Khurana, Thomas/Quadflieg, Dirk/Raimondi, Francesca/Rebentisch, Juliane/Setton, Dirk (Hg.): Negativität. Kunst, Recht, Politik. Berlin: Suhrkamp 2018. 487 Seiten. [978-3-518-29867-1]

Rezensiert von Christian Lamp (Universität Leipzig)

Die Festschrift ist ein eigentümliches Genre. Seit die erste vor fast vier Jahrhunderten in Leipzig erschien, ist sie aus dem deutschen akademischen Leben nicht mehr wegzudenken. Gerade weil der so Geehrte nur mittelbar für sie verantwortlich ist, gereicht sie ihm besonders zum Ruhm – und gilt in der Philosophie nach wie vor als Zeugnis besonderer Leistungen. Wenn es also zutrifft, dass das Können der Lehrer sich erst in ihren Schülern offenbart, dann kann Christoph Menke – zu dessen 60. Geburtstag der vorliegende Band erschienen ist – sich glücklich schätzen. Unter dem programmatischen Titel „Negativität. Kunst – Recht – Politik" sind im traditionellen Suhrkamp-Layout 31 Beiträge versammelt und gerahmt von einer Einleitung der fünf Herausgeber und Herausgeberinnen. In vier Teilbereichen soll die von Menke in seinen – nach Thomäs Worten – „bahnbrechenden philosophischen Texten" (358) analysierte Kraft der Negativität entwickelt werden: der Kunst, dem Recht, der Politik und zuletzt dem Denken selbst. Dabei sieht sich jede Besprechung einer Festschrift damit konfrontiert, eine Ungerechtigkeit begehen zu müssen. Entweder gegenüber der kurzen Form der Rezension oder gegenüber dem zu besprechenden Band. Um diese abzumildern, wird im Folgenden zunächst der allgemeine Rahmen des Bandes abgesteckt (I), bevor die Beiträge unter Hervorhebung einiger weniger vorgestellt werden (II). Abschließend können anhand dessen einige grundlegende Fragen aufgeworfen und diskutiert werden (III).

I

Die Einleitung der Festschrift diagnostiziert eine „entschiedene […] Entdramatisierung" (12) des gleichwohl überall vorhandenen Gedankens der Negativität in der gegenwärtigen Theoriediskussion, deren allgemeine Annahme ein „Verblassen der Sprache" und eine „Entschärfung und Einhegung" (12f.) nach sich ziehe. Wer spricht noch von der „Schädelstätte des absoluten Geistes" (Hegel 1986: 591)? Mit dem Blick nach Amerika wäre diese Diagnose in ihrer Konsequenz noch zu steigern, denn dort ist spätestens mit dem Stichwort der „Postkritik" eine Bewegung im Gang, die sich so weit als möglich von allen Denkfiguren der Negation und Negativität lossagen möchte.1

Jedenfalls liegt die Programmatik des Bandes darin, den Begriff der Negativität wieder zu einer substantiellen Kategorie des Widerstands zu entfalten: als „radikale Unbestimmtheit" oder als „innerer Widerstreit“, die oder der sich innerhalb der vier behandelten Gebiete „als treibende Kraft” (15) ausagiert.

Die Herausgeber und Herausgeberinnen sehen Menke einer dritten Stellung des Gedankens zur Negativität verpflichtet: anstelle des nihilistischen Realismus Ray Brassiers oder der affirmativen Ontologie Deleuzes, sei er dem wahren dialektischen Erbe Adornos auf der Spur. Schon in seiner Dissertation zur ästhetischen Erfahrung habe Menke die Negativität, nach dem zuerst dominierenden Fokus auf Kommunikation und Anerkennung, wieder in den Mittelpunkt zu stellen versucht. Souverän sei die Kunst, weil die ästhetische Erfahrung einer „unaufhebbaren Negativität" (Menke 1991: 290) die rationalen Diskurse mit einem „unlösbaren Problem" (ebd.: 287), also einer inneren Aporie, konfrontiert. Die Ästhetik ist damit eben nicht – romantisch – die Lösung, sondern nur – modern – die notwendige Krise der rationalen Diskurse. Menke selbst hat diese substantiell gewordene Negativität in seinen späteren Büchern im Bereich der Ästhetik und des Rechts bzw. der Politik zu einer „Kraft der Befreiung" entfaltet, die „ein Gelingen anderer Art ermöglicht" (17). Damit sind seine hauptsächlichen Arbeitsbereiche bezeichnet, die er eigenständig durchdacht und der Kritischen Theorie noch einmal neu erschlossen hat.

Diesem Gelingen anderer Art ist der Band auf der Spur. Oder, in Menkes Worten: „Der Künstler ist selbstbewußtes Vermögen und rauschhaft entfesselte Kraft. […] Der Künstler ist ein Könner eigentümlicher Art: Was er kann, ist, nicht zu können. Der Künstler kann das Nicht-können." (Menke 2017: 113) Daran anschließend teilen die Beiträge somit ein „dreifaches Interesse: ein Interesse an einem nichtinstrumentellen Verständnis der Negativität, an der Komplikation des Verhältnisses von Negativität und Positivität sowie an einer Neubestimmung von Negativität als Kraft." (16)

II

Kunst

Der Band beginnt mit einem Beitrag von Gertrud Koch, die sich der NO!Art von Boris Luries und ihrer inhärenten Paradoxie einer Verneinung der Kunst durch Kunst widmet (45–52). Rüdiger Campe fragt mit Lukács’ Theorie des Romans nach der Möglichkeit eines affirmativen (statt resignativen) Verhaltens zur Entfremdung und findet sie im ästhetischen Schein, genauer: bei Thomas Mann (53–64). Literatur und Theater fließen bei Katrin Trüstedt zusammen, die Heiner Müllers Hamletmaschine als eine Tragödie, die die Komödie in sich aufgehoben habe, deutet, d. h. als Affirmation der Negativität (65–79). Carl Hegemann denkt mit Eli Sagan über die Selbstreflexion ermöglichende Sublimation von Tyrannei und Allmacht in Theater und Kunst nach (80–94).

Penelope Deutschers subtiler Beitrag (95–112) untersucht Menkes Transformation von Adornos Begriff des Geschmacks in den des Widerwillens und erweitert diesen vorsichtig zur Figur einer widerwilligen Vernunft. Ihr geht es in ihrem Beitrag darum, mit Menke und Adorno in einer kurzen philosophiegeschichtlichen Genealogie „einen unerwarteten Rest an damit verbundenem Affekt" (97) herauszuarbeiten, den somatischen Impuls am Grunde des Subjekts. Der Widerwille ziele dabei gerade auf die Möglichkeit, der schlechten Unendlichkeit zwischen autoritärem Urteil und zweifelnder Urteilsunfähigkeit zu entkommen. Er ist daher „jene Gegenkraft, die darauf besteht, dass das eigene Argument nicht den Status eines abschließenden Urteils erhalten wird" (98f.). Diese dialektische Kraft inhäriert weder Subjekt noch Objekt, sondern gerade dem reziproken, durch Stoß und Gegenstoß zu kennzeichnenden Zwischenraum. Er ist konstitutives ‚Nicht’, das stets unterbestimmt bleibt.

Mit Rekurs auf Susan Sontag arbeitet Deutscher weiterhin drei Arten des Widerwillens heraus: Erstens eine „Bereitschaft, beim Schreiben dem Unvorhergesehenen ausgesetzt zu sein“; zweitens, „ein Affekt der Abneigung”; und drittens der Widerwille gegen das eigene, potentielle Verhalten, vor dem man deshalb bereits im Gedanken daran Abscheu empfindet und es unterlässt (101f.). Der Widerwille fungiert so als Korrektiv der von Menke aufgebauten Opposition zwischen Handeln und Leben. Die widerwillige Vernunft sieht Deutscher schließlich auch in Menkes Kritik des Rechts am Werk und zwar in dem Versuch, dem Recht einen Widerwillen gegen sich selbst einzuimpfen und ihm den Spiegel vorzuhalten, um seine Dogmatik zu erschüttern. „Sie sträuben sich. Auf einer formalen Ebene sind sie mit sich selbst im Streit" (111). Möglichen Einwänden der unmittelbaren Gleichsetzung kommt Deutscher zuvor, indem sie „ein institutionelles und prozedurales Äquivalent zum subjektiven Affekt" (112) ins Spiel bringt. Damit wird die mögliche Reaktion institutioneller Formen auf mögliche Kritik gewissermaßen selbst zum Analysewerkzeug der Kritik.

Anselm Haverkamp konfrontiert Adornos Beckett-Lektüre mit dessen spätem Prosastück Lessness und sieht eine Rettung der Hoffnung in der dichterischen Sprache, die der philosophischen Reflexion immer voraus sei (113–122). Alexander Garcia Düttmann liest noch einmal Derrida und findet in der Grammatologie einen Humor der Dekonstruktion zwischen – in seinen Worten – endlich unendlicher différance und unendlich unendlicher différance (123–131). Bettine Menke weist mit Szondi und Kleist auf den paradoxalen Status literarischer Beispiele hin, die jenseits des sie beinhaltenden Textes niemals zu allgemeinen Aussagen herangezogen werden dürften (132–146). Lydia Goehr breitet, den ersten Teil abschließend, in ihrem schönen Essay als Vorspiel einer noch zu schreibenden Arbeit die Idee des Wartens in Bezug auf eine kritische Philosophie der Geschichte und der Kunst aus (147–165).


Recht

Das Kapitel zum Recht versammelt vorwiegend rechtsphilosophische und philosophische Beiträge, die sich explizit mit Normativität beschäftigen. So blickt Catherine Colliot-Thélène noch einmal mit Kojève auf Hegel und hebt interessanterweise gerade die Recht und Staat auf die Freiheit hin transzendierende Funktion des Begriffs der Person hervor (169–183). Christoph Möllers stellt der kritischen Theorie des Rechts über den Umweg der Maschine die Frage, ob sie nicht einen unreflektierten Gattungshumanismus zur Voraussetzung hat (184–195). Rainer Forst wiederholt gegen Menke den Vorwurf, Negativität müsse zur Bewahrung normativer Autonomie nicht nur als Kraft, sondern vielmehr als Grund-Recht gedacht werden. Nur in der transzendentalen Begründung der Autonomie rechtsetzender Subjekte könne das Recht seine Rechtfertigung erhalten, ohne es, sei es auch revolutionär gewendet, in seinem Sinn auch gegenüber den Revolutionären zu fixieren (196–206). Andreas Fischer-Lescano dagegen sieht mit Vaihinger Menke gerade deshalb als wahren immanenten Kritiker des Rechts (und nicht als richtenden, weil über dem Recht stehenden Philosophen), der in ihrem Begriff einen anderen Begriff im Modus des Als ob vorbereitet (207–219). Raymond Geuss präsentiert Antonin Artaud als klugen Kritiker der Metaphysik, der ihren Wahrheitsgehalt in seiner neuen Sprache bewahren wollte (220–232). Beate Rössler wirft einen Blick auf aktuelle philosophische Debatten um die Autonomie und plädiert für die Möglichkeit autonomer Entscheidungen gerade in der zu akzeptierenden Disparität der entfremdeten Erfahrung (233–246). Stefan Gosepath versucht aus evolutionären Evidenzen die notwendig soziale und normative Verfasstheit von Vernunft herauszuarbeiten, die deshalb ohne Selbstwiderspruch unhintergehbar sei (247–260). Abschließend vergleicht Terry Pinkard Menkes Begriff der Spontaneität als Fundament der Autonomie mit demjenigen Arendts und sieht beide in ihren Verweisen auf Freundschaft und Gleichheit eigentlich in die Richtung Hegels gedrängt (261–277).


Politik

Martin Saar plädiert, das politisch-philosophische Kapitel einleitend, mit Spinoza, Rancière und Menke für die anti-institutionelle Neubestimmung des Begriffs der Demokratie als dynamische Negativität oder Krise der verfestigten Politik (281–292). Hauke Brunkhorst versucht in seinem Beitrag, Adornos Kunst- und Wahrheitsbegriff utopisch zu deuten (293–310). Dabei ist nach Brunkhorst das Kunstwerk durch sein konkretes Material bestimmt und auf die Utopie, nicht bloß die Bestimmung dessen, was ist, gerichtet (295). So stellt sich hier folgerichtig die Frage nach dem Verhältnis von Kunst, Revolution und Erlösung, die zuletzt Gunnar Hindrichs in den Blick genommen hat. Die Beziehung Frankfurt – Basel ist es dann auch, die eigentlich in Brunkhorsts Aufsatz verhandelt zu werden scheint. Zwar akzeptiert er den Zusammenschluss von Kunst und Erlösung, aber nur unter Gültigkeit „der materialistischen Prämisse, dass das ästhetische Neue als Paradigma des revolutionär Neuen aus dem in sich schlüssigen und folgerichtigen Problemzusammenhang" (296) des Vorhandenen entsteht. Zwar sei das Sein des Kunstwerks ebenso wie das Gottes ein geschichtlich sich verwirklichendes, aber – und hier zieht Brunkhorst die entscheidende Differenz zu Hindrichs – „[f]ür Adorno ist es ein (evolutionstheoretisch anschlussfähiges) werdendes Sein und kein (eschatologisch anschlussfähiges) Sein im Werden" (298, vgl. auch FN 39). Was damit zuletzt auf dem Spiel steht, ist die Frage nach dem ontologischen Gottesbeweis, um den nach Adorno „übrigens wohl eine jede" Philosophie kreise (Adorno 2013: 378).

Gunnar Hindrichs, der zusammen mit Marc Nicolas Sommer für eine Art von Adorno-Renaissance in der Hochburg der akademischen Philosophie steht, hat dieses Problem verdeckt schon in seiner Habilitationsschrift in Angriff genommen. Sie versucht, einen eigenständigen Zugang zu einer kritischen Metaphysik in einer ‚nachmetaphysischen Zeit’, wie es seit Habermas heißt, aus dem Subjekt heraus zu bahnen. Sein kluger Schachzug war dort, den späten Schelling gegen Hegel auszuspielen, also die Frage nach dem Gottesbeweis in der Bewegung des Begriffs in ein unbestimmtes, unvordenkliches Sein aufzulösen, und so das Absolute als negativ bestimmbaren Grund wieder der Diskussion zugänglich zu machen (vgl. Hindrichs 2008). Noch sein Buch zur Revolution, das die Möglichkeit von Revolution und Erlösung angesichts der universellen Verblendung über einen philosophischen Handlungsbegriff neu bestimmen möchte, hängt zuletzt an dieser Lösung. Für Brunkhorst aber reduziert Hindrichs damit gerade die Kunst auf die Produktion und den Vorschein des Gottesreichs, um ihre Wahrheit freizuhalten (303). Folglich sieht Brunkhorst die transzendente Reinheit von Hindrichs Revolutionsbegriff, der für ihn nach dem obigen nur ontologisch abgesichert werden könne, an den profanen Realitäten von Arbeit und Freiheit in einer konkret-materiellen Welt scheitern, denn die Wirklichkeit könne diesem Begriff nie gerecht werden.

Gegen Hindrichs macht Brunkhorst deshalb mit Menke die konstitutive Interpretation und Kunsterfahrung, also das Werden und nicht das Sein des Kunstwerks stark: „nicht nur Produktions-, sondern der ständig erweiterte Reproduktions-, Konsumtions- und Rezeptionsprozess" (305) sei, was die transformative Praxis tatsächlich real mache. Das ist das Kontinuum der evolutionären Prozesse, die Brunkhorst auch im Begriff der befreiten Gesellschaft gegen Hindrichs ins Feld führt. Zuletzt hängt seine Kritik an der gelingenden Deutung derjenigen Akte, die er als Versöhnung von Kulturindustrie und Avantgarde am Ende ins Feld führt: Sit-ins 1964 in Berkeley, die Namensgebung Malcom Xs und Muhammad Alis Kriegsdienstverweigerung (309f.). Das seien alles Akte im Sinne eines Menkeschen Widerwillens, die den Raum des Möglichen offen hielten. Dieser hier aufscheinende Streit zwischen Frankfurt und Basel um das wahre – philosophische – Erbe Adornos lässt sich dadurch allerdings wohl kaum entscheiden. Die begriffliche Rettung hängt an der stets prekären Rettung des ontologischen Gottesbeweises, während die ästhetische Rettung an die Deutung gewisser Kunstwerke und den unabgeschlossenen Prozess der Geschichte gebunden bleibt. Aporien drohen hier wie dort.

Entsprechend evolutionär statt eschatologisch plädiert Daniel Loick für queere Praktiken als gegenhegemoniale Einübung transformativer Praktiken gegenüber einer barbarischen Negation der zweiten Natur als solche (311–328). Robin Celikates betrachtet den Revolutionsbegriff als selbstreflexive, sich zur Begrenzung institutionalisierende Praxis zwischen avantgardistischer Diktatur und Reformismus (329–340). Axel Honneth notiert, dass Burke in der gegenwärtigen Situation wohl nicht aufseiten der konservativen Parteien gewesen wäre (341–348). Eva Geulen analysiert subtil die Dimensionen des Entfremdungsbegriffs bei Schiller und die Dimension der ästhetischen Erfahrung in Abgrenzung zu Kant (349–356).

Dieter Thomä geht als einer der wenigen Beitragenden entlang der Figur der Antigone kritisch auf Menke selbst ein (357–373). Im Zentrum des Beitrags steht dessen Deutung der Moderne als Tragödie (vgl. Menke 2005). Thomä setzt ein mit dem altgriechischen Wort „panourgia“, an dessen Semantik er die Dialektik der Sophokles-Tragödie entfaltet: „Es empfiehlt sich allemal, der semantischen Bandbreite der panourgia Rechnung zu tragen. Die zwei Ebenen der wörtlichen Bedeutung und des Alltagsgebrauchs – ‚alles tun’ und ‚ein Verbrechen begehen’ – sind der Schlüssel zum Verständnis der Antigone” (359). Was damit auf dem Spiel steht, ist die Frage nach dem Status des Individuums in der Tragödie. Sie ist konstitutiv auf einzelne Figuren als Träger allgemeiner sittlicher Ansprüche angewiesen. Menke behauptet in seiner Analyse ja gerade gegen Hegel das Fortbestehen der Tragödie in der individualistischen Moderne. Thomä wiederum versucht zunächst darzulegen, dass Hegels Diskussion der Ironie der Weiblichkeit nicht auf Antigone referieren kann (wie die meisten annehmen), da sie bei Sophokles „keine ‚Frau’ im vom Hegel kodierten Sinn" (364) sei: sie tritt ja in den öffentlichen Raum und handelt. Ist sie aber deswegen schon Individuum? Thomä verneint: „Folgt man der Hypothese, dass Antigone die […] äußeren Zuschreibungen nicht übernimmt, dann muss man sie sich als Figur vorstellen, die radikal vereinzelt ist, sich aber nicht individualistisch versteht" (367). Denn Antigone sei als tragische Heldin gerade kein wählendes Individuum – sie „wendet sich hier gegen die Wahl als solche" (369), wenn sie ihre Existenz in einem verdammten und prädeterminierten, eben tragischen Universum bekennt. Antigone ist unerschütterlich, nicht, weil sie individuell ihr Schicksal wählt, sondern weil sie sich längst vorbehaltlos mit ihm identifiziert hat: „Sie wird in die Vereinzelung getrieben, weil sie Anstoß damit erregt, ihre Identität aus einer unverbrüchlichen Treue und Zuneigung, aus dem symphilein zu schöpfen" (369). Thomä kann auch den zweiten, scheinbar widersprüchlichen Dialog mit Ismene in seine Deutung holen. Gesteht man ihm allerdings diese Deutung zu, dann ergibt sich am Ende dieses dialektischen Lehrstücks zumindest, dass die „Vergangenheit dieser Gegenwart" (372) der Tragödie nicht ganz zutrifft. Antigone wäre somit kein Individuum, das den Widerspruch in der Freiheit austrägt. Und vielleicht ergibt sich daraus auch, dass die Gegenwart nicht mit dem Begriff der Tragödie charakterisiert werden und man den Widerspruch besser in den ästhetischen Schein als solchen verlegen sollte. Dann aber müsste gefolgert werden: Menke „müsste seine zentrale These zur modernen Tragik abwandeln und seinem Buch einen anderen Titel geben: Die Gegenwart der Tragikomödie" (373).

Genau in diesem Geiste weist Lutz Ellrich auf die gegenwärtigen Semantiken des Begriffs der Tragödie hin und mahnt, dass man damit nicht in ein metaphysisches Schicksalsmodell zurückfallen dürfe (373–387).


Denken

Die begriffliche Arbeit des letzten Kapitels widmet sich der vorgeblich reinen Sphäre des Denkens. Robert Pippin versucht noch einmal, Hegels Philosophie hinsichtlich des Begriffs der Kritik vor dem (auch von Adorno) im Namen der Endlichkeit erhobenen Vorwurf eines metaphysischen absoluten Idealismus zu retten, ohne ihn zu Kant zurückstufen zu müssen (391–400). Sebastian Rödl fokussiert auf das Werden in Hegels Logik, kritisiert en passant Frege und plädiert für die immanente, logisch korrekte Negativität des Allgemeinen (401–423). Martin Seel rekonstruiert einfühlend Adorno und nimmt ihn mit dem utopischen Begriff der Konstellation gegen den Vorwurf endloser Negativität in Schutz (424–434). Andrea Kern weist auf die innere Negativität des Wissens hin, das sich manchmal selbst im Weg steht und deshalb nicht dogmatisch werden dürfe (435–450). Frank Ruda expliziert Menkes philosophisches Denken über den Begriff der Kraft und mit Hegel als Möglichkeit, fremde Bestimmtheit zu empfangen und sich dadurch im Denken zu verändern (451–463). Christiane Voss analysiert zum Ende mit Menke Günther Anders’ Begriff der Scham im Angesicht der Technik und schließt diesen mit Menkes anderen, ästhetischen Umgängen mit der allgemeinen Vermittlung kurz (464–484).

II

Wirft man einen Blick auf die obige Übersicht, drängt sich einem zunächst die große Bandbreite der Beiträge auf, die beispielhaft für Menkes Begabung steht. Diese Vielfalt bietet aber auch Anlass zu einigen kritischen Fragen. Die dringlichste ist diejenige nach der möglichen Einheit bzw. nach dem Begriff der Philosophie, der hier verhandelt wird. Christoph Menke selbst kann, das meint nicht nur und zurecht Dieter Thomä, als eigenständiger Philosoph betrachtet werden. Seine Dissertation zielte auf die Verteidigung der negativen Dialektik Adornos und ihrer Fluchtbahn auf die Ästhetik hin sowohl gegen die Überformung durch die Dekonstruktion als auch gegen Habermas’ Vorwürfe. Menke entzieht sich dem Verdacht der romantischen Auflösung der Widersprüche, indem er ein Stück weiter mit Derrida für die Ästhetisierung der Philosophie plädiert und – in Rudas Worten – „einen neuen modus operandi nicht nur der Philosophie, sondern des Denkens überhaupt" (453) einführt.

Die Ästhetisierung des Denkens oder der Diskurse folgt aus dem Aufweis einer grundlegenden Krise, auf die ästhetische Erfahrung in der Rationalität als solcher hinweise. Am Grunde allen Denkens liege ein unauflösliches Paradox, das das begriffliche Denken zugleich einsetze und eine Auflösung verhindere. Das ist eben die derart neu gefasste radikale Negativität, die als ästhetische Erfahrung in das Denken und die Rationalität zu tragen sei. Paradox oder Widerspruch? – Ästhetisierung wird so jedenfalls zur neuen Figur der immanenten Kritik, die die traditionellen Ansprüche der Philosophie als Königsdisziplin einer neuen Bescheidenheit zuführt. Ist die Arbeit auf dem Gebiet der Philosophie für Menke dann schon getan? Näher liegt schon die Annahme, dass sich die akademische Philosophie aufgrund der zunehmenden Ausdifferenzierung immer weiter von diesen Fragen entfernt hat. Damit ergibt sich aber komplementär die Gefahr, dass sich solcherart ästhetisierende immanente Kritik irgendwann der philosophischen Reflexion dispensiert und zur selbstzweckhaften Maschine wird. Sie wird spätestens dann relevant, wenn sich wie im letzten Beitrag eine „das Selbstverständnis der Philosophie" betreffende Frage zu ihrer „Positionierung zwischen (Lebens-)Wissenschaften, Theologie und den Künsten" (464) aufdrängt. Dies ist die Frage nach dem – schon bei Adorno selbst unklar bleibenden – epistemologischen und ontologischen Status der Negativität, die laut Sammelband zugleich oder komplementär für alle vier diskutierten Bereiche gelten soll.

Menke selbst kann in seinen philosophischen Werken diese Spannung zweifelsohne produktiv austragen. Innerhalb der Festschrift zeigen sich allerdings zwischen den Kapiteln starke Spannungen, wie bereits an der Verteilung der Derrida-Zitate zu zeigen wäre. Bisweilen bekommt auch der geneigte Leser „das Gefühl, dass die Sprache hier ‚feiert’" (40), wie die Einleitung einmal mit Wittgenstein konstatiert. Eine Vermittlung beispielsweise der Kapitel zur Kunst und zum Denken (das einzig nicht im Untertitel geführt wird) erscheint dann auch problematisch. Die Frage nach der Philosophie lässt sich deshalb nicht nur anhand der sich auftuenden Differenz Frankfurt – Basel stellen, sondern auch anhand des vierten Kapitels im Ganzen. Der Beitrag von Andrea Kern zur Negativität des Wissens kann zwar noch auf Menkes Projekt bezogen werden, insofern sich dort eine Kritik moralischer und dogmatischer Wissensansprüche zeigt. Aber schon hier zeigt sich die Ausdifferenzierung philosophischer Disziplinen und Arbeitsweisen bereits im Stil. Auch beim Hegelianer Pippin sucht man vergeblich eine nähere Verbindung zu Menke, seine Hegelverteidigung geht nur in Nebensätzen und Fußnoten auf Adorno und Menke, den er diesem zuschlägt, ein. Martin Seel spricht zur Verteidigung Adornos (und Menkes) postwendend von „einer despektierlichen Bemerkung von Robert Pippin" (427). Am weitesten entfernt von Menkes Werk scheint der streng durchargumentierte Aufsatz von Sebastian Rödl zu sein. Die Frege-Kritik mag der Sache nach dienlich sein, eine produktive Diskussion zwischen dieser analytisch geschulten (jedoch auf die immanente Kritik der doktrinären analytischen Philosophie zielenden) Rekonstruktion des Beginns der Hegelschen Logik und der Menkeschen Philosophie der Kraft und Negativität lässt sich aber nur noch schwer vorstellen. Das ließe sich letztlich ebenso gut als fruchtbare Spannweite des hier in Anspruch genommenen Begriffs der Philosophie, wie als sein Auseinanderbrechen verstehen.

Das schmälert natürlich nicht das Interesse, das die Beiträge der Festschrift für sich beanspruchen können. Ganz im Gegenteil beweist dieser Band in der ihm inhärenten Dialektik der heteronomen Beiträge und Kapitel die Spannkraft des Menkeschen Denkens. Und wenn durch die Lektüre der Leser oder die Leserin sich nicht zuletzt die Frage stellt, was in der Gegenwart – unter der immer weiter voranschreitenden Ausdifferenzierung akademischer Disziplinen – Philosophie sein kann oder soll, dann ist das nicht das schlechteste Ergebnis. Denn die Frage nach der Negativität des Denkens oder der Philosophie selbst ist noch nicht beantwortet. Oder, wie ein anderer Frankfurter einmal bemerkte: „Der Schwindel, den das erregte, ist ein index veri; der Schock des Offenen, die Negativität, als welche es im Gedeckten und Immergleichen notwendig erscheint, Unwahrheit nur fürs Unwahre." (Adorno 2013: 43)


Literatur

Adorno, Theodor W. „Negative Dialektik." In Gesammelte Schriften Bd. 6, hg. von Rolf Tiedemann, 8–409. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2013.

Bennett, Jane. Vibrant Matter. A Political Ecology of Things. Durham/London: Duke University Press, 2010.

Best, Sharon; Marcus, Stephen. „Surface Reading. An Introduction." Representations 108.1 (2009), 1–21.

Felski, Rita. The Limits of Critique. Chicago: The University of Chicago Press, 2015.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. 1986. Phänomenologie des Geistes. Herausgegeben von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Bd. 3. Werke. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Hindrichs, Gunnar. Das Absolute und das Subjekt. Untersuchungen zum Verhältnis von Metaphysik und Nachmetaphysik. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann, 2008.

Menke, Christoph. Kraft. Ein Grundbegriff ästhetischer Anthropologie. Mit einem neuen Vorwort. Berlin: Suhrkamp, 2017.

Menke, Christoph. Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2005.

Menke, Christoph. Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1991.

Menke, Christoph. Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1991.


  1. Vgl. exemplarisch und in den verschiedenen theoretischen Akzentuierungen Best & Marcus 2009, Bennett 2010 und Felski 2015.↩︎

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