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Borner, Marc: Über präreflexives Selbstbewusstsein. Subpersonale Bedingungen – empirische Gründe. Münster: Mentis 2016. 373 Seiten. [978-3-95743-021-2]

Rezensiert von Martin Asiain (Universität Bonn)

Aus grauen Vor-Bologna-Zeiten stammt ein akademischer Witz, der sich um die Identifizierbarkeit von Studierenden des Fachs Medizin drehte: Wie kann man in einem mit Hörern verschiedenster Fakultäten gefüllten Auditorium eben jene erkennen, die sich dem Heilberuf verschrieben haben? Ganz einfach: Ein Dozent tritt ans Katheder mit einem dicken Telefonbuch. „Dieses lernen Sie bitte auswendig“, so seine Anweisung. „Was soll das?“, „Unsinn!“, „Stupider Sklaventreiber!“ – so die Kommentare, die ihm aus dem Hörsaal entgegenschlagen. Einzig eine überschaubare Gruppe von Studierenden ließ sich mit der Frage vernehmen „Bis wann?“

Marc Borner hat mit seiner Dissertation Über präreflexives Selbstbewusstsein. Subpersonale Bedingungen – empirische Gründe nicht nur ein, sondern im Grunde gleich zwei üppige ‚Telefonbücher‘ vorgelegt: ein medizinisch-neurobiologisches und ein phänomenologisch-bewusstseinsphilosophisches. Die Frage nach der Konstitution von Selbstbewusstsein, die seit geraumer Zeit ja nicht nur Vertreter_innen einer Philosophie des Geistes, der Phänomenologie oder Transzendentalphilosophie beschäftigt, sondern eben auch Gegenstand neurobiologischer und gehirnphysiologischer Forschung ist, geht er aus beiden Blickwinkeln an – und er tut es nicht mit der Absicht, die eine Seite gegen die andere auszuspielen. Vielmehr verfolgt er mit enormem Sachverstand und immenser Detailkenntnis beider Bereiche das Ziel, für deren Perspektiven Deutungshorizonte zu eröffnen, die sich gegenseitig befruchten. Aporien oder konzeptionelle Defizite der einen Seite versucht er auf diese Weise, mit Diskussionsmaterial der anderen in eine neue Denkrichtung zu führen, die möglicherweise – so das Versprechen des Ansatzes – interessante Auswege aus epistemischen Sackgassen eröffnet.

Sein Verdienst ist es hierbei vor allem – um im ursprünglichen Bild zu bleiben –, den an Kommunikation in diesem Bereich Interessierten nicht mit den beiden Telefonbüchern allein gelassen zu haben. Borner hat vielmehr eine Vielzahl von ‚Einzelanschlüssen‘ sauber recherchiert, aufgelistet und für die entsprechende Diskussion präpariert. Und das „Bis wann?“ – hier müsste man präziser fragen: „Seit wann?“ – seines philosophischen Kompendiums (Kapitel 2 des Buches) reicht von der Metaphysik Descartes’, dem transzendentalphilosophischen Ansatz Kants und dem Idealismus Fichtes über die kritischen Positionen Shoemakers und Wittgensteins bis zu den phänomenologischen Konzeptionen Sartres und Castañedas sowie den zeitgenössischen Ansätzen der Heidelberger Schule. Neurobiologischen Konzeptionen widmet sich das fünfte Kapitel, in dem besonders pathologische Fälle und andere Formen von zeitweiligen oder konstanten Veränderungen und Störungen des Selbstbewusstseins zur Klärung einer Frage nach dem „Was“ und „Wie“ – und natürlich der interessantesten: dem „Wer“ – des Selbstbewusstseins und seiner Genese herangezogen und beleuchtet werden.

Zwischen diesen beiden, dem jeweils immanenten geistes- bzw. naturwissenschaftlichen Diskussionszusammenhang reservierten, Kapiteln liegen die Abschnitte des Buches (Kapitel 3 und 4), die sich der eigentlichen Problemstellung der Arbeit widmen: dem präreflexiven Selbstbewusstsein und dessen subpersonalen Konstitutionsbedingungen. „Prä-Reflexivität“, „Sub-Personalität“ – da liegt im ersten Moment der Verdacht nahe, man versuche, sich auf dem Wege sprachlicher Akrobatik eines schwer in den (Be)Griff zu bekommenden Sachproblems zu entledigen. Die bekannten Probleme derjenigen Ansätze, die das Phänomen „Selbstbewusstsein“ hauptsächlich auf das Fundament der Reflexivität, also eines impliziten Selbstbezuges von Bewusstsein gründen, ließen sich so mit dem Hinweis auf eine vor-reflexive Instanz als elegant vermeidbar bzw. auflösbar suggerieren, ohne das Risiko kontraintuitiver Positionen eingehen zu müssen: Denn dass da ‚etwas‘ sein muss, das im Bewusstsein-von-etwas auch die Identität dieses etwas ‚mit sich selbst‘ erlebt, bleibt nun einmal der unhintergehbare phänomenale Befund jedes personalen Erlebens. Und wenn man dann gleich noch diesen Befund mit dem Hinweis auf eine hinter den Kulissen agierende Instanz versieht, die als wiederum „vor-personaler“ bzw. „unterhalb“ der personalen Ebene agierender Souffleur das Geschehen auf der personalen Bühne bedingt, hätte man sich gleich der zweiten Problematik entledigt: Derjenigen nämlich, dass Bewusstseinsepisoden als rein neuronale Prozesse darstellbar sind, rein mentale Zustände darstellen, die keiner gegenständlichen Größe, keines objektiven „Egos“ bedürfen, ‚in‘ oder ‚an‘ denen sie sich instanziieren.

Doch abgesehen von dem Umstand, dass beide Begriffe nicht originär von Borner stammen (das „Cogito-pré-réflexif“ begegnet uns bereits bei Sartre, die Unterscheidung „personal/subpersonal“ geht auf Daniel Dennett zurück), geht es nicht um semantische Kaninchen, die aus dem philosophischen Hut gezaubert werden, sondern gewissermaßen um zwei Arbeitsperspektiven, die gegeneinander gesetzt bzw. miteinander verzahnt werden sollen. Auf diese Weise sollen die beiden Ausgangsbegriffe – Reflexivität und Personalität – in ihrer Genealogie im und durch das Selbstbewusstsein beleuchtet, und die beiden Begriffen gemeinsame Provenienz eines aus singulären Impulsen von Bewusstheit bzw. Bewusstwerdung konstituierten Prozesses von Bewusstsein als der ‚Entstehungsgrundlage‘ von Selbstbewusstsein klargemacht werden.

Die oben angesprochenen konzeptionellen Defizite derjenigen Ansätze, die Selbstbewusstsein durch Reflexivität bzw. als beobachtbare und erkennbare gegenständliche Größe erklären wollen, beschreibt und diskutiert Borner sehr ausführlich. Descartes etwa begreife die Erkenntnis, oder besser: die Erkennbarkeit des Subjekts „als Erkenntnis der Objekte unserer Erfahrung“ (53) und mache es eben dadurch seinerseits zu einer auf gleiche Weise objekthaften Größe: Selbstbewusstsein wird dadurch „zu einem objekthaften Zustand – eben der res cogitans“ (53). Diese Objektivierung des Selbstbewusstseins vermeide zwar Kant in seiner Transzendentalen Apperzeption, bei ihm werde „Selbstbewusstsein zu einer transzendentalen Struktur und zum höchsten Punkt jeglicher Referenz der Erkenntnis“, die jedoch eine bloß „leere, alle weitere reflexive Erkenntnis ermöglichende Struktur des Denkens“ darstelle und selbst „allerdings reflexiv“ (56) gedacht werde. Die Kritik Fichtes an Kants Position, die sich Borner hier zu eigen macht, fasst im Grunde das Kardinalproblem sämtlicher Konzeptionen zusammen, die Selbstbewusstsein auf Reflexivität aufbauen. Diese geraten „durch eine petitio principii in einen infiniten Regress“ (68), denn sie setzen notwendigerweise – wie Kant in seinem „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muss begleiten können“ – ein gegenständliches Ich bereits voraus, welches sich im Akt der Reflexion in Bezug zu sich selbst setzt. Das Spezifikum des Selbstbewusstseins generiert sich auf diese Weise lediglich durch eine Bezugnahme einer Instanz auf „etwas-als-sie-selbst“. Dasjenige, worauf Bezug genommen wird, mag zwar als gegenständliches Gegenüber in diesem Akt konstituierbar sein, nicht aber die den Bezug gleichsam herstellende Bezugsquelle. Diese muss je immer schon vorausgesetzt werden, um in diesem reflexiven Akt ein ‚Selbst‘ des Selbstbewusstseins zu generieren. Fichte versuchte, so Borner, diesen Regress zu vermeiden, indem er die Bezugsquelle und den Bezugsgegenstand, die subjektive und die objektive Sphäre des Ich, als gleichursprünglich durch die von ihm als solche bezeichnete „Tathandlung“ gesetzt erklärt. Doch auch diese, von Fichte später wieder revidierte Vorstellung

bleibt einem objekthaften Vorverständnis von Selbstbewusstsein verhaftet. Er [Fichte] gerät so selbst in das Problem eines im Aristotelischen Sinne extensiven infiniten Regresses, auch wenn er einen intensiven infiniten Regress vermeidet (68).

Jener infinite Regress, die Tatsache also, dass jeder reflexive Akt von Bewusstsein einer weiteren Instanz bedarf, die eine gegenständliche Bezugnahme auf das so angeblich konstituierte ‚Selbst‘ überhaupt erst vollzieht und also als diesem ‚vorgelagert‘ gedacht werden muss, zeigt aber nicht nur die konzeptionellen Schwächen des Reflexivitätsmodells. Er betrifft auch die in diesem Modell implizierte Vergegenständlichung des Selbstbewusstseins. Im Verweis auf Sydney Shoemakers Kritik am Modell einer Selbstwahrnehmung durch Introspektion macht Borner deutlich, dass jedes objekthafte Verständnis von Selbstbewusstsein in gleicher Weise Prämissen bedarf, die das zu erklärende Phänomen jenes ‚Selbst‘ bereits zur Grundlage der Erklärung macht. Gegenständliche Erkenntnis – und um eine solche handelt es sich im Falle einer introspektiven Selbstwahrnehmung ja ebenfalls – steht auf dem konstitutiven Fundament von ‚trial and error‘: So es sich tatsächlich um eine objektive Erkenntnis handeln soll, muss ich dem Risiko des Irrtums ausgesetzt sein können. Dieser Irrtum äußert sich in einer möglichen „Fehl-Referenz“ oder einer „Fehl-Identifikation“ (im einen Fall beziehe ich mich fälschlicherweise auf ein anderes als das intendierte Objekt, im anderen weise ich ihm Bestimmungsmerkmale zu, die nicht gegeben sind). Beides ist jedoch nach Shoemaker im Falle der Selbstwahrnehmung nicht möglich. Für das Selbstbewusstsein herrsche für beide Formen von Irrtümern eine „Immunität“ (Shoemaker): ‚ich‘ kann mich nicht irren in Bezug auf die Tatsache, dass ich ‚mich‘ meine bzw. was ich ‚an mir‘ empfinde. Auch wenn gegen diese These Einwände möglich sind (die Borner ausführlich referiert), deutet Shoemakers Kritik an einem objekthaften Verständnis von Selbstbewusstsein doch auf den Umstand, dass die Instanz jenes problematischen ‚Selbst‘ in einer Dimension gesucht werden muss, die jenseits, oder präziser: diesseits eines reflexiven oder gegenständlich erkennenden Aktes liegt.

Damit deutet sich bereits eine Strategie zur Lösung des Problems an, wie sie in Jean-Paul Sartres Ansatz mit der Konstitution eines cogito pré-réflexif zum Ausdruck kommt. Dieses vor-reflexive cogito stellt eine

notwendige, begleitende und setzende Bedingung jeglichen reflexiven Selbstbewusstseins dar. Durch es eröffnet sich eine formale Differenz zwischen einer präreflexiven ‚conscience (de) soi‘ (Selbstbewusstsein) und einer reflexiven ‚connaissance de soi‘ (Selbsterkenntnis). (85)

Mit dieser Unterscheidung vermeidet Sartre einerseits den entsprechenden infiniten Regress, da die präreflexive Instanz eben keine Bezugnahme von etwas(1) auf etwas(2) darstellt und (1) stets ‚Voraussetzung‘ von (2) sein müsste. Sie ist keine objektive Erkenntnis ihrer selbst, sondern lediglich Bewusstsein von sich, ohne hierbei bereits eine Identifikation vorzunehmen, denn „präreflexiv meint dabei, dass das cogito nicht auf dem Umweg eines reflexiven Aktes der Erkenntnis mit sich vertraut ist, sondern direkt und unmittelbar“ (84). Diese Unmittelbarkeit hat freilich den Preis, dass sie sich selbst gegenüber gewissermaßen ‚blind‘ ist: sie weiß um sich, aber eben nichts Konkretes von sich, es handelt sich um ein „vorbegriffliches“ (86) Selbstbewusstsein. Sartre drückt diesen Umstand mit dem Bild eines Spiegels aus: Wie Objekte bei einer Spiegelung eben nicht identifiziert und als etwas erkannt, sondern eben nur ‚reflektiert‘ werden, so findet auch seitens des präreflexiven cogito noch keine Prädikation von etwas-als-etwas statt, sondern dieses zeigt nur die Gegenstände seines Bewusstseins; es findet ein bloßes Bewusst-werden von etwas statt – bei Sartre lautet diese Unterscheidung réfléchir (reflexiv) im Gegensatz zu refléter (präreflexiv). In diesem Sinne bleibt das präreflexive cogito „im Vergleich zum Objekt absolut transparent, d.h. es ist leer, wenn es nicht durch Objekte angefüllt wird“, oder anders ausgedrückt: es „ist damit nicht einfach in keinerlei Weise existierend (gr. mè on/fr. rien) sondern als nichts (gr. uk on/fr. néant), das nicht ein Seiendes selbst ist sondern diesem Seienden als reflet im Selbstbewusstsein zum Erscheinen verhilft“ (87f.).

Problematisch wird jedoch die Beziehung zwischen diesem präreflexiven und dem reflexiven Selbstbewusstsein. Sollte überhaupt keine Relation zwischen beiden bestehen, bleibt die Genese des zweiten weiter ungeklärt; kommt es jedoch doch zu einer Bezugnahme, müsste dies eine solche sein, die ein bloßes refléter übersteigt: Was im Spiegel zu sehen ist, bleibt ein opakes Etwas, eine pure Spiegelung, so es nicht welche Instanz auch immer als etwas identifiziert. Sartre versucht, das Problem nach außen zu verlagern, indem er sein Bild vom Spiegel ausweitet zu einem solchen von zwei sich gegenseitig reflektierenden Spiegeln; die Bewusstseinsimpulse würden hierbei nur durch die Objekte in den sich gegenseitig reflektierenden Spiegeln erzeugt. Doch damit wäre der Begriff eines präreflexiven Bewusstseins „weitestgehend leer und negativ definiert“ und ebenso könnte ein solcher „absoluter Externalismus kaum erklären […], wie sich ein Gedächtnis ausbildet und wie dessen Inhalte auch zum Gesamtbild des Subjekts beitragen“ (94).

Auch Hector-Neri Castañedas Ansatz führt aus Borners Sicht nicht weiter. Der Phänomenologie Sartres setzt er eine „Phänomenologik des Selbstbewusstseins“ (95) entgegen, in dem er „sprachlogische Grenzen einer Analyse des Selbstbewusstseins“ (107) aufzeigt. Doch seine Reflexionen bezüglich einer Überführbarkeit von Aussagen aus der Erste-Person in die Dritte-Person-Perspektive kommen einer genauen Charakterisierung des Phänomens „Selbstbewusstsein“ für Borner letztlich ebenso wenig näher wie sein Stufenmodell eines mehrschichtigen Selbstbewusstseins (vgl. 106f.).

Das Verdienst der Heidelberger Schule – gemeint sind die Philosophen Dieter Henrich, Ulrich Pothast, Konrad Cramer und Manfred Frank, der einer der Betreuer von Borners Arbeit war – sieht er in deren verschiedenen Konzeptionen einer „negativen Abgrenzung“ (124) des präreflexiven Selbstbewusstseins zu Bestimmungen eines reflexiven Selbstbezuges. In seiner Charakterisierung als „nicht-reflexiv, nicht-propositional, nicht-wissensrelational, nicht-objekthaft, nicht-intentional, nicht-identifizierend, nicht-sprachlich, nicht-relational sowie nicht-regelhaft“ (124) mag zwar „die Bedeutung von Subjektivität im Gegensatz zu selbstbewusstseins-skeptischen Positionen“ (123) hervorgehoben und zudem eine „holistische Betrachtung des Phänomens“ (123) erreicht worden sein – doch bei dieser Inflation von ‚Nicht-Präfixen‘, was bleibt da noch? Haben wir es möglicherweise nur mit einem Phantom zu tun, dessen lediglich „negative bzw. metaphorische Bestimmungen“ (170) vielleicht doch nicht nur Ausdruck sprachlicher Unzulänglichkeiten im Umgang mit einer aus propositionaler Sicht störrischen Materie sind, sondern vielmehr der Reflex einer konzeptionellen Fata Morgana?

Sicher, der Umstand, dass man bei Borners ‚Einzelanschlüssen‘ – um noch einmal das eingangs gebrauchte Bild zu bemühen – stets entweder auf ein Besetztzeichen stößt oder aber niemand abhebt, könnte den Verdacht nähren, die beiden Telefonbücher erfüllten ihren Zweck nicht. Im einen Fall wären Anschlüsse dauerhaft blockiert, im anderen die Teilnehmer bereits aus- oder möglicherweise noch nicht eingezogen: Infinite Regresse stehen gegen sprachlich unpräzise Metaphern. Doch Borner ist sich der Tatsache durchaus bewusst, dass er sich auf konzeptionell schwierigem Terrain bewegt, dass einige Leitungen möglicherweise erst noch gelegt oder neu verschaltet werden müssen, damit die Kommunikation über die angebotenen Anschlüsse erfolgreich sein kann. Man kann Borner auch nicht vorwerfen, er verstecke sich einerseits hinter der Vielzahl von angebotenen ‚Nummern‘, bliebe aber andererseits mit seiner Intention und Argumentation allzu vorsichtig im Vagen, da er nur von „Annahmen“, „Denkbarkeiten“, „Vorschlägen“ oder „möglichen Alternativen“ (170) spricht. Denn es geht im Falle seiner Arbeit nun mal um eine Grenzüberschreitung: Einerseits betonen naturalistische und materialistische Ansätze die Möglichkeit, Selbstbewusstsein aus einer rein objektiven Perspektive analysieren und erklären zu können, andererseits bleibt es für personale Wesen konstitutiv, „dass jegliche Erkenntnis und Beurteilung von Objektivität letztlich immer auf einer Subjektivität beruht“ (169). Die Annahme eines präreflexiven Selbstbewusstseins – und sollte dieses diskursiv auch noch so schwer analysierbar sein – ist hierbei ein zu begrüßender Versuch, dem Umstand gerecht zu werden, dass Selbstbewusstsein eine Transparenz, Unmittelbarkeit und Gewissheit von sich auszeichnet, die jede reflexive Regung überhaupt erst bedingt.

Da die „epistemischen und v. a. sprachlichen Grenzen einer personalen Beschreibung“ zu entstammen scheinen, „ist es den Versuch wert, eben diese Probleme in einer Analyse subpersonaler Bedingungen des Selbstbewusstseins anzugehen“ (201). Durch eine Untersuchung der „neuronalen Korrelate von Bewusstsein“ (202) und mithilfe einer Erörterung von Antonio Damasios Theorie des „Kernbewusstseins“ versucht Borner, das sprachliche Instrumentarium zu rekalibrieren und den Bedürfnissen präreflexiver Bewusstseinsfaktoren anzupassen. Dieses Kernbewusstsein – unverzichtbare Grundlage für die Homöostase und die Überlebensfähigkeit des menschlichen Organismus – verarbeitet nach Damasio durch das Protobewusstsein übermittelte Reize und Informationen auf jedoch noch unbewusster Basis: „Sie können als Gefühle in einer ersten Weise bewusst werden und so den Zustand des Körpers für den Organismus global verfügbar machen (Kernebene)“ (241). Da dieser Verarbeitungsstatus des Kernbewusstseins „auf einer personalen Ebene als präreflexiv selbstbewusst charakterisiert werden“ (241) kann, jedoch auf einer dieser entsprechenden subpersonalen Ebene objektive Beschreibungskriterien zulässt, lassen sich die sprachlichen Grenzen der personalen Sphäre umgehen. Entscheidend sind in diesem Zusammenhang die subpersonal fundierten „somatischen Repräsentationsprozesse“, die Selbstbewusstsein auf diese Weise „als integrierten Informationsprozess darüber, wie es um die Balance zwischen Organismus und seiner Umwelt steht“ (241), verstehbar werden lässt. Borner bemüht sich festzuhalten, dass zwar einerseits diese auf der subpersonalen Ebene ablaufenden Prozesse Entsprechungen finden, die als personal registrierbare Bewusstseinsprozesse beschreibbar sind. Gleichwohl wären diese nicht „als reines Epiphänomen derselben zu kennzeichnen“ (307). Denn das würde auf eine, im Sinne Gerhard Roths, „bloße ‚Spielart des Dualismus‘“ (307) hinauslaufen. Es handelt sich vielmehr um eine „unterschiedliche Beschreibungsebene“ (307), die notwendig wird, sobald ein präreflexives Selbstbewusstsein auftritt. Denn ab diesem Zeitpunkt sind mentale Zustände „nicht mehr nur neuronal verarbeitet, sondern können sich auf einer personalen Ebene als ‚Gefühl dessen, was geschieht‘ (Damasio) äußern“ (308). Dieses subpersonale „Geschehen“ steht also nicht – in einem dualistischen Sinne – ‚neben‘, ‚hinter‘ oder sonst irgend ‚neben‘ seinen personalen Bewusstseinsepisoden, sondern muss als ein „massiertes Kompositum äußerst vieler Bewusstseins- und Selbstbewusstseinsprozesse“ (308) verstanden werden. Dieser Prozess speist sich aus einzelnen Bewusstseinsimpulsen bzw. lässt sich als ein auf neuronaler Ebene stattfindendes „Pulsen“ beschreiben, welches das personale Selbst auf subpersonaler Ebene als ein „frakturiertes Geschehen“ (308) begreifbar macht. Während das personale Selbst sich als ein Bewusstseinsganzes erlebt, ‚besteht‘ es im Grunde aus einzelnen Bewusstseinsmomenten, die nur aufgrund ihrer Tendenz zum nächsten hin jenes Ganze als solche erscheinen lassen. Borner vergleicht dies mit dem Husserlschen Zeitbewusstsein, das sich aus Protentionen und Retentionen konstituiert, die erst ein – nicht summarisches, sondern gegliedertes – Zeitkontinuum ‚erschaffen‘. Im subpersonalen Bereich „ergeben sich so zwar distinkte personale Pulse, die aber phänomenal introspektiv als ein beständiger Fluss erscheinen“ (311).

Jene phänomenale Differenz zwischen einem subpersonal frakturierten und einem personal kontinuierlichen Selbstbewusstsein bleibt am Ende von Borners Überlegungen (Kapitel 6) ein wenig im Ungefähren. Sein Fazit betont lediglich die Vermeidung infiniter Regresse auf der subpersonalen Beschreibungsebene, da hier

nur Teile des personalen Phänomens beschrieben werden und damit nicht Selbstbewusstsein als Ganzes. […] In dieser Weise verstanden, kann die phänomenal introspektive Erfahrung mit der philosophischen Theorie eines präreflexiven Selbstbewusstseins sowie der neurowissenschaftlichen Theorie subpersonaler Gefühlsprozesse in einem kohärenten Bild zusammengebracht werden. (312)

Man hätte nur gern ganz konkret gewusst, in welchem Bild.

Ein Vorschlag: Wenn man die Beziehung des subpersonal frakturierten Pulsens mit den personal ganzheitlichen Bewusstseinsepisoden mit derjenigen zwischen den Tönen und einem Melodieganzen in der Musik vergleicht, oder einfach zwischen einzelnen rhythmischen Impulsen und dem Rhythmus als ganzen, so erkennt man dort genau das Verhältnis von Einzelmoment und Tendenz, das für die Konstitution eines personalen Selbstbewusstseins kennzeichnend war. Physikalisch messbar und in diesem Sinne ‚reell‘ ist nur der einzelne Impuls, nicht das Intervall, das physikalisch gleichsam ‚leere Dazwischen‘ von Impuls und Impuls. Ebenso bleibt im physiologischen Sinne nur der subpersonale Impuls eine neurowissenschaftlich fassbare Größe; die ‚Intervalle‘ jedoch, die aus dem Ganzen überhaupt erst ein Bewusstseinskontinuum machen, lassen sich nur auf der personalen Ebene beschreiben, ohne dass sie – im dualistischen Sinne – ein ‚zweites‘ oder ‚anderes‘ ausmachten. In diesem Sinne hätte Borners philosophischem ‚Telefonbuch‘ ein Eintrag aus neukantischer Sicht gutgetan: Richard Hönigswald (1926) diskutiert den entsprechenden Zusammenhang ausführlich.

Es bleibt das große Verdienst Borners, den Bezug von präreflexivem zu reflexivem Selbstbewusstsein aus der entsprechenden subpersonalen Perspektive beleuchtet und damit konzeptionelle Brücken zwischen neurobiologischen und philosophischen Fragen gebaut zu haben. Und nun klären sich auch die Kommunikationsprobleme bezüglich der Einzelanschlüsse: Da wir es, obzwar präreflexiv, mit einem Selbstbewusstsein zu tun haben, muss es zu einem Besetztzeichen kommen – wenn sich ein Teilnehmer selbst zu erreichen versucht. Im anderen Fall muss der noch subpersonale Teilnehmer ein wenig warten bis er auf personaler Ebene jemanden erreichen kann – aber das Warten lohnt sich: es hebt bestimmt irgendwann jemand ab.

Literatur

Richard Hönigswald. Vom Problem des Rhythmus. Eine analytische Betrachtung über den Begriff der Psychologie. Leipzig/Berlin: Teubner, 1926.

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