Mbembe, Achille: Politik der Feindschaft. Übersetzt von Michael Bischoff. Berlin: Suhrkamp 2016. 235 Seiten. [978-3-518-58708-9].

Rezensiert von Leon Abich (Universität Hamburg)

Die Geschichte der Demokratie trägt das Signum der kolonialen Gewalt in sich, die sie fortwährend reaktualisiert. Die liberalen Demokratien haben ihr archaisches Begehren nach Gewaltexzessen exterritorialisiert, sie sind sowohl historisch als auch existentiell mit der Gewalt assoziiert, die sie in ihren Auslagerungsstätten, den Kolonien, hervorgebracht haben – früher wie heute. Mit dieser These einer Gleichursprünglichkeit von Demokratie und Kolonialgewalt eröffnet Achille Mbembe seinen Essay über politische Feindschaftsverhältnisse in der Geschichte demokratischer Gesellschaften und formuliert damit zugleich eine Kritik an den faktischen Ausprägungen des demokratischen Ideals. So steht am Beginn der demokratischen Selbsteinrichtung der bürgerlichen Gesellschaft im 18. Jahrhundert die Gewalt des parallel existierenden, kolonialistischen Ausschlusses. Mit diesem Ausschluss einer Gruppe von Menschen ohne Zugang zu demokratischen Beteiligungsrechten wird der normative Anspruch einer Gesellschaft von Gleichen unterlaufen. Die Zweiteilung des „demokratischen Sklavenstaats“ (37) in einen demokratisierten Teil mit rechtstaatlichen Standards und einen rechtsfreien Raum der Kolonien sei kein historisches Missgeschick. Vielmehr ist sie ein elementarer Bestandteil der Struktur demokratischer Vergesellschaftung. „Demokratie, Plantage und Kolonialreich gehören objektiv ein und derselben geschichtlichen Matrix an. Diese ursprüngliche und strukturierende Tatsache bildet den Kern jedes historischen Verständnisses der Gewalt in der heutigen Weltordnung“ (48). Damit sei die Demokratie nicht nur dazu fähig gewesen, mit dem Kolonialsystem zu harmonieren oder es hervorzubringen. Die exportierte Gewalt sei sogar die Bedingung der Möglichkeit von innerem Frieden und Demokratie in den westlichen Kolonialdemokratien gewesen. Als solche bildeten die kolonialen Reservate keine Antithese zur inneren demokratischen Identität, sie waren „von jeher deren Doppelgängerin oder deren Nachtseite. Es gibt keine demokratische Ordnung ohne ihre Doppelgängerin, ihre Kolonie“ (55). Diese beiden normativen Ordnungen stehen laut Mbembe also nicht – wie man zunächst denken könnte – in einem Widerspruchsverhältnis zueinander, sondern konstituieren ein Bedingungsverhältnis. Die demokratische Zivilität des Westens basiere auf den Verwüstungen exterritorialisierter Gewaltformen. „Die Demokratie trägt die Kolonie tief in sich, und die Kolonie trägt die Demokratie“ (55).

Mbembes Essay besteht aus vier Hauptteilen und einer Schlussbetrachtung, in der er sein kommendes Projekt skizziert. Während das erste Kapitel im Modus einer kritisch-genealogischen Untersuchung angelegt ist, die den westlich-liberalen Demokratien immanente Kolonialität zuschreibt, widmet sich Mbembe im zweiten Kapitel seiner Gegenwartsdiagnose einer Gesellschaft der Feindschaft, in der die Trennung von Subjekten zum zentralen Charakteristikum der politischen Realität erklärt und als aus kolonialen Kontexten kommendes Phänomen diskutiert wird. Das dritte große Kapitel beschäftigt sich mit dem Denken der Dekolonisation von Frantz Fanon, das sich „im Rahmen der drei wichtigsten Debatten und Kontroversen des 20. Jahrhunderts“ (122) bewegt: „der Debatte über die menschlichen Arten (Rassismus), über die Aufteilung der Welt und die Bedingungen der Weltherrschaft (Imperialismus und Selbstbestimmungsrecht der Völker), und über den Status des Krieges und seiner Schicksalhaftigkeit“ (122-123). Das vierte Kapitel ist eine Auseinandersetzung mit den Herausforderungen Afrikas und den Herrschaftsverhältnissen, die das „kommende Afrika“ (187) in seinem Kommen behindern. In seinem sehr assoziativ vorgehenden Schluss kündigt Mbembe schließlich ein neues Denken an, das er in einer „Ethik des Passanten“ (227) unterbreiten möchte.

Meine insbesondere an den Ideen zum Konstitutionszusammenhang von Demokratie und Kolonialsystem interessierte Lesart von Mbembes Essay ist meiner eigenen Verortung in der europäischen normativen Demokratietheorie geschuldet. Ich hoffe dennoch, dass ich dem Versuch erfolgreich nachgekommen bin, der grundsätzlich postkolonialen Herkunft Mbembes und der explizit außereuropäischen Zugangsweise des Buches, gerecht zu werden.

I.

Mbembes Essay über die Politik der Feindschaft seit dem 15. Jahrhundert beginnt also mit einer fundamentalen Kritik. Er bestimmt eine der Demokratie bis heute immanente Kolonialität und zeigt damit die impliziten Paradoxien einer konstitutiv auf formale Gleichheit ausgerichteten Herrschaftsform auf. Besonders interessant ist diese politiktheoretische und philosophische Kritik an der Demokratie dann, wenn man sie zu seinen weiteren demokratietheoretischen Ideen ins Verhältnis setzt. Wenn die Demokratie die Kolonie voraussetzt, ist jede affirmativ-normative Bezugnahme auf Demokratisierung problematisch, so könnte man vermuten, da mit ihr stets koloniale Strukturen einhergehen. Wenn es einen sowohl historischen als auch konstitutiven Zusammenhang von Demokratie und Kolonie gibt, wie Mbembe es formuliert, kann Demokratisierung nur im Zusammenhang mit Kolonisierung auftreten. Mbembe selbst konzipiert jedoch normative Demokratisierungsideen in anderen Werken als Ideen zur Entkolonisierung. Entkolonisierung könne nur durch schöpferische demokratisierende Prozesse verwirklicht werden, deren Formgebungen der afrikanischen Kultur „direkt aus den geistigen Anlagen, dem Einfallsreichtum und vor allen aus den täglichen Kämpfen der Menschen selbst und deren eigener solidarischer Tradition“ (Mbembe 2016a: 29) entspringen müssen: „Ohne Demokratie ist die Entkolonisierung eine ziemlich jämmerliche und fiktive Form der Wiederinbesitznahme des Selbst“ (Mbembe 2016a: 37).

Diese normative Referenz auf eine Demokratisierung (der Demokratie) als Programm einer Entkolonisierung verdeutlicht, dass Mbembe keinen notwendigen Zusammenhang zwischen Demokratie und Kolonie behauptet. Vielmehr möchte er zeigen, dass die gleichen faktischen historischen Bedingungen von Demokratie und Kolonialsystem ein bis heute wirksames Konstitutionsverhältnis hervorgebracht haben. Diese historisch-politischen Überlegungen und die daraus resultierende zeitdiagnostische Demokratiekritik orientieren sich also an der grundsätzlichen und überzeugenden postkolonialen Einsicht, dass seit der Entstehung von Kolonialsystemen eine Kontinuität kolonialer Herrschafts- und Machtverhältnisse in den westlichen Demokratien wirkmächtig ist. Aus Mbembes Sicht gibt es daher derzeit keine existierende demokratische Ordnung, die nicht mindestens von kolonialen Vorstellungen und den daraus resultierenden Rassismen geprägt ist.

Es ist durchaus interessant, dass sich diese grundsätzliche Kritik an demokratischen Gesellschaften nicht nur auf diejenigen Demokratien bezieht, die über den Status formaler Kolonialherren verfügten, sondern auch auf solche, die von kolonialen Ökonomien, Denkweisen, Politiken und Affekten durchdrungen waren. Eine solche Kritik ermöglicht, dass auch Demokratien auf ihre Kolonialität hin untersucht und kritisiert werden können, die, wie z. B. Island, trotz ihrer eigenen Dekolonisierungsgeschichte koloniale Elemente enthalten. Mbembes von außen auf die westlichen Demokratien gerichteter Blick demonstriert den exterritorialen Standort seiner Kritik und seine Verankerung in der afrikanischen postkolonialen Theorie. Jenseits europäischer Kritikweisen versucht sich Mbembe in einer für philosophische Essays ungewöhnlichen „bildhaften Sprache, die zwischen Schwindel, Auflösung und Zerstreuung schwankt“ und „die aus ineinander verschlungenen Schleifen besteht“ (20). Diese sprachliche Form der Entfremdung von europäischen Traditionen und die Annäherung an die Erfahrungen der Menschen „soll den Zugang zu den Grundfesten der Zukunft wieder eröffnen“ (20).

Die einzige Leerstelle im demokratietheoretischen Teil des Essays ist der nicht ausformulierte affirmative Bezug zur Demokratie und zu einer Demokratisierung der Demokratie. Mbembe verweilt größtenteils in einem sehr produktiven Modus der politiktheoretischen, philosophischen und historischen Kritik; er nimmt nur lose auf ein Denken der Demokratie Bezug, das „jenseits des Nebeneinanders von Singularitäten“ über eine „Demokratie aller Spezies“ nachdenkt (77f.). Wie genau Entkolonisierung und Demokratisierung normativ zusammenhängen, wenn es doch einen bis heute konstitutiven kolonial-demokratischen Zusammenschluss gibt und was Demokratisierung in einem gehaltvollen Sinn zur Entkolonisierung beitragen kann, bleibt unbesprochen. Man stellt sich die Frage: Warum die Demokratie noch verteidigen, wenn sie so kolonial ist?

II.

Es ist durchaus erkennbar, dass nicht nur die explizit Schmittianische Titelgebung einer Politik der Feindschaft auf eine Verwandtschaft von Mbembes Ideen zur politischen Theorie Carl Schmitts verweist. Vielmehr steht auch die Begründungsfigur einer genuin europäischen Exterritorialisierung der Gewalt in einem interessanten Abhängigkeitsverhältnis zu Schmitts These einer völkerrechtlichen Legalisierung europäischer Okkupationen. Mit dem erstmaligen globalen Raumbewusstsein des 15. und der Konstitutionalisierung des Völkerrechts im 16. Jahrhundert beginnt für Schmitt die Dominanz europäischer Mächte. Mit der Verstaatlichung des Krieges, die das Völkerrecht präsumtiv einsetzt, um den Krieg als öffentliches, zwischenstaatliches Ereignis aus dem Innenraum der Gesellschaft zu verbannen und in einen rechtlich gehegten Zustand zu transformieren, setzt der europäisch dominierte Nomos der Erde ein. Dieser „für jede geschichtliche Epoche [wesentliche], [raum-einteilende] Grundvorgang“ (Schmitt 2011: 48) hat eine Raumordnung hervorgebracht, in der der europäische Machtüberschuss völkerrechtlich institutionalisiert und eine Zweiteilung des globalen Raumes realisiert worden ist. Einerseits geht es dabei um den völkerrechtlich kodifizierten europäischen Raum, andererseits um die außerhalb Europas liegenden, „unendlich scheinende[n] freie[n] Räume“ (ebd.: 155), in denen der Kampf um den freien Boden tobt.

Die in Bezug auf Mbembe interessante theoretische Parallele ist nun, dass für Schmitt die staatszentrierte, völkerrechtliche Hegung des Krieges in Europa diese außereuropäische Kampfzone konstitutiv bedingt. Die „Ausgrenzung eines von rechtlichen Hemmungen befreiten Aktionsraumes, einer vom Recht ausgenommenen Sphäre der Gewaltanwendung“ diente der innereuropäischen Zivilisierung des Krieges. „Das ist ihr völkerrechtlicher Sinn und ihre Rechtfertigung“ (ebd.: 66). Die Landnahmen der europäischen Kolonisatoren existierten außerhalb des Geltungsbereichs der europäischen Völkerrechtsordnung, da der Boden der Kolonisierten innerhalb der Kampfzone als frei okkupierbar klassifiziert wurde. Während Schmitt die europäische Völkerrechtsordnung und ihre immanente Kolonialität untersucht, verweist Mbembe in seiner Argumentation auf den friedenssichernden Wohlstand, der durch die kolonialen Ausbeutungsverhältnisse ermöglicht wurde.

Der innere Frieden im Westen basierte also zu einem großen Teil auf Gewalt in der Ferne, auf grausamen Brandherden, die man entfachte, auf kriegerischen Fehden und anderen Massakern, von denen die Einrichtung von Festungen und Kontoren in aller Welt begleitet war. Er basierte auf der Versorgung mit Segeltuch, Masten, Bauholz, Pech, Seilen und Tauwerk für die Segelschiffe, aber auch auf der mit Luxusgütern wie Seide, bemaltem und bedrucktem Kaliko, Salz für die Konservierung von Fisch, Pottasche und Farbstoffen für die Textilindustrie und natürlich mit Zucker. (41)

Während Mbembe die postkolonialen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse in einem historisch-konstitutiven Zusammenhang von Demokratie und Kolonialsystem analysiert und mit der Exterritorialisierung von innerdemokratischen Gewaltstrukturen auf die Kolonialität der Demokratie verweist, folgt die Legitimation ungehemmter Gewaltaktionen in der freien, nicht-europäischen Kampfzone für Schmitt dem raumhaft-strategischen Kalkül der Hegung des Krieges in Europa. Mbembe lässt dieses argumentative Potenzial in der Politik der Feindschaft jedoch ungenutzt, um seine These der demokratischen Gewaltexporte völkerrechtlich zu spezifizieren. Dafür nutzt er Schmitts These aber an anderer Stelle, um seine Idee eines kolonial-konstituierenden Zusammenhangs von Rasse, Bürokratie und Handel zu begründen (Mbembe 2016b: 115ff.).

Über seine These einer konstitutiven epochalen Assoziation von Demokratie und Kolonie hinausgehend erkennt Mbembe in der seit dem 15. Jahrhundert praktizierten Aufspaltung der Menschheit eine kontinuierliche Neuverteilung der Bevölkerungen. Die Teilung in nützliche und überflüssige Menschen entlang der kolonialen Logik der ‚Rasse‘ dient als Strategie politischer Unterwerfung und der Ordnung der Machtverhältnisse von Innen und Außen, wie von Zentrum und Peripherie. Kurz: Die koloniale Logik der Rasse dient in ihrem Zentrum der Verwaltung des Lebens. Während die kriminelle, wenn auch damals legalisierte Zirkulation versklavter Menschen afrikanischer Herkunft vom 15. bis 19. Jahrhundert und die Kolonisierung vom 16. bis 20. Jahrhundert als Techniken „zur Steuerung von Wanderungsbewegungen“ (25) eingesetzt wurden, haben wir es heute mit Mobilitätsregimen in Form von Lagern, Gefängnissen und Handelsströmen zu tun. Die Grundlagen dieser Kontinuität von Regierungstechnologien, die sich um das Eingrenzen, Lokalisieren und gelenkte Zirkulieren formieren, bilden für Mbembe die Phänomene der Feindschaft und des Krieges. Sie seien das pharmakon – ein platonischer Begriff, der die paradoxe Vereinigung von Gift und Heilmittel symbolisiert – unserer Zeit und entstünden im Bannkreis einer existentiellen Trennung; der Trennung in solche Subjekte, die sich in kapitalistische Arbeitsstrukturen zu integrieren vermögen, und andere, deren Körper für die Verwertungszusammenhänge nutzlos erscheinen.

In dieser Zusammenführung der foucaultianischen Figur einer regierenden Macht, die ihre Machteffekte in den Körpern zeitigt, mit der kritischen These einer negativen, die Gesellschaft bestimmenden Totalität, zeigt sich die Qualität der postkolonialen Analyse von Mbembe: Es gibt einen grundlegenden Zusammenschluss von Macht (Unterdrückung), Wissen (anthropologische Rassifizierung) und Kapitalismus (Verwertung), der seit dem 15. Jahrhundert die Spaltung der Menschheit realisiert. Der friedliche Innenraum westlicher Demokratien kontrastiert diejenigen Feindschaftszonen, in denen der Ausnahmezustand zur Struktur des Regierens geworden ist. Ein zentrales Ereignis, an dem sich das Regieren im Modus des Ausnahmezustands paradigmatisch zeige, sei der internationale Kampf gegen den Terrorismus, der zugleich zur internationalen Norm geworden sei. „Mit dem Schwert zu leben ist zur Norm geworden“ (61). Mit der Imagination der Figur des Terroristen, der als Gefahrensubjekt Bedrohungspotenziale verkörpert und die Gewalt in Räume des zivilen Lebens transportiert, ist eine Gegengewalt autorisiert, die unter dem Deckmantel „legitimer Verteidigung“ eine „Verdoppelung der terroristischen Institution und Mechanik“ (66) produziert und damit jede Bindung an völkerrechtliche Konventionen zugunsten der Befriedigung des eigenen Sicherheitsbegehrens außer Kraft setzt. Der infolge der Terrorismusbekämpfung und Amokprävention entstandene Sicherheitsstaat verbreite neue „Macht- und Souveränitätsformen […], zu deren Kennzeichen die Produktion von Tod in großem Maßstab gehört“ (66). Der Sicherheitsstaat werde „aus einem Zustand der Unsicherheit gespeist, an dessen Schaffung er beteiligt ist und auf den er eine Reaktion zu sein behauptet“ (102), der also eigene Angstzustände in den Gesellschaftskörper einpflanzt, um neue Zugriffstechniken einer Verwaltung des Lebens zu legitimieren. Da der Sicherheitsstaat „die Unmöglichkeit einer »Beendigung der Feindseligkeiten« zwischen denen, die unsere Lebensweise bedrohen, und uns“ voraussetze, bleibe der Kampf gegen den Terrorismus ein permanenter Krieg (102f.). Es bleibt jedoch unklar, wer das Subjekt dieses Sicherheitsstaates sein soll, da ungeklärt ist, ob das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung notwendig in Kontrollstrukturen und damit Preisgaben von Grundrechten kulminiert, d.h. ob die Affektdynamik der Bevölkerung am Ursprung des Sicherheitsstaates steht oder ob die Eigenlogik im Sinne eines kumulativen Machtstrebens des Sicherheitsstaates zur präventiven Überwachung und Gewaltanwendung führt. Auch wenn das ursprüngliche sicherheitsstaatliche Konstitutivum uneindeutig bleibt, ist der strukturelle Mechanismus neuer Formen der Überwachung und Unterdrückung für Mbembe ein Kolonisierungsprodukt. Früher wie heute geht es um rassistische Machtdispositive „des Staatsapparats, der mit allen Mitteln […] Illegale produziert“ (110) und ihnen im Modus der Ausnahme begegnet.

Mbembe entwickelt am Leitfaden seiner Demokratiekritik und seiner Untersuchungen zum Sicherheitsstaat eine Gegenwartsdiagnose, der zufolge liberale Demokratien letztlich „also gar nicht ohne diesen Zusatz an Servilem und Rassischem, an Kolonialem und Imperialem“ existieren. Vielmehr ist „diese schon am Anfang erfolgende Spaltung“ charakteristisch „für die liberale Demokratie“ (121). Die Genealogie einer (demokratischen) Politik der Feindschaft in der Gestalt von Lagern, wie sie heute praktiziert wird, führt zurück in die europäischen Lager während des Weltkriegs und findet ihren Ursprung in der anthropologischen Spaltung der Menschheit in den Lagern „der kolonialen und imperialistischen Kriege“ (138). „Diese Genealogie lässt erkennen, dass sich am Ursprung des Lagers das Projekt einer Teilung der Menschen findet“ (138).

Auf der Grundlage dieser ursprünglichen Feindschaftskonstellation analysiert Mbembe die subjektivierenden Effekte der Herrschaft und der Unterwerfung, die sich um das Phänomen der Teilung der Menschen organisieren. So gehöre die „Konstituierung des Subjekts im Wunsch nach Unterordnung […] zu den spezifischen verinnerlichten Modalitäten rassistischer Herrschaft“ (147). Die rassistische Subjektivierungsweise sei nicht nur Teil einer vertikalen Machtoperation von oben, also von Seiten des Staates, vielmehr würden rassistische Trennungen auch auf „molekularer Ebene“ (S. 157) reproduziert. Diese und weitere Formulierungen von Mbembe wie z. B. die des „Nanorassismus“ (108) oder die „miniaturisierter Wahnvorstellungen“ (150) zeigen an, dass Mbembe von den Ideen Foucaults zur „Mikrophysik der Macht“ (Foucault 1976) inspiriert ist und nach eigenen Begriffen für die mikrophysischen rassistischen Machteffekte sucht.

III.

Im vierten Kapitel befragt Mbembe den Humanismus auf seine Rassismen transzendierende Kraft und identifiziert zwei postkoloniale Kritiken. Erstens: Die afrozentrische Kritik sieht in der mythologischen Gestalt der „universalistischen Ansprüche des westlichen Humanismus“ den paternalistischen Versuch, die Emanzipationsgeschichte der Afrikaner in die europäische Ideenwelt zu integrieren und versucht in der eigenen Theoriebildung „die Grundlagen für ein Wissen [zu] legen, das seine Kategorien und Konzepte aus der Geschichte Afrikas schöpft“ (192). Zweitens: In der von Mbembe als afrofuturistische Kritik bezeichneten Strömung scheitere die Idee der Menschheit an der Geschichte der Schwarzen, in der der Begriff des Menschen zum Instrument der Klassifikation schwarzer Subjekte als Objekte missbraucht worden ist. Die humanistisch beschriebene Welt sei ein „riesiges Gefängnis“ und der einzige Ausweg könne „nur das gesamte Universum sein“ (195), das „als Bühne der Versöhnung zwischen dem Menschen, dem Tier, der Pflanze, dem Organischen, dem Mineralischen und allen übrigen Kräften des Lebendigen“ (195f.) eine Harmonie herstellt.

Im Schlusskapitel skizziert Mbembe sein kommendes Projekt. Seine „Ethik des Passanten“, die bei der Beschreibung dessen beginnen soll, wie der Mensch zu dem wird, was er ist – ein Passant, ein Reisender – kündigt ein „Denken des fließenden Lebens“ (233) an, das auf der Grundlage von Wegen der Zirkulation und der Verwandlung die ethischen Grundgehalte zu explizieren versucht, die sich aus dem anthropologischen Status des Reisenden ergeben. Es ist durchaus denkbar, dass sich in diesem neuen Projekt normative Bezüge zur Demokratie werden finden lassen.

IV.

Mbembes Politik der Feindschaft ist nicht weniger als der Versuch einer fundamentalen Kritik an den Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen die mit der Entstehung der ehemaligen Kolonialstaaten instituiert wurden. Mbembe bietet eine Gegenwartsdiagnose, auf deren Grundlage er die existierenden liberalen Demokratien und die aktuellen Feindschaftsverhältnisse als Kolonisierungserzeugnisse deutet. Der Essay ist damit insbesondere für die Demokratietheorie interessant, da er diese mit den kolonialen Voraussetzungen der Demokratie konfrontiert, die jenseits normativer Ideale ein fester Bestandteil vorherrschender demokratischer Vergesellschaftung zu sein scheinen. Der explizit als afrikanisch ausgewiesene Blick gibt außerdem zu erkennen, dass sich eine interessante und neuartige Verschränkung von Demokratietheorie, Postkolonialer Theorie und Gesellschaftsanalyse anbahnt, die europäische Ideen mit außereuropäischen Theorien assoziiert, sodass völlig neue Formen der Theorieproduktion möglich erscheinen, die afrikanische und europäische Perspektiven produktiv miteinander verbinden.

Literatur

Foucault, Michel. Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Berlin: Merve Verlag, 1976.

Mbembe, Achille. Ausgang aus der langen Nacht. Versuch über ein entkolonisiertes Afrika. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2016a.

Mbembe, Achille. Kritik der schwarzen Vernunft. Berlin: Suhrkamp, 2016b.

Mbembe, Achille. Politik der Feindschaft. Berlin: Suhrkamp, 2017.

Schmitt, Carl. Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum. Berlin: Duncker & Humblot, 2011.

© 2020 Zeitschrift für philosophische Literatur, lizenziert unter CC-BY-ND-3.0-DE