Mooren, Nadine: Hegel und die Religion – Eine Untersuchung zum Verhältnis von Religion, Philosophie und Theologie in Hegels System. Hegel-Studien, Beiheft 66. Hamburg: Meiner 2018. 253 Seiten. [978-3-7873-3185-7]

Rezensiert von William Mathorne (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)

Die Beziehung der Hegelschen Philosophie zum Christentum ist zweifelsohne eine zentrale Problematik der Hegel-Forschung. Mit dem vorliegenden Buch, dessen Vorlage eine bei der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eingereichte Dissertationsschrift ist, liefert Nadine Mooren einen systematischen und gründlich ausgearbeiteten Beitrag zu dieser Diskussion. Zu ihr etwas Neues beizutragen ist allerdings kein leichtes Unterfangen: Hegels Religionsphilosophie ist bereits Gegenstand unzähliger Interpretationen und das Vorhaben, eine originelle Einsicht vorzutragen, fordert eine scharfsichtige Analyse. Dessen ist sich Mooren von Anfang an bewusst und steigt dennoch ohne Vorbehalte in die Problematik ein: Sie meint, dass die in so vielen Hinsichten zur philosophischen Waffe für und gegen ihn erhobene These Hegels von der Inhaltsidentität von Philosophie und Religion philologisch und systematisch genau ausgearbeitet werden müsse, da nur so eine unbefangene Entscheidung über die Reichweite und Gültigkeit seines Ansatzes und dessen Anwendungen getroffen werden könne (15). An einer solchen Inhaltsidentität festzuhalten mag nämlich aus heutiger Sicht den Verdacht erregen, christliches Denken zu sein. Laut Mooren ergibt eine sorgfältige Behandlung der These allerdings, dass „[e]rst wenn man auch dieser formalen Differenzierung Rechnung trägt, die die Behauptung von der Inhaltsidentität notwendig ergänzt, […] Hegels Ansatz angemessen rekonstruiert werden“ (15) könne. Diese Klärung erweist sich als roter Faden dieser Arbeit und ihrer drei Teile, die jeweils einen anderen Aspekt des Formunterschiedes beleuchten.

Im ersten Teil der Arbeit erklärt Mooren das Verhältnis von Religion und Philosophie ausgehend von ihrer Verortung im absoluten Geist (24): Innerhalb der Lehre vom absoluten Geist ist der Übergang von Religion zur Philosophie nicht geschichtlich aufzufassen, sondern stellt den systematischen Zusammenhang beider dar. Er ist durch Gleichrangigkeit, Aufstieg in Begründungsfunktionen und Differenzierung anhand der sozialen Form gekennzeichnet (26, 34). Die Bereiche explizieren somit auf immer komplexere Art und Weise die menschlichen Welt- und Selbstdeutungspraktiken, die als spezifische Formen des Selbst-Wissens der absoluten Idee zusammengehalten sind (30, 33). Die Differenz der Wissensformen ist das Unterscheidungsmerkmal der Religion und Philosophie: Im Glauben wird zwar das christliche Credo gewusst, aber in einer Form, die nur einem alltäglichen, nichtwissenschaftlichen Maßstab der Rechtfertigung entspricht (53f.).

Mooren geht daher im zweiten Teil näher auf die epistemischen Formen der menschlichen Gegenstandsbezüge und ihre Bedeutung für den Gehalt des Wissens ein. Sowohl die Philosophie als auch die Religion erhebt nämlich den Anspruch, „das Ganze als ein Ganzes zu fassen“ (65), worin die Hegelsche These vom gemeinsamen Gegenstandsbereich, d. h. der gleichen Extension (135), beider besteht. Da Hegel spezifisch die christliche Religion im Auge hat, in der die Idee vom Gott als Geist auftritt, dessen Natur in seiner Selbstoffenbarung und in seinem Selbstwissen liegt, kommt die zweite, von der ersten zu unterscheidenden Bestimmung hinzu, dass die Philosophie laut Hegel auch die gleiche Intension, d. h. Inhaltsbestimmung hat: dass der ihnen gemeinsame Gegenstand als Geist ausgelegt wird (93). Ihr spezifischer Unterschied liegt daher in der jeweils vorherrschenden Zugriffsweise. Die Religion sei ein Denken des Ganzen unter Vorrang der Vorstellung, wogegen die spekulative Philosophie ein eminent begriffliches Denken verkörpere, ohne andere Formen auszuschließen (66). Da diese Transformation, die auch genetisch zu verstehen ist, sich nicht nur auf die Form beschränkt, sondern auch den Inhalt betrifft, handelt es sich laut Mooren eher um eine inhaltliche Kontinuität als schlicht um eine Identität. Die göttliche Geschichte bezieht sich auf vereinzelte Gegenstände und Episoden in ihrer zeitlichen, sinnlichen Verbundenheit, während der philosophische Begriff die logisch notwendige Beziehung der Momente ausmacht (96). Mooren ergänzt diesen epistemischen Unterschied durch eine Darlegung der sozialen Dimension der Religion, die kultische Praxis, die in der Philosophie nur theoretisch reflektiert, aber nicht praktisch wiederholt wird bzw. werden kann (107–135).

Der letzte und umfangreichste Teil der Arbeit zielt auf eine logische Rekonstruktion der Inhalt-Form-Grammatik im Lichte von Hilary Putnams Theorie der „sozial aufgeteilten Bedeutungsverwendung“ (140). Demnach obliegt die Einsicht in die logische Notwendigkeit eines Inhaltes und somit dessen eigentliche Rechtfertigung nur einigen Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft (sprich: den Philosoph_innen), und diese Einsicht ermöglicht die (legitime) Verwendung des Ausdrucks im Alltagsgebrauch (171f). So unterscheidet man zum Beispiel zu Recht zwischen einer Buche und einer Ulme – selbst wenn ich diese im Zweifel verwechseln würde –, weil es Personen gibt, deren „Job“ (168) es ist, diese Unterscheidung erklären und rechtfertigen zu können. Die Arbeitsteilung gründet auf der Trennung von Form und Inhalt, die die religiösen Vorstellungen kennzeichnet und die die Philosophie in eine Identität von Form und Inhalt aufhebt (139). Anhand von Hegels Wesenslogik zeigt Mooren, dass es sich bei der Form-Inhalt-Grammatik um ein Explikationsverhältnis handelt, bei der die notwendige Beziehung des Inhaltes auf seine Form herausgearbeitet und philosophisch begründet wird (150). Dass das Alltagsbewusstsein solche Beziehungen nicht berücksichtigt, ist eines seiner konstitutiven Merkmale und macht die Implizitheit seines Wissens aus. Deswegen argumentiert Hegel sowohl für die Notwendigkeit des philosophischen Nachdenkens auf der Geltungsebene als auch dafür, dass die Philosophie von der vorwissenschaftlichen Weltauslegung abhängig ist, weil sie den Stoff für das begründende Nachdenken liefert (223). Damit werde, so Mooren, Hegels „kontemplative[m] Philosophieideal“ (233) Rechnung getragen, dem zufolge die Philosophie die Einheit der sozialen Institutionen und der menschlichen Selbstauslegung ergründen soll.

Bei einem solchen weitreichenden Überblick über die Hegelsche Theorie lässt es sich kaum vermeiden, einiger Wiederholungen anheimzufallen, doch stören diese nicht weiter. Der philosophische (Mehr-)Wert ihres Buches liegt in ihrer Darlegung und Interpretation der Hegelschen These der inhaltlichen Identität, aber formalen Differenz von Religion und Philosophie (15f). Diese explizite Absicht zieht sich deutlich als roter Faden durch das Buch, einige interessante aber unorganisch eingebundene Abschnitte ausgenommen – vor allem der über die Gemeinde, worauf ich noch zurückkomme.

Mooren leistet dabei zweierlei: Erstens betont sie, dass das Verhältnis zwischen Philosophie und Religion bzw. Theologie als zwei distinkte Relationen abzuhandeln ist, indem die Theologie – im Gegensatz zur religiösen Selbstreflexion – den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt. Zweitens stellt sie die in vielerlei Hinsicht aufschlussreiche These auf, dass der Übergang von Religion zur Philosophie als Explikation eines impliziten Wissens zu rekonstruieren ist. Diese Thesen werden durch eine präzise und akribische Exegese der zentralen Textstellen argumentativ gestützt. Das ist insgesamt sehr überzeugend durchgeführt und bringt Klarheit hinsichtlich Sinn, Funktion und Perspektiven in die häufig eher undurchsichtigen Passagen Hegels.

Ein sich daran anschließender, interessanter Aspekt der Arbeit ist die bereits zu Beginn angekündigte Intention, die behandelten Verhältnisse als Einzelfälle allgemeinerer Legitimitätsproblematiken und Demarkierungen von Wissensformen (14f., 87) zu betrachten: Einerseits handelt es sich um das Verhältnis einer Wissenschaft (Philosophie) zu dem von ihr behandelten alltäglichen Phänomen (Religion); andererseits um das Verhältnis zwischen zwei Wissenschaften (Philosophie und Theologie), die ihren Gegenstandsbereich (Religion) teilen. Dies beruht auf der für Mooren wichtigen These, dass eine Wissenschaft laut Hegel das implizite Wissen ihres Gegenstandsbereichs expliziert (229), was als produktiver, obgleich strittiger Ansatz für die Auslegung anderer Teile von Hegels Werk dienen kann.

Insgesamt zeigt Mooren eine beachtenswerte Vorsicht bei dem (dennoch häufigen) Einbezug gegenwärtiger Positionen und Wissensinteressen, insbesondere aus der analytischen Tradition, zur Erläuterung von Hegels Thesen. Ein glänzendes Beispiel ist ihr Versuch, Hegels Verständnis des Formunterschiedes anhand Freges Sinnbegriffes auszulegen, ohne dabei die Annahmen ihrer jeweiligen Ontologie hinsichtlich des Status sprachunabhängiger Gegenstände zu verschweigen (164). Die gezogenen Vergleiche dienen zugleich der Veranschaulichung der Hegelschen Argumente zugunsten einer breiteren Leserschaft als auch dem Herstellen eines Aktualitätsbezuges.

Eine weitere Stärke der Arbeit liegt im vortrefflichen Teil über Hegels Begriff der Gemeinde. Mooren nimmt eine Reihe von gegenwärtigen Diskussionen – z. B. das Verhältnis von Staat und Religion (126f.) sowie die sittliche Habitualisierung durch Religion (113) – rund um den Begriff auf und klärt durch präzise Ergänzungen und Korrekturen die Frage, welche soziale Funktion die Religion laut Hegel in der Gemeinde hat. Die betonte Selbständigkeit der sozialen Praxis gegenüber ihrer philosophischen Erklärung, dass sie also nicht durch Reflexion ersetzt werden kann (134), trägt zur differenzierten Behandlung von Hegels Position bei.

Allerdings steht dieser Abschnitt eher abseits der übrigen Teile der Arbeit, was auf eine erste Schwäche hinweist: Obwohl Mooren bewusst den theoretischen Vorrang des Verhältnisses von Philosophie und Religion insgesamt akzentuiert, liegt es unter Einbezug des sozialen Aspekts der Hegelschen Theorie nahe, auch die praktischen Implikationen der Hegelschen Religionsphilosophie in der Lehre vom absoluten Geist stärker zu betonen, sowohl um des Zusammenhangs als auch der Vollständigkeit willen.1

Diese mangelnde Aufmerksamkeit für die praktische Stoßrichtung von Hegels Denken führt mich zu meiner Hauptschwierigkeit mit Moorens Interpretationsansatz, die eine Ähnlichkeit (140) bzw. Übereinstimmung (16) zwischen Hegel und Putnams Theorien plausibel zu machen versucht. Dabei handelt es sich meiner Einschätzung nach um eine problematische Akzentverschiebung weg von Hegels Anliegen. Die arbeitsteilige Bedeutungsverwendung fasst nur eine Seite des Verhältnisses der Religion zur Philosophie, nämlich wie die soziale Aufteilung von Wissen epistemische Konflikte vermeiden kann. Damit wird das Verhältnis auf seine theoretische Erläuterung beschränkt:

Hegels Auseinandersetzung mit der christlichen Religion im Abschnitt »Der absolute Geist« am Ende der Enzyklopädie ist vor diesem Hintergrund seines Interesses am Zustandekommen eines schlüssigen Begründungssystems verständlich zu machen. (194)

Das philosophische Interesse an der christlichen Lehre ist zwar auch, aber kein bloß theoretisches. Das greift Mooren zugegebenermaßen am Ende kurz auf, wenn sie folgenden aussagekräftigen Ausspruch Hegels zitiert: „Aber im Erkennen liegt dann ebensosehr das göttliche Prinzip der Wendung, Rückkehr zu sich selbst – es schlägt die Wunde und heilt sie – das Prinzip Geist“ (Hegel 1987: 246). Indem Mooren nicht weiter auf die praktischen Bedürfnisse der Philosophie hinsichtlich ihres Interesses an der Religion eingeht, sehe ich nicht, wie eine Interpretation, die auf Putnams rein semantische Theorie ausgelegt ist, dieser heilsgeschichtlichen Dimensionen des Hegelschen Denkens gerecht werden könnte.

Noch ein Vorbehalt bezüglich der Reichweite der Darstellung von Hegels Position ist zu erwähnen: Sie beschränkt sich nämlich auf Hegels ‚System‘, das sie vor allem mit der dritten Fassung der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830) und dem Vorlesungsmanuskript zur Religionsphilosophie (1821) identifiziert (11f.). Nur selten und inzidentell bezieht sich Mooren auf Hegels frühe theologische Schriften; zudem bleiben auch die Kapitel über Religion in der Phänomenologie des Geistes (1807) unbeachtet. Abgesehen davon, dass ein Vergleich zu einer wertvollen Aufklärung der Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denken über Religion und Philosophie beitragen könnte, insofern eine einheitliche Auffassung des Verhältnisses nicht vorauszusetzen ist, erscheint mir dieser Verzicht als ein Scheitern an den eigenen Ansprüchen: Wenn das Buch eine interpretative Klärung bzw. Verteidigung der Hegelschen Position gegenüber Freund wie Feind (11, 15) anbieten soll, dann ist der Verzicht auf die Phänomenologie, eines der meist rezipierten und einflussreichsten Werke Hegels, insbesondere hinsichtlich der Interpretation von der These vom Fortgang von Religion zur Philosophie, ein deutlicher Mangel.

Obwohl keineswegs vollständig hinsichtlich behandelter Werke und gewählten Interpretationsansatzes, stellt die vorliegende Untersuchung dennoch eine wert- und einsichtsvolle Behandlung des Überganges von Religion zur Philosophie in Hegels reifem System dar. Aufgrund ihrer klaren Darstellung der Hegelschen Auffassung von Religion und philosophischer Explikation macht Mooren darüber hinaus diesen wichtigen Aspekt der Hegelforschung einer breiteren akademischen Öffentlichkeit zugänglich. Als luzide Übersicht sowie Korrektur häufiger Missverständnisse ist ihr Buch daher empfehlenswert.

Literatur

Michael Theunissen. Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat. Berlin/Boston: De Gruyter, 1970.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Gesammelte Werke, Bd. 17, Vorlesungsmanuskripte I (1817–1831). Hg. von Walter Jaeschke. Hamburg: Meiner, 1987.


  1. Dass Hegel in der Lehre vom absoluten Geist eine politische Theorie der Freiheit herausarbeitet, wird z. B. mit aller Deutlichkeit von Michael Theunissen (1970) dargestellt.↩︎

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