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Hürlimann, Gabriel: Analytik der Revolte. Über agonistische Konstellationen von Macht, Freiheit und Subjekt im Anschluss an Michel Foucault. Wien/Berlin: Turia + Kant 2015. 367 Seiten. [ISBN 978-3-85132-787-8]

Rezensiert von Christian Leonhardt (Universität Bremen)

Foucault und Revolte? Es ist selbst auf deutschsprachige Veröffentlichungen beschränkt nichts Neues, sich Michel Foucault als Denker des Widerstandes und der Kritik zu nähern. Und wenn man sich die Veröffentlichungen in den letzten zehn Jahren zu dem Thema ansieht, hat dies auch weiterhin Konjunktur (u.a. Bröckling 2007; Saar 2007; Hechler/Philipps 2008; Lorey 2011). Das liegt sicher nicht daran, dass schon alles zu diesem Thema gesagt worden wäre und es deswegen einfach sei, etwas dazu beizutragen, sondern eher am politischen Potenzial, das die Überlegungen des vielschichtigen Denkers besitzen. In diese Konjunktur reiht sich auch Gabriel Hürlimanns Monographie Analytik der Revolte ein, die auf seiner 2013 an der Frankfurter Goethe-Universität eigereichten Dissertation basiert. Nun sollte man sich aber bei der Lektüre des Buches weder seines Wissens um diese Konjunktur allzu sicher sein, noch sich von dem Cover (das Foto des „Tank Man“ vor Panzern nach der Räumung des Tian’anmen-Platzes 1989) und den im Klappentext auftauchenden Verweisen auf den „Arabischen Frühling“ oder Occupy Wall Street irreführen lassen. Das Anliegen Hürlimanns ist es nämlich nicht, aktuelle Revolten vor dem Horizont foucaultscher Machtanalyse zu reflektieren, sondern Foucaults Analytik der Macht begrifflich eine Analytik der Revolte zur Seite zu stellen. Daher ist das Buch vor allem der Versuch, den Begriff der Revolte auf der analytischen Ebene inhaltlich aus Foucaults Arbeiten zu Macht und Subjekt zu bestimmen.

Das Buch beginnt hierfür zunächst mit einer Kritik und Ablehnung liberaler Diskurse um das Recht auf Widerstand, um jenen dann das Macht- und Widerstandsverständnis Foucaults entgegenzusetzten. Diese auf Widerstand bezogene Reformulierung der foucaultschen Machtanalytik macht den Hauptteil des Buches aus und resultiert in einem Verständnis von Revolte als spezifische Form von Widerstand in und gegen Machtdispositive und deren Subjektivierungseffekte. Zuletzt wird dieses an drei möglichen Manifestationsebenen expliziert: der Revolte gegen eine „Groß-Institutionen“ (Staat), gegen spezifische Institutionalisierungsordnungen innerhalb einer Gesellschaft und gegen bestimmte und institutionalisierte Lebensweisen.

Hürlimann beginnt mit zwei Vorkehrungen. Die erste könnte man als methodische Vorkehrung bezeichnen. Da Hürlimann bewusst keine prototypischen Ereignisse der Revolte untersuchen will (9), ist sein Vorhaben die Rekonstruktion eines Modells des revoltierenden Handelns über Foucaults Machtanalytik und seinen Aussagen zu Widerstand als die „Kehrseite“ der Macht (11; Foucault 1978: 205). Das heißt, es geht hier nicht um eine genealogische Untersuchung der Revolte, die methodisch-strukturell Foucaults Untersuchungen zur Sexualität oder Disziplin zum Vorbild hat, und auch nur entfernt um ein Zusammentragen von Foucaults Aussagen zum Thema Widerstand. Mit Foucault in Verbindung stehende Revolten wie die Gefängnisrebellionen Anfang der 1970er Jahre oder die Iranische Revolution sind für Hürlimann nur dann relevant, wenn sie etwas zum strukturellen Argument beitragen. Das Buch ist also von dem Ziel geleitet, ausgehend von der Rekonstruktion des foucaultschen Macht- und Subjektverständnisses einen äquivalenten Begriff des Widerstands und der Revolte zu erarbeiten. Darin liegt – das sei hier nochmals hervorgehoben – der originäre Beitrag Hürlimanns zum Foucault-Diskurs.

Die zweite Vorkehrung kann als analytische Vorkehrung gelten. Hürlimann betont, die Revolte als Tatsache und nicht als normative Kategorie untersuchen zu wollen. Hier grenzt er sich gegen zwei divergierende Positionen ab. So verwehrt sich Hürlimann einerseits gegen die „sirenischen Verlockungen“ (13) des Begriffs der Revolte, wie er sie sowohl bei Albert Camus, Jacques Rancière, den klassischen und den „Post-“Anarchist_innen ausmacht (13–17). Deren vermeintlich essentialistische Konzeptionen würden den Blick auf das Wie der Revolte verstellen (17). Die andere Abgrenzung betrifft Diskurse, die danach fragen, ob und wenn ja wann Widerstand gegen eine Ordnung legitim ist. Diese „juridischen“ Diskurse würden aufgrund ihrer Fixierung auf Rechtfertigung und die damit einhergehende Konzeptualisierung der Revolte als Angriff auf die souveräne Macht alle anderen Aspekte des revoltierenden Handelns ausblenden (74). Den Ursprung dieses Denkens sieht Hürlimann bei Thomas Hobbes (12); er setze sich in der Liberalen Theorie von Locke über Kant und Rousseau bis hin John Rawls fort (69–88).

Da bekanntermaßen Foucault diese Verengung von Macht als souveräne und lediglich sanktionierende Macht ablehnt, setzt genau an dieser Stelle Hürlimanns Auseinandersetzung mit Foucaults Machtbegriff ein. Wenn man, so Hürlimanns implizite These, von einem anderen Machtbegriff ausgeht, müsse man auch Widerstand anders formulieren (88). Daher widmet sich das zweite Kapitel und der gesamte zweite Teil (Kapitel 3 & 4) der Rekonstruktion des Macht- und des damit korrespondierenden Widerstandsbegriffs bei Foucault. Diese Rekonstruktion ist durch mehrstufige Differenzierungen strukturiert. Zunächst unterscheidet er Foucaults Machtverständnis von vor und nach 1978 (129–135, passim). Ersteres begreift Hürlimann als Analytik des Kampfes, letzteres als Machtanalytik. Er schlägt vor, beides von einander zu entkoppeln:

Während die Machtanalytik also notwendige Einblicke in die Prozesse der Unterwerfung von Menschen unter Institutions- und Ordnungsimperative und damit in die Politik der Subjektivierung liefern soll, ist es Aufgabe und Gegenstand dessen, was als „Kampfanalytik“ bezeichnet werden kann, die möglichen Reaktionen und Verhaltensweisen von unterworfenen Subjekten zu thematisieren und damit den Fokus auf das Gegenstück der Subjektivierung zu legen: auf die Politik der Entsubjektivierung (106, H.i.O.).

Sich zunächst auf die Rekonstruktion der Machtanalytik konzentrierend, führt Hürlimann gleich eine weitere Differenzierung ein. So unterscheidet er innerhalb der Machtanalytik eine Ausgangsfrage – „Wie wird Macht ausgeübt?“ (136; Kapitel 3) – von einer Zielfrage, die die Subjektivierungseffekte der Macht betrachtet (Kapitel 4). Die Ausgangsfrage (das „Wie“ der Machtausübung) beantwortet er mit dem Modell des strategischen Spiels: Macht ist handelndes Einwirken auf die Handlungen anderer (136). Für die Machtausübung sei es also nötig, dass alle Spieler_innen eine elementare Handlungsfreiheit besitzen (167), da sie ansonsten nicht handeln könnten und folglich auch keine Macht ausgeübt werden kann. Insofern sei die Kehrseite der Macht nicht der Widerstand, sondern Freiheit (167) und in dieser Freiheit könne sich Widerstand realisieren, müsse es aber eben nicht (167).

Die Zielfrage betrifft nicht das „Wie“, sondern die Effekte der Machtausübung: die Subjektivierung. Subjektivierung ist für Hürlimann nach Foucault sowohl die „Unterwerfung“ des Subjektes wie auch seine Konstitution (176). Hier führt er eine letzte machtanalytische Differenzierung ein, indem er zwischen einer internen und einer externen Perspektive auf Subjektivierung unterschiedet (181). Die interne Perspektive betrifft die über Einübung angeeigneten Denk- und Handlungspraktiken von Subjekten (189). Da diese Aneignung zwar nicht jenseits von gesellschaftlichen Verhältnissen stattfinde, jedoch in letzter Konsequenz von Subjekten selbst vollzogen werde, geht es hier um Subjektivierung als Selbstführung (192). Im Gegensatz dazu betrachtet eine externe Perspektive Prozesse, in denen das Subjekt von außen zugerichtet wird; also insbesondere solche, die Foucault in Überwachen und Strafen über den Begriff der Disziplin formuliert hat (192) und die eine Form der Fremdführung darstellen (200).

Diese beiden Perspektiven der Zielfrage lässt Hürlimann im Begriff des Machtdispositivs kollabieren (203, 211). In den Machtdispositiven fallen jedoch nicht nur diese zusammen, sondern auch die Ausgangs- und Zielfrage. So ordnet Hürlimann die Machtbeziehungen (und damit die Ausgangsfrage, wie Macht ausgeübt wird), den strategischen Spielen zu (203). Die Subjektivierung (und damit die Zielfrage) werde demgegenüber in den Machtdispositiven realisiert (203). Dies ist kein Widerspruch, da Machtdispositive für Hürlimann lediglich auf Dauer gestellte und sich permanent wiederholende strategische Spiele sind (204, 208). Die elementare Handlungsfreiheit der strategischen Spiele und damit die Möglichkeit von Widerstand bleibt aber weiterhin auch in den Machtdispositiven erhalten (232). Darüber kann Hürlimann auch später zwischen Widerstand und Revolte unterschieden: Widerstand sei so zwar in allen Machtbeziehungen möglich, Revolte jedoch sei die spezifische Form des Widerstandes in Machtdispositiven (284).

Hier kommt Hürlimann zum Kern des revoltierenden Handelns. Da mit Foucault keine transhistorische Perspektive für die Analytik der Revolte entwickelt werden könne (244), verbindet Hürlimann den foucaultschen Begriff des Machtdispositivs mit dem der Institution in John Searles Konstruktionstheorie sozialer Wirklichkeit. So begreift Hürlimann Gesellschaft gleichzeitig als komplexes Set von Institutionen (Searle) und ebenso als ein Set von Machtdispositiven (Foucault), die jeweils Konstellationen aus Praktiken, Regeln und Menschen sind. Diese bringen Subjekte hervor, die wechselseitig wiederum die Institutionen bzw. Machtdispositive reproduzieren und ihnen so Akzeptanz (= Existenz) verleihen. Diesen Umstand bezeichnet Hürlimann als Politik der Subjektivierung (288). Da es aber die Subjekte sind, die die Institutionen reproduzieren und ihnen Akzeptanz verleihen, ist den Institutionen über die elementare Handlungsfreiheit die Gefahr des Nicht-Reproduzierbaren mit eingeschrieben und von daher eben auch die Revolte als Politik der Entsubjektivierung (291). So ist revoltierendes Handeln für ihn einerseits der Entzug der Akzeptanz (269), realisiert durch „ein[en] Bruch mit konstitutiven Regeln, die eine Institution definieren [...]“ (270), der andererseits gleichzeitig ein Prozess der Entsubjektivierung bedeutet.

Hürlimanns Rekonstruktion der foucaultschen Machtanalytik gibt drei Elemente des revoltierenden Handelns zu erkennen. Erstens können Gegenstände der Revolte nur Institutionen bzw. Machtdispositive und deren konstitutive Regeln sein und nicht z.B. die Welt als solche oder das Wetter als natürliche Tatsache. (Ironischerweise entspricht diese Unterscheidung nahezu exakt der Differenzierung, die einst der in Hürlimanns Vorwort als klassischer Anarchist verschmähte Michael Bakunin [15] in Gott und der Staat in Bezug auf natürliche und künstliche Autorität angestellt hatte; vgl. Bakunin 2007 [1882]: 54–97). Allerdings kann durchaus gegen spezifische „Groß-Institutionen“ wie den Staat als Form der politischen Herrschaft revoltiert werden (wie z.B. in der Iranischen Revolution; 296–312), genauso wie gegen spezifische Institutionalisierungsordnungen innerhalb einer Gesellschaft (wie z.B. die Verhaltensrevolten gegen das christliche Pastorat; 312–326), oder gegen bestimmte Normen, Konventionen und institutionalisierte Lebensweisen (wie Hürlimann an der kynischen Lebensführung verdeutlicht; 326–343). Zudem könne man nur von revoltierendem Handeln sprechen, wenn gegen konstitutive und nicht bloß regulative Regeln verstoßen werde. So sei z.B. Ladendiebstahl kein revoltierendes Handeln, da es sich lediglich um eine Eigentumsumverteilung und damit nur um einen regulativen Regelverstoß handle, der die konstitutiven Regeln der Institution Eigentum nicht angreife (der Dieb betrachte das von ihm gestohlene Gut nun als sein Eigentum; 279–283).

Dieses erste Element hängt mit dem zweiten Element zusammen, den Subjekten der Revolte und ihrem revoltierenden Handeln. Es ist nicht nur der Fall, dass nur gegen Institutionen revoltiert werden kann, sondern auch, dass nur diejenigen Subjekte, welche die Subjektivierung der Institutionen durchlaufen haben, gegen diese revoltieren können. Allein sie sind in der Lage, sich wieder zu entsubjektivieren (277). So könne weder der gerade erwähnte Ladendieb, noch die Kundin eines Supermarktes gegen diesen revoltieren, sondern nur seine Mitarbeiter_innen, da nur sie Subjekte des Supermarktes sind (278). Hinzu kommt, dass der Ladendieb gar kein Interesse daran hätte, die Institution Eigentum oder Supermarkt zu destabilisieren. Er sei insofern lediglich ein „Freerider“ (281), der von den Lücken im Spiel profitieren wolle, ohne das Spiel infrage zustellen, und damit ein Falschspieler (282). Als Falschspieler dürfe er allerdings nicht auffliegen und die Regelverletzung müsste daher im Geheimen stattfinden, was keinen destabilisierenden Effekt für die Institution hätte (282). Das revoltierende Subjekt hingegen sei ein Spielverweigerer, „der bei einem bestimmten Spiel nicht mehr mitspielen will und dadurch eine Unterminierung oder Destabilisierung des Spiels intendiert […]“ (282). Die revoltierende Handlung muss also sowohl öffentlich sein, um einen destabilisierenden Effekt haben zu können (282), und sie muss als regelbrechende Handlung intendiert oder zumindest im Nachhinein als solche affirmiert werden (270). Letztlich sei das revoltierende Handeln der Spielverweigerin rein destruktiv und ließe sich so vom revolutionären Handeln unterscheiden, das im Gegensatz zum ersteren eine Konstruktion neuer Institutionen vor Augen hätte (305–312). Daher schaffe zwar die Revolte „kraft der Dekonstruktion von bestehender Wirklichkeit gleichsam die Möglichkeit, neue institutionelle Tatsachen und neue soziale Wirklichkeiten zu generieren“ (311), könne die Erschaffung des Neuen selbst aber nicht leisten (311).

Das dritte Element ist der Moment der Destruktion und Entsubjektivierung: das Ereignis der Revolte. Aufgrund der elementaren Handlungsfreiheit ist es immer möglich, zu revoltieren. Dies heißt aber nicht, dass auch tatsächlich immer revoltiert wird. Somit stellt sich die Frage, in welchen Situationen Menschen sich zu einer Revolte entscheiden und in welchen nicht. Diese Frage ist für Hürlimann nicht eindeutig beantwortbar. Nicht, weil es in einer spezifischen Situation nicht benennbare Gründe geben würde, zu revoltieren, sondern weil dem Ereignis der Revolte ein Moment eingeschrieben sei, „das auf nichts zurückgeführt oder reduziert werden kann, was ihr spontanes Auftreten, ihr jähes Erscheinen kausal begründen oder zumindest eindeutig einsichtig machen könnte“ (299).

Insgesamt ist der Ritt, den Hürlimann durch die Machtanalytik Foucaults unternimmt, beeindruckend, auch wenn man nicht immer mit der Art und Weise des Vorgehens seiner Rekonstruktion einverstanden sein muss. Insbesondere vermisst man eine ausführlichere Diskussion mit widerstreitenden Positionen oder zumindest auch für skeptische Lerser_innen nachvollziehbare Begründungen, warum die Rekonstruktion gerade so und nicht anders vollzogen wird. Das beginnt bereits mit der ersten Abgrenzung. Ist es aus foucaultscher Perspektive zunächst nachvollziehbar, dass die Analytik der Revolte kein normatives Konzept hervorbringt, was Hürlimann gegen Camus auch stichhaltig und gut belegt begründet, sind die Ausführungen gegen die Anarchist_innen und gegen Rancière weniger überzeugend. Das Problem liegt dabei weniger in der mageren Beweisführung gegen die Anarchist_innen (denn diese wäre sicherlich leicht nachzuholen) und auch nicht in der streitbaren Rancière-Interpretation, sondern in der Tatsache, dass Hürlimann aus Foucaults Aussage, man können einem revoltierenden Menschen keine Vorschriften machen (Foucault 2003 [1979]: 991), abzuleiten scheint, dass jegliche Überlegungen zur Notwendigkeit von Widerstand in einer bestimmten Situation den Blick auf das „Wie“ der Revolte verstellt (16f.). Erstens wirft er damit die revoltierenden Subjekte selbst aus dem Diskurs – wer revoltiert, bestimmt die Analytik der Revolte. Daher sind revoltierende Subjekte in der Analytik eher abwesend und selbst dort, wo Hürlimann konkreter wird, wie im Beispiel der Iranischen Revolution, kommen sie nur vermittelt durch Foucaults Schriften zu Wort. Zweitens ist die Ableitung auch nicht überzeugend, wenn sie sie sich darauf beschränkt, das Argument gegenüber einem liberalen Recht(s)staatsdiskurs vorzubringen. Unbeantwortet bleibt dabei, wie es sich mit anderen liberalen Überlegungen verhält, schreibt doch Foucault etwa Kants Was ist Aufklärung? eine wichtige Rolle im Nachdenken über Widerstand zu (u.a. Foucault 1992, 2012 [1983]: 21ff.). So wäre es auch drittens in Bezug auf Rancière und die Post-Anarchist_innen interessant zu wissen, inwiefern sie sich demselben liberalen Vergehen schuldig machen, wenn sie doch ebenso wie Hürlimann von Foucault ausgehend Widerstand als eine Form von Ent-Subjektivierung und als Bruch mit gegebenen Verhältnissen begreifen (vgl. z.B. Rancière 2002: 48; May 2011 – vorausgesetzt natürlich, man hält nicht wie Hürlimann das Unsichtbare Komitee für eine post-anarchistische Gruppe).

In diesem Zusammenhang ist auch das Aussparen der Diskussion um die Sicherheitsdispositive irritierend, die einen großen Teil der Debatte um Foucault und Widerstand mitgeprägt hat. Der Begriff der Sicherheitsdispositive wird schlicht unter den der Biomacht subsumiert (92 Fn 6) und taucht im Haupttext selbst lediglich einmal auf (131). Das Problem ist wiederum nicht, dass Hürlimann sich nicht an einer Diskussion beteiligt, die er vielleicht als fruchtlos empfinden mag, sondern das er die Tatsache ausblendet, dass Souveränität, Staatsräson und juridische Macht für Foucault ja gerade nicht mehr das maßgebliche Gouvernementalitätsparadigma sind (Foucault 2003 [1977]: 498–502, Foucault 2006 [1978]: 19–27). So gibt es nicht nur die hobbesianischen Strategien, Widerstand zu verunmöglichen, sondern auch andere, die – so einige Analysen in Anschluss an Foucaults Überlegungen zum Sicherheitsdispositiv – Widerstand als immer möglich und gerade deswegen positiv als Katalysator der Nachregulierung und Innovation auffassen. Diesen Ansätzen muss man nicht zustimmen, doch wenn man den Anspruch der Analytik der Revolte als transhistorische Perspektive vertritt, muss man zeigen können, dass dieser entweder auch in der Kontrollgesellschaft (Deleuze 1993), in der Soziokybernetik (Tiqqun 2007) oder in der Post- bzw. Konsensdemokratie (Rancière 2011) gilt – oder aber diese Gegenwartsdiagnosen begründet zurückweisen.

Der transhistorische Anspruch selbst ist ebenfalls nicht unproblematisch und muss zudem als Grund herhalten, um in diesem Zusammenhang Foucault mit Searle zu ergänzen. Allerdings wird nicht deutlich, wie sich dieser Anspruch genau äußert, was also genau mit transhistorisch gemeint ist, was der Vorteil einer solchen Konzeption gegenüber anderen ist, die die Lokalität und Singularität von Widerständen betonen, und was Searle dementsprechend bieten kann. Dramatischer ist, dass Hürlimann mit Searle nicht nur nichts theoretisch Neues zu Foucault hinzufügt, sondern dass er für diese Integration teuer mit der Gleichsetzung – wider besseren Wissens (203) – von Institutionen und Machtdispositiven bezahlen muss. Das führt zu einigen problematischen Engführungen der Theorie, von denen ich zwei nennen will: Erstens taucht so auf einmal der Staat wieder als „ultimative Institution“ bzw. „institutionelle Superstruktur“ auf (255), als diejenige Institution, die alle anderen Institutionen zu regulieren vermöge (253–254, 343), kurz als die „gesellschaftsregelnde Institution par exellence“ (u.a. 295) und damit als jene schwer verdauliche Mahlzeit, die politische Souveränität mit Staat verwechselt (286–287), die Foucault sich – und vielleicht auch uns – eigentlich ersparen wollte (Foucault 2006 [1979]: 114).

Zweitens lässt diese Integration die searlesche Akzeptanz von Institutionen mit den foucaultschen Subjektivierungsprozessen ineinander fallen (266) und übernimmt so die vereinfachte und schematische Art und Weise, wie Subjekte Institutionen zugeordnet werden. Diese Zuordnung wird mehr behauptet als begründet. Der einzige Hinweis auf die Subjektzugehörigkeit ist die verbriefte Mitgliedschaft in einer Institution (also durch Ausbildung, Ausweis oder Arbeitsvertrag). Hürlimann spricht zwar von pluralen Subjekten (179), dass Machtdispositive aber diverse und nicht in sich geschlossene Subjektpositionen hervorbringen können, miteinander in Beziehung stehen und auch Ausschlüsse subjektiviert werden, scheint so gar nicht denkbar. Geflüchtete – erst recht Sans-Papiers – könnten so nirgendwo und gegen nichts revoltieren. Dies wird auch umgekehrt zum Problem, wenn man einem Subjekt abspricht zu revoltieren, weil es nicht gegen die konstitutiven Regeln verstoße, dann aber nicht begründet, warum gerade und ausschließlich diese Regeln in diesem Fall relevant sind. Deutlich wird dies am Beispiel des Ladendiebs, der zwar nicht alle konstitutiven Regeln der Institution Eigentum infrage stellt (die man auch erst einmal ausfindig machen müsste), jedoch offensichtlich eine Reihe anderer konstitutiver Regeln des Supermarktes, wie z.B. die der Kasse. Ganz abgesehen davon entspricht Hürlimanns Aussage hier der bekannten Ent-Politisierungs-Strategie der „Institution par exellence, de[m] Staat“ (295): „They’re just thieves and thugs!“ (Eine Argumentation, über die sich Foucault amüsierte; vgl. Foucault 1976: 61–66.)

Zusammengefasst präsentiert die Analytik der Revolte eine über weite Strecken durchdachte und gut strukturierte Rekonstruktion sowie einen innovativen Ansatz, um mit Foucault über Revolte nachzudenken, der argumentativ stringent verfasst ist. Dem steht eine unproduktive theoretische Engführung gegenüber, die insbesondere der Integration Searles geschuldet ist und die zu problematischen Konstruktionen führt. Es wird deutlich, dass Hürlimann allgemein wenig Raum für Diskussionen mit möglichen widerstreitenden Positionen jenseits des liberalen Lagers einräumt. Dabei könnte eine Auseinandersetzung mit den zu Beginn fallengelassenen und vermeintlich normativen Ansätzen zu Revolte durchaus produktiv sein. Insbesondere Anknüpfungspunkte zu den sogenannten Theorien des Politischen wären interessant, in denen die Analytik der Revolte zeigen könnte, was das Problem einer affirmativen Herangehensweise an die Revolte ist oder wie man den Bruch mit Subjektivierungsdispositiven denken kann.

Literatur

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Foucault, Michel. Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II. Vorlesungen am Collège de France 1978–1979. Hg. von Michel Sennelart, übers. von Jürgen Schröder. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006 [2004].

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