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Symposium zu Crone, Katja: Identität von Personen. Eine Strukturanalyse des biographischen Selbstverständnisses. Berlin: de Gruyter 2016. X, 219 Seiten. [978-3-11-024650-6]

Die phänomenale Basis unseres transtemporalen Identitätsbewusstseins

Von Jasper Liptow (Goethe-Universität Frankfurt/Main)

In meinem Beitrag geht es um Katja Crones spannende These, dass unser transtemporales Identitätsbewusstsein auf einem bestimmten Aspekt des subjektiven Erlebens oder des phänomenalen Bewusstseins basiert, den sie als das „erlebte Faktum meiner zeitlichen Fortexistenz“ (187) bezeichnet. Ich werde so vorgehen, dass ich zunächst die relevanten Begriffe kläre und die These, um die es geht, etwas klarer formuliere (1). Ich werde dann Crones zwei Vorschläge, wie wir uns die Idee des Erlebens unserer eigenen Fortexistenz vorstellen können, kritisch diskutieren (2 und 3). Dabei wird sich herausstellen, dass die Phänomene, die Crone als Fälle eines solchen Erlebens anführt, sich jeweils auf mindestens zwei Arten erklären lassen, von denen jeweils eine nicht geeignet ist, Crones These voranzubringen. Da sich bei Crone keine Argumente finden, warum die jeweils andere Erklärung vorzuziehen sein sollte, schließe ich, dass ihr der Nachweis eines genuin erlebnishaften Bewusstseins der eigenen transtemporalen Identität nicht gelingt und ihre These daher nicht ausreichend begründet ist.

1. Zwei Begriffsklärungen und die These

Das Phänomen, das Crone erklären will, ist das, was sie unser explizites transtemporales Identitätsbewusstsein nennt. Konkrete Fälle, in denen sich dieses Bewusstsein manifestiert oder ausdrückt, umfassen Crone zufolge mentale Zustände und sprachliche Äußerungen wie die folgenden:

(a) ausdrückliche Urteile transtemporaler Identität wie das Urteil, dass ich mit der Person identisch bin, die vor einigen Monaten diesen Text verfasst hat

(b) biographische Selbstbeschreibungen wie die Behauptung „Ich war früher schüchterner als heute.“

(c) einzelne episodische Erinnerungen, etwa meine Erinnerung daran, wie ich im ersten Schuljahr einen Schneeball an den Kopf bekam (vgl. 137f.)

Um all diese Fälle unter einen Hut zu bekommen, schlage ich folgende grobe begriffliche Bestimmung des expliziten transtemporalen Identitätsbewusstseins vor:

(ExTIB) Ein mentaler Zustand einer Person beinhaltet ein explizites transtemporales Identitätsbewusstsein genau dann, wenn der Gehalt dieses Zustands impliziert, dass die Person mit einer Person identisch ist, die zu einem früheren Zeitpunkt existiert hat.1

Der Gehalt eines mentalen Zustands ist intuitiv gesprochen einfach das, wovon der Zustand handelt. Das ausdrückliche Urteil (a) handelt direkt von meiner transtemporalen Identität, die biographische Selbstzuschreibung (b) und die Erinnerung (c) handeln indirekt davon. Die Gehalte aller drei Zustände können nur dann wahr sein, wenn ich mit einer Person in der Vergangenheit numerisch identisch bin. Der Fall der episodischen Erinnerung macht deutlich, dass „explizit“ nicht „begrifflich“ implizieren muss, da episodische Erinnerungen im Allgemeinen so verstanden werden, dass sie einen nicht-begrifflichen repräsentationalen Gehalt besitzen können.

Das Phänomen, das bei der Erklärung des expliziten Identitätsbewusstseins eine entscheidende Rolle spielen soll, das erlebte Faktum meiner zeitlichen Fortexistenz, werde ich im Folgenden als phänomenales transtemporales Identitätsbewusstsein bezeichnen und so bestimmen:

(PhTIB) Ein mentaler Zustand einer Person beinhaltet ein phänomenales transtemporales Identitätsbewusstsein genau dann, wenn die Person nicht in diesem Zustand sein kann, ohne dabei ihre eigene transtemporale Identität zu erleben.

Was es heißen könnte, seine eigene transtemporale Identität zu erleben, mag zunächst rätselhaft scheinen. Ich werde mir jedoch die Mühe sparen, diese Frage allgemein zu diskutieren, sondern mich direkt den beiden konkreten Vorschlägen zuwenden, die Crone in diesem Zusammenhang macht. Zuvor möchte ich jedoch kurz die These formulieren, um die es Crone letztlich geht:

(T) Das explizite transtemporale Identitätsbewusstsein von Personen basiert auf ihrem (davon unabhängigen) phänomenalen transtemporalen Identitätsbewusstsein.2

Besonders deutlich kommt diese These in folgender Passage zum Ausdruck, in der Crone ihre Überlegungen resümiert:

[Es] gilt, dass das qualitative Erleben [des transtemporalen Identitätsbewusstseins] konkreten Urteilen transtemporaler Identität vorausgesetzt ist: Denn ich muss mich als numerisch identisches Subjekt, das über die Zeit hinweg existiert, erleben, um inhaltlich konkrete Behauptungen über meine eigene Vergangenheit tätigen zu können. Das Urteil „Ich bin diejenige, die vor 10 Jahren mit der Startnummer 4 am Skirennen im Berner Oberland teilgenommen hat“ basiert somit auf dem erlebten Faktum meiner zeitlichen Fortexistenz […]. (187)

Was genau bedeutet es, dass ein Phänomen auf einem anderen „basiert“? Crone macht dazu keine weiteren Angaben, aber ich gehe davon aus, dass es zumindest heißen muss, dass es das erste Phänomen nicht ohne das zweite geben kann (dass das zweite Phänomen eine zumindest empirisch notwendige Bedingung des ersten ist) und dass eine Erklärung des ersten Phänomens, die nicht auf das zweite Phänomen Bezug nimmt, unvollständig ist.

Meine Kritik an (T) lautet im Kern, dass es Crone nicht gelingt, einen Aspekt des phänomenalen Erlebens aufzuweisen, der geeignet ist, die Rolle eines genuin phänomenalen Identitätsbewusstseins zu spielen. Crones Angebote, worin das phänomenale transtemporale Identitätsbewusstsein bestehen könnte, sind zum einen die so genannte „phänomenale Kontinuität“, zum anderen das, was ich die „Erlebnisqualität des Erinnerns“ nennen werde.

2. Phänomenale Kontinuität

Die Idee der phänomenalen Kontinuität entwickelt Crone im Anschluss Tim Bayne und Barry Dainton (vgl. Dainton/Bayne 2005; Dainton 2008; Bayne 2010). Sie versteht darunter eine erlebte Kontinuität, ein Zusammenerleben von aufeinanderfolgenden Erlebnissen, durch das aufeinanderfolgende Erlebnisse zu einem größeren einheitlichen Erlebnis und letztlich zu einem umfassenden Bewusstseinsstrom zusammengeschlossen werden. Die These ist, dass in der phänomenalen Kontinuität des Erlebens ein phänomenales Bewusstsein meiner eigenen transtemporalen Identität enthalten ist:

Das Erleben des eigenen anhaltenden Bewusstseinsstroms, das Erleben von synchron ko-bewussten und diachron sich überlappenden mentalen Zuständen, scheint für das transtemporale Identitätsbewusstsein notwendig zu sein. Denn diese Eigenschaften enthalten nicht nur Informationen über das zeitliche Fließen meiner Erfahrungen und Erlebnisse, sondern, was entscheidend ist, über mich als fortexistierendes Subjekt der Erlebnisse. Wenn ein Auto auf der Straße vor meinem Fenster vorbeifährt, höre ich ein lang gezogenes Geräusch, das im Hinblick auf Lautstärke und Intensität relativ zur Entfernung des Autos variiert. Das zeitlich andauernde Klangerlebnis ist ein Aspekt des [phänomenal bewussten, J.L.] Gesamtzustandes. Ein anderer Aspekt ist die Kontinuität meines Erlebens, der ich mir ebenfalls bewusst bin. (136f., zweite Hervorhebung im Original)

Die Idee der phänomenalen Kontinuität impliziert, dass unser phänomenales Erleben nicht nur in dem Sinn zeitlich ist, dass es aus einer zeitlichen Abfolge von Erlebnissen besteht, sondern in dem stärkeren Sinn, dass unsere einzelnen Erlebnisse (einzelne Episoden phänomenalen Erlebens) selbst zeitlich erstreckt sind. Diese Idee scheint mir so einleuchtend, dass ich sie nicht bezweifeln möchte. Worum es mir geht, ist die Frage, ob und wie man von der Idee einer zeitlichen Erstreckung meiner Erlebnisse zu der deutlich anderen Idee eines Erlebnisses meiner eigenen zeitlichen Erstreckung gelangt.

Crone glaubt, sich zu diesem Zweck auf das Merkmal der so genannten Meinigkeit von Erlebnissen berufen zu können. Dieses Merkmal besteht darin, dass ich meine Erlebnisse (notwendigerweise) als meine Erlebnisse erlebe. Unter dieser Voraussetzung scheint die Tatsache, dass meine Erlebnisse zeitlich erstreckt sind, zu implizieren, dass auch mein Erleben dieser Erlebnisse als meine zeitlich erstreckt ist, was dann auf ein Erlebnis meiner selbst als zeitlich erstreckt hinauszulaufen scheint. Es ist dieser Übergang, den ich im Folgenden kritisch hinterfragen möchte.

Dazu werde ich zunächst auf die Idee der Meinigkeit eingehen, die weniger klar ist, als Crone unterstellt. Bei genauerer Betrachtung kann man zwischen zwei sehr verschiedenen Verständnissen dieser Idee unterscheiden.

Zum einen kann man versuchen, die Meinigkeit von Erlebnissen als einen Aspekt des Gehalts der Erlebnisse zu begreifen, der darin besteht, dass ich meine Erlebnisse als zu mir als einem Individuum gehörend erlebe. Diesem Verständnis zufolge besitzt jedes meiner Erlebnisse zusätzlich zu seinem jeweils spezifischen Gehalt – etwa einem bestimmten Wahrnehmungsgehalt oder einem Schmerz – noch einen weiteren Gehalt, durch den es sich als mein Erlebnis oder als mir zugehörig präsentiert und damit auf mich als sein Subjekt verweist. Es ist dieses Verständnis der Meinigkeit, das es erlaubt, von der phänomenalen Kontinuität auf ein phänomenales Identitätsbewusstsein zu schließen. Wenn es zum Gehalt eines jeden meiner Erlebnisse gehören würde, dass es mir zugehört, dann ließe sich aus der Tatsache, dass Erlebnisse zeitlich ausgedehnt sind, schließen, dass auch das in ihnen enthaltene Erleben der Zugehörigkeit zeitlich ausgedehnt ist. Das wiederum würde nahelegen, dass in jedem meiner Erlebnisse ein Erleben meiner selbst als eines zeitlich ausgedehnten Individuums – und in diesem Sinn ein phänomenales Identitätsbewusstsein – enthalten ist.

Doch man kann die Idee der Meinigkeit des Erlebens auch anders verstehen. Crone verweist in ihrer Erläuterung dieser Idee auf Dan Zahavi, der die Meinigkeit von Erlebnissen nicht als einen bestimmten invarianten Erlebnisgehalt begreift, der in allen Erlebnissen zu deren jeweiligen spezifischen Gehalten immer noch miterlebt wird, sondern als einen Aspekt der Struktur phänomenalen Bewusstseins oder als einen Aspekt dessen, was das phänomenale Erleben selbst als eine besondere Weise der Gegebenheit von beliebigen Gehalten auszeichnet. Wie Zahavi schreibt:

This first-personal givenness of experiential phenomena is not something incidental to their being, a mere varnish that the experiences could lack without ceasing to be experiences. On the contrary, this first-personal givenness makes the experiences subjective. To put it another way, their firstpersonal givenness entails a built-in self-reference, a primitive experiential self-referentiality. (Zahavi 2005: 122)

Anders gesagt: Meinigkeit in Zahavis Sinn ist ein wesentliches Merkmal des phänomenalen Erlebens, nicht das Erlebnis der Zugehörigkeit des Erlebens zu einem Individuum. Oder wie Zahavi und Parnas es formulieren: „The subject or self referred to in self-awareness is not something apart from or beyond the experience, but simply a feature of its givenness“ (Zahavi/Parnas 1998: 691).

Wenn man Meinigkeit auf diese Weise versteht, ist schwer zu sehen, wie mich dieser Aspekt meines Erlebens über die Fortexistenz meiner selbst als eines Einzeldings informieren kann. Wenn Erlebnisse tatsächlich eine zeitliche Erstreckung haben, dann hat auch der Aspekt der Meinigkeit eine zeitliche Erstreckung, aber das heißt nicht, dass wir es hierbei mit dem Erlebnis eines zeitlich erstreckten Individuums (oder dem Erlebnis der zeitlichen Erstreckung eines Individuums) zu tun haben.

Kurz gesagt: Die Idee der Meinigkeit des Erlebens ist alles andere als selbsterklärend. Sie lässt sich auf mindestens zwei Weisen verstehen, als ein Aspekt des Gehalts aller Erlebnisse, der diese als mir zugehörig präsentiert, und als eine grundlegende Selbst-Bezüglichkeit, die das Erleben als solches kennzeichnet. Nur das erste Verständnis würde es rechtfertigen, von der Zeitlichkeit meines Erlebens zum Erleben meiner Zeitlichkeit – von der phänomenalen Kontinuität zum phänomenalen Identitätsbewusstsein – überzugehen. Nur eine genauere Analyse der Idee der Meinigkeit, die zum Ergebnis hat, dass diese Idee im ersten Sinn verstanden werden kann und muss, könnte daher diesen Übergang rechtfertigen. Crone bleibt uns eine solche Analyse und damit eine entsprechende Rechtfertigung aber schuldig. Ihre Bezugnahme auf die Idee der phänomenalen Kontinuität reicht daher nicht aus, um den Nachweis zu erbringen, dass es so etwas wie ein phänomenales Identitätsbewusstsein, auf dem unser explizites Identitätsbewusstsein basieren könnte, überhaupt gibt.

3. Die Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns

Crones zweitem Vorschlag zufolge lässt sich ein phänomenales transtemporales Identitätsbewusstsein in einer bestimmten Erlebnisqualität episodischer Erinnerungen finden. Episodische Erinnerungen sind Erinnerungen, in denen wir uns bestimmter vergangener Ereignisse – des gestrigen Abendessens mit Freunden oder eines bestimmten Schneeballwurfs an meinen Kopf zu Schulzeiten – dadurch erinnern, dass wir uns vergangene Erlebnisse dieser Ereignisse vergegenwärtigen. Episodische Erinnerungen sind daher selbst Erlebnisse mit einem bestimmten Gehalt und bestimmten phänomenalen Qualitäten.

Es wird allgemein angenommen (und wie Crone werde ich mich dieser Annahme einfach anschließen), dass Akte episodischen Erinnerns eine eigene Art von Erlebnissen bilden, die durch eine bestimmte Erlebnisqualität gekennzeichnet ist: Es ist irgendwie, sich eines Ereignisses episodisch zu erinnern, und zwar merklich anders als sich ein Ereignis bildlich vorzustellen oder ein Ereignis wahrzunehmen. Crone bezeichnet die spezifische Erlebnisqualität episodischer Erinnerungen mit einem Ausdruck von Endel Tulving als „autonoetisches Bewusstsein“ (139, vgl. Tulving 1985) oder mit Bertrand Russell als „subjektive Qualität des Vergangenen“ (140, vgl. Russell 1948). Ich werde sie neutral als die „Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns“ bezeichnen.

Crones Vorschlag lautet, „dass genau diese von Tulving beschriebene Erlebnisqualität episodisch-autobiographischer Erinnerungen das […] transtemporale Identitätsbewusstsein informiert und insofern weiter erklärt“ (139).3 Um diesen Vorschlag geht es mir, und ähnlich wie bei meiner Diskussion von Crones erstem Vorschlag ist der Ansatzpunkt meiner Kritik auch in diesem Fall eine Zweideutigkeit der Rede von einer „Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns“. Folgendes sind zwei naheliegende Weisen, diesen Begriff zu verstehen:

Erstens könnte eine Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns eine Erlebnisqualität sein, die gewissermaßen selbst „aussagt“ (was auch immer das genauer heißen mag), dass das von ihr begleitete Erlebnis von etwas handelt, das in der Vergangenheit von mir erlebt wurde. In diesem Sinn verstehe ich Crones Behauptung,

[…] dass die Erlebnisqualität von Erinnerungen durch zwei wichtige Merkmale charakterisiert ist: Sie enthält und vermittelt den „Geschmack“ oder das Gefühl des Vergangenen, und sie ist subjektbezogen. (139f.)

Wir können uns das vielleicht so vorstellen, dass der repräsentationale Gehalt einer episodischen Erinnerung zunächst nur in einer bestimmten Art von Ereignis – einem Abendessen mit Freunden oder einem Schneeballwurf an den Kopf – besteht, während die Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns über diese Art von Ereignis „aussagt“: „etwas dieser Art ist mir in der Vergangenheit zugestoßen“. Ein Tagtraum etwa könnte genau denselben repräsentationalen Gehalt besitzen, die entsprechende „Erlebnisqualität des Tagträumens“ würde dann aber darüber eher etwas „aussagen“ wie „etwas dieser Art könnte mir zustoßen“.

Dem zweiten Verständnis zufolge handelt es sich bei der Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns dagegen um eine Erlebnisqualität, die als solche überhaupt keinen Bezug zum episodischen Erinnern hat und also auch nichts über den Gehalt von Erinnerung „aussagt“, sondern bloß faktisch mit unseren episodischen Erinnerungen verbunden ist. Der Bezug auf die Vergangenheit und uns selbst wäre dann vollständig in dem repräsentationalen Gehalt von Erinnerungen enthalten. Die Funktion der Erlebnisqualität des Erinnerns wäre lediglich, episodische Erinnerungen zu „markieren“, damit wir sie bei der Ausführung bestimmter kognitiver Leistungen, wie etwa dem bewussten Nachdenken, als solche erkennen und von anderen Arten von mentalen Zuständen, wie etwa Imaginationen, unterscheiden können. Um diese Funktion zu erfüllen, muss die Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns nichts „aussagen“, wir müssen nur gelernt haben, dass sie diejenige Qualität ist, die faktisch mit dem episodischen Erinnern verbunden ist. Wir können diese Qualität selbst genauer zu beschreiben versuchen, aber die Beschaffenheit dieser Qualität als solcher ist für ihren Status als Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns unwichtig. Sie wäre dann das „Gefühl des Vergangenen“ in demselben Sinn, in dem etwa ein Brennen der Augen ein „Gefühl der Müdigkeit“ ist. Auch die Rede von einem „Gefühl der Müdigkeit“ bezieht sich nicht auf eine Erlebnisqualität, die als solche „aussagt“, dass wir müde sind, sondern auf eine Erlebnisqualität (oder eine Reihe verschiedener Erlebnisqualitäten), von der (denen) wir gelernt haben, dass sie faktisch mit Müdigkeit verbunden ist (sind).

Wir können jetzt in einem zweiten Schritt schnell zeigen, wo das Problem mit Crones Vorschlag liegt. Zunächst können wir festhalten, dass dieser Vorschlag nicht zu funktionieren scheint, wenn die Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns im zweiten Sinn verstanden wird. So verstanden beinhaltet die Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns als solche ja weder einen Bezug auf die Vergangenheit noch auf uns selbst als Individuen. Es ist daher schwer zu sehen, wie der Bezug auf diese Erlebnisqualität unser Identitätsbewusstsein in einem substanziellen Sinn erklären können sollte. Die Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns ist also nur dann geeignet, Crones These von der Fundierung des expliziten im phänomenalen Identitätsbewusstsein voranzubringen, wenn wir sie im ersten Sinn – als ein genuines Erleben der eigenen transtemporalen Identität – verstehen. Doch es ist nicht leicht zu sehen, was dafürsprechen sollte, sie in diesem Sinn zu verstehen. Alles, was wir über diese Erlebnisqualität wissen, scheint völlig damit vereinbar, sie im zweiten Sinn zu verstehen. So schreibt etwa Tulving selbst rückblickend über seine Konzeption des autonoetischen Bewusstseins:

One aspect of the proposal was the idea that an important distinguishing characteristic of episodic memory is a unique “flavor“ of the phenomenal “recollective experience“ that accompanies retrieval from episodic memory. It represents a feeling of “warmth and intimacy,“ which William James wrote about in his Principles of Psychology […], a feeling that is missing when one thinks about the knowledge in semantic memory. (Tulving 2001: 19)

Eine Empfindung der Wärme und Intimität ist sicherlich etwas anderes als ein Erleben der eigenen transtemporalen Identität und in keiner Weise dazu geeignet, uns irgendetwas über unsere transtemporale Identität zu vermitteln. Und warum sollte die Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns auch einen Bezug auf die Vergangenheit und uns selbst aufweisen? Wenn es stimmt, dass jeder einzelne Akt des episodischen Erinnerns bereits explizit in seinem Gehalt einen solchen Bezug aufweist, wie Crone selbst annimmt, wäre ein weiterer solcher Bezug durch die mit diesem Akt verbundene Erlebnisqualität redundant.

Schluss

Ich komme also zu dem Schluss, dass Crone nicht gezeigt hat, dass ihre These

(T) Das explizite transtemporale Identitätsbewusstsein von Personen basiert auf ihrem (davon unabhängigen) phänomenalen transtemporalen Identitätsbewusstsein.

zutrifft, da es ihr nicht gelungen ist, die Existenz von so etwas wie einem genuin phänomenalen transtemporalen Identitätsbewusstsein aufzuzeigen, das als Basis unseres expliziten Identitätsbewusstseins fungieren könnte. Die beiden von ihr angeführten Phänomene, die phänomenale Kontinuität und die Erlebnisqualität des episodischen Erinnerns, lassen sich jeweils auch so beschreiben, dass ihnen kein phänomenales Identitätsbewusstsein innewohnt, und in Crones Buch findet sich keine Begründung, warum eine andere Beschreibung dieser Phänomene vorzuziehen sei.4

Literatur

Bayne, Tim. The Unity of Consciousness. Oxford: Oxford University Press, 2010.

Dainton, Barry. The Phenomenal Self. Oxford: Oxford University Press, 2008.

Dainton, Barry und Tim Bayne. „Consciousness as a guide to personal persistence.“ Australasian Journal of Philosophy 83.4 (2005), 549–571.

Russell, Bertrand. Human Knowledge. London: George Allen & Unwin, 1948.

Tulving, Endel. „Memory and Consciousness.“ Canadian Psychology 26 (1985), 1-12.

Tulving, Endel. „Origin of Autonoesis in Episodic Memory.“ In: The Nature of Remembering. Essays in Honor of Robert G. Crowder, hg. von H. L. Roediger III, J. S. Nairne, I. Neath und A. M. Surprenant, 17–34. Washington, DC: American Psychological Association, 2001.

Zahavi, Dan. Subjectivity and Selfhood. Investigating the First-Person Perspective. Cambridge, MA: MIT Press, 2005.

Zahavi, Dan und Josef Parnas. „Phenomenal Consciousness and Self-Awareness. A Phenomenological Critique of Representational Theory.“ Journal of Consciousness Studies 5.5/6 (1998), 687–705.


  1. Diese Formulierung ist letztlich noch unbefriedigend. Wenn ich vergessen habe, dass ich Jasper Liptow bin, möchten wir meine Überzeugung, dass Jasper Liptow gestern Pasta gegessen hat, wahrscheinlich nicht als einen Fall von explizitem Identitätsbewusstsein gelten lassen. Dennoch reicht (ExTIB) für meine Zwecke aus.

  2. Im Buch wird der Zusammenhang, um den es mir geht, dadurch verkompliziert, dass Crone neben den Begriffen des expliziten und des phänomenalen Identitätsbewusstseins auch noch den des „impliziten“ (auch „nichtinferenziellen“ oder „präreflexiven“) Identitätsbewusstseins benutzt. Mir ist dieser Begriff und vor allem der Zusammenhang zwischen phänomenalem und implizitem Identitätsbewusstsein nicht klargeworden. So schreibt Crone einerseits, „dass das [implizite, J.L.] Bewusstsein der eigenen Fortdauer […] vor allem durch erlebnishafte, phänomenale Eigenschaften gekennzeichnet ist“ (123, vgl. ähnlich auch 125). Das klingt so, als sei das implizite Identitätsbewusstsein im Kern ein phänomenales. Andererseits heißt es an späterer Stelle, dass eine bestimmte Erlebnisqualität „das nichtinferenzielle transtemporale Identitätsbewusstsein informiert und insofern weiter erklärt“ (139), was zu implizieren scheint, dass es sich dabei um zwei verschiedene Dinge handelt. Ich vereinfache die Sache, indem ich den Begriff des impliziten Identitätsbewusstseins beiseitelasse.

  3. Crone bezieht sich in dem Zitat ausdrücklich nur auf das „nichtinferenzielle“ oder „implizite“ Identitätsbewusstsein (siehe Anm. 2). Da das implizite Identitätsbewusstsein ihr zufolge seinerseits dem expliziten Identitätsbewusstsein zugrunde liegt, gilt das Zitat auch für dieses.

  4. Ich danke den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Philosophischen Buchsymposions Frankfurt-Gießen, das sich mit Katja Crones Buch beschäftigt hat, insbesondere Katja Crone selbst, für eine anregende Diskussion meiner Kritik. Für hilfreiche Kommentare zu einer früheren Version dieses Textes danke ich Eva Backhaus.

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