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Jaeggi, Rahel/Celikates, Robin: Sozialphilosophie. Eine Einführung. München: C.H.Beck. 128 Seiten. 2017. [978-3-406-64056-8]

Rezensiert von Dominik Koesling (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)

Welche Disziplin und Subdisziplin innerhalb der Philosophie welche Aufgaben übernimmt bzw. übernehmen soll und welche Kompetenzen sie jeweils innehaben (sollen), ist umstritten und weiterhin Anlass fachlicher Kontroversen. Doch dieser innerphilosophische Abgrenzungskampf, mit dem zugleich ein Rechtfertigungsdruck einhergeht, sorgt nicht nur bei NeueinsteigerInnen, sondern auch bei Eingelesenen regelmäßig für Irritationen, da aus verschiedenster Richtung immer wieder Deutungshoheit – und zwar nicht nur über die Gegenstände selbst, sondern auch über die Philosophie als solche – angemeldet wird. Mit dem Buch Sozialphilosophie, das jüngst als Teil der Philosophischen Einführungen in der Reihe C.H.Beck Wissen erschienen ist, bemühen sich Rahel Jaeggi und Robin Celikates diesbezüglich um Hilfestellung, indem sie ihren LeserInnen ein Einstiegs- und Orientierungsangebot in diesem kontrovers diskutieren Themenkomplex anbieten. Die beiden AutorInnen verbinden dabei in neun Kapiteln über 128 Seiten die Verortung und Abgrenzung der Sozialphilosophie im wissenschaftlichen Diskurs mit einer Explikation ihres eigenen Verständnisses von Sozialphilosophie.

Nicht nur reiht sich das Buch passend in den breiteren Diskussionszusammenhang der jüngeren Vergangenheit unter anderem um Bücher wie Was ist Kritik? (2009) oder Sozialphilosophie und Kritik (2009) ein, den Jaeggi seit geraumer Zeit aktiv mitgestaltet, sondern das AutorInnenduo kann auch jeweils auf die eigene themenspezifische Expertise zurückgreifen und diese in das Buch einbringen. Dementsprechend werden Jaeggis Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems (2005) inhaltlich ebenso eingebettet wie Celikates Kritik als soziale Praxis: Gesellschaftliche Selbstverständigung und kritische Theorie (2009).

Ein Galopp durch das breite Themenfeld der Sozialphilosophie

Das Inhaltsverzeichnis gibt die Marschroute durch das Themenfeld und die Aufteilung desselben vor. Vom Buchtitel ausgehend liegt – nicht nur für NeueinsteigerInnen in die vorliegende Thematik – die Frage nahe, was denn Sozialphilosophie und damit der Gegenstand des Buches überhaupt ist. Diesem Umstand auf adäquate Weise entsprechend verwenden Jaeggi und Celikates im ersten Kapitel Was ist Sozialphilosophie? einige Zeit darauf, ein vorläufiges, nachvollziehbares Verständnis derselben zu entwickeln und grenzen diese dabei unter anderem von der Politischen Philosophie, der Moralphilosophie und der Soziologie ab. Direkt zu Beginn präsentieren die beiden dabei folgenden Vor-Begriff von Sozialphilosophie: „In erster Annäherung lässt sich Sozialphilosophie als das philosophische Projekt charakterisieren, das die Gesellschaft zugleich evaluativ und analytisch zu erfassen sucht." (7) Ist mit dieser ersten Annäherung im Groben offengelegt, wie die AutorInnen Sozialphilosophie verstehen, so entfalten die zwei nachfolgenden Kapitel dieses Verständnis mit einer Annäherung anhand der Begriffspaare Gemeinschaft und Gesellschaft (Kapitel 2) sowie Individuum und Gesellschaft (Kapitel 3) weiter, die den Untersuchungsgegenstand des Buches und die Herangehensweise an denselben weiter präzisieren.

Im Anschluss an diesen thematischen Aufriss wählen Jaeggi und Celikates zur weiteren Klärung, was Sozialphilosophie letztlich ist, den Weg über deren zentrale, debattenleitende Grundbegriffe. Angefangen bei Freiheit (Kapitel 4) über Anerkennung (Kapitel 5), Entfremdung (Kapitel 6) und Macht (Kapitel 7) bis hin zur Ideologie (Kapitel 8) gewähren die AutorInnen dabei einen Einblick in den bis heute fortwährenden Diskurs in und um zentrale Themen der Sozialphilosophie. Innerhalb der Traditionslinie, „die von Rousseau über Hegel und Marx zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule führt" (14), in welche Jaeggi und Celikates ihr Verständnis von Sozialphilosophie reihen, spielen alle diese benannten Begriffe – wenngleich dabei jeweils mit unterschiedlicher Gewichtung – eine zentrale Rolle. In ihrer Darlegung dieser Begrifflichkeiten kombinieren die beiden AutorInnen einen inhaltlichen Aufriss derselben mit Einblicken in deren ideengeschichtliche Entwicklung. Ist mit diesem Galopp durch das breite Themenfeld der Sozialphilosophie eben dieses keinesfalls erschöpfend, für das Ziel des Buches jedoch hinreichend, aufgearbeitet, so liefert das AutorInnenduo den LeserInnen en passant ausreichend Verweise, die es diesen bei Interesse ermöglicht, tiefer in die jeweiligen Spezialdebatten einzutauchen.

Deutlich wird während dieser Ausführungen stets, worauf Jaeggi und Celikates im Wesentlichen abzielen: Auf den Verbund von Analyse und Kritik, der sich an all den benannten Begriffen verdeutlichen lässt (vgl. 12). Hält Jaeggi bereits in ihrer Monographie bezüglich des Entfremdungsbegriffs fest: „Entfremdung ist als diagnostischer Begriff nämlich zugleich normativ und deskriptiv. […] Aus der Beschreibung einer Situation als entfremdend ergibt sich ihre Bewertung, oder anders: Die Wertung kommt nicht zur Beschreibung hinzu, sondern ist mit dieser unablösbar verbunden" (Jaeggi 2005: 44, Herv. i. O.), so lässt sich diese Feststellung auf die anderen genannten Begriffe übertragen. Denn auch in den Begriffen von Freiheit, Anerkennung, Macht und Ideologie laufen jeweils Deskription und Evaluation zusammen. Die Beschreibung eines Zustandes, beispielsweise von mangelnder Freiheit oder unzureichender Anerkennung, missbrauchter Macht oder aber von herrschaftsstabilisierender Ideologie impliziert eben zugleich immer die Bewertung dieses Zustandes als nicht wünschenswert, als nicht-sein-sollend. Dementsprechend verweisen alle diese Begriffe – mindestens im Kontext des von Jaeggi und Celikates skizzierten Verständnisses von Sozialphilosophie – immer über eine Abbildung des Seins hinaus und implizieren eine normative Stellungnahme zu einem Sollen.

Kommen seitens des AutorInnenduos in der Auseinandersetzung mit Macht und Ideologie auch Macht- und Ideologiekritik zur Sprache, so liefert das Suffix -kritik auch das Stichwort für den Übergang zum finalen Kapitel 9 Schluss: Sozialphilosophie und Sozialkritik. Dort kumulieren passenderweise die einleitenden Überlegungen zum Begriff Sozialphilosophie (Kapitel 1–3) sowie die daran anknüpfenden Auseinandersetzungen mit den normativ-deskriptiven Grundbegriffen (Kapitel 4–8). In besagtem Schlusskapitel heben Jaeggi und Celikates explizit noch einmal hervor, was bereits beim Lesen der vorausgegangenen Kapitel immer wieder auf- und durchscheint: „Näher betrachtet zieht sich Kritik als durchgängiger Faden durch alle Kapitel dieser Einführung. Sozialphilosophie erscheint daher als wesentlich kritisches bzw. auf Kritik bezogenes Unternehmen." (111) Dieses Verständnis in einem Satz zusammengeführt und zugespitzt: Sozialphilosophie ist Sozialkritik.

Charakterisiert die Kritik daher die Sozialphilosophie, so handelt es sich dabei keinesfalls aber um eine beliebige Kritik bzw. Art und Weise der Kritik – das Kritisieren ist kein exklusives Alleinstellungsmerkmal oder gar Recht der Sozialphilosophie bzw. SozialphilosophInnen. Eben deshalb widmen die beiden AutorInnen auch dem Unterfangen des Kritisierens den Abschluss ihres Buches und unterscheiden dabei verschiedene Aspekte, wie bspw. die Bedingungen der Möglichkeit des Kritik-Übens (vgl. 111f.). In diesem Zusammenhang verdeutlichen Jaeggi und Celikates das basale Problemfeld der Sozialkritik, „woher eigentlich die normativen Standards kommen, wie sie sich begründen lassen, welche Rolle die Theorie in dieser Begründung spielt und wie groß ihre Reichweite ist" (112f.).

Jaeggi und Celikates attestieren der Sozialphilosophie in diesem Kontext – und damit ganz im Einklang mit ihren zentralen ReferenzautorInnen – den Modus der sogenannten immanenten Kritik. Geht Sozialkritik immanent vor, dann greift sie vorhandene normative Maßstäbe auf und misst die sozialen Verhältnisse an diesen, dabei aber nicht nur so, als dass sie aufzeigt, ob zwischen Norm und Praxis eine Differenz besteht. Vielmehr weist sie nach, wie aus der gegenwärtigen Praxis, die in den Verhaltensweisen, den Handlungen sowie den Institutionen eingeschrieben ist, eine Norm resultiert, die selbst in ihrer Verwirklichung defizitär bleibt. Auf diese Art und Weise richtet immanente Sozialkritik den Blick auf das gegenseitige Wechsel- und Konstitutionsverhältnis von Praxis und Norm und übt eine beidseitig orientierte Kritik (vgl. 115; Jaeggi 2014: 297–309).

Dementsprechend bezieht eine immanent operierende Sozialkritik ihren normativen Maßstab nicht wie die externe Kritik – im Sinne einer gegenüber dem zu kritisierenden Sachverhalt unabhängigen, neutralen Position – von außen und außerhalb des zu kritisierenden Sachverhalts und trägt diesen an jenen heran. Ebenfalls begnügt sie sich nicht wie die interne Kritik mit dem Abgleich einer vorhandenen, allgemein akzeptierten Norm mit der Wirklichkeit und zeigt hier eventuelle Widersprüche auf (vgl. 113f.). Vielmehr orientiert sich eine immanent verfahrende Sozialkritik an innergesellschaftlich vorhandenen, normativen Maßstäben, geht jedoch auch über diese hinaus, indem sie diese wiederum selbst unter Bezugnahme auf ihren (Entstehungs)Kontext kritisch reflektiert. Dieser Modus der Kritik bzw. des Kritisierens spiegelt sich daher auch im Verständnis von Sozialphilosophie der beiden AutorInnen wider und ist mit diesem in ihrem Kern verschränkt:

Die Konzeption einer immanenten Kritik ist damit aufs Engste verbunden mit der für die Sozialphilosophie als Ganze charakteristischen Idee einer Einheit von Analyse und Kritik: Immanente Kritik ist als Analyse Kritik (und nicht eine bloße Beschreibung des Bestehenden) und als Kritik Analyse (und nicht eine bloße Forderung an das Bestehende). (117)

Was ist und was will Sozialphilosophie?

So breit damit letztlich der thematische Referenzrahmen ist, so sind doch alle Ausführungen letztlich zur Beantwortung der untersuchungsleitenden Frage Was ist Sozialphilosophie? dienlich. Dementsprechend untermauert auch die Lektüre des gesamten Buches, was bereits in dessen oben zitierten, ersten Absatz als Besonderheit – der Verbund von Kritik und Analyse – der Sozialphilosophie anklingt. Wird diesem Verständnis nach im Argumentationsverlauf die Frage nach der Normativität immer wieder tangiert, so greifen Jaeggi und Celikates diese jedoch erst im schließenden Kapitel explizit vor dem Hintergrund des Zusammenspiels von Normativität und Sozialkritik auf. Diesem Umstand entsprechend wird letztlich aber auch der dort umrissene Modus der immanenten Kritik der Sozialphilosophie nicht im Vollzug der Argumentation des Buches demonstriert, sondern post hoc formuliert. Verständlicherweise bietet der Rahmen einer Einführung in das Feld der Sozialphilosophie auch nicht den Raum, diese Thematik auf dieselbe ausführliche und deren Komplexität angemessene Weise zu behandeln, wie es beispielsweise Jaeggi in Kritik von Lebensformen (2014: 256–309) tut. Doch nicht zuletzt, um die Differenz der immanenten Kritik von den beiden anderen Modi der Kritik – der externen und internen Kritik – deutlich hervortreten und gleichzeitig den LeserInnen das durchaus komplexe Verfahren der immanenten Kritik im Konkreten verständlich zu machen, wäre eine weitergehende Explikation, die über die drei knappen, das Buch beschließenden Beispiele (115–117) hinausreicht, hilfreich gewesen.

Das skizzierte Verständnisses von Sozialphilosophie spiegelt sich auch auf der Ebene der herangezogenen ReferenzautorInnen wider. Wie erwähnt, verknüpft das AutorInnenduo das dem Buch zugrundeliegende Verständnis von Sozialphilosophie eng mit der ideengeschichtlichen Traditionslinie ausgehend von Rousseau über Hegel hin zu Marx und der Kritischen Theorie und stellt sich damit in eine Reihe mit diesen gesellschaftstheoretischen Denkern. Zur Bezeichnung ihrer Konzeption erschiene daher der Begriff – wäre er sprachlich nicht so hölzern – als Gesellschaftsphilosophie adäquater. Denn die damit getroffene Selbstverortung prägt das im weiteren Verlauf entfaltete Verständnis mitsamt der Schwerpunktsetzung der Beschreibung und damit auch die Antwort auf die Frage, was Sozialphilosophie ist, entscheidend. Spätestens bei dieser Zuspitzung wird mancheR LeserIn durchaus die berechtigte Frage anmelden, ob Autoren wie Husserl, Heidegger, Scheler, Merleau-Ponty oder Levinas keine Sozialphilosophie, keine Philosophie des Sozialen betreiben. Die Antwort von Jaeggi und Celikates (14): Derlei Autoren „widmen sich der phänomenologischen Analyse von Intersubjektivität, dem Problem des anderen und der Erfahrung der Sinnhaftigkeit der Lebenswelt“, weshalb es sich jedoch (noch) nicht um Sozialphilosophie handelt.

Damit schlagen die beiden AutorInnen einen anderen Weg der Interpretation von Sozialphilosophie ein als beispielsweise Bedorf (2011: 8), der versucht, „das Feld der Sozialphilosophie […] vom Begriff und von der Figur des Anderen her zu erschließen“. Mit einer derartigen Herangehensweise geht eine andere Konnotation des Begriffs von Sozialphilosophie einher als Jaeggi und Celikates ihrerseits intendieren. In deren Sinne betreiben die angeführten Autoren eine Sozialphänomenologie, aber keine Sozialphilosophie, wobei erstere nach Jaeggi und Celikates (vgl. 14) jedoch innerhalb letzterer mit ihren Ausführungen und Analysen einen Beitrag leisten könnte. Offen bleibt letztlich, wie ein solcher Beitrag der Sozialphänomenologie für die Sozialphilosophie im Sinne Jaeggis und Celikates aussehen könnte. Scheinen die möglichen Bezugs- und Anknüpfungspunkte beispielsweise im Kapitel zur Anerkennung zwar vereinzelt durch die Bezugnahme auf Begriffe wie Intersubjektivität auf, so wird an dieser Stelle nicht geklärt, worin die AutorInnen an dieser Stelle genau den (möglichen) Mehrwert, die Bereicherung einer Sozialphänomenologie für die Sozialphilosophie im Konkreten dann ausmachen.

Insgesamt charakterisieren Jaeggi und Celikates (vgl. 15, 24-25) im Anschluss an das Horkheimer’sche und Honneth’sche Denken Sozialphilosophie wesentlich durch drei Aspekte: (1) Sie hat einen bestimmten Gegenstandsbereich: das Soziale beziehungsweise die Gesellschaft. Diesem Gegenstandsbereich wendet sie sich aus einer genuinen Perspektive zu, wodurch sie sich u. a. von der Soziologie, aber auch der Politischen Philosophie abhebt. (2) Sozialphilosophie ist ihrem Anspruch nach zugleich deskriptiv und normativ, beschreibend und wertend. Diese Wertung erfolgt durch Rückbezug auf einem immanent gewonnenen Maßstab. (3) Sie kombiniert ihre Sozialkritik mit Sozialtheorie, Sozialontologie und der Philosophie der Sozialwissenschaft und unterscheidet sich durch diese spezifische Kombination von anderen Fachdisziplinen.

Auf Basis dieser zentralen Aspekte kommt man an dieser Stelle nicht umhin, sich in Horkheimers Überlegungen im Aufsatz Traditionelle und kritische Theorie (1937) zurückversetzt zu fühlen, da Jaeggi und Celikates diese ja auch ausdrücklich als zentrale Bezugsquelle wahrnehmen; insbesondere dann, wenn sie deutlich machen, dass sie Sozialphilosophie nicht nur als ein Teilgebiet innerhalb der Gesamtheit der Philosophie, sondern zugleich als spezifisches Forschungsprogramm verstanden wissen wollen:

«Sozialphilosophie» ist also nicht einfach die neutrale Bezeichnung einer Subdisziplin, sondern gleichzeitig auch ein philosophisches Programm, das sich für die Relevanz der sozialphilosophischen Perspektive und ein bestimmtes Verständnis dieser Perspektive ausspricht. Eine Einführung in die Sozialphilosophie dient daher auch der Etablierung eines bestimmten Begriffs von Sozialphilosophie und der Verteidigung des Projekts der Sozialphilosophie als solchen. (26, Herv. D.K.; vgl. 12f.)

Damit legen Jaeggi und Celikates nicht nur zu Beginn ihrer Ausführungen ihr Verständnis von Sozialphilosophie im weiteren Verlauf des Buches offen, sondern deuten auch an, warum sie es gerade auf diese Art und Weise tun und explizieren – was im Hinblick auf eine möglichst hohe Transparenz gegenüber der LeserInnenschaft nicht nur einer Erwähnung, sondern auch des Lobes wert ist – ihre gleichermaßen wissenschaftliche wie wissenschaftspolitische Zielsetzung mit ihren Überlegungen. Daneben liefern sie aber auch eine klare Antwort auf die Frage Was will Sozialphilosophie?, da sie im Zusammenhang der Kritikmethode wie folgt formulieren:

Immanente Kritik misst nicht nur die Wirklichkeit an der Norm, sondern auch die Norm an der Wirklichkeit und zielt auf Veränderung beider Seiten. Darin liegt ihr transformativer Charakter, der über die Ermöglichung von Erfahrungs- und Lernprozessen auf gesellschaftliche Emanzipation hinarbeitet. (115)

Sozialphilosophie ist demnach ein Anliegen mit politischen Implikationen, das innerhalb wie außerhalb des akademischen Diskurses für Irritationen, möglicherweise gar zu Missfallen führen könnte. Denn das Verhältnis von Deskription und Evaluation, welche das AutorInnenduo als zusammengehörig denkt, wird durchaus auch, etwa von Michael Walzer, als geschieden beziehungsweise zumindest scheidbar aufgefasst: „Die Welt zu interpretieren oder der Versuch, sie zu verstehen, ist eine Sache, etwas anderes ist es dagegen, sie zu kritisieren oder zu versuchen, sie zu verändern." (Walzer 2009: 591) Dieser Differenz folgend, bekennt sich ein Teil der SozialtheoretikerInnen zu einer Analyse und Beschreibung des Sozialen, wohingegen sie in ihrer Rolle als WissenschaftlerInnen von normativen Werturteilen gegenüber ihrem Untersuchungsgegenstand Abstand nehmen. Eine solche Herangehensweise steht eher in Tradition eines Weber’schen oder Luhmann’schen Wissenschaftsverständnisses und lässt im und durch den Kontrast noch einmal das Selbstverständnis von Jaeggi und Celikates als intervenierende DenkerInnen aufleuchten.

Sozialphilosophie nach Jaeggi und Celikates, oder: Sozialphilosophie, eine Engführung

Rahel Jaeggi und Robin Celikates gewähren ihren LeserInnen mit Sozialphilosophie. Eine Einführung einen fachlich fundierten ersten Einblick in zentrale Fragen, Aspekte und Konzepte der Sozialphilosophie und eröffnen damit zahlreiche Anschlussmöglichkeiten zur vertieften Lektüre. Wer sich mit den einzelnen Themen, die sich um Grundbegriffe wie Gesellschaft, Freiheit, Entfremdung, Ideologie oder Kritik zentrieren, die zwar im Buch angesprochen werden, auseinandersetzen will, darf hierbei jedoch nicht mehr als einen überblicksartigen Einstieg und eine Orientierungshilfe in die Debatte erwarten. Bei der inhaltlichen Komplexität dieser damit lediglich benannten Einzelfragen und -aspekte kann und will das Buch in dieser Hinsicht nicht mehr leisten. Vielmehr gelingt es Jaeggi und Celikates auf adäquate Weise, Einzelaspekte aus dem Themenbereich der Sozialphilosophie mit dem Metadiskurs über eben diese in komprimierter Form zu verbinden. Die Themen, die das Buch dabei gekonnt aufgreift und die sich hinter den vermeintlich abstrakten Begriffen verbergen, bleiben gesellschaftlich beispielsweise in der Frage nach Ideologie im Zusammenhang mit Massenmedien, politisch im Ringen um die Anerkennung von Rechten von Minderheiten oder eben auch akademisch, wenn Autoren wie Rosa mit Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen (2016) nach einer Antwort auf die Entfremdung suchen, hochaktuell und relevant.

Nicht zuletzt daran, dass Jaeggi und Celikates ihr Buch mit einem Kapitel zu Sozialphilosophie und Sozialkritik beschließen, lässt sich das spezielle Verständnis von Sozialphilosophie noch einmal ablesen, welches das Buch durchgängig prägt und den LeserInnen präsentiert. Ist das Buch daher zwar vordergründig eine Einführung in den Themenbereich Sozialphilosophie, so ist es hintergründig ein Statement zur innerakademischen Debatte um die Deutungshoheit innerhalb dieser selbst. Als Index könnte das Buch daher auch präzisierend nach Jaeggi und Celikates oder eine Engführung tragen. Daher lohnt sich auch für all diejenigen ein Blick in das Buch, die beim Titel desselben eher daran denken, es in die Gefilde entbehrlicher Sekundärliteratur zu bannen, als es zu lesen. Eben deshalb sollte das Buch nicht nur als eine Einführung, sondern als Beitrag zu einer weiterhin geführten und weiterhin zu führenden Debatte um Aufgabe, Rolle und Stellenwert der Sozialphilosophie verstanden werden, die je nach Auslegung derselben eben doch ganz unterschiedlich aufgefasst werden können. Dementsprechend ist das Buch nicht nur NeueinsteigerInnen, sondern auch bereits denjenigen Eingelesenen nahezulegen, die sich im Kontext dieser Fragen einem diskussionswürdigen und zu diskutierenden Beitrag zuwenden wollen, der sich gerade nicht in einem der angeführten Teilaspekte spezialisiert, sondern versucht, den sozialphilosophischen Diskurs im Ganzen zu deuten und gleichzeitig selbst dazu Stellung bezieht. Damit lösen Jaeggi und Celikates auch ein, was sie sich mit diesem Buch vorgenommen hatten, nämlich „ein Mosaik des Feldes der Sozialphilosophie zusammensetzen, das die weitere Beschäftigung damit lohnend erscheinen lässt" (26).

Literatur

Bedorf, Thomas. Andere. Eine Einführung in die Sozialphilosophie. Bielefeld: Transcript, 2011.

Celikates, Robin. Kritik als soziale Praxis: Gesellschaftliche Selbstverständigung und kritische Theorie. Frankfurt am Main: Campus, 2009.

Forst, Rainer; Hartmann, Martin; Jaeggi, Rahel; Saar, Martin, Hrsg. Sozialphilosophie und Kritik. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009.

Horkheimer, Max. Traditionelle und kritische Theorie (1937), in: Schmidt, Alfred/Max Horkheimer, Hrsg. Gesammelte Schriften, Band 4, 162–216, Frankfurt am Main: Fischer, 1988.

Jaeggi, Rahel. Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems. Frankfurt am Main: Campus, 2005.

Jaeggi, Rahel. Kritik von Lebensformen. Berlin: Suhrkamp, 2014.

Jaeggi, Rahel/Tilo Wesche, Hrsg. Was ist Kritik? Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009.

Rosa, Hartmut. Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp, 2016.

Walzer, Michael. Gesellschaftskritik und Gesellschaftstheorie, in: Forst, Rainer; Hartmann, Martin; Jaeggi, Rahel; Saar, Martin, Hrsg. Sozialphilosophie und Kritik, 588–607, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009.

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