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Zeitschrift für philosophische Literatur 6. 1 (2018), 35–54

Klein, Rebekka A./Finkelde, Dominik (Hg.): Souveränität und Subversion. Figurationen des Politisch-Imaginären. Freiburg/München: Alber 2015. 298 Seiten. [978-3-495-48754-9]

Rezensiert von Aristotelis Agridopoulos (Institut für Sozialforschung, Frankfurt am Main)

In dem von Rebekka Klein und Dominik Finkelde herausgegebenen Sammelband Souveränität und Subversion. Figurationen des Politisch-Imaginären gehen die Autorinnen in elf Beiträgen der Frage nach, „wie die Souveränität sich angesichts der historischen und gegenwärtigen Versuche ihrer subversiven ‚Entmächtigung‘, ‚Zersetzung‘ und ‚Durchbrechung‘ gewandelt hat“ (7). Die Beiträge gehen auf die von den Herausgebern veranstaltete Tagung „Vom abwesenden Grund – Souveränität und Subversion in linken politischen Theorien der Gegenwart“ zurück, die im März 2014 an der Universität Halle stattfand. Im Fokus des Bandes stehen „politische Theorien der Gegenwart“ die auf „ihre subversiv-anarchische Dimension“ untersucht werden. In ihrem Kontext wird der Begriff der Souveränität weiter gefasst als nur ein „Rechtsbegriff“, nämlich als „Figuration des Imaginären“ im Sozialen (9). Vor allem der Begriff der Post-Souveränität, der als ein „politische[r] Akt der Subversion“ zu deuten ist, spielt in den meisten Beiträgen eine zentrale Rolle. Leider fällt jedoch der konzeptionelle Einführungsteil der Einleitung sehr kurz und oberflächlich aus. Die Herausgeber begnügen sich mit gerade mal zwei Seiten ohne einen einzigen Literaturhinweis (9f.). Infolgedessen wird weder der aktuelle Forschungsstand noch die deutsch- oder englischsprachige Rezeption der Souveränitäts- und Subversionsdebatten innerhalb der politischen Theorie und politischen Theologie rekonstruiert. Eine systematische Fragestellung, die den Subversionsbegriff klarer bestimmt und auch den Untertitel des Bandes – Figurationen des Politisch-Imaginären – näher erläutert, bleibt ebenfalls aus.

Die einzelnen Beiträge gehen dem ambivalenten Verhältnis von Souveränität und Subversion aus einer interdisziplinäreren Perspektive (Politische Theorie, Philosophie, Literatur- und Medienwissenschaft, Theologie) in drei unterschiedlichen Themenkapiteln nach. Die Themenkapitel werden von den Herausgebern wiederum nur in drei sehr kurzen Absätzen vorgestellt und nicht ausführlich mit dem Oberthema des Bandes verknüpft. Auch hier wäre eine längere thematische Einführung sicherlich für die Leserinnen von Vorteil gewesen. Aus jedem der drei Kapitel sollen im Folgenden zwei Beiträge vorgestellt werden, die das interdisziplinäre Spektrum des Bandes repräsentieren, bevor eine Kritik zum Band die Rezension abschließt.

I.

Im ersten Themenkapitel zur Religion – Autorität – Gewalt „wird der Zusammenhang zwischen theologischen und politischen Souveränitätslehren untersucht“ (11). Die Beiträge sollen „Möglichkeiten der Kritik einer ‚Sakralisierung‘ von politischer Autorität“ skizzieren (11). Für die Zwecke dieser Rezension werden zwei Beiträge ausgewählt, die aus der Perspektive der politischen Theologie und der Rechtsphilosophie konzipiert sind.

Philipp Stoellger befasst sich in dem längsten Bandbeitrag „Souveränität nach der Souveränität. Zur Delegation und Zerstreuung von Souveränität und ihrer Unausweichlichkeit“ (19–67) aus einem theologischen Blickwinkel, den er mit einem politisch-philosophischen zu verbinden sucht, mit der Frage: „Wozu nach Souveränität fragen?“ (19). In seiner Einleitung konstatiert Stoellger „erstaunlich viele, durchaus aktuelle Versionen des Topos der Souveränität“ (19) und kategorisiert gleich zehn Versionen (religiöse, philosophische, politische, militärische, juristische, metajuristische/ethische, ästhetische, mediale, wissenschaftliche und ökonomische). Die Souveränität befindet sich heute ergo in einem Prozess der „Pluralisierung und Demokratisierung“. Mit Hans Blumenberg, der die Bedeutsamkeit des politischen Mythos untersucht hat (Blumenberg 2014), folgert Stoellger, dass „Souveränität religiös wie politisch ein ‚Glaubensgegenstand‘ (ebenso wie ‚die Märkte‘) [ist]. Souveränität ist nur, was sie gewesen sein wird, in einem belief system, das sie ermächtigt“ (24). In einem weiteren Schritt unterscheidet Stoellger zwischen ursprungs- oder strukturlogischer Souveränität, die ‚von oben‘ kommt, d. h. „von der alle Macht ausgeht“, und einer anarchischen Souveränität, die ‚von unten‘ als „Akt des Widerstands“ eine überschreitende „außerordentliche Souveränität“ darstellt (25). Beide Souveränitätsformen sollten jedoch nicht normativ bewertet werden, warnt Stoellger: „Die normative Differenz steht quer dazu.“ (25) Stoellgers erste kritische These ist gegen die Befürworter einer anarchischen Souveränität gerichtet: „Es gibt allerdings eine deutliche Neigung sogenannter ‚linker‘ politischer Theorien, die Souveränität von unten (des Einzelnen oder der Vielheit) a limine für ‚gut‘ zu halten. Der Hintergrund ist dann ‚in der Regel‘, dass die Souveränität von oben für ‚hierarchisch und totalitär‘ gehalten wird.“ (25) Seine These basiert auf dem Argument, dass es „ein methodischer Fehlschluss [sei], normative Setzungen (pauschal) mit Souveränitätsformationen zu identifizieren“ (25). Entgegen diesen Fehlschluss formuliert Stoellger:

Souveränität wie deren Kritik ist nur so sinnvoll, wie von ihr ein intelligenter Gebrauch gemacht wird, d. h. kritischer und vor allem selbstkritischer Gebrauch. Das ist einigermaßen unselbstverständlich. Denn in der Regel fungiert Souveränität als ein Ermächtigungstheorem. (26)

Stoellger versucht in den zwei folgenden Abschnitten („Theologie als Theorie der Souveränität“ und „Souveränität ohne Souverän – oder ‚Post-Souveränität‘?“) aufzuzeigen, dass vor allem die protestantische Theologie von dieser ‚intelligenten, selbstkritischen‘ Perspektive Gebrauch macht und mit ihr eine Post-Souveränität gedacht werden kann. Er formuliert seine zentrale Frage wie folgt: „Ist nun die Theologie so frei, die protestantische im Besonderen, einen Begriff des ‚Post-Souveränen‘ zu denken, Souveränität nach der Souveränität, eine kommende Souveränität, im Lichte derer alle Souveräne kritisierbar wären?“ (26) Stoellger beantwortet diese Frage nicht mit einem klaren Ja, dennoch versucht er „den Rekurs auf Gott“ als Quelle der Machtkritik zu deuten (29) und nicht als Ermächtigungstheorem, dem er entgehen will. Dazu benötigt er jedoch eine breite Definition des Souveränitätsbegriffes. Diesen begreift er

nicht nur als Rechtstitel, sondern als ‚soziale Wirklichkeit‘ einer ‚Wirkmacht‘, als Topos im Gebrauch, wie als Metapher in ihren Formvarianten, dann ‚gibt es‘ Souveränität in Verschiebungen, Übertragungen und Differenzierungen: von Gott über König zum Volk. (29)

Mit Claude Leforts Topos ‚der leeren Mitte‘ versucht Stoellger die Postsouveränität als „Unbesetzung und Vakanz“ zu konzeptualisieren (31f.).

Stoellgers zu Beginn breit angelegter Souveränitätsbegriff wird von ihm im Folgenden wieder enger geschnürt, wenn er im fünften Abschnitt von „drei Versionen der Souveränität“ spricht und sein Anliegen für die Leserinnen immer verwirrender und unklarer wird. Mit Lacan und Žižek definiert er zuerst drei und dann vier Formen der Souveränität (32ff.) Es folgen zwei Seiten, in denen Stoellger ein „Spektrum an Figuren der Souveränität“ listenartig aneinanderreiht (34ff.) und man sich die Frage stellt, worauf er eigentlich hinauswill, bevor er im sechsten Abschnitt den Souveränitätsfiguren des Papstes und Kaisers auf die Spur kommen will. Beide bilden „kompetitiv aporetische Souveränität[sformen]“ ab, weil sie sich um den Ausspruch „im Namen Gottes“ streiten (36-45). Für Stoellger stellen jene Herrschaftsfiguren im Derrida’schen Sinne Beispiele für eine „stets unmögliche Souveränität“ dar (49), die er nun mit dem Sakrament der Eucharistie zusammenführen möchte.

In seinem vorletzten Abschnitt („Souverän ist, wer über die Eucharistie gebietet?“) stellt Stoellger drei Thesen zur Eucharistie von Jean-Luc Marion, Jean-Luc Nancy und Giorgio Agamben gegenüber, die er alle als souveränitätstheoretische „Theopolitiken“ bezeichnet und kritisiert (50). Schon zu Beginn seiner Ausführungen zu Jean-Luc Nancy stellt Stoellger fest, dass Nancy und Agamben „Kirchen- wie Katholizismus-kritisch – und darin gelegentlich protestantischen Kritiken und Traditionen […] sonderbar nahe“ stehen würden. Beide seien damit als „zwei Gegenbesetzungen zu Marion“ zu lesen (52). Marion knüpft in seinem Werk „Gott ohne Sein“ an Dionysius Areopagita, den ersten Bischof von Athen, und dessen „hierarchisches Dispositiv“ an. Marion schreibt, „dass alleine der Bischof es verdient, und zwar im eigentlichsten Sinne des Wortes, den Titel Theologe zu führen“ (Marion 2014: 236, Hervorhebung i. O.). Stoellger weist die Thesen Marions als dogmatische vehement zurück (51), um letztlich Martin Luther als „protestantische ‚Souveränität von unten‘“ Marions „‚Exklusivpartikel‘“ („Allein der Bischof“) und damit „episkopalen Katholizismus“ entgegenstellen zu können (52). Verknüpft mit Nancys Denkfigur des „singulär plural seins“, resümiert Stoellger, dass bei Nancy eine „Dissemination der Souveränität“ als „eine Minimalsouveränität des Singulären“ erkennbar sei, die sich folglich im Mitsein aufteilt und verbreitet (57).

In Agambens Zusammenführung einer „Souveränität als Operativität“, in der er die Funktion der Engel mit derjenigen der Regierungsbürokratie vergleicht, findet Stoellger Wohlgefallen, wenn er sie als „wirksame[s] Sakrament [der] Wirklichkeit als Wirksamkeit: ein Vollzug ohne Souveränität – oder aber ein per se souveräner Vollzug“ deutet (61). Von Interesse ist auch ein Argument Stoellgers in einer Fußnote, in der er Agambens Figur des homo sacer mit Luther zu verbinden versucht:

Luther […] ist der wohl prominenteste Vogelfreie der Neuzeit. Reformatorische Kirchen ‚gründen‘ in Struktur und Semantik auf diesem Vogelfreien, Gebannten und von Rom Exkommunizierten. […] Evangelische Lebensformen sind daher etwas Außerordentliches: Leben, das nicht eigentlich unter der Herrschaft des Gesetzes steht. (52, Fußnote 116).

Dieser Gedanke kommt jedoch erst im Fazit klar zum Vorschein, wo Stoellger die passive Figur des Werdens in Luthers Ontologie, in der eine „Passivitätsrelation des Menschen zu sich und zu Gott“ gegeben ist, als Post-Souveränitätsfigur par excellence deutet (66).

Insgesamt ist Stoellgers Beitrag mit acht Abschnitten, fast 50 Seiten und 131 Fußnoten für einen Sammelbandbeitrag extrem lang, in zahlreichen Aspekten sehr inkohärent und unstrukturiert gegliedert. Über ein Dutzend Souveränitätsbegriffe, ihrer Figuren und zahlreicher Abwege von Aporien gelangt der Autor am Ende zu einer Apotheose der protestantischen Post-Souveränität, die er vor allem in der Figur Luthers findet. Seine Ausgangsfrage wird letztendlich nicht beantwortet. Stoellger verteidigt die evangelische Ethik als eine Ethik, die auf Passivität und Werden statt auf Aktivität und Wirken (des Katholizismus) beruht, und gerade deshalb Souveränitätsfiguren kreativ entstellen kann und einen Weg zur ‚souveränen‘ Post-Souveränität des Protestantismus eröffnet.

Daniel Loick geht in seinem Beitrag „Postsouveränes Recht“ dem Verhältnis von jüdischem Recht und anarchistischem Denken nach. Ausgehend von der These Michael Löwys, der eine „‚Wahlverwandtschaft‘ zwischen libertärem Denken und jüdischen Messianismus vertreten“ hat, kontrastiert Loick diese mit der entgegengesetzten These Sarah Kofmans, die von einer „notwendigen gegenseitigen Implikation von Anarchismus und Antisemitismus“ spricht (99). Loick selbst will zwischen beiden Positionen vermitteln und einen „Vorschlag unterbreiten […], wie Löwys These von der Wahlverwandtschaft zwischen jüdischem und libertärem Denken verteidigt und dennoch Kofmans Einwand Rechnung getragen werden kann“ (102).

Im ersten Abschnitt wird das jüdische Recht als nicht-souveränes Recht porträtiert. Loick weist darauf hin, dass gegenwärtig eine verstärkte interdisziplinäre Rezeption der jüdischen Rechtsdiskurse zu vernehmen sei (102). Das jüdische Recht ist vor allem von Bedingungen konstituiert, die es von „anderen Rechtssystemen unterscheidet“ (103). Insbesondere sind die Diaspora und die jahrhundertelange Nicht-Existenz eines jüdischen Staates zu nennen, in denen „sich das jüdische Recht ohne eigene staatliche Durchsetzungsinstanzen und zumeist in einer feindlichen Umgebung konservieren [musste]“ (103). Loick stellt „vier differentia specifica des jüdischen Rechts“ vor, die „mit allen klassischen Souveränitätsdefinitionen in Konflikt stehen“: neben den zwei zuvor genannten (Diaspora/Aterritorialität und fehlender staatlicher Zwangsinstitutionen) zählen auch „die interpretatorische Autonomie der Rechtsgemeinschaftsmitglieder und [der] Pluralismus sowohl nach innen als auch nach außen“ zu diesen besonderen Bedingungen (105). Innerhalb dieser steht nicht der „imperativischer Befehl“, sondern allen voran die Mündigkeit der Mitglieder ein wichtiges Ziel dar, was Emmanuel Levinas dazu brachte, „das Judentum […] als eine ‚Religion für Erwachsene‘ zu bezeichne[n]“ (104) (Levinas 1996).

Im zweiten Abschnitt fragt Loick nach der Vorbildfunktion des jüdischen Rechts hinsichtlich seiner Rechtsform, welche vielleicht ein Recht ohne Gott darstellen könnte. Im Vergleich zur römisch-christlichen Rechtsallianz und seinem Verhältnis zur modernen Staatlichkeit, in der säkularisierte Begriffe ehemals christliche Begriffe sind (Schmitt 1922), merkt Loick an, dass „die jüdische Rechtstradition auch für die Neutralisierung des Gottesbezugs bereits inhärente Kapazitäten bereit[stellt]“ (108). Mit dem Blick auf die Rechtsform gerichtet, stellt Loick eine Geschichte aus dem babylonischen Talmud vor, in der es sich „um die kasuistische Frage der grundsätzlichen Legitimität textfremder Argumente im Rechtsdiskurs“ unter Rechtsgelehrten dreht (109). Als der Protagonist, der Rabbi Eliezer die anderen Gelehrten mit „einer Reihe übernatürlicher Machtdemonstrationen“ zu überzeugen versuchte, werden seine Demonstrationen „aber konsequent mit dem Hinweis zurückgewiesen, [da] Wunder für die juristische Auslegung irrelevant sind“ (109). Loick resümiert:

Was mit einer konsequenten Neutralisierung jeder außertextuellen Autorität beginnt, endet mit der Depotenzierung Gottes und somit des obersten Gesetzgebers selbst. Die Entfernung Gottes als finale Referenz schlägt sich in der Form der Rechtsauslegung nieder; ihr entspricht ein rein immanent-prozeduralistisches Vorgehen, das Wahrheit nicht durch außertextuelle Evidenzerfahrungen, sondern nur durch Teilnahme an einem Diskurs ermitteln zu können glaubt. (109)

An diese Tradition des jüdischen Rechts versuchen zwei „atheistische Weisen“ anzuschließen: „eine postmodern-dekonstruktive und eine modern-diskursethische“ (110). In der ersteren lassen sich „Strukturähnlickeit[en] des jüdischen Interpretationsmodus mit einer dekonstruktiven Auffassung von Textualität“ (110) aufzeigen. Hier steht vor allem „der Wettstreit der Interpretationen“ (111) im Fokus, der wie Loick konstatiert, „der Kern des rabbinischen Rechtsdiskurses“ ist (110). Dies führt zu einer Dynamik, die durch „Offenheit für interpretatorische Kreativität, […] es jeder Generation ermöglicht, eine neue Bedeutung des Textes zu entdecken.“ (111) Innerhalb der modern-diskursethischen Weise versuchen Vertreterinnen das jüdische Recht mit einer „universalpragmatischen Diskursethik“ zu verbinden und es in die Nähe einer „demokratischen Konsensbildung“ zu rücken (111). Während die dekonstruktive Perspektive den Konflikt kultivieren will, versucht die diskursethische einen Konsens zu erreichen innerhalb ihrer jeweiligen Projekte „einer atheistischen Aneignung jüdischer Rechtstradition[en]“ (112). Loick ermittelt auch den gemeinsamen Nenner der beiden Stränge: „die Ablehnung einer außerdiskursiven Referenz als Wahrheitsgarant und somit aller nur macht- oder autoritätsgestützten Argumentationsweisen“ (112). Trotzdem warnt Loick mit Suzanne Last Stone (1993), „dass sich die jüdische Rechtstradition [nicht] umstandslos und ohne Verluste in ein zeitgenössisches anarchistisches Projekt übersetzen ließe“ (112). Praktiken der Gewalt, der Verbannung und der Ungleichheiten zwischen Geschlechtern bleiben in der rabbinischen Rechtsauslegung weiterhin von hoher Bedeutung.

In seiner kurzen Konklusion versucht Loick mit seinen zuvor geleisteten Ausführungen die Thesen von Löwy und Kofman „zu versöhnen“, denn seiner Ansicht nach, „kann eine Herrschaftskritik formuliert werden, […] die den gewaltförmigen Zirkel von Recht und Rechtskritik durchbricht“, wenn das jüdische Recht als nicht-souveränes Recht mit einer anarchistischen Herrschaftskritik in Verbindung gebracht wird. Daraus entwickelt Loick die Idee eines anderen, postsouveränen Rechts als

ein Recht ohne Staat und Herrschaft, das sich an seine Adressatinnen und Adressaten nicht in Form von Befehlen richtet, sondern auf ihre Mündigkeit zielt, und das kein identitäres oder gar völkisches Kollektiv formiert, sondern eine, in den Worten José Faurs (2008), horizontal society, die sich als community of interpreters nur durch einen Dissens und Dissidenz verwirklichen kann. (113f.)

Daniel Loick skizziert insgesamt ein anschauliches Bild vom jüdischem Recht und seinem anarchistischem Potenzial. Dabei stellt er die wichtigsten Aspekte des jüdischen Rechtsverständnisses auf, die konträr zum römisch-westlichen Souveränitätsbegriff stehen, um einen alternativen Pfad der Post-Souveränität aufzuzeigen. Auf die Kritik Sarah Kofmans jedoch, dass der Anarchismus in einem Verhältnis zum Antisemitismus steht, geht Loick leider nicht mehr ausführlich ein, obwohl er zu Beginn erläutert, dass er ihren Einwand berücksichtigen will.

II.

Im zweiten Themenkapitel Demokratie – Repräsentation – Subjekt widmen sich vier Beiträge der Thematik einer demokratischen Souveränität der Vielen und ihrer subversiven Formen. Sie „zeichnen nach, auf welche Weise sich die politische Imagination der Volkssouveränität in die soziale Wirklichkeit einschreibt.“ (13) Ich bespreche hier einen Beitrag aus der politischen Philosophie und einen aus einer historiographischen-diskursanalytischen Forschungsperspektive.

Juliane Rebentischs Beitrag „Masse – Volk – Multitude. Überlegungen zur Quelle demokratischer Legitimität“ untersucht die ambivalenten Verständnisse des politischen Subjekts der Demokratie, die in verschiedenen Rollen (die Masse, die Vielen, die Multitude) konzeptualisiert werden können. Dabei stellt Rebentisch der „demokratieskeptischen“ Massenkritik „eine Verteidigung der Demokratie“ entgegen (116).

Platon gehört zu den ersten Kritikern der demokratischen Herrschaftsform, die er vor allem in den Nomoi ausformuliert. Für ihn stellt die „Masse aufgrund ihrer mangelnden Bildung keine Urteilskriterien zur Verfügung“, wer überhaupt regieren darf und daher verbleibt sie stets „manipulierbar.“ (116) Für Platon ist das demokratische Athen ein perfektes Beispiel dafür, dass die Masse als Theaterpublikum durch die „schlechte Kunst [der Dichter] falsch erzogen“ wurde (117). Rebentisch resümiert die Kritik Platons an der „Theatrokratie“: „An die Stelle der Autorität des sogenannten guten Geschmacks mit seinen Regeln tritt nun die spontane Äußerung der Masse.“ (117) Aus der Aristokratie, in der die Macht in den Händen der Besten liegt, ist „eine Massenherrschaft des Publikums“ entstanden (117). Das Verfallspotential ist der Demokratie nach Platons Ansicht selbst eingeschrieben.

Rebentisch siedelt Platons beschriebene Demokratiekritik auf zwei Ebenen an: Erstens stellt sie „eine aristokratische Kritik am Niedergang der Tradition“ dar und zweitens „eine Kritik an der Irrationalität der Masse“ (118). Diese Kritik hat, laut Rebentisch, bis in die heutige Gegenwart „viele Anhänger gefunden“ und Friedrich Nietzsche ist einer ihrer „markantesten modernen Exponenten“ (118). Rebentisch weist die platonische und aristokratische Perspektive jedoch klar zurück:

Die Idee eines letzten Wissens um das eigentlich und wahrhaft Gute erscheint dem nachmetaphysischen Denken heute unhaltbar. Das Gute […] ist uns nur als ein Geschichtliches gegeben. (119)

Vielmehr noch zeigt Rebentisch auf, dass Platons objektiv festgeschriebene Idee des Guten zur Unfreiheit führt und man mit der neuen demokratischen Kunst ‚ohne Regeln‘, zu einer „Offenheit des Subjekts“ und seiner Freiheit gelangt, gerade weil sie „eine Erfahrung von Neuem und Fremden“ mit sich bringt:

Denn nur dann kann sich die Frage nach dem Guten überhaupt als Frage stellen. Nur dann gibt es die Möglichkeit, dass wir uns die soziale Praxis, deren Teil wir sind, aneignen oder verändernd auf sie einwirken können (119).

Hiermit stellt sich in der Demokratie die gesamte soziale Praxis und auch die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem „immer wieder neu zur Verhandlung“ (122).

Mit einem Zitat Nietzsches versucht Rebentisch in ihrem zweiten Abschnitt der demokratischen Dynamik auf die Spur zu kommen: „Im Theater […] unterliegt auch noch das persönlichste Gewissen dem nivellierenden Zauber der großen Zahl, da regiert der Nachbar, da wird man Nachbar.“ (Nietzsche 1969: 418) Für Rebentisch „ist es die Dynamik der Masse selbst, die ihre Mitglieder einander angleicht, ganz unabhängig von deren jeweiligen sozialen Voraussetzungen.“ (123) Ihr Augenmerk richtet sie jedoch mehr auf den „spontanen Organisationsprozess“, der sich in der Menge oder Masse entfacht und setzt diesen mit der „Urteilsfähigkeit des Einzelnen“, die erst einmal in der Masse, wie es scheint, verloren geht, in Relation. Hierfür zieht Rebentisch Gabriel Tarde heran, der die Phänomene der Nachahmung und der Masse zusammen zu denken versucht (124). Das einzelne Subjekt ist nach Tarde diversen „Nachahmungsstrahlen“ ausgesetzt (125). In Rebentischs Worten führt dieser Gedanke Tardes zu einer „Vielfältigkeit[, die] nicht nur Quelle von Individualität [ist]; sie ist auch die Quelle einer gewissen Widerständigkeit der Einzelnen gegenüber den auf sie einströmenden Eindrücken.“ (125) Dies bewirkt, wie Tarde bemerkt, eine „kleine[] innere[] Schlacht“ im Subjekt. Infolgedessen wird auch die Urteilsfähigkeit zwischen Autonomie und Heteronomie geformt, wie Rebentisch zusammenfasst: „Das Urteil kann das Neue – die neue Idee, die neue Kunst, die neue Politik – am Ende entweder im Namen des Alten ablehnen oder aber als ein gegenüber dem Alten Besseres annehmen.“ (125) Gerade in der „Gewährleistung [der] Vielfalt“ erkennt Rebentisch die weitere Chance der Demokratie „gegen die Gefahr massenhafter Gleichschaltung. (125)

Im dritten und vierten Abschnitt untersucht Rebentisch den Begriff der demokratischen Öffentlichkeit, der Repräsentation und ihrer ambivalenten Selbstdifferenz. Mit Tarde stellt sie entgegen der Perspektive einer „absorbierenden Masse […] den Einzelne[n] […] als Mitglied verschiedener Sub- oder Spezialöffentlichkeiten“ dar (127). Trotzdem kann man dem „Problem des Konformismus“ in „demokratischen Massenöffentlichkeiten“ nicht entkommen. Über Tocquevilles bekannte These hinsichtlich einer „Tyrannei der Mehrheit“ und über Adornos und Horkheimers Adaption dieser These in ihrer Dialektik der Aufklärung, gelangt Rebentisch zum Verhältnis von öffentlicher Meinung und Repräsentation. Sie zeigt auf, dass die ‚öffentliche Meinung‘ niemals existiert und stets nur im „Sprechen ‚im Namen von‘“ konstruiert wird (128f.). Fragen der Repräsentation sind stets auch Fragen der Herrschaft und damit „Moment[e] der Souveränität […], die nicht ohne Asymmetrie, und d. h.: nicht ohne Macht und Herrschaft, zu denken [sind] (129). Zentral ist hierbei, wie Rebentisch anmerkt, das im „theatrokratischen Setting“ der Demokratie, „jeder, der antritt, die öffentliche Meinung zu vertreten, von einem heterogenen Publikum beurteilt wird.“ (130) Eine Öffentlichkeit und ihre Repräsentationen in Politik und Medien müssen stets „der Möglichkeit der Gegendarstellung“ verpflichtet bleiben, wenn sie dem Titel ‚demokratisch‘ gerecht werden wollen (130). Gegendarstellungen können auch von Demonstrationen ausgehen, da „jede Demonstration zugleich Demonstration von Öffentlichkeit [ist]“ (131). Mit Jacques Rancière und Claude Lefort weist Rebentisch darauf hin, dass der demos unauflöslich geteilt ist und damit nur im „Abstand der demokratischen Öffentlichkeit zu sich selbst, eine Selbstdifferenz der Öffentlichkeit“ existiert (132). Diese ambivalente Denkfigur des demos zeigt hierbei ihre „unauflösbare Dualität“ mit sich selbst, „zwischen der Gestalt, die der demos in seinen Repräsentationen erhält […] und der Gesichtslosigkeit des demos in seiner (Nicht-)Gestalt als heterogener Menge oder Multitude auf der anderen.“ (133, Hervor. i. O.) Gerade dadurch, resümiert Rebentisch, ist „[d]ie demokratische Souveränität […] von der Anerkennung durch die unabsehbar heterogene Multitude [des demokratischen Subjekts] angewiesen, und dies immer wieder neu“ (134).

Im letzten Abschnitt formuliert Rebentisch eine radikaldemokratische Kritik an der Idee der ‚absoluten Demokratie‘ bei Antonio Negri und Michael Hardt, weil ihr Konzept sich „nur als Negation des geschichtlichen Lebens, nur als ein Zustand jenseits der Geschichte denken lässt“ (135). Die Multitude soll als egalitäre „Selbstregierung der Vielen“, jenseits der Souveränität agieren, in der alle Hierarchien und Herrschaftsbeziehungen abgeschafft wurden. Rebentisch weist jedoch die „Idee einer letzten Totalintegration“ zurück, da „die Idee einer letzten Gleichheit, und d. h.: einer vollständig realisierten Gerechtigkeit, die Aufhebung der Möglichkeit des Irrtums, der Täuschung und der Selbsttäuschung [impliziert].“ (136) Sie betont, dass „die Singularität der Einzelnen [der] Ausgangspunkt“ der Demokratie und diese „beginnt mit der Einsicht, dass sich die Gleichheit unter den Bedingungen der Endlichkeit nie als unbedingte, sondern immer nur als bedingte und beschränkte Gleichheit – und d. h.: niemals losgelöst von der Machtfrage – realisier[en] [lässt].“ (136f.) Rebentisch resümiert, dass die „Erfahrungen einer Selbstdifferenz des demos“ und die „Dynamik einer Selbstüberschreitung der Demokratie“ konstitutiv für die Anerkennungsmacht der demokratischen Souveränität sind. Ganz im Sinne Rancières lokalisiert auch Rebentisch im Streit die Demokratie, den Ort des demos als unmögliche Multitude (137).

Rebentischs Aufsatz ist ein Gewinn für den Band, weil er die stets paradoxen Subjektfiguren der Demokratie sehr genau beschreibt, die antidemokratischen Vorbehalte Platons und Nietzsches mit einem radikaldemokratischen Ansatz à la Lefort und Rancière überzeugend zurückweist und die Idee der Demokratie als dynamischen Prozess des Dissenses reflektiert. Rebentisch gelingt es aus einer politiktheoretischen Perspektive einen sehr relevanten und schlüssigen Aufsatz zu verfassen, der aufzeigt, dass in der Souveränität der Demokratie, die Potenz subversiver Momente der Vielen stets eingeschrieben ist.

Maud Meyzaud reflektiert in ihrem Beitrag „Volkssouveränität und Verschwörungskunst. Zur diskursiven Ökonomie der Terreur nach Lefort“ das Verhältnis von Volkssouveränität und Verschwörung am Beispiel von Reden der Jakobiner Maximilien de Robespierre und Louis Antoine de Saint-Just in der Phase des Großen Terrors (Terreur) während der Französischen Revolution. Meyzaud zeigt schon zu Beginn an einer Rede Saint-Justs, dass das Motiv eines Verrats und der „Verschwörung des Auslands gegen die Revolution […] die Angst vor einer Spaltung des Souveräns zu schüren [scheint]“, und „vor allem die ‚Gesetzgeber‘, die Mitglieder des Nationalkonvents, prinzipiell dem Verdacht [aussetzt], gegen die Revolution und jenes Prinzips der Souveränität des Volkes zu arbeiten“ (164f.). Das französische Ereignis der modernen Wiedergeburt der Volkssouveränität führt zu einer Verschiebung der „Souveränität auf den Leib des Volkes“ da „Repräsentant […] und Repräsentierter […] eine Einheit eingehen“ (165). Dies führte in den Wirren der Französischen Revolution zu einem Bürgerkrieg, in dem verschiedene politische Koalitionen „im Namen des Volkes ‚Faktionen‘, d. h. Teilmengen des Souveräns – der das Volk ja selbst war – ausgemerzt wurden“ (165). Meyzaud erkennt eine Analogie zwischen der „Argumentation der jakobinischen Schreckensherrschaft“ und dem „war on terror, den die westlichen Demokratien seit 9/11 führen“ (165). Zentral ist hierbei, dass die Unschuldsvermutung obsolet wurde und prinzipiell alle Bürgerinnen unter Verdacht stehen, potenzielle Terroristen zu sein. Infolgedessen lautet die These Meyzauds:

In diesem Maße besteht zwischen Verschwörung und Souveränität ein genuiner Zusammenhang, der sich im historischen Geschehen der Französischen Revolution beobachten lässt und dort, in dieser Matrix der westlichen Politik, deshalb drastisch ist, weil der Verdacht einer Verschwörung sich weniger auf beliebige Bürger richtet, denn auf Repräsentanten des Volkssouveräns. (166)

Mit Claude Lefort, der der „diskursiven Ökonomie der Schreckensherrschaft“ nachgegangen ist, versucht Meyzaud diesem Zusammenhang, auch unter Berücksichtigung „der Rolle der Kunst im Diskurs der Jakobiner“ näher zu kommen (168).

Robespierre und Saint-Just sahen vor allem in der Theaterkunst eine Verschwörungsquelle gegen die Revolution. So wurden dem Theaterautor Fabre d‘Églantine, der zu Dantonistenfraktion gehörte, in seiner Kunst selbst konterrevolutionäre Tätigkeiten vorgeworfen (171). Für Robespierre, so Meyzaud,

eignet sich [Fabre] […] besonders gut als Figur des inneren Feindes, weil sich seine künstlerische Tätigkeit durch eine von Robespierre stillschweigend vorausgesetzte Operation auf das Gebiet der Verschwörung übertragen lässt: Als Schriftsteller von Theaterstücken produziert er Betrug im platonischen Sinne, weshalb er sich als ‚Autor‘ von (politischen) Handlungen bestens zum Ränkeschmieden eignet. (172)

Meyzaud verdeutlicht an mehreren Beispielen wie „jenes Motiv des mimetischen Betrugs“ innerhalb des „Verschwörungsnarrativs“ von den Protagonisten des Terreur eingesetzt wird. Ob Theaterautoren, anderen politische Gruppierungen oder Immigranten allesamt werden als „Verschwörer“ und „gute Schauspieler“ bezeichnet, wie Saint-Just anklagt, weil „der Geist der Nachahmung das Siegel des Verbrechens“ ist (174). Lefort spricht von einer „Verkennung der eigenen Macht“, die von den Jakobinern selbst ausgeht (175), so folgert Meyzaud mit ihm:

Wenn alle gleich vor dem Gesetz sind und die Macht allen gehört, wenn es also nicht möglich ist, die Macht für sich zu reklamieren, dann muss die Ausübung der Macht den Weg einer kollektiven Selbstermächtigung gehen, in der alle jederzeit und sich selbst dem Verdacht ausgeliefert sind, die Souveränität vereinnahmen zu wollen (176).

‚Der leere Ort der Macht‘ wird aber gerade nicht leer gelassen, da er während der Terreur von den Jakobinern im Namen des Volkes besetzt wird und sie sich dafür verantwortlich sehen im Namen der demokratischen Revolution den ‚Verschwörern‘ die Masken abzuziehen und ihre Gesichter an der Guillotine der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der „Topos des Maskenspiels“ ist, wie Meyzaud anmerkt, auch in Georg Büchners „Danton‘s Tod“ eingeflossen (177). „Die platonische Erbschaft einer Spaltung zwischen Natur/Sein und (mimetisch gefasster) Kunst/Schein erklärt den prinzipiellen Verdacht, den die Jakobiner gegen jedes Gesicht hegen“, so erklärt Meyzaud, dass auch Platons Ontologie und Theaterkritik von den Jakobinern in Namen der Wahrheit genutzt wurde, erst der „physische Tod des Kopfes, ]{style="background: transparent"}der das Gesicht ‚trägt‘ […] vermög[e] es, das Gesicht […] zu beseitigen“ (178). Schließlich führt die „(Gegen-)Verschwörung als Modus der Vereinigung“ von den Jakobinern zur „Umgestaltung des Gesellschaftsvertrags in einen ‚Gegenschwur‘“ (179). Mit Lefort und Arasses weist die Autorin auf die imaginäre Ideologie der Jakobiner hin, die die Guillotine zur „Regierungsmaschine“ machten, um in der Wortwahl Billaud-Varennes, auf den Lefort rekurriert, „das Volk neu[zu]erschaffen, dem wir die Freiheit zurückgegeben haben“ (179).

Im Fazit bringt Meyzaud noch einmal die zentralen Figuren des jakobinischen Verschwörungsdiskurses zusammen.

Die zentrale Stellung der Figur des Verschwörers und des Topos der Maske im Diskurs der Schreckensherrschaft machen deutlich, dass die Allgegenwart der Verschwörung im Imaginären der Schreckensherrschaft sehr wohl zurückzubeziehen ist auf die Attribute, die der Souveränität zukommen im Volk fortleben sollen: Einheit, Unteilbarkeit, Selbstidentität des Souveräns. (180)

Die Jakobiner haben gerade vor der Kunst und ihrer „Zersetzungskraft“ Angst, die zu einem sittlichen Verfall führe, „weil der Kunst somit die Schuld an einem mangelhaften sozialen Zusammenhalt gegeben werden kann“ (181). Den Jakobinern gelingt es nicht, die demokratische Volkssouveränität als eine in sich geteilte zu denken, somit werden Gegenmeinungen von beliebigen Akteuren schnell zur feindlichen Verschwörung gegen die Revolution konstruiert. Meyzaud schließt ihren Beitrag mit dem zeitdiagnostischen Hinweis, in dem sie darauf aufmerksam macht, dass nach 9/11 „dem Westen eine gewisse Tendenz zu Verschwörungsannahmen [innewohnt]“ und durch außerordentliche Maßnahmen gegen eine stets mögliche Terrorismusgefahr die Demokratie selbst untergraben wird.

Insgesamt gelingt es Meyzaud, in ihrer Diskursanalyse einen sehr interessanten Einblick in die jakobinischen Rechtfertigungsdiskurse zu geben und die Schwierigkeiten einer gelungenen Umsetzung einer der wichtigsten demokratischen Revolutionen der Moderne aufzuzeigen, die an den Irrwegen der brutalsten Gewalt gescheitert ist. Der Bezug von den jakobinischen Praktiken zu gegenwärtigen Politiken des Verdachts nach 9/11 fällt jedoch etwas dürftig aus, obwohl er in Zeiten des „permanenten Ausnahmezustands“ (siehe Frankreich oder Türkei) gegen alle möglichen ‚Feinde der Demokratie‘ von sozialwissenschaftlichem Interesse wäre.

III.

Im letzten Themenkapitel Ordnung – Ausnahme – Außerordentliches gehen alle vier Beiträge der Frage nach, wie Souveränität subversiv ausgesetzt, verändert oder sogar zu durchbrechen ist. „Subversion kann dabei als neue axiomatische Setzung des Subjekts, als Durchbrechen des Zirkels kollektiver Angst, aber auch als symbolische Neukodierung von Souveränitätsmacht verstanden werden“ (16). Ich will auf zwei Artikel eingehen, die sich aus dem Blickwinkel der politischen Theorie und Theologie mit dem Thema der Post-Souveränität auseinandersetzen.

Andreas Hetzel unternimmt in seinem Beitrag „Das Durchbrechen des Zirkels der Angst. Für eine post-souveräne Exodus-Politik“ den Versuch, drei Lektüren der biblischen Exodus-Erzählung von Michael Walzer, Paolo Virno und Jacques Derrida zu vergleichen, „um ausgehend von ihnen eine Perspektive der Subversion von Souveränität anzudeuten, mit der zugleich eine neue Form von angstfreier politischer Subjektwerdung einhergeht“ (245). Gerade dies scheint Hetzel mit Isabell Lorey „[a]uf den Plätzen in Tunis, Kairo und Istanbul“ zu erkennen, auf denen sich – „jenseits westlich-repräsentativer Demokratievorstellungen“ – Exodusformen als „präsentische Demokratie“ zutage traten (244). Michael Walzer deutet in seinem Werk Exodus and Revolution den Auszug der Juden aus Ägypten als eine „Geschichte einer erfolgreichen Ent-Unterwerfung“ (245). Er entwirft „einen Gegensatz von ‚Exodus-Politik‘ und ‚politischem Messianismus‘, wobei er die Exodus-Politik mit einem horizontalen und den Messianismus mit einem vertikalen Verständnis von Revolutionen assoziiert.“ (256) Hetzel erkennt in Walzers Lesart des Zweiten Buch Mose „eine offene und vor allem säkulare Erzählung“, die eine „unterwerfende Subjektivierung [umkehrt]“ (247f.). Es muss jedoch auch erwähnt werden, dass „der Messianismus selbst aus dem Exodus-Mythos hervorgeht“ (249). Mit Georges Bataille liest Hetzel den Zugewinn einer neuen Souveränität für das jüdische Volk, als eine „Souveränität eines Sich-aufs-Spiel-Setzen-Könnens“, welches die „Überwind[ung] der Furcht“ […] impliziert (250) und „das gelobte Land als ‚Land ohne Unterdrückung‘“ stilisiert (252).

Gerade diesen Fokus auf die Nicht-Angst benötigt Hetzel für seine eigene These, die er ebenfalls auch bei Paolo Virnos Exegese der Exodusgeschichte wiederfindet. Virno, der seine Überlegungen auf Marx‘ These, „dass jedes Kapitalverhältnis auf der Gewalt einer ursprünglichen Akkumulation beruhe“ (253) aufbaut, blickt auf die USA des 19. Jahrhunderts und auf Italien der 1960er Jahre, wo er den Auszug von Arbeitern rekonstruiert, die von den kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen zu fliehen versuchen. So „konnten [amerikanische Arbeiter] aus den Fabriken der Ostküste fliehen und nach Westen ziehen, um sich dort wieder eigene Produktionsmittel (unbebautes Land) anzueignen“ (255). Dies konnte nur realisiert werden, wie Marx es schon beobachtet hatte, weil sich in der USA erst verspätet kapitalistische Strukturen der Industrialisierung im gesamten Staat ausbreiteten. In Italien sah Virno ähnliche Phänomene des Exodus, die er mit Deleuze und Guattari auch als ‚Nomadismus‘ bezeichnete (256). Lorey, die ebenfalls an Virno anknüpft, spricht infolgedessen von einer „politische[n] Strategie des ‚immanenten Auszugs‘ […], die „das Betreten eines Außerhalb von Machtverhältnissen“ ermögliche. (256) Jacques Derrida nutzt die biblische Exodusgeschichte für seine „Dekonstruktion einer souveränitätstheoretischen Konfiguration aus Politik und Religion“ und entwickelt dabei selbst einen ‚Messianismus ohne Messianismus‘ (257f.). Derrida erkennt im Judentum selbst „die Idee eines gebrochenen Gottes“ und verknüpft sie mit der Idee des Gesetzes und der Schrift (258). Hetzel fasst den Derrida‘schen Gedanken wie folgt zusammen:

Doch das Gesetz weist von Anfang an einen Bruch auf, eine Unbestimmtheitsstelle. Aus dem Mangel des Gesetzes geht die Schrift in ihrer verräumlichenden, jede Fülle und Präsenz subvertierenden Kraft hervor, die sich von allen Ursprüngen unendlich entfernt hat und sie spaltet. (258)

Für Derrida stellt die „ursprungslose Schrift“ die „Unmöglichkeit Gottes“ dar (259), wie er selbst aussagt: „Die Schrift ist das Moment der Wüste als Moment der Trennung“ (Derrida 1976: 107). Die Wüste wird für Derrida damit zum zentralen Motiv einer unmöglichen Souveränität. Hetzel schlussfolgert: „Die Wüste […] wäre das Andere der Souveränität oder – mit Derrida gesprochen – ‚niemandes Souveränität‘.“ (260). In allen drei vorgestellten Exodus-Exegesen erkennt Hetzel „Figuren eines post-souveränen Denkens des Politischen“, mit welchen man den gegenwärtigen Exodus von fliehenden Menschen, die den Westen erreichen möchten, deuten könnte. Hetzel liest diesen Auszug aber auch „als Ausdruck einer präsentischen Demokratie“, die gerade die „postkoloniale Weltordnung“ infrage stellt (261). Gerade diese Menschen, so Hetzel, führen die „Politik des Einzugs der Anteilslosen“ herbei und realisieren eine „Demokratisierung der Grenzen“ (261).

Hetzel verbindet auf überzeugende Weise die drei Exodus-Lektüren von Walzer, Virno und Derrida, um mit ihnen das selbstermächtigende Motiv der Angstfreiheit ausgeschlossener Subjekte zu denken, die sich gegen die Souveränität der Angst und der Unterwerfung stellen und damit einen post-souveränen Horizont eröffnen. Hetzels Beitrag gehört zu den wenigen im Band, die auch aktuelle Thematiken reflektieren und diese in einen theoretischen Rahmen ordnen, wie z. B. den Arabischen Frühling, den Autoritarismus in der Türkei und den weltweiten Massenexodus flüchtender Menschen aus Leid und Not.

Die Mitherausgeberin Rebekka Klein fragt in ihrem Beitrag „Subversion der Souveränität. Ein unmögliches Unterfangen?“ nach Formen der Subversion von Souveränität, „die nicht naiv auf deren Abschaffung setzen, sondern subtilere und kleinformatigere Formen ihrer Destabilisierung, Unterwanderung und Durchbrechung initiieren.“ (278) Klein geht dabei zuerst anhand von drei Metaphern der Etymologie des Subversionsbegriffs nach und deutet anschließend das ideologiekritische Denken von Claude Lefort, Slavoj Žižek und Karl Barth als eine Exemplifizierung subversiver Kritik gegenüber der politisch-imaginären Souveränität. Diese drei Denker stehen auch in Kleins Habilitationsschrift im Fokus ihrer Analyse (Klein 2016).

Die Metaphern zur Subversion „entspringen alle drei einer naturverbundenen Vorstellungswelt, an die sich eine theologische und politische Auslegung anschließt“ (279). Das erste Bild entspringt der Landwirtschaft: hier bedeutet Subversion „das Umwerfen und Umdrehen der Ackerkrume beim Ausbringen der Saat auf den Feldern“ (279). Die zweite Metapher stammt von Arnobius dem Älteren, einem Denker „des christianisierten Platonismus“. Er koppelt die Naturkatastrophe mit der subversio und denkt sie als eine „heilsame[], ja reinigende[] Zerstörung der Erde oder sogar der gesamten Menschheit“ (280). Diese Betrachtung des Katastrophischen als etwas Gutem geht damit einher, dass er es als einen Weg zur „innovatio, einer Erneuerung der Welt“ deutet (280). Das letzte Bild ist aus der Vulgata-Tradition und ist mit israelischen Widerstand gegenüber dem Propheten Ezechiel verbunden. Hier wird aus dem Hebräischen der Begriff der Dornen salonim mit subversores übersetzt (280), die den Propheten umzingeln. Für Klein stellen alle drei Metaphern „die Wirkung subversiver Aktivitäten als ambivalent“ dar: „Auf der einen Seite ist die Subversion des Bestehenden bedrohlich, zerstörerisch und existenziell gefährdend, auf der anderen Seite kann sie reinigend, rettend und erneuernd wirken.“ (281). Sie leitet aus diesen Vorstellungen verschiedene Momente für den politischen Kontext der Subversion ab. So ist die „Perspektivität“ der „Bewertungen von subversiven Tätigkeiten“ zunächst entscheidend:

Je nachdem, welcher Standpunkt und welche Zielperspektive subversiven Aktionen unterstellt wird, können diese als progressiv oder regressiv, als zerstörerisch oder konstruktiv, als revolutionär oder konterrevolutionär, als strategisch oder chaotisch beschrieben werden.“ (281)

Eine zweite Konsequenz ist „ein gewaltsames Moment der Zerstörung des Bestehenden.“ (282)

Und schließlich sind diese Handlungen als drittes Moment auch durch „Innerlichkeit und Verborgenheit“ gekennzeichnet (282). Kleins Ansicht nach hat besonders die neuere französische Philosophie diesem überschreitenden Denken des Subversiven wichtige Impulse gegeben, unter anderem durch Georges Bataille, Jacques Lacan, Michel Foucault oder auch Jacques Derrida. Mit diesen Denkern folgert die Autorin, dass

[e]ine finale Überwindung der Souveränität […] auch auf dem Wege subversiver Interventionen nicht realisierbar [ist]. […] Dennoch lässt sich fragen, was subversive Interventionen stattdessen zu leisten vermögen, wenn sie die Souveränität zwar nicht abschaffen können, diese jedoch umbesetzen oder neu figurieren. (284)

Infolgedessen greift Klein auf drei Varianten einer Ideologiekritik der Souveränität zurück und kontrastiert sie.

Lefort analysiert in seiner Theorie des Politischen die „imaginäre […] Verfasstheit der demokratischen Souveränitätslehre“ im Übergang von der absolutistisch-theologischen Souveränität und zeigt auf, dass „der metaphysische Glaube“ an einem mit sich identischen, souveränen politischen Subjekt die Demokratie weiterhin verfolgt (286). Daher erkennt auch Lefort die totalitären Gefahren, die der Demokratie selbst eingeschrieben sind. Seine Lösung ist, dass die Demokratie das einzige System ist, indem der Ort der souveränen Macht imaginär „leer, vakant und subjektlos“ bleibt und bleiben muss (288). Klein erkennt in Leforts Deutung den Versuch einer Ent-Ideologisierung und des Verzichts, „nämlich als Prinzip der Negation aller Formen einer realen Inhabe souveräner Macht“ (288). Im Gegensatz dazu sieht Žižek diese „imaginative Enthaltsamkeit“ bei Lefort als Weg der Verdrängung an (289), weil es das Begehren der Menschen nicht beachtet und von einem falschen Widerspruch zwischen Demokratie und Totalitarismus ausgeht. Für Žižek können subversive Interventionen nur durch nicht anerkannte Subjekte wie „Illegale“, „Staatenlose“ oder „Obdachlose“ (290), die gleichzeitig innerhalb und zugleich außerhalb einer bestehenden (symbolischen) Ordnung leben, in die Tat umgesetzt werden. Das Ziel ihrer Unterwanderung ist jedoch fast immer von der herrschenden Ordnung als anerkanntes Subjekt legitimiert zu werden. Klein merkt an:

Die Funktion der Souveränität wird auf diese Weise also nicht suspendiert. Dies gesteht auch Žižek zu und bekennt, dass ein endgültiger Ausstieg aus der ideologischen Verfasstheit der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht möglich sei[.] (291)

In der paulinischen Theologie spürt Žižek jedoch „einen Ausweg aus dieser tragischen Perspektive“ (291) auf. Die Befreiung am Kreuze, die durch den Tod des Menschengottes Jesu Christi hervorgebracht wurde, ist „als Akt der Befreiung von Souveränität, als Abschied von der Religion, ihrem Sinnuniversum und ihrem allmächtigen Subjekt ‚Gott‘ zu verstehen und enthalte damit ein imaginäres Bild des ‚Realen‘, des endgültigen Zusammenbruchs souveräner Macht“. (292) Von den christlichen Kirchen ist diese religionsaufhebende und anarchische Metapher verständlicherweise niemals im Žižek‘schen oder Agamben‘schen Sinne interpretiert worden (Agamben 2006, Žižek 2003). Als letzter Denker wird noch der Theologe Karl Barth von Klein hinzugezogen. Barth sucht die Überwindung der Souveränität weder in der Zähmung (Lefort) noch in der radikalen Befreiung von Ideologie (Žižek), sondern in Jesus Christus bzw. in Gott selbst, weil er die Versöhnung in das Leben der Menschen gebracht hat. „‚Jesus Christus‘ steht für Barth als Mittler und Offenbarer einer konkreten neuen Wirklichkeit der Freiheit, in der Gott die menschengemachte Dialektik von Herrschaft und Unterwerfung unterläuft und aussetzt.“ (293) Klein erkennt in Barth eine „radikale Orientierung am neuen Bild der Macht“ jedes fremde Subjekt „auf Augenhöhe“ anzuerkennen (293). Menschliche Herrschaftsansprüche seien damit nicht mehr gerechtfertigt, da Christus für eine gleichberechtigte und friedvolle Lebenswelt eintritt. Die Hoffnung, die Barth dabei erkennt, ist eine Welt, die „von allen politischen Ideologien“ befreit wäre (294).

Aber wie Klein anführt „entkommt Barth selbstverständlich dem Problem einer Wiederkehr der Souveränität nicht“ (294). Ganz im Gegenteil sieht Barth den universellen Ort der Souveränität in Gott und Christus, die er, wie Klein zu Recht anmerkt, „uneingeschränkt positiviert und auf diese Weise die Pluralität und Heterogenität menschlicher Macht entschärft“ (295). Interessant ist vor allem, wenn Klein zusammenfasst, dass Barth im Vergleich zu den anderen Denkern „die größere politische Durchschlagskraft zugesprochen werden [muss]“:

Gelang es doch Barth und anderen Anhängern seiner Theologie einer ganz anderen Macht Gottes Motivation zum konkreten Widerstand oder zumindest zur Freiheit gegenüber den von Menschen geschaffenen Souveränitätsideologien zu wecken. (295)

Klein schließt ihren Aufsatz mit einem sehr kurzen Resümee ab, in dem sie nochmal auf alle drei ideologiekritischen Ansätze als Ansätze der Entideologisierung begreift und nicht als Abschaffung von Souveränitätsformen im Allgemeinen. Sie stimmt den Autoren damit selbst zu und charakterisiert „die Subversion der Souveränität“ als „ein unmögliches Unterfangen“, welches jedoch „[i]m Sinne einer post-souveränen Umbesetzung und Ablösung ihrer imaginären Subjekte und Orte“ stets als Aufgabe in die Praxis umgesetzt werden könnte (296).

Kleins Beitrag ist eine interessante Gegenüberstellung dreier Perspektiven subversiver Machttheorien, die als Ideologiekritiken fungieren. Dennoch bleibt vor allem die zu oberflächlich rekonstruierte Position Žižeks unbefriedigend, da Žižek selbst die paulinische Theologie nicht apotheosiert, sondern diese durch die Brillen Lenins und Lacans liest und auf ihre unterschwellige, christliche Radikalität für eine zeitgemäße Überwindung der ambivalent wirkenden Ideologie- und Subjektivierungsimperative des postmodernen Kapitalismus – mittels eines revolutionären Ereignisses – in Stellung bringen will (Žižek 2003). Dass Klein schließlich Karl Barth verteidigt, ist ein wenig irreführend, da sie selbst zugibt, dass Barth „Ideologie durch eine andere Ideologie [bekämpft]“ (295) also wir wieder – trotz einer negativen Theologie – bei dem göttlichen Souverän landen.

IV.

Dem Band gelingt es insgesamt, aus einer interdisziplinären Perspektive das ambivalente und komplexe Verhältnis zwischen Souveränität und Subversion innerhalb verschiedener theoretischer Figurationen auf die Spur zu kommen. Die einzelnen Autoren und Autorinnen spannen, trotz des erheblichen Defizits einer fehlenden konzeptuellen Einführung seitens der Herausgeber, ein vielseitiges Spektrum von der politischen Theologie über die politische Theorie bis zur kultur- und medienwissenschaftlichen Fragestellungen, um die Souveränität abseits klassischer Konzeptionen als gebrochene und plurale zu denken. In jedem Themenblock finden sich in den meisten Fällen gelungene Beiträge mit überzeugenden Thesen und Argumentationssträngen, die dem Forschungsstand zum Souveränitäts- und Subversionsbegriff Erkenntnisse hinzufügen. Leider werden jedoch aktuelle Phänomene vernachlässigt: Weder befassen sich die Beiträge mit der Souveränität der globalen Finanzmärkte und ihren Auswirkungen auf die Gesellschaften und ihre Subjekte (Vogl 2015) noch mit den subversiven Protesten und ihrem Versuch einer präsentischen Demokratie in Südeuropa oder anderswo (Butler/Athanasiou 2014, Butler 2016, Tsomou 2016), die sich gerade gegen die repräsentative Demokratie und die Austeritätspolitiken der EU und Deutschlands gerichtet haben. Auch postkoloniale Forschungsperspektiven werden völlig ausgelassen (Mbembe 2016). Es ist klar, dass ein Sammelband nie alle Perspektiven integrieren kann, doch ein stärkerer Blick auf die Gegenwart wäre dem Band sicherlich zugutegekommen. Das irreduzible Verhältnis von Souveränität und Subversion kann mit etlichen empirischen Phänomenen, allen voran mit den gegenwärtigen Krisen- und Protesterfahrungen der letzten Dekade, fruchtbar in Verbindung gebracht werden. Der vom Band untersuchte Themenkomplex Souveränität/Subversion erlebt gerade im deutschsprachigen Diskurs eine verstärkte Rezeption, so sind in letzter Zeit neue Bände zum Thema des Ausnahmezustands (Lemke 2017), zum politischen Imaginären (Trautmann 2017) und zur Figuren des Außerordentlichen (Bröckling et al. 2015) erschienen.

Literatur

Agamben, Giorgio. Die Zeit, die bleibt – Ein Kommentar zum Römerbrief, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2006

Blumenberg, Hans. Präfiguration. Arbeit am politischen Mythos, Berlin: Suhrkamp 2014.

Bröckling, Ulrich, Christian Dries, Matthias Leanza und Tobias Schlechtriemen (Hg.). Das Andere der Ordnung. Theorien des Exzeptionellen, Weilerswist-Metternich: Velbrück Wissenschaft, 2015.

Butler, Judith. Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung, Berlin: Suhrkamp 2017.

Butler, Judith und Athena Athanasiou. Die Macht der Enteigneten. Das Performative im Politischen, Berlin/Zürich: diaphanes, 2014.

Derrida, Jacques. „Edmond Jabès und die Frage nach dem Buch“,, in: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976, 102–120.

Faur, José. The Horizontal Society: Understanding the Covenant and Alphabetic Judaism (Vol. I), Brighton: Academic Studies Press, 2008.

Klein, Rebekka. Depotenzierung der Souveränität: Religion und politische Ideologie bei Claude Lefort, Slavoj Žižek und Karl Barth. Tübingen: Mohr Siebeck, 2016.

Lemke, Matthias (Hg.). Ausnahmezustand. Theoriegeschichte – Anwendungen – Perspektiven, Wiesbaden: Springer VS, 2017.

Levinas, Emmanuel. „Eine Religion für Erwachsene“, in: Schwierige Freiheit. Versuch über das Judentum, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1996, 21–38.

Marion, Jean-Luc. Gott ohne Sein, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2014.

Mbembe, Achille. Postkolonie. Zur politischen Vorstellungskraft im zeitgenössischen Afrika, Wien: Turia + Kant, 2016.

Nietzsche, Friedrich. „Nietzsche contra Wagner“, in: Nietzsche-Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. VI,3 (August 1888 bis Anfang Januar 1889), hg. v. G. Colli et al., Berlin: de Gruyter, 1969.

Last Stone, Suzanne. „In Pursuit of the Countertext. The Turn to the Jewish Legal Model in Contemporary American Legal Theory“, Harvard Law Review 106 (1993), 813–896.

Schmitt, Carl. Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre der Souveränität, München/Leipzig: Duncker & Humblot, 1922.

Trautmann, Felix (Hg.). Das politische Imaginäre, Berlin: August Verlag, 2017.

Tsomou, Margarita. „Drei Bilder zu post-repräsentativen Politiken der „Aganaktismenoi“ auf der Besetzung des Athener Parlamentsplatzes 2011“, in: Griechenland im europäischen Kontext. Krise und Krisendiskurse, hg. von Aristotelis Agridopoulos und Ilias Papagiannopoulos, Wiesbaden 2016, 319–330.

Vogl, Joseph. Der Souveränitätseffekt, Zürich/Berlin 2015.

Žižek, Slavoj. Die Puppe und der Zwerg. Das Christentum zwischen Perversion und Subversion, Frankfurt a. M: Suhrkamp, 2003.

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