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Ebke, Thomas/Edinger, Sebastian/Müller, Frank/Yos, Roman (Hrsg.): Mensch und Gesellschaft zwischen Natur und Geschichte. Zum Verhältnis von Philosophischer Anthropologie und Kritischer Theorie. Berlin/Boston: De Gruyter 2017. 341 Seiten. [978-3-11-044178-9]

Rezensiert von Hannes Gustav Melichar (Otto-Friedrich Universität Bamberg)

Die Philosophische Anthropologie erlebt in den letzten zwanzig Jahren eine neue Blüte, die sich in ganz unterschiedlichen Werken zeigt. So entwickelt etwa Evan Thompson (2007) im Anschluss an Hans Jonas (1997) eine Theorie darüber, wie menschliche Wesen mit Bewusstsein als Teil der Natur verstanden werden können. Und die aktuellen Auseinandersetzungen mit dem aristotelischen Naturalismus gehen vielfach der Frage nach, was die menschliche Natur ausmacht, wie etwa der Sammelband von Hähnel (2017) zeigt. Allerdings findet diese neuerliche Renaissance weitgehend ohne historische Selbstversicherung statt, weshalb die Thematisierung der Frage, in welchem philosophischen und philosophiegeschichtlichen Umfeld die Philosophische Anthropologie im 20. Jahrhundert gewachsen ist, gewinnbringend erscheint. Doch gerade die Aufarbeitung des systematischen Bezugs zwischen kritischer Theorie (KT) und Philosophischer Anthropologie (PAT) stellt ein Desiderat dar. Ein Grund dafür ist, dass der erste Blick auf wechselseitige Vorbehalte und Ablehnung trifft. Während der Philosophischen Anthropologie die marxistischen Annahmen fremd sind (vgl. etwa Plessner 1985), weist die KT die Annahme von Wesensmerkmalen des Menschen als Naturalisierung geschichtlicher Zustände zurück (vgl. etwa Horkheimer 1988 [1935]: 252f.).

Diese Lücke will der vorliegende Sammelband Mensch und Gesellschaft zwischen Natur und Geschichte schließen. Dabei gelingt es ihm zu zeigen, dass der erste Blick täuscht und die Beziehungen sich nicht einfach in Ablehnung erschöpfen, weil Theorieoptionen nur in wechselseitiger Auseinandersetzung ausgearbeitet wurden. Dafür versammelt er Beiträge einer Tagung, die 2016 an der Universität Potsdam stattgefunden hat.

Der Band ist in vier Teile untergliedert, von denen sich die ersten drei dem Verhältnis von KT und PAT widmen. Der letzte Teil beinhaltet die Wiederveröffentlichung eines vergriffenen Textes von Adorno mit dem Titel „Notizen zur neuen Anthropologie“, einen Essay von Peter Berz, der sich mit der Biologie und dem Imaginären in Jacques Lacans Theorie des Subjekts beschäftigt, und schließlich noch vier Rezensionen.

Der erste Teil fasst das Verhältnis aus genereller Sicht ins Auge. Der zweite Teil stellt das Verhältnis der beiden Traditionen zum Naturbegriff dar und der dritte Teil ist darauf angelegt, aktuellere Bezüge und Perspektiven zu entwickeln. Im Folgenden wird daher aufgezeigt, wie ausgewählte Beiträge des Sammelbandes das Verhältnis von KT und PAT auffassen und welche fruchtbaren Theorieoptionen daraus erwachsen, speziell angesichts der Frage nach der normativen Grundlegung der KT.

Teil 1: Berührungspunkte und Antagonismen zwischen PAT und KT

Die ersten beiden Aufsätze des Bandes umreißen das Verhältnis von PAT und KT, indem sie in einem historischen Durchgang systematische Berührungspunkte und Dispute herausarbeiten. Dabei kommen sie jedoch zu unterschiedlichen Einschätzungen des Verhältnisses: Joachim Fischer schließt seinen Aufsatz mit der Einschätzung, dass KT und PAT in einem „Verhältnis der Inkompatibilität zueinander" (25) stehen. Dagegen argumentiert Hans-Peter Krüger, dass, im Anschluss an Habermas, die Grundzüge einer „kritischen Anthropologie" (47) entworfen werden können, weil KT und PAT sich komplementär zueinander verhalten. Interessant ist dabei, wie die Differenz dieser Einschätzungen mit der unterschiedlichen zeitlichen Spanne zusammenhängt, die beide in den Blick nehmen.

Der Aufsatz von Fischer sammelt in drei Schritten Evidenzen aus dem Zeitabschnitt der 1920er bis in die 1960er Jahre, die für die Inkompatibilität von KT und PAT sprechen. Im ersten Schritt wird die „intellektuelle Verhältnisgeschichte" (4) der beiden Theoriestränge in drei Etappen dargestellt. Der zweite Schritt zeigt in einer Analyse, dass die Spannungen bereits in den 1920er Jahren zwischen Plessner und Lukács angelegt sind. Und der dritte Schritt soll die Inkompatibilität aus der Untersuchung der „Letztbegriffe" Plessners und Adornos begründen, also der „exzentrischen Positionalität" und der „negativen Dialektik" (25).

Mit dem ersten Schritt will Fischer zeigen, dass die PAT Schelers und Plessners Anregungen für die KT hätte bieten können, die von dieser aber nicht aufgegriffen wurden. Dafür ersinnt Fischer zunächst in einem Gedankenexperiment, was wohl Max Schelers Berufung im Jahr 1928 nach Frankfurt für die dort ansässigen Vertreter der KT hätte bedeuten können (5–8). Die zweite Etappe der ‚Verhältnisgeschichte’ besteht dann in der Darstellung der „Kooperation zwischen den Remigranten" Adorno und Horkheimer auf der einen und Plessners auf der anderen Seite (8–11). Die Zusammenarbeit habe sich aber aufgrund des Arguments der KT, die PAT enthalte eine „ungeschichtliche Konstantenlehre der menschlichen Natur, die geschichtliche, verkehrte Strukturzüge der »bürgerlichen Gesellschaft« als Natur festschreibe und ideologisiere" (9), auf den institutionellen Rahmen beschränkt – ein Aspekt, den auch Krüger (35) unterstreicht. In der dritten Etappe bezieht sich Fischer schließlich auf die Radiodebatten zwischen Adorno und Gehlen, benennt allerdings nur allzu knapp den bekannten Punkt, dass die beiden Opponenten Institutionen unterschiedlich bewerten. Das Bild, das Fischer zeichnet, bietet eine gute Übersicht und macht deutlich, dass die PAT, vor allem durch ihr Gespür für die Ausdifferenzierung von Subsystemen der Gesellschaft, wichtige Anregungen für die KT geboten hätte. Dennoch ist die Darstellung zu kurz und bricht zu früh ab, um das systematische Verhältnis von KT und PAT ans Tageslicht zu bringen. Vieles von dem was Fischer anführt, ist in der KT nach den 1960er Jahren – vor allem in den Arbeiten von Jürgen Habermas – diskutiert und ergänzt worden.

Daher ist es folgerichtig, dass der zweite Teil des Beitrages eine systematische Analyse der „tieferliegenden Diskrepanz bietet, die sich von den formativen Anfängen bis in unsere Gegenwart durchhält" (13). Dieser ursprüngliche Unterschied zeige sich in Plessners und Lukács Stellung zu den Begriffen Gemeinschaft und Gesellschaft und in deren Rückgang auf Kant bzw. Hegel. Während Lukács in der modernen Gesellschaft vor allem die Verdinglichung als das Resultat der kapitalistischen Produktionsweise sehe (17), weise Plessner auf die „parataktische Ausdifferenzierung der sozialen Systeme" (19) hin. Dadurch müssten zwar neue „Umgangs- und Distanzformen" (18) gefunden werden, aber Plessner sehe in der Alternative der Gemeinschaft lediglich soziale Radikalismen am Werk (20). Diese Auseinandersetzung präfiguriert auch das Verhältnis zwischen der KT und der Systemtheorie von Niklas Luhmann. Fischer weist auf diesen Zusammenhang hin, belässt es jedoch bei einigen Bemerkungen zu dieser Thematik.

Schließlich versucht Fischer, seine These der Inkompatibilität durch die knappe Darstellung der „Letztbegriffe" bei Adorno und Plessner zu untermauern. Adornos „Leitkategorie" der ‚negativen Dialektik’ solle im Wesentlichen die Entfremdung des modernen Menschen (23f.) erhellen, denn diese sei eine Verobjektivierung und werde hinterfragt, indem die „Nicht-Identität zwischen Begriff und Sache" (24) festgehalten wird. Dahingegen versuche Plessner mit seinem Grundbegriff der ‚exzentrischen Positionalität’, die menschliche Offenheit, also den Handlungsspielraum des Menschen, durch die Natur vermittelt zu denken (24), wodurch aber sowohl die Verdinglichung und Verdrängung der eigenen Leiblichkeit, als auch soziale Rollen und Maskierungen unumgänglich würden (25). Dieser von Fischer konstatierte Gegensatz ist interessant, greift jedoch zu kurz, da Adornos Kritik an der Entfremdung die Rollenhaftigkeit der Gesellschaft und das daraus resultierende soziale Spiel integrieren kann. (Man vergleiche etwa Adornos ambivalente Interpretation der bürgerlichen Ehe, die er unter dem Titel „Tisch und Bett" in Minima Moralia vorgelegt hat; vgl. Adorno 1969: 29–31). Insgesamt ist Fischers Darstellung historisch aufschlussreich und verweist auf wichtige Punkte, die das Spannungsverhältnis zwischen PAT und KT betreffen. Allerdings bleibt dabei unerwähnt, dass gerade auf Grund dieser Spannung in den letzten 50 Jahren eine vielschichtige Auseinandersetzung stattgefunden hat.

Wie sich KT und PAT befruchten können, vertieft Hans-Peter Krüger im anschließenden Aufsatz „Kritische Anthropologie? Zum Verhältnis zwischen Philosophischer Anthropologie und Kritischer Theorie" (29–53). Krüger widmet sich der titelgebenden Frage, indem er, ebenfalls in historischen Schritten, angefangen mit dem Verhältnis von Plessner und Adorno bis hin zu Habermas’ Essay „Die Zukunft der menschlichen Natur" von 2001, die Komplementarität (29) von PAT und KT herausarbeitet. Dabei wird deutlich, dass deren Verhältnis komplex ist und sich Rahmenbedingungen für eine Zusammenführung der Denkansätze benennen lassen.

Zunächst arbeitet Krüger heraus, dass die Anthropologie des frühen Plessner viele Gemeinsamkeiten mit der KT aufweist. So baut sie auf einem ähnlichen Methodenpluralismus auf, da sie phänomenologische, dialektische und hermeneutische Züge hat. Des Weiteren versteht auch Plessner die Natur des Menschen nicht als ungeschichtlich, sondern betont die Zukunftsoffenheit des Menschen (33) und meint, dessen Natur sei aus der Geschichte erschließbar. Ein Übereinkommen zwischen Plessner und den Frankfurtern sei zudem in der Ablehnung von Metaphysik zu finden, weshalb Adornos und Horkheimers Kritik an der PAT gegen Scheler und Gehlen gerichtet sei, nicht jedoch gegen Plessner (34).

Allerdings distanziert sich der späte Plessner, wie Krüger zeigt, deutlich vom Marxismus (39). Inhaltlich finde sich aber die von Plessner vorgebrachte Kritik in Kontinuität mit der KT, da Plessner den neuzeitlichen Verlust einer geteilten Umwelt für den Menschen beklagt, was auf den Dualismus von Subjekt und Objekt zurückzuführen sei (37). Plessner begegnet dieser Entweltlichung in seiner Anthropologie jedoch, indem er die Natur in das Verständnis vom Menschen einbezieht. Denn die Natur sei die Ermöglichungsstruktur für die geistige Existenz und die Offenheit des Menschen (38). Diese Offenheit bringt Plessner allerdings auf gesellschaftlicher Ebene zu dem Schluss, dass ein identitätsstiftendes Gemeinschaftsideal der Offenheit viel weniger gerecht wird, als eine liberale Öffentlichkeit mit der Differenz von Privatem und öffentlichen Rollen (39). Dass Plessner trotz dieser positiven Bewertung der Rollenhaftigkeit des sozialen Menschen mit der KT, wie sie etwa Adorno konzipiert, in Verbindung zu bringen ist, begründet Krüger mit der Ablehnung von Dualismen, der Diagnose einer verwalteten Welt (40) und der Anerkennung materialistischer gegen idealistische Tendenzen (43).

Die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen PAT und KT verfolgt Krüger weiter durch die Schriften von Habermas, in denen grundsätzlich das Komplementaritätsverhältnis betont werde (43). Einschlägig sei hier Habermas’ Essay von 2001, so Krüger, in dem Habermas auf den Leib als „lebensweltliche Voraussetzung der Kommunikation" (46) zurückgreife, wodurch Themen der Biopolitik und der modernen Medizin für seine Version der KT zugänglich gemacht würden (47).

Damit beendet Krüger den historisch-systematischen Überblick über das Komplementaritätsverhältnis von KT und PAT. An diese klare und systematisch durchgeführte Untersuchung fügt er fünf Punkte an, die seiner Ansicht nach künftige Aufgaben einer Anthropologie im Anschluss an Plessner darstellen, damit diese den Zusatz ‚kritisch’ verdiene. Erstens müsse die ökologische Frage aufgegriffen werden, die in der KT und der PAT Plessners gleichermaßen uneingelöst bleibe. Hier wäre interessant zu erfahren, wie Krüger die bereits bestehenden Ansätze einschätzt, etwa aus der phänomenologischen Anthropologie (vgl. Jonas 2009) und aus der KT (vgl. Ott 1993). Zweitens schlägt Krüger vor, dem Problem der Körperlichkeit der Person und den damit einhergehenden Möglichkeiten politischer Einflussnahme auf Subjekte dadurch zu begegnen, dass Personalität sowohl mit der „Körper-Leib-Differenz" zusammengebracht als auch gemeinsam mit „Gemeinschafts- und Gesellschaftsformen" (48) betrachtet wird. Drittens könne durch ein weites Kommunikationsverständnis „Responsivität für alle möglichen Formen von Expressivität" (48) gedacht werden. Viertens ließen sich verschiedene Überlappungen von KT und Plessners PAT ausarbeiten, wie etwa das „Primat einer öffentlich anspruchsvollen Demokratie" (48) oder die „Eröffnung von Zukunft wider die Festschreibung bisheriger Positivitäten zu Determinationszwängen" (49). Und fünftens meint Krüger, die methodischen Parallelen und der Verzicht auf absolute Aussagen seien gemeinsame Merkmale, welche die Kompatibilität von KT und PAT nahe legen (50f.).

Krüger zeigt also, wie Plessner ohne essentialistische Annahmen verstanden und damit einer bestimmten Kritik der Frankfurter Schule entgegen gestellt werden kann (34). Allerdings wirft diese Lesart die Frage auf, wie mit Plessners Anspruch umgegangen werden soll, kategorial und ontologisch valide Bestimmungen zu behandeln (Plessner 1975, 116f.). Gerade weil die Veränderungsmöglichkeit und Zukunftsoffenheit des Menschen für die PAT so wichtig ist, müsste ausführlicher diskutiert werden, ob Plessner nicht doch eine stärkere Tendenz zu überhistorischen Gesetzen hat, als es Krüger darstellt. In solchen Gesetzen, und das könnte als sechster Punkt des Komplementaritätsverhältnisses diskutiert werden, läge zudem die Möglichkeit, das Problem der Entfremdung zu behandeln, mit dem die KT so sehr ringt, das Problem also, dass Annahmen über die nicht-entfremdete Existenz des Menschen für die Bestimmung von Entfremdung vorausgesetzt werden. Ohne die Warnungen vor einer Ontologisierung des historisch Gewordenen ignorieren zu wollen, kann doch in der PAT auch die Chance gesehen werden, mit dem Begriff des Menschen ein Fundament für Gesellschaftskritik zu schaffen.

Die Anregungen von Krüger werden von Gérard Raulet und Michael Schüßler weitergeführt. Raulet bietet unter dem Titel „Mimesis. Über anthropologische Motive bei Walter Benjamin – Ansätze zu einer anthropologischen kritischen Theorie" eine Einführung in Benjamins Überlegungen zu einem mimetischen Erkenntnisvermögen, das menschliches Erkennen und Handeln grundiert. Raulets Einführung ist verdienstvoll, weil Benjamins Konzept kompliziert ist und sich aus dessen Kindheitsbeobachtungen, sprachtheoretischen Überlegungen und z.T. zweifelhaften Vermutungen (57) bildet. Die stärkste Begründung erhält das Mimesisvermögen in seiner Sprachphilosophie (56f.), wobei, dank der klaren Darstellung Raulets, aber auch die Brüche hervortreten. Benjamin spekuliert über phylo- und ontogenetische Prozesse, durch welche die Sprache sich entwickelt habe. Dabei fasst er den Gedanken, dass sich die Sprache in der Menschheitsgeschichte durch Erfahrung von Gegenständen geformt hätte, und darauf Ähnlichkeits- oder Verwandtschaftsbeziehungen in den Worten festgehalten worden seien, aber nicht als Begriffe (58; 60), sondern als Namen. Somit sei die Verbindung von Sprache und Erfahrung speziell in den Namen gegeben, weshalb die „Sprache nicht auf ein System von Zeichen zu instrumentellen Zwecken reduziert" werden könne (60). Damit sei die Sprachphilosophie für Benjamin zugleich ein „Grundpfeiler seines Materialismus" (60), der schon von Adorno kritisiert worden sei (62). Allerdings arbeitet Raulet heraus, dass Benjamin eine Affinität zur PAT zeige, indem er etwa die Mimesis, anders als Adorno, nicht als historisch vermitteltes, leibliches Geschehen verstehe (64). Raulet argumentiert, dass damit ein Moment von Materialität und Dinghaftigkeit in Benjamins Theorie festgehalten sei, das den Modernisierungsversuchen der KT, vor allem bei Honneth (67), entgehe. Während Adorno noch weitgehend mit Benjamin übereinstimmt, aber auf „Dialektisierung" oder historischer Vermittlung bestehe (70), löse Honneth die KT vollständig vom Bezug auf Objekte und Dinge. Damit ließe sich kein Verdinglichungsbegriff mehr bilden, sondern nur ein Entzug von Anerkennung konstatieren (65f.), so Raulet, wobei der Übergang zum interpersonalen Paradigma die Gesellschaftskritik verflache (67). Was Raulet jedoch nicht diskutiert, ist, dass der Verdinglichungsbegriff auch durch den Rückgriff auf die PAT gebildet werden könnte. Denn gerade die von Krüger mit Plessner betonten Eigenschaften des Menschen, etwa die Zukunftsoffenheit und Wandelbarkeit, widerstreben einer Gesellschaft, die von Verwaltungszwängen dominiert wird. Der Rückgriff auf Plessner hätte den Vorteil, weniger spekulativ zu wirken, als der Rückgang auf Benjamins Mimesisbegriff.

Teil 2: Natur – Versöhnung oder Entfremdung

Michael Schüßler, der den zweiten Teil des Sammelbandes mit dem Thema „Natur" eröffnet, bezieht sich auf das von Krüger angesprochene Desiderat einer genaueren Bestimmung der „Leib-Körper Differenz" (48) und arbeitet heraus, wie unterschiedlich Adorno und Plessner diese Unterscheidung bestimmt haben. Vor allem die Analyse von Adornos Verständnis von Leib und Körper ist hervorzuheben und dabei können zwei Hauptstränge ausgemacht werden: Zum einen ist der Leib im Laufe der Geschichte zunehmend das Objekt von Beherrschung und Verfügbarkeit, wodurch er zu einem dem Subjekt gegenüberstehenden Ding wird (79f.). Zum anderen ist der Leib dasjenige, das nicht vollständig verobjektiviert werden kann, und somit der vollständigen gesellschaftlichen Unterwerfung entgegensteht. Leiblichkeit bildet für Adorno also ein Residuum, das sich dem zweckrationalen, naturwissenschaftlichen Denken entzieht.

Dem Leibverständnis Adornos stellt Schüßler Plessners Konzeption von Körper und Leib gegenüber. Die exzentrische Positionalität führe dazu, dass der Mensch immer über seine aktuelle Lebenssituation hinausgetrieben werde und reflexiv zu sich Stellung nehmen müsse (84f.). Die somit eingenommene Bezugnahme von außen lasse den Leib als Objekt und damit als Körper sichtbar werden, ohne dass deswegen die Zentrierung des Menschen aufgegeben werden müsse. Schüßler interpretiert das als dialektisches Verhältnis, was die Unauflöslichkeit der Relation Leib-Sein und Körper-Haben betont und sie zugleich als spannungsvoll beschreibt (87f.).

Schüßlers abschließende Betrachtung weist auf die Einwände der kritischen Theorie gegen Plessners Anthropologie hin, allen voran den, dass Plessner Leib und Körper wie eine „ableitungstheoretische Wesensbestimmung" (89) versteht. Damit werde ein unhistorischer Ursprung der exzentrischen Positionalität angenommen, aus dem sich der spannungsreiche Lebensvollzug des Menschen ergeben solle (89f.). Gegen diese Konzeption Plessners, deren Ursprung in der Biologie liege, sei mit Adorno einzuwenden, dass sich die biologische Natur nur vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Vermittlung thematisieren lasse. Adornos Vorteil sei dabei, keine Natur des Menschen annehmen zu müssen, sondern von der gesellschaftlichen Existenz ausgehend, den Leib als etwas verstehen zu können, das sich nicht restlos gesellschaftlich vermitteln lässt (90). Entgegen der Kritik an Plessners Anthropologie, die Schüßler mit Adorno vorbringt, wäre jedoch zu hinterfragen, ob die Differenz zwischen Adorno und Plessner so eindeutig ist. Denn auch Adorno nimmt an, dass das Leib-Sein nicht ausschließlich aus gesellschaftlicher Vermittlung erklärt werden kann, da der Leib sich gegen diese Vermittlung sperrt. Hier gibt Plessner durch den Anschluss an die Philosophie der Natur eine Erklärung dieser Widerständigkeit, ohne deswegen den Menschen naturalistisch zu reduzieren, denn die exzentrische Positionalität betont ja gerade die Offenheit des Menschen, wie auch Krüger in seinem Beitrag festhält.

In ihrem Aufsatz „Natur als Herrschaftsmythos" schließt Christine Zunke an die Analysen aus dem ersten Teil des Sammelbandes an und hebt wie Krüger die Möglichkeit der Verbindung von KT und PAT in neun Schritten hervor (129). Dabei formuliert sie eine eigenständige, aber an der Dialektik der Aufklärung orientierte Gesellschaftskritik, die offenzulegen versucht, wie der Kapitalismus zunächst Arbeiter und ihre Produkte voneinander entfremdet und im Folgenden auch die Erkenntnisbedingungen bestimmt. Damit gelinge es dem Kapitalismus, sich selbst ein ideologisches Fundament zu schaffen (131), indem die positivistische und naturalistische Wissenschaft institutionalisiert werde. Dieses Fundament aus Wissenschaft und Produktion bilde eine apersonale Herrschaftsform, die dem Kapitalismus eigen sei. Besondere Aufmerksamkeit verdient Zunkes Augenmerk auf die Verteidigung der Freiheit des Menschen gegen einen reduktiven Naturalismus, der zum Determinismus führe. In der Freiheit des Menschen liege eine Spontaneität, die sich nicht naturalistisch reduzieren lasse und so ergebe sich ein unaufgelöster „innere[r] Widerspruch der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft" (121). Damit interpretiert Zunke den untergründigen Strang der Entwicklung von Gesellschaft, Philosophie und Wissenschaft seit Hobbes – der allerdings unkenntlich verzerrt wiedergegeben (119) wird – als den ökonomisch getriebenen Versuch, den Gedanken der Freiheit durch den Naturalismus unmöglich zu machen. Das bringt Zunke jedoch in Spannung zu Fischer, der die monokausale Erklärung von Gesellschaftsprozessen hinterfragt und deutlich macht, dass mit Plessner ein komplexer Prozess des Zusammenspiels vieler gesellschaftlicher Teilsysteme sichtbar wird. Eine Untersuchung der Auseinandersetzung zwischen Jürgen Habermas und Niklas Luhmann hätte das Thema hier weiter vertiefen können.

Der Beitrag von Sebastian Edinger widmet sich dem Verhältnis von KT und PAT zur Religion und fällt damit aus dem Thema „Natur" des zweiten Teils heraus. Unter dem Titel „Philosophie und Soziologie der Religion bei Plessner und Horkheimer" bietet Edinger aber eine kenntnisreiche Darstellung der Bewertung von Religion in den Werken von Horkheimer und Plessner. Das Thema Religion ist von eminentem Interesse, weil sich beim späten Horkheimer zeigen lässt, dass die normativen Grundannahmen der KT in der Religion eine Begründung finden sollen.

In seiner Darstellung lässt Edinger sich von den Fragen leiten, auf welchen Grundlagen die kritische Haltung gegenüber der Religion steht, die sich beim frühen Horkheimer und bei Plessner feststellen lässt, und welche Bedeutung der Religion für die gesellschaftliche Entwicklung zugeschrieben wird (145). Sowohl Plessner als auch Horkheimer blicken zunächst von einem soziologisch-historischen Standpunkt aus auf das Phänomen. Plessner betrachtet die Religion zumeist unter deskriptiven Vorzeichen und behandelt sie unter dem dritten anthropologischen Strukturgesetz „des utopischen Standorts" (146) behandelt. Dieser Standort ist allerdings nur vor dem Hintergrund des Begriffes des Lebens verständlich, so Edinger, der für Plessner eine „reflexive Verstehensstruktur" bezeichnet, die bedeutet, dass Lebewesen sich selbst erleben und Wissen über sich gewinnen. Edinger schreibt, dass „[...] Lebendiges sich von der Struktur seiner Lebendigkeit her begreift" (146), diskutiert diese auf Selbstbezüglichkeit und Kognition verkürzte Definition des Lebens aber nicht weiter, obwohl Merkmale wie Reproduktion und Metabolismus ebenso entscheidend sind. Stattdessen geht es ihm darum, dass der Mensch ein Lebewesen ist, und dass ein permanenter Prozess der ‚Ex- und Rezentrierung’ (147) das menschliche Leben prägt. Aus dieser Eigenheit erkläre sich nämlich, warum dem Menschen eine feste Orientierung fehle. Daher gehöre die Suche nach einem Fundament, einem „Definitivum" (147), zum menschlichen Lebensvollzug. Doch steht diese Suche unter einem dramatischen Vorzeichen: So notwendig sie sei, so unerreichbar sei ein Definitivum, weil das Denken ‚unabschließbar’ (147) wäre. Damit rückt Edinger Plessner in die Nähe anthropologischer Projektionstheorien, wie sie Feuerbach für die Religion entwickelt hat. Noch der späte Plessner halte daran fest, dass die Religion aus der Bodenlosigkeit der menschlichen Existenz erwachse, auch wenn Plessner auf den negativen Unterton verzichtet (149). Allerdings betont Edinger, dass es falsch wäre, das Konzept des homo absconditus als ein Zugeständnis an die negative Theologie zu verstehen, da Plessner keine theologischen Implikationen intendiert habe (151).

Anders als bei Plessner lässt sich in Horkheimers Werk ein Wandel in der Bewertung von Religion feststellen. Die Religionskritik des frühen Horkheimer erwächst aus den Grundlagen des historischen Materialismus. Allerdings differenziert Edinger, dass Horkheimer schon in dieser Phase eher die Funktionalisierung der Religion problematisiere als diese selbst. Der spätere Horkheimer betrachtet die Religion nicht mehr ausschließlich materialistisch (158) und betont, dass sich das Widerstandsmoment in der (christlichen) Religion und die Anliegen der KT gleichen würden. Vor allem die Würde des Einzelnen und das Fundament der Achtung stünden mit dem Verlust der Religion auf dem Spiel (160f., 163). Und so verbindet Horkheimer die KT mit einem Konservativismus, worunter eine Position der Mitte verstanden wird, die das Gute an der Religion und der Kultur bewahren möchte (163). Darin erblickt Edinger eine Parallele zu Günter Rohrmosers christlichem Konservativismus.

Teil 3: Geschichte und Gegenwart des Dialogs

Der dritte Teil des Sammelbandes soll die „Geschichte und Gegenwart des Dialoges" zwischen KT und PAT beleuchten, das Thema also, auf das schon die Artikel von Fischer und Krämer abzielten. Dabei ist erwähnenswert, dass der Beitrag von Martin Mettin an die wenig bekannte „Negative Anthropologie" von Ulrich Sonnemann erinnert. In seinem Aufsatz „»Die Geburt des Unmenschen aus dem Schlaf der Sprache« – Ulrich Sonnemanns Negative Anthropologie" führt er aus, wie sich ein konkreter Versuch der Vereinigung der beiden Theoriestränge KT und PAT gestaltet. Dabei grenzt er Sonnemann zunächst gegen Gehlen ab und führt Sonnemanns interessante, wenngleich anspruchsvolle moralphilosophische These an, dass der Motor der Geschichte nicht der Kompensationsversuch eines nicht festgestellten Tieres sei, sondern der Mangel an Humanität (179). Zwar soll das Humane nicht positiv, sondern aus seiner Abwesenheit heraus bestimmt werden, doch integriert Sonnemanns PAT eine moralische Leitidee, um Gesellschaftskritik zu fundieren. Dabei legt er allerdings zugleich Wert auf die Offenheit und die Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen (180), wie auf eine Wissenschaft, die dem Selbstverständnis des Menschen hilft, anstatt ihn naturalistisch zu reduzieren. Methodisch zentral ist für Sonnemann dabei die Sprache, weil er auf einem induktiv-historischen Vorgehen unter stetiger Berücksichtigung von Einzelfällen besteht. Und da die Zeugnisse der Geschichte in Sprachform vorliegen, kann und muss jeweils von den einzelnen Sprachzeugnissen ausgegangen werden, um zu erschließen, was der Mensch war und ist.

Axel Honneths Beitrag mit dem Titel „Probleme des ethischen Pluralismus. Zu Gehlens Entwurf einer anthropologischen Ethik" verteidigt die systematische These, dass „die Pluralität von „Geltungsansprüchen moralischer Imperative" (218) der „monistische[n] Diskursethik" von Habermas überlegen ist. Um die Pluralität von Geltungsansprüchen zu begründen, bezieht sich Honneth auf Arnold Gehlens Moral und Hypermoral von 1969. Darin analysiert Gehlen vier Quellen von moralischen „Verhaltensimperativen“: Die erste Quelle ist die „soziale Disposition” des Menschen, die eine „Reziprozität im Verhalten" fordert. Die zweite entspringe instinktnahen Verhaltensregulationen, zum Beispiel elterlichen Fürsorgereaktionen, die sich in Imperative übersetzen würden. Als dritte Quelle führt Gehlen die Familie an, die zu einem Sippenethos verallgemeinert werde. Und als vierten Ursprung von Verhaltensimperativen werden Institutionen angeführt, durch die je eigene Verhaltensregeln implementiert werden (219). Diese Ursprünge sind jedoch im Laufe der Geschichte zu einem „eudaimonistischen Humanitarismus" verschmolzen, so Gehlen in seiner Kritik an der Moderne (220).

Honneth kritisiert, dass Gehlen unzureichend zwischen der Genese der Moralvorstellungen und deren Geltung unterscheide. Vor allem weist er den zugrunde liegenden Biologismus zurück, meint aber dennoch einen Punkt gegen die Kritik verteidigen zu können, die Habermas in seinem Aufsatz „Nachgeahmte Substantialität" gegen Gehlen vorgebracht hat. Honneth sieht das zentrale Argument dieses Aufsatzes darin, dass Gehlen die Geschichte des moralischen Bewusstseins verkenne und daher auch dessen Quellen falsch identifiziere. Zentral sei die soziale Disposition des Menschen, die aber nur richtig verstanden werde, wenn der konstitutive Zusammenhang des Gruppenethos und der Außenbeziehungen einer Gruppe betont werde. Somit würden Gruppenmoral und Staatsethik keine unterschiedlichen Quellen haben, wie Gehlen behauptet, und es ergebe sich ein anderes Bild der historischen Entwicklung, so Honneth. Gehlens vier Quellen der Moral ließen sich als Elemente einer Geschichte des moralischen Bewusstseins lesen, das sich zugleich auf die Gruppe und nach außen richtet. Durch die Tendenz, sich zu dezentralisieren, bilde sich eine Geschichte des moralischen Bewusstseins (221). Entscheidend ist für Habermas, dass die soziale Orientierung des Menschen kein biologischer Antrieb ist, sondern, dass die Redesituation der eigentliche Kern des Gruppenethos ist. Daher bildet die Diskursethik die eigentliche Quelle der Moral und so fundiere Habermas Gehlens Auffassung durch die Diskursethik, reduziere aber den Pluralismus auf eine einzige Quelle moralischer Verpflichtungen (222), so Honneth.

Für Honneth geht es nicht darum, Habermas Kritik insgesamt zurückzuweisen, da er die Bemühungen um eine differenzierte Entwicklung des moralischen Bewusstseins teilt. Aber er sieht in Gehlens Darstellung den Vorteil, dass sie eine lebensweltliche Erfahrung artikuliere, nämlich diejenige inkompatibler moralischer Pflichten und Gebote (223). Diese Erfahrung könne mit der Diskursethik nicht sinnvoll interpretiert werden, weil letztere nur eine Quelle der Moral kenne. Dagegen müsse anerkannt werden, so Honneth, dass im rationalen Diskurs – der normativen Ressource der Diskursethik – verschiedene ‚soziale Mächte’ (224) mit ihren eigenen Imperativen wirken. Diese seien in lebensweltlichen Beziehungen und sozialen Bindungen fundiert und würden zu verschiedenen Formen von Verpflichtungen führen, die nicht auf eine Quelle reduziert werden könnten (223). Aufgrund der Kontextgebundenheit der Quellen der Verpflichtungen, die Honneth kulturell und nicht biologisch begründet, müsse daher jede Ethik eine pluralistische Gestalt annehmen (224).

Problematisch an Honneths interessantem Gedanken ist, dass er eine Stärke der Position von Habermas aufzugeben droht, nämlich die Begründung und Rechtfertigung der normativen Bindungen durch die Unhintergehbarkeit des rationalen Diskurses. Aus den sozialen Mächten, durch die inkompatible moralische Pflichten und Gebote entstehen, kann zwar die Genese der lebensweltlichen Konflikte erklärt werden. Aber das beantwortet nicht die Frage, ob die konfligierenden Pflichten und Gebote gleichermaßen berechtigt sind. Dagegen eröffnet die Fundierung durch den Diskurs, wie Habermas sie vorschlägt, die Möglichkeit eines rationalen Ausgleichs durch eben jenen Diskurs, wohingegen irreduzible Quellen von konfligierenden Pflichten und Geboten eine rationale Lösung von Konflikten ungleich erschweren würden.

Die Sektion des Bandes mit den Diskussionsbeiträgen schließt mit einem lesenswerten Beitrag von Andreas Arndt. Arndt arbeitet heraus, dass der Anerkennungsbegriff bei Fichte und Hegel von zeitgenössischen Versionen unterschieden werden muss (235) und zur Frage des Verhältnisses von KT und PAT nicht viel beisteuert. Zuletzt zeigt Alexey Zhavoronkov, dass Plessners Wirkungsgeschichte bis in Honneths Werk hineinragt.

Fazit

Mit dem Sammelband liegt ein wichtiger Anstoß zur Aufarbeitung des Zusammenhangs von KT und PAT vor. Die Mehrzahl der Beiträge diskutiert dabei, wie die KT durch die PAT erweitert und wie die PAT für diesen Zweck von kritischen Punkten befreit werden könnte. Dabei fällt vor allem auf, dass der PAT nach wie vor der Verdacht entgegenschlägt, dass sie den Menschen auf Eigenschaften festlege, die erst in der bürgerlichen Gesellschaft entstanden sind. Diese Blickrichtung führt allerdings dazu, dass ein wichtiger Aspekt eines symmetrischen Dialoges zu wenig zur Sprache kommt, nämlich was die PAT durch den Austausch mit der KT gewinnen kann. Denn für die Anthropologie, die keinesfalls eine tote Disziplin ist, ist nicht offensichtlich, warum sich die Beschäftigung mit der KT lohnen könnte, warum also die KT bei der Beantwortung der höchst relevanten Frage hilfreich ist, welche Vergesellschaftungsformen menschenwürdig sind und welchen kritisch begegnet werden muss.

Dem Sammelband vorzuwerfen, dass er keine geschlossene Einheit bilde, wäre nichts anderes als festzustellen, dass es sich um keine systematisch ausgearbeitete Monographie handelt. Es fällt jedoch auf, dass die Anordnung der Artikel und die Themensetzung stringenter hätten sein können. So finden sich Abhandlungen zur Geschichte des Dialogs zwischen PAT und KT sowohl im ersten als auch im dritten Teil. Und die Themen des zweiten Teils gruppieren sich eher lose um den Naturbegriff. Zudem beschäftigt er sich trotz des systematischen Anspruches hauptsächlich mit den klassischen Autoren der PAT, die Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts ausgearbeitet wurde. Dass die PAT derzeit ein ausgesprochen produktiver Bereich philosophisch-interdisziplinärer Zusammenarbeit ist, wird nicht gesehen. Und daher bleiben drei wichtige Ansätze der PAT unberücksichtigt: Zum einen werden die aktuellen Ansätze wie Enactivism, Interactionism oder Embodiment nicht erwähnt, in denen das Erbe der PAT weiterlebt (Campbell 2009; Durt et al. 2017; Thompson 2007). Zum anderen wäre ein systematischer Einbezug der Philosophie von Hans Jonas interessant gewesen, da dieser ebenfalls Gesellschaftskritik und PAT miteinander verbindet (Jonas 1973, 1997). Darüber hinaus wären die anthropologischen Entwürfe aus der Neo-Aristotelischen Richtung, wie sie von Foot (2001) und Thompson (2012) angeregt wurden, eine interessante Ergänzung für den Sammelband, weil diese sowohl den Menschen in seiner Um- und Mitwelt verstehen als auch ein normatives Fundament legen wollen, auf dem eine Zeit- und Gesellschaftskritik aufgebaut werden kann.

Der Sammelband weist also in eine wichtige Forschungsrichtung, die weiterzuverfolgen spannend wäre. Dass die behandelten Themen wichtig sind, ist unmittelbar einleuchtend in einer Zeit der unverstandenen gesellschaftlichen Tendenzen, in denen der Mensch sich orientieren und gestalterisch tätig werden muss.

Literatur

Adorno, Theodor W. Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1969.

Campbell, Richard. „A Process-Based Model for an Interactive Ontology." Synthese 166. 3 (2009), 453–477.

Durt, Christoph, Thomas Fuchs und Christian Tewes (Hrsg.). Embodiment, Enaction, and Culture. Investigating the Consititution of the Shared World. Cambridge, Mass./London: MIT Press 2017.

Foot, Philippa. Natural Goodness. Oxford: Clarendon Press 2001.

Hähnel, Martin (Hrsg.). Aristotelischer Naturalismus. Stuttgart: J.B. Metzler Verlag 2017.

Horkheimer, Max. „Bemerkungen zur philosophischen Anthropologie." In: Gesammelte Schriften, Band 3: Schriften 1931–1936, hg. von Alfred Schmidt. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1988 [1935], 249–276.

Jonas, Hans. Das Prinzip Leben. Ansätze zu einer philosophischen Biologie. Frankfurt a. M.: Leipzig: Insel Verlag 1997.

Jonas, Hans. Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2009.

Jonas, Hans. Organismus und Freiheit. Ansätze zu einer philosophischen Biologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1973.

Ott, Konrad. Ökologie und Ethik. Ein Versuch praktischer Philosophie. Tübingen: Attempto-Verlag 1993.

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