen verständlich machen soll. Die Differenz zwischen freier und vernünftiger Selbstbestimmung eines jeden Einzelnen in Relation zu einem Anderen, und einem normativen Allgemeinanspruch wird hier zurecht als weiteres zentrales Problem zur Sprache gebracht, das sich vor allem in der Freiheit der Person ausdrückt, die sich in ihrem Verhalten auch gegen eine bestimmte ethische Norm entscheiden kann. Als Begründung dieser Dissonanz verweist John unter Rekurs auf den aristotelisch geprägten Privationsbegriff sowie Kants und Arendts Analysen des Bösen auf die Möglichkeit der Fehlbarkeit und Verletzlichkeit einzelner Personen, die als Einsicht in die Negativität der Ethik zur „causa efficiens“ ethischer Fragestellungen avanciert (154, 163).

Der zweite Teil befasst sich, ausgehend von der negativen Einsicht in die Unvollkommenheit traditioneller Ethikkonzeptionen sowie der Realität ethischen Leides, mit der Darlegung der Bewusstseinsform vom ethisch Guten im Lebensvollzug einer Person und der Entfaltung eines in der Reflexions- und Diskursfähigkeit der Individuen begründeten Lösungsansatzes, der stellenweise an Habermas und Apel und deren kommunikations- bzw. diskurstheoretische Konzeptionen erinnert, sich aber entschieden davon abgrenzt (277, 279).

Das vierte Kapitel (181–226) diskutiert das Bewusstsein ethischen Leides mit Bezug auf die Verletzlichkeit und Fehlbarkeit von Personen. John sieht in diesem Bewusstsein und der damit verbundenen Möglichkeit des Ausdrucks sittlichen Leides die Quelle für die ethische Dimension praktischer Probleme, Konflikte und Widersprüche, die auf eine Vorstellung eines allgemeinverbindlich Guten verweisen, ohne eine positive Bestimmung desselben bereits vorauszusetzen (213). Die Subjektivität der Person wird auch im Kontext kulturell oder sozial motivierter Gewohnheiten sowie institutionell-gesellschaftlicher Implikationen diskutiert, woraus ein konkreter normativer Bezugspunkt entwickelt wird, der mit der individuellen Person und ihren Umständen in Verbindung tritt (201).

Daran anknüpfend behandelt das fünfte Kapitel (227–282), wie aus ethischem Leid ein Bewusstsein entwickelt werden kann, das praktische Probleme und Konfliktsituationen zum Gegenstand argumentativer Auseinandersetzung macht, die dazu führt, dass Leid hervorrufende Handlungen praktisch negiert werden können. Hierfür zieht John neben Anscombe vor allem Modelle der Sprechakttheorie Austins heran, die argumentative Sprechakte als perlokutive Interventionen verstehen, die verletzenden Handlungen präventiv zuvorkommen können (235, 249). Die motivierende Rechtfertigung für die Negation verletzender Praktiken liegt für John nicht in der Akzeptanz formal gesetzter Bedingungen, etwa eines „transzendentalen“ Diskurshorizonts Habermas’scher oder Apel’scher Prägung (275), sondern in der solidarischen Anerkennung des jeweils Anderen als gleichermaßen verletzliche und fehlbare Person, wodurch der Begriff der Würde und der Humanität als intersubjektive Begründungsinstanz fruchtbar gemacht wird (280, 282). Dieses reziproke Bewusstsein ethischen Leids wird über den Begriff der solidarischen Interaktion auf politische Institutionen angewandt. Dadurch verweilt die Analyse nicht im Bereich der Individualethik, sondern erörtert eine gesellschaftliche Dimension – die Beziehungen zwischen Einzelnem und Allgemeinheit.

Das sechste Kapitel (283–317) liefert schließlich die Möglichkeit der Überwindung ethischen Leids und die damit in Verbindung stehende Grundlage eines gelingenden sittlichen Lebensvollzugs. Johns Konzeption soll hier ihre Problemlösungsqualitäten unter Beweis stellen, indem gezeigt werden soll, wie sich ethischer Fortschritt innerhalb einer negativen Ethik denken lässt. Hierbei grenzt sich John von einem kollektivistisch oder historisierend verstandenen Fortschrittsbegriff Marx’scher Prägung ab, der die Fehlbarkeit und Verletzlichkeit einzelner Personen nicht in die Analyse einbezieht, sondern von der Arbeiterklasse oder sogar der gesamten Menschheit als allgemeines Subjekt des Fortschritts spricht, was prinzipiell für eine Individualethik, im Unterschied zu einer politischen Ethik spräche (283, 291, 293). Interessant ist daher in diesem Zusammenhang einmal mehr, dass John die gesellschaftliche Dimension trotzdem nicht außer Acht lässt, sondern den ethischen Fortschritt einer Person in ein gleichermaßen solidarisches und engagiertes Umfeld integriert, das sich auf Grundlage eines sittlichen Dialogs konstituiert. Auch hier werden intersubjektive Konflikte und Enttäuschungen als motivierende Grundlage eines sittlichen Austauschs verstanden, der gerade durch kontroverse Erfahrungen ein begründetes Verhältnis zu moralischen Begrifflichkeiten entwickeln muss (300, 307, 315). Ziel dieser systematisch eigenständigen und anregenden Abhandlung, die nahezu alle Themen der klassischen Ethikdiskussion berührt und mit modernen Konzeptionen verbindet, ist es, einen bestimmten Gedanken für die Vorstellung eines allgemeinen und verbindlich Guten zu entwickeln, der dem Lebensvollzug unterschiedlicher Personen samt ihrer Probleme, Konflikte und Widersprüche gerecht wird, ohne sich dem Verdacht eines dogmatischen, illiberalen oder reaktionären Denkstils auszusetzen, der sich totalitär auf sämtliche Lebensbereiche aller Menschen erstreckt.

Interessant an dieser Abhandlung ist die Vielfältigkeit sowie die thematische und systematische Souveränität, die der Autor größtenteils an den Tag legt. Die Originalität und Eigenständigkeit der Analyse ist stets unter Rekurs auf einen reichhaltigen ideengeschichtlichen Fundus angelegt, der traditionelle wie modernere Untersuchungen (Habermas, Apel, Moore, Austin, Anscombe und Nagel) berücksichtigt und durch die sprachliche und analytische Klarheit der Darstellung überzeugt. Die Vielfältigkeit der ideengeschichtlichen Analyse hat allerdings auch ihre Nachteile, da der Autor durch die Vielzahl an herangezogenen Konzeptionen nicht die Möglichkeit hat, alle angeführten Theorien in angemessener Gründlichkeit zu untersuchen und somit vor allem mit den klassischen Positionen stellenweise etwas grobschlächtig umgeht.

So erstaunt beispielsweise Johns Umgang mit Kants Theorie des höchsten Guts, das im Zusammenhang mit der Begründung ethischer Normen und Pflichten ins Spiel gebracht wird, von Kant selbst aber als Abschlussgedanke konzipiert wird. Hier bescheinigt John dem Königsberger eine Reflexion an die Grenzen der praktischen Vernunft (76), die notwendigerweise im Horizont der kantischen Religionsschrift gelesen werden müsse (77), was für die transzendentalphilosophisch motivierte Moralbegründung Kants sicherlich nicht zutrifft. Gerade hier wäre eine detailliertere Analyse von Kants eigener Bestimmung des Ideals des höchsten Guts fruchtbar gewesen, das die Vereinbarkeit von formaler Glückswürdigkeit und empirisch bestimmter Glückseligkeit in einem durchgängig bestimmten Reich der Zwecke idealiter ins Spiel bringt, wodurch ebenfalls die von John zurecht kritisierte Einseitigkeit empiristischer Ethikansätze Hume’scher Prägung thematisiert wird.

Auch Hegels Begriff der Sittlichkeit wird lediglich als praktisches Prinzip erörtert, wobei gerade die Genesis dieses Begriffs im Zusammenhang mit der absoluten Idee, die ihre begriffliche Bestimmung in der Wissenschaft der Logik legitimiert, auch einige interessante Einsichten eröffnen könnte. Denn gerade die von John in theoretischer Hinsicht sehr begriffsrationalistisch gefasste Metaphysikkonzeption führt zu einer weiteren Schwierigkeit dieser Abhandlung, da die in diesem Zusammenhang rezipierten Autoren andere systematische Bestimmungen vertreten. Adorno, dessen „negative Dialektik“ John zwar kritisch, aber an mehreren Stellen (18, 145, 212, 296) für das Verständnis seiner eigenen Konzeption heranzieht, vertritt einen theoretischen Metaphysikbegriff, der unter Wahrung bestimmter erkenntniskritischer Einschränkungen eine theoretische Konzeption metaphysischer Grundbestimmungen für praktische Gesichtspunkte fruchtbar macht. Insbesondere der von John rezipierte Kant wäre hier ebenfalls als Kronzeuge einer möglichen Vereinbarkeit zwischen kritisch restringierter Metaphysik in theoretischen Fragen und daraus resultierenden positiven Implikationen im Bereich der praktischen Philosophie zu nennen.

Es verwundert, dass gerade mit Blick auf Johns zentrale These die Klärung des Begriffs der Metaphysik, insbesondere mit Blick auf die wirkmächtigen theoretischen Implikationen, so spärlich ausfällt. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass der Autor sein eigenes, primär praktisches Metaphysikverständnis für seinen Lösungsweg ebenfalls voraussetzt und dafür von theoretischen Annahmen weitgehend abstrahiert. Denn auch wenn ein einzelnes im Leid begriffenes Individuum seine eigenen Konflikte mit Blick auf eine ideale Lösung und die Anerkennung Anderer bewältigen will, muss es mindestens eine vage Vorstellung davon haben, was es heißt, verbindlich und allgemein gut zu sein. Dies würde Johns negative Ethik und den damit verbundenen Begriff der Negativität in einen bereits positiv gesetzten, wenn auch unbestimmten Fluchtpunkt transformieren, der für die Vermittlung von einzelnen subjektiven Leiderfahrungen und deren Verknüpfung mit einem allgemein verbindlich Guten bereits vorausgesetzt werden muss. Eine solche Setzung würde weitere, insbesondere erkenntnistheoretisch verankerte Bestimmungen bezüglich einer solchen Idealvorstellung und den Bedingungen ihrer Möglichkeit fordern, die jedoch den von John gesetzten Rahmen gesprengt hätten. Freilich könnte man aus Johns Sicht argumentieren, dass die ethische Negativität gerade in dieser Unbestimmtheit liegt, die erst durch die Erfahrung von Leid und Konflikten begründet werden kann. Allerdings würde diese notwendige, aus Sicht des Autors zurecht hervorgehobene Unbestimmtheit als Ausgangspunkt ethischer Reflexion in ein dialektisches Spannungsverhältnis mit einem allgemein verbindlichen Gut sittlicher Vortrefflichkeit treten, was Adorno im Zusammenhang seiner „negativen Dialektik“ erörtert, die gerade die durchgängige thematische Vorrangigkeit des Besonderen betont. John hingegen scheint für ein vermittelndes Wechselverhältnis von besonderem Individuum und allgemeiner Norm zu plädieren (317), das lediglich dem Besonderen als Ausgangspunkt der ethischen Reflexion den Vorzug gibt, ohne eine generelle Vorrangigkeit der Subjektivität des Einzelnen zu favorisieren. Dadurch wird allerdings die konkrete Bestimmung dieses wechselseitigen Verhältnisses zwischen Subjektivität und allgemeiner Norm völlig offengelassen.

Trotzdem legt John mit seiner Abhandlung einen erfreulich starken Beitrag zu zentralen Themen der praktischen Philosophie vor, der vor allem durch seine Eigenständigkeit und Systematik überzeugt, ohne wegweisende Positionen vorangegangener Autoren außer Acht zu lassen. So rekurriert John zur deutlichen Positionierung und Entfaltung seines eigenen Standpunktes teils zustimmend, teils ablehnend auf die Theorien von Aristoteles, Hume, Kant und Hegel, bezieht aber gleichermaßen modernere Konzeptionen etwa von Heidegger, Adorno, Apel und Habermas in seine Analyse mit ein. Außerdem werden auch die analytisch orientierten Positionen nicht vernachlässigt, sondern insbesondere durch die Rezeption der einschlägigen Werke von Wittgenstein, Moore, Austin, Anscombe und Nagel für die handlungstheoretischen Aspekte der Untersuchung fruchtbar gemacht. Die sprachliche und analytische Klarheit sowie der einleuchtende Aufbau dieser Abhandlung zeigen ein klares Problembewusstsein und einen deutlich konzipierten Lösungsweg bezüglich der zentralen Frage, wie sich allgemein-normative Ansprüche mit individuellen Lebensentwürfen in einem konzeptuellen Ansatz „negativer Ethik“ vereinen lassen. Die daran anknüpfenden gesellschaftlichen Implikationen für eine ableitbare politische Ethik thematisiert John erfreulicherweise ebenfalls in Grundzügen, ohne sie in letzter Konsequenz auszuführen – was im Rahmen dieser Problemstellung auch nicht zwingend erforderlich ist.

Die thematische und ideengeschichtliche Vielfalt dieser Abhandlung, die auf zahlreiche Berührungspunkte mit sämtlichen Themen der praktischen Philosophie verweist, hat allerdings auch ihre Nachteile, da einige Positionen nur angerissen werden können, obwohl sie durchaus einige Lösungen im Sinne Johns parat gehabt hätten. Auch die einseitige und teils undeutliche Erörterung des Begriffs der Metaphysik verwundert bei der ansonsten durchgängigen begrifflichen Präzision des Autors. Dadurch bleibt der allgemein verbindliche Weg des „ethische[n] Dialog[s] zur Überwindung ethischen Leides“ (300) im Unterschied zum vorhergehenden analytischen Teil ebenfalls vage und unbestimmt, was unter Berücksichtigung der semantischen Dimension von Negativität vermutlich im Sinne des Autors ist. In jedem Fall ist diese Abhandlung eine lohnenswerte Lektüre, die einen wichtigen Diskussionsbeitrag zu einem zentralen Thema der praktischen Philosophie liefert, und als Anlass für weiterführende Debatten genutzt werden kann.

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