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Kirstin Mertlitsch: Sisters – Cyborgs – Drags. Das Denken in Begriffspersonen der Gender Studies. Bielefeld: Transkript 2016. 276 Seiten. [978-3-8376-3349-8]

Rezensiert von André Reichert (FU Berlin)

Gibt es im Falle Descartes’ etwas anderes als das erschaffene Cogito und das vorausgesetzte Bild des Denkens? Es gibt tatsächlich etwas anderes, ein wenig Mysteriöses, das für Momente erscheint oder durchscheint und das eine unscharfe, eine Zwischenexistenz aufzuweisen scheint: zwischen Begriff und vor-begrifflicher Ebene, von einem zum anderen reichend. Für den Augenblick ist es der Idiot: Er sagt Ich, er lanciert das Cogito, aber er hält auch die subjektiven Voraussetzungen oder entwirft die Ebene. (Deleuze/Guattari 2000: 70)

Das Gedankentheater des Feminismus

Mit dem Idioten beginnen Gilles Deleuze und Félix Guattari das Kapitel über „Die Begriffspersonen“ innerhalb ihres letzten gemeinsamen Buches mit dem vielsagenden Titel: Was ist Philosophie? Hierbei handelt es sich nicht um ein Alterswerk in dem Sinne, dass die beiden Autoren zurückblickten auf ihr(e) Werk(e) und diese(s) für die Nachkommenden ordneten und interpretierten. Vielmehr entwickeln sie eine Pädagogik des Begriffs, d.h. sie schreiben eine Abhandlung darüber, wie in der Philosophie Begriffe hergestellt werden. Denn Philosophie ist für Deleuze und Guattari vor allem eines: die Erfindung und Herstellung von Begriffen. Das Originelle an ihrer Darstellung liegt vor allem in der Behauptung, dass der Philosoph zur Herstellung der Begriffe Begriffspersonen benötige. Die Beispiele hierfür reichen von Sokrates (Platon), über den Idioten (Descartes), Theophilus (Leibniz), das Paar (Kierkegaard), den Richter (Kant), bis hin zu Zarathustra (Nietzsche) oder den Freund (Blanchot). Diese Personifikationen des Denkens vollziehen, so Deleuze und Guattari, die vorbegrifflichen Denkbewegungen, um sie anschließend zu Bewegungen des Begriffs zu transformieren. Beispielsweise ist der cartesische Idiota der Einfältige, der Ungebildete, dessen natürliches Denken demjenigen der Schulprofessoren und Autoritäten entgegensteht. Er bringt den Begriff des Cogito hervor: Ich denke, also bin ich, ohne auf einen Begriff des Menschen oder des Denkens explizit zu verweisen, wenngleich implizit vorausgesetzt wird, das Zweifeln Denken ist und Sein Existieren: Ich zweifle, also existiere ich. Für eine Pädagogik des Begriffs hat die Re-Konstruktion der Begriffsperson den Vorteil, dass man nicht die gesamte Philosophiegeschichte kennen muss, um einen Philosophen verstehen zu können. Kennt man die Begriffsperson eines Philosophen, so weiß man, unter welchen Bedingungen ihm das Denken möglich geworden ist.

Deleuze und Guattari haben diesen Ansatz vor allem systematisch vorgezeichnet, die konkreten Fälle werden jedoch nur angedeutet. Die Systematik umfasst neben den Begriffspersonen auch Personifikationen in der Kunst, den Wissenschaften und der Gesellschaftsanalyse. Während die Begriffspersonen Begriffe hervorbringen, so erzeugen die ästhetischen Figuren Perzepte und Affekte. Die wissenschaftlichen Figuren (Partialbeobachter) bringen Funktive (referentielle wissenschaftliche Sätze) hervor, und die Sozialfiguren (psychosoziale Typen) bringen nichts Neues hervor, sondern stellen die Strukturen der herrschenden gesellschaftlichen Ordnung und deren Fluchtlinien dar. Gleichwohl sind sie die Grundlage der anderen Begriffspersonen: Indem sie die Sozialfiguren transformieren, erschaffen philosophische, ästhetische und wissenschaftliche Figuren etwas Neues. Dieser Zusammenhang von schöpferischen Figuren und Sozialfiguren wird bei Deleuze und Guattari allerdings nur behauptet.

In diese systematische Leerstelle zielt Kirstin Mertlitschs Untersuchung Sisters – Cyborgs – Drags. Das Denken in Begriffspersonen der Gender Studies. Der akademische Feminismus ist eine Strömung, die gehäuft Personifikationen hervorbringt, anders als beispielsweise die akademische Philosophie sprachanalytischer Prägung. Während letztere die Texte von der Welt, d.h. vorgeblich von allen Voraussetzungen, aber auch von jedem Praxisbezug zu reinigen scheint, ist es für das feministische Denken kennzeichnend, dass es in experimentellen Textpraktiken das gesellschaftliche Feld problematisiert. In diesen Texten findet man gehäuft Personifikationen, die produktiv in Sozialfiguren, Begriffspersonen und ästhetische Figuren unterschieden und als solche miteinander in Beziehung gesetzt werden können.

Zugleich dient der Ansatz der Begriffspersonen Mertlitsch dazu, auf einige Kritiken an den Queer Studies neue Antworten zu finden. Ein externer Kritikpunkt war der Hinweis darauf, dass die Diskursanalyse der Queer Studies die zugrundeliegenden materiellen, sozialen und institutionellen Bedingungen außer acht lasse. Die Begriffspersonen schlagen für Mertlitsch nun genau die Brücke zwischen queeren Theoriekontexten, Politiken sowie dem Sozial- und Arbeitsleben, wenn sie die Perspektive auf das Denken als Tun richten. Begriffspersonen vollziehen Denkbewegungen. Die Cyborg vernetzt sich mit Dingen, Maschinen, Personen und auch mit Diskursen. Auch die neuen Sozialfiguren wie Pussy Riot, Top Girls, Slutwalks oder Femen entstanden in unterschiedlichen feministisch-queeren Kontexten und wurden zum Teil in theoretischen Texten aufgenommen und zu Begriffspersonen gemacht. Diese Übergänge von Sozialfiguren, Begriffspersonen und ästhetischen Figuren zu entfalten und nachzuzeichnen ist das Programm der in diesem Buch vorgeschlagenen „Ontoepistemologie“ (247 ff.). Diese soll nach Mertlitsch intersektional sein, d.h. sie soll für Überschneidungen von verschiedenen Diskriminierungsformen offen bleiben und nicht nur eine Diskriminierungsform als Anlass ihrer Analyse favorisieren. Die Begriffspersonen verkörpern nach Mertlitsch queer-intersektionale Denkweisen, die die Kategorien gender, race, class, ethicity und religion mit einbeziehen.

Dieses Programm einer queer-intersektionalen Ontoepistemologie ist aber nicht der Ausgangspunkt, sondern das Resultat der Studie. Es ist ein Resultat, das die Geschichte der Personifikationen des feministischen Denkens, die Mertlitsch auf dieses Programm hinlaufen lässt, nicht überflüssig macht. Denn die Geschichte dient der Kartierung der Gender und Queer Studies, um die Diversität von vergeschlechtlichten Begriffspersonen herauszuarbeiten. So bilden die Begriffspersonen auch Subjektivierungsformen, die einander nicht ausschließen, sondern zuerst einmal unterschiedliche Weisen der Selbstermächtigung und des Widerstandes hervorbringen. Dies ist eine zweite wichtige Antwort auf eine Kritik, die die Queer Studies dem poststrukturalistischen Diktum vom „Tod des Subjekts“ verhaftet sieht und ihnen vorwirft, ohne Ausnahme alles zu dekonstruieren, was jeden Widerstand unmöglich mache. Dagegen rekonstruiert Mertlitschs Studie Subjektivierungsformen, die Begriffe und Probleme durch Denkbewegungen und körperliches Handeln hervorbringen. Der Fokus der Studie liegt darauf zu zeigen, welche geschlechtsspezifischen Problemstellungen, Inhalte und Theorien Begriffspersonen ausdrücken und wie sie dies tun. Mertlitsch fragt, auf welche Weise Geschlechterwissen durch Begriffspersonen in den Gender und Queer Studies erkennbar und erfahrbar wird: Inwieweit werden die rekonstruierten Theorien erst mit der Verkörperung und Verleiblichung durch Begriffspersonen sowie durch deren Affekte begreifbar?

Das vorliegende Buch ist dementsprechend aufgebaut. Auf einen Problemaufriss folgt die Einführung in das Vokabular der Begriffspersonen und der Intersektionalität sowie eine Bestimmung der Rolle von Affekten für das Denken in Personifikationen. Dem schließt sich die Kartierung der Problemstellungen und der darauf antwortenden Subjektivierungsformen an: die Sister als Gründungsfigur erhält ein eigenes Kapitel, das Nomadic Subject, die New Mestiza, Cyborg und Drag sind zusammengefasst als Antworten auf Probleme, welche durch die Figur der Sister auftraten (Privilegierung der weißen Frau, Essentialismus usw.). Alle Begriffspersonen werden durch die Probleme, die sie stellen, und den daraus resultierenden Bewegungsformen erläutert. In einer Zusammenführung wird schließlich das Spezifikum der feministischen Begriffspersonen in ihrer Weise des Begehrens verortet und die Rolle affektiver Kollektivierungen in spezifischen Problemkonstellationen beschrieben, so z.B. die Schwesternschaft im Chicana-Feminismus.

Damit ist die Geschichte des Feminismus bei Mertlitsch nicht linear, sondern nach Problemkonstellationen und Lösungsansätzen zu erzählen, die auch heute noch aktuell sind. Dieses Verfahren hat zuerst einmal den Vorteil, dass auch ungeübten LeserInnen ein direkter Einstieg in komplexe feministische Theorien und Problematisierungen erleichtert wird. Auch wenn die vorliegende Dissertation genügend Hintergrundwissen zu den jeweiligen Debatten bietet, erzielt sie vor allem dank ihres Ansatzes Verständlichkeit: Was sonst als Diskurs über Solidarität, über Macht oder über Technik verhandelt wird, kann Mertlitsch im Denken der Begriffspersonen aufführen und problematisieren.

Weiterhin erlaubt das Denken in Begriffspersonen aufzuzeigen, dass es in der Philosophie, der Wissenschaft und auch der Kunst nicht die neutralen UrheberInnen, das denkende Ich, den schönen Geist oder die nach Wahrheit strebenden WissenschaftlerInnen gibt, sondern ganz konkrete Subjekte: den Einfältigen, den Übermenschen, die Kriegsmaschine, den Elektronenreiter. Die Begriffspersonen sind die Subjekte des Denkens, kein nach Wahrheit oder Schönheit trachtendes Neutrum. Das Subjekt der Erkenntnis ist niemals neutral, es zeugt vielmehr von den Bedingungen des Denkens. Wie an den männlichen Formen der Begriffspersonen bei Deleuze und Guattari ablesbar ist, bietet sich hier ein kritisches Einfallstor für feministische TheoretikerInnen. Denn wenngleich die Begriffspersonen mit ihren sprechenden Namen oft neutral daher kommen – Theophilus, der Freund Gottes, Eudoxus, der Wohlmeinende –, so wird doch schnell klar, dass die kanonischen männlichen Philosophen auch männliche Begriffspersonen entworfen haben, die aktiv den Gedanken hervorbringen, vollenden und auf den Begriff bringen. Hier zeigt sich nicht zuletzt eine maskuline Dimension der Philosophie, die die Autorin jedoch leider nicht kritisiert.

Stattdessen will sie der Theorie von Deleuze und Guattari dadurch gerecht werden, dass sie für alle oben genannten Figuren – Sister, New Mestiza, Cyborg und Drag – aufzuzeigen versucht, dass es sich um Begriffspersonen handelt. Diese Vorgehensweise könnte man als strategisch verstehen: Wenn die feministischen Theorien Begriffspersonen hervorgebracht haben, dann gehören sie zur Philosophie. Dabei übergeht Mertlitsch, dass diese mehr und manchmal auch weniger als Philosophie im Sinne von Deleuze und Guattari sind: Sie sind mehr, da sie eben nicht nur Begriffspersonen hervorbringen, sondern zudem ästhetische Figuren, Sozialfiguren und manchmal auch Partialbeobachter. Sie sind weniger, wenn sie Denkbewegungen, aber keine Begriffe erschaffen. Aber schauen wir uns die einzelnen Figuren in Mertlitschs Untersuchung genauer an.

Die Sister als erste große Begriffsperson wird vor allem durch familiäre und freundschaftliche Bande, darüber hinaus aber auch durch starke christlich-religiöse Aspekte charakterisiert, wenn sie dem Bruder angenähert wird: „Schwesterlichkeit bzw. Brüderlichkeit werden daher oft mit christlichen Werten von Mitgefühl, Nächstenliebe und Solidarität […] in Verbindung gebracht“ (36). Am Brüderlichkeitsideal der Französischen Revolution kritisiert die Sister den Ausschluss der Frauen aus der universellen Gleichheit und Freiheit der Brüder. „Die Begriffsperson Schwester charakterisiert sich durch eine Macht- und Herrschaftskritik gegenüber einem patriarchalen System oder, genauer ausgedrückt, gegenüber fraternalistischen Bündnissen.“ (38) Gegen die universelle Figur des Bruders wurde die Figur der Schwester gestellt, als „eine universale Figur der Emanzipation […], die ebenso nur eine kleine, hegemoniale Gruppe von Frauen, nämlich vorwiegend weiße, heterosexuelle Frauen der Mittelschicht vertritt.“ (39) Auffällig ist, dass die Begriffsperson der Schwester nirgendwo ausgearbeitet wurde, weshalb Mertlitsch sie als „implizite (feministische) Begriffsperson der Moderne und Aufklärung interpretiert“ (36), also die feministischen Texte, in denen sie wirkt, nicht aufgrund ähnlich klingender Begriffe oder auf ähnliche Probleme hin vergleicht, sondern daraufhin, wie sich darin die gleiche oder eben leicht abgewandelte Begriffsperson ausdrückt. Diesen Ausdruck könnte man vorführen, indem man zeigt, dass sie entweder die gleichen oder zusammenpassende Begriffe hervorbringen, die ein Bild des Denkens teilen. Diesen Weg geht Mertlitsch allerdings nicht, sondern zeigt die Bewegungen auf, die sich mit der Begriffsperson der Sister in ihren unterschiedlichen Wirkungsbereichen verbinden: Appellieren, Verkollektivieren, Solidarisieren. Diese Bewegungen errichten die Ebene eines Denkens und bestimmen dessen Bild. In welche begrifflichen Bewegungen diese durch die Begriffsperson übertragen werden, wird nicht ausgeführt. Für Mertlitsch stellt die Sister das philosophisches Problem, wie die Gemeinschaft der Frauen auch deren Differenzen bestehen lassen kann. Hier müsste eine Begriffsperson ansetzen und einen Begriff von Gemeinschaft hervorbringen, der eben nicht vom Gemeinen, sondern vom Differenten ausgeht. Warum Mertlitsch das nicht ausgeführt, bleibt jedoch unklar und lässt vermuten, dass es sich bei der Sister vielleicht doch nicht (nur) um eine Begriffsperson handelt, hat sie doch zuerst eine repräsentationale Funktion und könnte deshalb auch als Sozialfigur interpretiert werden. Dem Ansatz der Begriffspersonen zufolge hätte Mertlitsch diese Ambivalenz diskutieren müssen; eine Folgefrage wäre, wie das Denken schwesterlich werden kann, so wie etwa Descartesʼ Denken idiotisch wird, einfältig, wenn es dem Idioten nicht gelingt in überlieferten Begriffen zu denken, sondern nur im eigenen Vollzug. Welches Bild macht sich die Schwester vom Denken, wie gelingt es ihr (trotz dem allgegenwärtigen Androzentrismus) anders zu denken?

Auf die Kritiken an der Figur der Sister antworten dann im folgenden Kapitel die weiteren Begriffspersonen. Sie entwerfen nicht-identitäre Subjektpositionen, die den „universalen Anspruch der hegemonialen weißen Sister“ (103) konterkarieren. Dies tun sie, indem sie Uneindeutigkeiten erzeugen, die „nicht auf einen Ursprung zurückgeführt werden können“ (ebd.). Vielmehr entwerfen sie „alternative Mythen“ (ebd.) durch die „Bewegungen des Frau-Werdens, des Ent-Grenzens, des Vernetzens und des Re-Inszinierens“ (ebd.). Diese Gegenüberstellung suggeriert, dass wir es bei der Sister mit einem allgemeinen psycho-sozialen Typus zu tun haben, an dem sich die anderen oben genannten Begriffspersonen abarbeiten. Die Interventionen geschehen durch „Veruneindeutigung […], um Geschlechter- und Sexualitätsnormen und Normalitäten zu hinterfragen“ (107). Sie bilden „relationale Singularitäten, die sich Eindeutigkeiten und Kategorisierungen entziehen“ (108), wie sie der Typus der Sister noch darstellt. Beispielsweise zielen die Nomadic Subjects von Rosi Braidotti auf die Erschaffung von „alternativen weiblichen Subjektivitätsformen, Images und Denkformen […]“ (116); sie „verkörpern ein paradoxes Frau-Sein und erheben den Anspruch, sich in eine symbolische Ordnung einzuschreiben oder einen eigenen weiblichen Mythos zu erschaffen. Ihr Sein wird in Zwischenräumen angesiedelt, die Braidotti als nomadische Existenzweise charakterisiert.“ (120) Das Nomadic Subject ist somit nicht nur das Andere des Mannes, es ist ein Frau-Werden, das uneindeutig und nicht-selbstidentisch ist.

Die New Mestiza von Gloria Anzaldúa vollzieht eine weitere Bewegung des Ent-Grenzens, wobei sich diese auf das postkoloniale Grenzland (borderland) bezieht. „Als weiblich-feministisch-queeres Subjekt kritisiert sie eine patriarchale Chicana-Bewegung“ (128), „ist widerständisch und verbindet sich mit (gefühlten) Grenz-Räumen“ (ebd.). Sie lebt die Widersprüche als Native American in Mexiko sowie als Mexikanerin in Amerika. Damit stehen sowohl Nomadic Subject als auch New Mestiza für „partiale Erkenntnisse, die durch ihre jeweilige kontextuelle Verortung bestimmt sind.“ (134) Hier könnte man diskutieren, ob diese Figuren wie die Partialbeobachter bei Deleuze und Guattari vor allem durch eine Referenz auf die eigene Theorie gekennzeichnet sind, die sie erlebbar machen. Bei Anzaldúa liegt weiterhin die Vermutung nahe, dass die New Mestiza (zumindest auch) eine ästhetische Figur ist, die vor allem Perzepte und Affekte vom borderland hervorbringt, wie in der Übertragung der Unterdrückungsgeschichte im US-mexikanischen Grenzland auf den eigenen Körper und der damit verbundenen intensiven Erfahrung der Demütigungen und Verletzungen. Schließlich argumentiert auch Mertlitsch, dass das border thinking als Epistemologie der Grenze ergänzt werden müsse um „die entscheidenden Aspekte der Grenzwahrnehmung und -erfahrung, die in (körperlichen) Affekten und Gefühlen liegen und die ich als border feeling bezeichnen möchte“ (137).

Bei Donna Haraway findet sich eine ganze „Menagerie der Figurationen“ (Haraway 2000: 135), eine sprudelnde Kreation von auftretenden Personen, die Begriffe, Theorien und gesellschaftliche Phänomene verkörpern. Am bekanntesten ist wohl die Cyborg, der sich Mertlitsch ausführlich widmet. Haraway selbst beginnt mit einer Zeitdiagnose: „Im späten 20. Jahrhundert, in unserer Zeit, einer mythischen Zeit, haben wir uns alle in Chimären, theoretisierte und fabrizierte Hybride aus Maschine und Organismus verwandelt, kurz, wir sind Cyborgs“ (Haraway 1995: 34). Als typische Denkbewegung stellt Mertlitsch die Bewegung des Vernetzens heraus, „indem sie [die Cyborg] mit Dingen, Gegenständen, Maschinen, Personen und insgesamt in und mit einer globalisierten Umwelt in Beziehung steht“ (143). Die Cyborg überwindet die Dichotomien von Geist und Körper, Organismus und Maschine, Natur und Kultur, Männern und Frauen, lässt die essentialistischen Einheiten von gender, race oder class hinter sich, um partielle, brüchige und strategische Hybride, Koalitionen und Affinitäten zu beschreiben. Die Cyborg erfindet eine Sprache der Kodierungen und Informationen; alles wird für sie zum Netzwerk, was es ihr ermöglicht, Verschmelzung und Durchlässigkeit von Grenzen zu denken. Schließlich würde bei Haraway „Handlungsfähigkeit nicht mehr alleine auf das erkennende Subjekt eingeschränkt werden können, und Körper sind keine passiv vorgestellte Natur“ (153) mehr. Es ist ein Denken in Verbindungen, das immer wieder neue Verbindungen und Zuschnitte von Denken und Sein hervorbringt, die von der Mitte aus beschrieben werden müssen. Haraway überschreitet damit die Subjektkonzepte und Subjektivierungsformen und erkundet die neue Sphäre des Posthumanen.

Als letzte Figur im Gedankentheater des Feminismus lässt Mertlitsch die Drag auftreten. Die „Drag als Begriffsperson und Sozialfigur“ (159) wird durch die Bewegung des Re-Inszenierens charakterisiert, durch die „Aktivität des Drag-Queening und Drag-Kinging […], das Kleiden und Darstellen jenes Geschlechts, das der gesellschaftlichen Zuweisung (als Frau oder Mann) entgegensteht“ (159). Am prominentesten ist sicherlich Judith Butlers Deutung der Drag in ihrem Buch Das Unbehagen der Geschlechter geworden. Darin entwickelt Butler das Konzept einer Performativität des Geschlechts, „indem sie zeigt, dass die Drag durch Wiederholen und Re-Inszenieren Weiblichkeit bzw. Männlichkeit darstellt, imitiert und somit aufdeckt, wie Geschlecht hergestellt wird und funktioniert“ (162). Wie Mertlitsch ausführt, wurde Butler häufig missverstanden. So suggeriere der Ansatz, dass Geschlecht frei wählbar wäre, was Butler dazu veranlasste, zwischen Performance und Performativität zu unterscheiden. Die Drag kann als theatralische Körper-Performance verstanden werden, die eine Geschlechtsidentität frei wählt, sie muss aber eben auch als Zitation von Geschlechternormen nachvollzogen werden.

Insofern die Drag eine Bewegung in das Denken Butlers einführt, scheint mir, dass sie keine Begriffsperson, d.h. keine UrheberIn eines Bildes des Denkens ist. Die Drag ist eher eine Fürsprecherin, die eine Bewegung aus einem anderen Feld ins Denken integriert und dort begriffliche Effekte zeitigt. Deleuze hat diese Figur des Fürsprechers in einem gleichnamigen Text beschrieben, und so beispielsweise Übergänge von der Physik ins Kino nachvollzogen. In Was ist Philosophie? werden die Begriffspersonen (an einer Stelle) zwar auch als Fürsprecher bezeichnet, was diese Differenz einzuebnen scheint, jedoch nichts daran ändert, dass es mindestens diese zwei unterschiedlichen Funktionen der Personifikation in der Philosophie gibt: einerseits die philosophische Begriffsperson, die durch die Herstellung von Denkbewegungen ein Bild des Denkens produziert, und andererseits die nicht-philosophischen Fürsprecher, die eine Bewegung aus einem anderen Bereich in die Philosophie übertragen und dort ein Problem neu stellen oder neue Begriffe hervorbringen lassen.

Während Mertlitsch die Begriffspersonen des Nomadic Subject, der New Mestiza, der Cyborg und der Drag allesamt als Reaktionen auf die Sister darstellt, bleiben die Verhältnisse der antiessentialistischen Begriffspersonen untereinander offen. Nur nebenbei erfährt man, inwiefern die neuen Begriffspersonen aufeinander bezogen werden können, so z.B. aufgrund der Weise, wie sie mit gängigen Vorstellungen von normativen Geschlechterbildern brechen. Die New Mestiza als Grenzgängerin zwischen Kulturen, Sprachen, Orten und Klassen, die aus der Opposition zur patriarchalen und westlichen Dominanzkultur entsteht, entwirft Anzaldúa als Chicana-Frau. Dagegen gehen die Cyborg und die Drag weiter über den heteronormativen Rahmen der symbolischen Ordnung hinaus. Die Cyborg sprenge das heteronormative Schema durch neue Mischverhältnisse in Mensch-Maschine-Gestalten. Die Drag ist eine subversive Parodie und Performance, welche heteronormative Zweigeschlechtlichkeit überhaupt infrage stellt. Der Grund für diese Auslassung ist im Geschichtsmodell der Kartierung der Subjektivierungsformen zu suchen, die eine Kontextualisierung und auch Relativierung von Wissen vornehmen. Mertlitsch geht sogar noch weiter, indem sie konstatiert, dass „angenommen werden muss, dass es überhaupt nichts Identitäres und Statisches gibt“ (179). Dagegen könnte man einwenden, dass es sehr wohl statische Machtmechanismen, festgefügte ökonomische Verhältnisse, Anrufungen identitärer Subjektivierungen, oder mit Deleuze gesprochen, einen Staatsapparat gibt, auf den die Werdensformen (der Begriffspersonen) immer bezogen bleiben. Das Werden eröffnet ein neues Feld innerhalb des Staatsapparates, was neue Beziehungen möglich macht, sich selbst von innen her strukturiert, was jedoch im Gegenzug vom Staatsapparat, sobald es auf andere Bereiche übergeht, durchstratifiziert und institutionalisiert wird. Von hier aus hätte Mertlitsch fragen können, welche Bereiche des Feminismus bereits institutionalisiert sind, welche noch Widerstandspotenzial haben und worauf sich dieses bezieht.

Des Weiteren wird das Werden durch Begriffspersonen bei Mertlitsch sehr aktivisch, ja aktivistisch gedacht. Dabei zeigt gerade Foucault, auf den sich die Queer Studies ebenso wie Deleuze stark beziehen, dass das aktive Handeln wie der freie Wille durch bestehende Machtverhältnisse produziert wird oder zumindest von diesen ununterscheidbar werden kann. Das Werden Deleuzes und Guattaris hingegen gelingt nur aus einer langen Periode des Unbeweglich-Seins, des Wartens und Lauerns, kurz der Passivität. Außerdem ist es immer zweiseitig, wenn es eine Annäherung zweier Elemente beschreibt und nicht das Sichneuerfinden eines Subjekts – so zeigen Deleuze und Guattari am Beispiel des Reitens, dass sich hier nicht nur der Mensch, sondern auch das Pferd verändert. Mertlitschs Studie hingegen scheint darauf zu hoffen, dass die Begriffspersonen dabei helfen, aus der Unbeweglichkeit heraus zu finden, indem sie uns Problemkonstellationen und Lösungsversuche vorführen, neue Begehrensformen aufzeigen und uns mit Affekten infizieren, die neue Gemeinschaftsformen vorzeichnen, wie etwa das Begehren nach einem weiblichen Kollektiv durch die Sister.

Resümierend kann man sagen, dass Mertlitsch über die feministisch-queeren Begriffspersonen ein origineller Einstieg in die Theorien, deren Probleme und Lösungen gelingt und sie so eine Geschichte des Feminismus von innen her erzählen kann, ohne die LeserIn darüber belehren zu müssen, was sie alles noch nicht wisse. Mit den Begriffspersonen, Sozialfiguren, ästhetischen Figuren, Partialbeobachtern und Fürsprechern springt man direkt ins Denken und kann auch die Übergänge von der Sister zum Nomadic Subject beschreiben, die Intervention der Cyborg aus der Kritik an der Sister bestimmen, die Nähen und Differenzen zwischen New Mestiza und Cyborg begreifen, oder etwa nachvollziehen, wie Butler ihren Begriff der Performativität verändert durch den Eingriff der Drag. Dies alles kann ebenso als Verdienst dieser Studie gelten wie den Boden für Diskussionen darüber bereitet zu haben, ob die New Mestiza aufgrund der hervorgebrachten Perzepte und Affekte nicht vor allem als ästhetische Figur bestimmt werden müsste oder ob die Sister Sozialfigur oder Begriffsperson ist. Vielleicht hätte die Untersuchung durch eine genauere Differenzierung der Personifikationen sowie einer Bestimmung des Zusammenhangs dieser Figuren auch systematisch über Deleuze und Guattaries Buch hinausweisen können. Vielleicht ist es aber auch charakteristisch für das feministische Denken, dass diese klaren Unterscheidungen (zwischen philosophischen und ästhetischen Figuren beispielsweise) hier nicht so zu treffen sind, da die Figuren immer auch repräsentational, immer auch begrifflich, immer auch affektiv sind und sich immer auch mit einem Perzept verbinden. In jedem Fall ist es ein Denken in Figuren, die ein permanentes Werden ausdrücken, die Probleme hervorbringen, wieder verschieben und nach Lösungen suchen, kein reines Verwalten der Autoritäten, keine Asepsis des Gedankens.

Literatur

Anzaldúa, Gloria. Borderlands. La Frontera. The New Mestiza, San Francisco: Aunt Lute Books, 2007.

Butler, Judith. Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991.

Deleuze, Gilles. „Die Fürsprecher.“ In: Unterhandlungen, 1972–1990, 175-196. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993.

Deleuze, Gilles, und Félix Guattari. Was ist Philosophie?, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000.

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