Zeitschrift für philosophische Literatur. 8.1 (2020), 1–8

Hindrichs, Gunnar (Hrsg.): Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Berlin und Boston: De Gruyter 2017. 214 Seiten. ISBN: 978-3-11-044879-5.

Rezensiert von Daniel Mirbeth (Julius-Maximilians-Universität Würzburg)

Jürgen Habermas meinte einmal, die erste Generation der Kritischen Theorie habe sich aufgrund ihres „performativen Widerspruchs" (Habermas 1988: 144) in eine Sackgasse manövriert. Doch ob man dieses Urteil, das Habermas über diejenigen fällte, in deren Tradition er steht, teilt oder nicht – die Tragweite der durch die beiden Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer nicht zuletzt in ihrem Hauptwerk, der Dialektik der Aufklärung, entwickelten Philosophie kann man nicht leugnen: Nicht nur Habermas selbst, sondern auch viele den 68ern und der Neuen Linken verbundene Denker_innen wurden durch sie geprägt. Gegenwärtig bezeugen Namen wie die von Rahel Jaeggi oder Axel Honneth die kaum geschmälerte Bedeutung der auf sie zurückgehenden Ansätze.

Die Dialektik der Aufklärung setzt die von Georg Lukács in der Aufsatzsammlung Geschichte und Klassenbewußtsein (1970 [1923]) begonnene Revision philosophischer Klassiker wie Kant und Hegel im Licht der Marx’schen Wendung fort. Wie schon im vorher von Horkheimer im Aufsatz „Traditionelle und Kritische Theorie" (1937) formulierten Programm des Instituts für Sozialforschung geht es darum, dem Scheitern der Revolution durch Reflexion zu begegnen: Weil die im Anschluss an die russische Oktoberrevolution erhoffte Weltrevolution ausblieb, steht für die nicht parteigebundene Linke in Europa am Ende der marxschen These, es komme darauf an, die Welt zu verändern ein großes Fragezeichen. Anstatt vor der Bedrohung durch den Nationalsozialismus in gedankenlosen Aktionismus zu flüchten, drängten Horkheimer und Adorno darauf, durch vertiefte Theoriearbeit trotz aller Widrigkeiten die Chancen für wahrhaft emanzipatorische Praxis offenzuhalten.

Die daraus entstandene, 1944 zuerst erschienene Schrift stellt Leserinnen und Leser allerdings vor nicht unerhebliche Hindernisse: Sie ist zuweilen enigmatisch und voraussetzungsreich, dann wieder tauchen Passagen auf, die auf den ersten Blick selbsterklärend scheinen, sich bei genauerer Betrachtung aber als nur umso verrätselter erweisen. Besonders begrüßenswert ist aus diesem Grund der nun erschienene, von Gunnar Hinrichs herausgegebene Kommentarband zur Dialektik der Aufklärung. Er nimmt sich der schwierigen Aufgabe an, den Zugang zu diesem Text zu erleichtern und Missverständnissen vorzubeugen. Dabei korrespondieren die ersten sechs Beiträge jeweils einem Kapitel der Dialektik der Aufklärung, während die folgenden fünf an den Leitmotiven des Werkes orientierte Zugänge zu bahnen versuchen.

Birgit Sandkaulen erläutert den Begriff der Aufklärung, wie ihn Adorno und Horkheimer im gleichnamigen Kapitel entfalten. Zunächst zerlegt sie dieses in zwei Teile: instrumentelle Vernunft und Naturbeherrschung (7ff.) und instrumentelle Vernunft und Selbsterhaltung, (11ff.) bevor sie sich dem für sie zentralen Problem der Methodik einer Selbstkritik der Aufklärung widmet (13ff.). Dabei vermisst sie eine „konzeptionelle Klarstellung seitens der Autoren" (16) und eine Antwort auf die Frage, „an welchem Maßstab sich die radikale Kritik" (14) Adornos und Horkheimers orientiert. Zwar trifft Sandkaulens Behauptung zu, die Dialektik der Aufklärung hätte sich mit ihrer Vernunftkritik einer notwendigen „normativen Vergewisserung" (20) beraubt , aber dies lässt sich Horkheimer und Adorno eben nicht vorwerfen. Denn ihnen geht es nicht darum, nach Art der in der Dialektik der Aufklärung kritisierten traditionellen, d. h. undialektischen Theorie der Realität eine willkürlich gesetzte normative Theorie entgegenzuhalten. Stattdessen geht es darum, durch die Konfrontation mit der Realität reale Emanzipationsmöglichkeiten aufzeigen zu können. Und gerade das war in der historischen Situation, als die Dialektik der Aufklärung geschrieben wurde auch geboten: Dem Nationalsozialismus normative Forderungen zu stellen wäre absurd. Die Dialektik der Aufklärung ist der Versuch, in einer Realität, in der eine normative Basis nicht mehr existiert, dennoch emanzipatorische Theorie zu ermöglichen. Was Sandkaulen der Kritischen Theorie anlastet, liegt nicht an dieser selbst: Der Mangel an normativer Basis ist das Problem der Dialektik der Aufklärung – aber es ist das Problem, dem sie sich stellt.

Anders geht Marc Nicolas Sommer vor. Er rettet das Odysseuskapitel vor vorschneller Kritik. Durch die Rekonstruktion der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit der reaktionären deutschen Homerrezeption wird die ursprüngliche Stoßrichtung des Textes wieder erkennbar und das Kapitel für die Gegenwart wieder lesbar gemacht. Sommer versteht die Beschäftigung mit der Odyssee nicht als eine unreflektierte Projektion bürgerlich-kapitalistischer Verhältnisse auf die Homerische Erzählung, sondern als diskursive Intervention gegen die mythisierende Vereinnahmung der Antike durch die rechte Intelligenz der Weimarer Zeit wie gegen die auf Deutung verzichtende positivistische Philologie. Das Kapitel muss Sommer zufolge also „als doppelte Frontstellung gegen zwei Tendenzen verstanden werden, die beide den Aufstieg des Faschismus und damit den Rückfall in die Barbarei mitverschuldet haben" (28f.). Abgesehen von dieser wertvollen Kontextualisierung bleibt es allerdings bei einer recht schematischen Nacherzählung des Primärtextes.

Julia Christ versucht, anhand des Kapitels zu Nietzsche, Kant und de Sade die von Adorno erst zwei Jahrzehnte später in der Negativen Dialektik explizit nachgelieferten methodologischen Voraussetzungen der Dialektik der Aufklärung aufzuzeigen. Zentral ist für sie hierbei die Behauptung eines Vorranges des Objektiven und die daraus resultierende Einsicht in die gesellschaftliche Vermitteltheit der subjektiven kantischen Kategorien (46f). Sade habe Kants Philosophie verwirklicht, so fasst Christ die These des Kapitels zusammen: Diese durch keinerlei praktische Erwägungen moderierte Übertragung der Theorie in die Praxis resultiert in einer zwar formal logischen, faktisch aber unsinnigen und unmenschlichen Unterwerfung und Ordnung von Natur (48). Die praktisch gewordene theoretische Vernunft, gereinigt von allen praktischen Zwecken, ist nichts außer scheinbar wertfreies Werkzeug, neutral gegen alle Zwecke (49) – und damit auch gleichgültig gegenüber handlungsmotivierenden Affekten des Subjekts. Die Subjekte handeln in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft gerade durch die Verfolgung ihres Eigeninteresses gesellschaftlich – und daher werde die Gesellschaft tendenziell von nichts anderem bestimmt als durch das bloße Prinzip individueller Selbsterhaltung (49f.). Nach der beschriebenen Entleerung des Subjektes tendiert dieses in Gestalt Sades zur Suche nach Lustgewinn durch Macht, indifferent gegen jeglichen Zweck. So ist der Schmerz der Opfer nicht selbst das, was sadistische Täterinnen und Täter berauscht, sondern nur das Indiz, das auf die Erreichung des Ziels hindeutet: Die Ohnmacht des Opfers ist, was die Macht des zum Täter oder zur Täterin gewordenen tätigen Subjekts erst erzeugt (53). Es geht dem Subjekt Sades – und darin gleicht es dem Kants – nicht um ein besonderes Ziel; die absurden Machtphantasien werden nur gegen den Widerstand der Realität durchgesetzt, um dem Subjekt seine Souveränität immer wieder aufs neue zu beglaubigen (55). Gegen die Lust Sades führen Adorno und Horkheimer einen dem Freudschen analogen Lustbegriff ins Feld; Lust ist hier nicht in der Identität mit der Norm – auch der, wie bei de Sades Juliette, scheinbar subjektiv gesetzten –, sondern in ihrer Überschreitung zu suchen. So wird sie nur vorstellbar als eine kurze Rückkehr des Subjekts in die Natur, der es durch die Zivilisation entfremdet wurde (57). Letztlich folgt Christ Adorno und Horkheimer in der Rehabilitation der Aufklärungskritik de Sades und Nietzsches – dessen Bedeutung im Exkurs von ihr allerdings weitgehend vernachlässigt wird – und dehnt diese dann auch noch auf diese selbst aus: Die Übertreibung durch die Autoren markiere „nicht das Scheitern der Aufklärung, sondern nur die Notwendigkeit ihrer Selbstkritik" (59).

Anschließend untersucht Gunnar Hindrichs den Exkurs über die Kulturindustrie. Dabei stellt er fest, dass es Horkheimer und Adorno dort nicht darum geht, starr die kanonisierte Hochkultur den Erzeugnissen Hollywoods entgegenzusetzen, sondern letztere als konsequenteste Entfaltung der Kategorien der bürgerlichen Ästhetik zu begreifen. Hindrichs veranschaulicht diese Kritik anhand derer Kernbegriffe Versöhnung, Stil, Katharsis, Schein, Tragik, Autonomie und lart pour l’art. (61) Dabei bemerkt er, dass schon der ironische Titel des Kapitels Zeichen davon sei, dass die Sphären der bürgerlichen Gesellschaft nur scheinbar fein säuberlich voneinander zu trennen sind: Die von liberaler wie konservativer Kulturtheorie vorgenommene Scheidung von Industrie und Kultur verdeckt, dass beide sich gegenseitig bedingende Momente derselben gesellschaftlichen Totalität sind (61f.). Hindrichs bringt die These auf den Punkt: Die Kulturindustrie weise für Horkheimer und Adorno „dieselbe Rationalität […] wie die funktionale Wirtschaftsform" (69) auf – und darum sei das kulturindustrielle „Versprechen auf Lusterfüllung ein Betrug" (69). Die sogenannte Massenkultur sei überdies nicht die Kultur der Massen, sondern die, die diesen verkauft wird (62f.). Was infolgedessen wie die verwirklichte Versöhnung von Subjekt und Objekt erscheine, sei nur die aufwändig fabrizierte Übereinstimmung des kulturellen Angebots mit der durch dessen dauerhafte Marktmacht formierten Nachfrage (63f.) – ein „Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis" (67). Ähnlich manipulative Züge weise auch das Phänomen der Liquidation von Tragik auf (72ff.): Denn die Kulturindustrie verleugne zwar nicht die Existenz menschlichen Leidens und stelle dieses ausgiebig dar; durch den Missbrauch des Tragischen zur bloßen Kontrastierung scheinbaren Glücks verliere dieses allerdings seinen gesellschaftskritischen Charakter. Zudem werde das Elend als schicksalshaft und unausweichlich inszeniert; der Bildungsauftrag, den Schiller an das Theater stellte, erweise sich dadurch letztlich als Erziehung zum Ertragen von Unglück (73). Der nach der triftigen Meinung Hindrichs’ von Hölderlin und Benjamin entlehnte Begriff der Tragödie hingegen beinhalte ein Moment von Widerstand – auch wenn dieser letztlich zum Scheitern verurteilt sei (73f.).

Eva-Maria Ziege beschäftigt sich mit der Grundlegung der Antisemitismustheorie, die in den „Thesen über Antisemitismus" zu finden ist. Dabei legt sie verborgene Voraussetzungen wie etwa den „esoterischen Bezug" (92) auf Marx’ Schrift über die Judenfrage frei, ohne allerdings das Ziel einer Verständigung über den voraussetzungsvollen Text aus den Augen zu verlieren. Besonders gelungen ist ihre Erläuterung der in den Thesen V und VI hergestellten Zusammenhänge zwischen Zivilisation und Herrschaft (88ff.). In wenigen Absätzen werden die wichtigsten Punkte herausgearbeitet und die Orientierung an Freud und Marx verdeutlicht, ohne dabei den Versuch zu machen, deren Theorien en passant ebenfalls abzuhandeln.

Die auf die geschlosseneren Kapitel folgenden Fragmente erläutert Gérard Raulet in seinem Beitrag. Neben einführenden Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte und einer Diskussion der Widerspiegelung der Unabschließbarkeit philosophischer Erkenntnis in der unabgeschlossenen Form sucht er die Pluralität der kleinen Texte anhand von Leitmotiven zu ordnen. Zentral erscheint ihm das Aufscheinen des Umrisses einer Anthropologie, die vor allem auf der Analyse der Beziehung des Menschen zum Tier fußt (101ff.). Unter der Überschrift ‚Herrschaft. Theorie/Praxis’ erläutert er den Begriff des Rackets (107f), geht auf die Analyse des Verbrechens in der bürgerlichen Gesellschaft durch Horkheimers und Adornos ein (108ff.) und skizziert schließlich ihre Neubestimmung des Fortschrittsbegriffes (110ff.) So überraschend wie erhellend ist hier die selten thematisierte Bezugnahme auf den Konterrevolutionär Joseph de Maistre – und die Rückführung dieses Motivs auf den Briefwechsel Horkheimers mit Walter Benjamin.

Mit Brian O’Connors Text über die Rolle Kants findet sich auch ein englischsprachiger Beitrag in dem Band. Ihm zufolge ist der Hauptpunkt von Horkheimers und Adornos Kantkritik, dass es nicht nur, wie von Kant behauptet, durch das Subjekt erzeugten, sondern auch in der Natur bereits vorhandenen Sinn gäbe (117). Zudem seien sie geleitet vom Vorhaben, Kants apriorischen Bestimmungen auf ihre historisch-praktische Bedingtheit zurückzuführen (120f.). Denn durch dessen Ablösung der Vernunft von ihrer empirischen Grundlage werde diese verdinglicht (125f.). Eine so von aller Leiblichkeit und allem Gefühl abgelöste Vernunft konvergiere in ihrer Selbstzweckhaftigkeit mit der sinnlosen Grausamkeit bei de Sade (126f.). O’Connor exemplifiziert diese Kritik anhand der Kantischen Kernbegriffe von Synthese, (116ff.) Schematismus (118ff.) und synthetischer Einheit der Apperzeption (121ff.). Dabei ermöglicht O’Connor, auch ohne umfangreiches Kantstudium die Hauptlinien dessen Denkens nachzuvollziehen, soweit sie für die Kritische Theorie von Bedeutung sind. Besonders erfreulich ist sein Verweis auf den wichtigen Begriff der Mimesis, durch den Horkheimer und Adorno eine Überschreitung der zum System erstarrten Wahrnehmung des Kantischen Subjekts skizzieren (122f.).

Guido Kreis hingegen liefert eine systematische Abhandlung über den Einfluss Hegels und damit über die Dialektik der Aufklärung. Inwiefern diese nicht nur eine Fortführung des Aufklärungskapitels aus der Phänomenologie des Geistes darstellt (139ff.), sondern diesem auch in der Methode – oder Nichtmethode – folgt, zeigt sich durch Kreis’ Erläuterung der für Horkheimer und Adorno zentralen Hegelbegriffe der immanenten Kritik (132ff.) und der bestimmten Negation (135f.) sowie der Bestimmung der Dialektik als Bewegung des Gegenstandes (137ff.). Auch gelingt es Kreis, die Hegelkritik der kritischen Theoretiker zu pointieren: Diese sei vor allem Markierung des Bruches zwischen Theorie und Praxis, speziell: der Unterschlagung des dem Denken Nichtidentischen im Denken (146f.). An dieser Stelle fehlt allerdings der Hinweis darauf, das dieses Vorhaben der Selbstbescheidung der Erkenntnis wiederum ein Kantisches Motiv ist.

Martin Saar weist in seinem Beitrag auf die oft vernachlässigte Rezeption Nietzsches durch Horkheimer und Adorno hin. Dabei macht er zwar eine „Tiefenkontinuität der beiden Aufklärungsprojekte aus" (158), dennoch meint er, dass diese Kontinuität nicht bruchlos sei. Vielmehr stünden beide Philosophien in einem „vielleicht selbst dialektischen Verhältnis" (151) Dabei betont er, dass sowohl Nietzsche als auch die Dialektik der Aufklärung die Frage nach dem Zusammenhang von Theorie und Praxis stellen – und vor allem, dass für diesen wie für jene die Fragestellung nach dem Verhältnis von Kultur und Barbarei sich keinem rein philosophischen Interesse verdankt, sondern sich durch die Geschichte aufdrängt. Darüber hinaus markiert Saar die Hauptlinien Nietzsches, an die Horkheimer und Adorno anknüpfen : die Reflexion der prekären Stellung der Philosophie und des Umstandes, dass jedes Wissen in inniger Beziehung zur Macht steht (154f.). Zudem bemerkt er, dass schon Nietzsche die traditionelle Vorstellung eines Dualismus von Leib und Seele kritisierte – auch dies ein Leitmotiv der Dialektik der Aufklärung (155). Schließlich sieht er auch die Wendung gegen rationalistische Vorstellungen einer von subjektiven und gesellschaftlichen Momenten unabhängigen Moral als von diesem bereits vorgezeichnet (155f.). Im Juliette-Exkurs allerdings zeigt sich für Saar, was der entscheidende Unterschied zur Kritischen Theorie ist: Was bei Nietzsche fehle, sei ein rettender Begriff gesellschaftsverändernder Praxis – deshalb werde er contre cœur zum Komplizen des von ihm Kritisierten. Er spreche zwar aus, wie die Grausamkeit der Realität mit der Vernunft zusammenhängt, dadurch verstelle er aber die Denkbarkeit seines eigenen Projektes. Denn er unterschlage damit die Möglichkeit einer davon qualitativ verschiedenen, emanzipatorischen Vernunft, die die gegebene Konstellation zu verändern in der Lage wäre (158ff.). Dennoch sei Nietzsche nicht eindeutig dem reaktionären Diskurs zuzuschlagen. Im Gegenteil ginge es – so Saar – Horkheimer und Adorno darum, dessen aufklärerische Momente gegen die falsch vereindeutigende rechte Rezeption zu verteidigen (160).

Emil Angehrn widmet sich der untergründigen Rezeption der Psychoanalyse in der Dialektik der Aufklärung. In den „beiden Figuren der kulturgeschichtlichen Rückläufigkeit und der persönlichen Selbstbehinderung" (166) sieht er eine Parallele zwischen den Tendenzen, die Gesellschaftswissenschaft und Psychoanalyse auf ihrem jeweiligen Gebiet beobachten. Allerdings besäßen beide Disziplinen blinde Flecken: Die Soziologie hinge dem Irrtum an, die Disziplinierung und Formung innerer Natur sei so dauerhaft, dass die Irrationalitäten vergangener Kulturentwicklung endgültig überwunden seien; hingegen interessiere sich die Freud’sche Theorie weitgehend nicht für die soziale Bedingtheit der Subjektstruktur. Folgerichtig eignen sich die beiden Ansätze dafür, gegenseitig ihre Defizite bei der Analyse des vergesellschafteten Individuums aufzudecken (169). Angehrn kann in der Kürze nur einführende Bemerkungen machen und vor gewissen verbreiteten Fehlinterpretationen warnen; dennoch gelingt es ihm, die Gemeinsamkeit wie die Differenz zwischen Kritischer Theorie und Psychoanalyse herauszustellen: Beide bilden ihm zufolge die von Widersprüchen zerklüftete Realität ab, ohne in der Theorie eine Versöhnung zu fingieren; die Kritische Theorie hielte aber gegen Freud an der Möglichkeit des Fortschritts zu einer versöhnten Welt fest (177f.).

Abschließend zeichnet Hauke Brunkhorst Vorgeschichte und Rezeption nach. Er liefert eine Kurzzusammenfassung der einzelnen Kapitel mit Verweisen auf den ideengeschichtlichen Kontext und eventuelle Anknüpfungen anderer Autoren an die Thesen Horkheimers und Adornos. Dabei erweist sich vor allem die Rekonstruktion der philosophischen Traditionslinien als ertragreich: Als zentrales Moment identifiziert er die Auseinandersetzung mit Kant; den Bogen zwischen dessen kritischer Philosophie und der kritischen Theorie bilde das Werk Hegels und der anschließende Konflikt zwischen Alt- und Linkshegelianern. Bei beiden sei die bereits von Hegel selbst angestoßene Bewegung der Philosophie hin zum Gesellschaftlichen – also die Anstrengung des Denkens, seine Kategorien in Beziehung zu setzen zu denen der Gesellschaft – auszumachen. Brunkhorst kann so die kritische Theorie der Gesellschaft eindeutig in linkshegelianischer Tradition verorten (179ff.). Das zeigt sich für ihn etwa bei der durch Hegel und Marx angeleiteten Erschließung der sozialen Dimension des Kant’schen Aufklärungsbegriffes im ersten Kapitel (186). Der Boden, auf dem die Rede der Dialektik der Aufklärung also ansetzt, wäre somit immer noch der Hegels; die Konzeption des von Horkheimer geleiteten Instituts für Sozialforschung nichts anderes als der Versuch, das Hegel’sche Programm durch Arbeitsteiligkeit auch in Zeiten steigender gesellschaftlicher Differenzierung und Komplexität zu verfolgen (182f.). Auch im ersten Kapitel zeigt sich für Brunkhorst diese linkshegelianische Verortung eindeutig: Leitmotiv ist für ihn hier die durch Hegel und Marx angeleitete Erschließung der sozialen Dimension des Kantischen Aufklärungsbegriffes (186). Neben der mit aller notwendigen Ausführlichkeit geleisteten Verortung des Werkes in der Ideengeschichte fällt Brunkhorsts Beschäftigung mit den Perspektiven der Kritischen Theorie hingegen recht sparsam aus. Abgesehen von vergleichsweise ausführlichen Bemerkungen über Habermas (188f.) oder Michael Theunissen (194) bleibt es hier leider bei einfachen Literaturverweisen.

Insgesamt beeindruckt trotz vereinzelter Mängel im Detail, welchen Sachverstand Hinrichs versammeln konnte – und dass die Autorinnen und Autoren fast ausnahmslos dem Profilierungsdrang widerstehen, Kritik um ihrer selbst willen an den großen Namen zu üben. Der Band bietet damit zwar wenig Überraschendes, erfüllt aber damit genau den Anspruch, den man an einen einführenden Kommentar stellt. Die bei durchgängiger Lektüre störenden Wiederholungen einzelner Motive bei verschiedenen Autoren und Autorinnen sind unvermeidbar, ja notwendig, da diese auch im Primärtext in unzähligen Konstellationen wiederkehren und daher nicht in einem einzigen Zusammenhang abgehandelt werden könnten. Einzig der Verzicht auf eine systematische Behandlung des Verhältnisses zu Marx beziehungsweise dem Marxismus ist schmerzlich.

Literatur

Habermas, Jürgen. Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988.

Horkheimer, Max. „Traditionelle und Kritische Theorie." Zeitschrift Für Sozialforschung 6 (1937), 245–94.

Lukács,Georg. Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über marxistische Dialektik. Neuwied: Luchterhand, 1970 [1923].

© 2020 Zeitschrift für philosophische Literatur, lizenziert unter CC-BY-ND-3.0-DE, doi: 10.21827/zfphl.8.1.35763

© 2020 Zeitschrift für philosophische Literatur, lizenziert unter CC-BY-ND-3.0-DE