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Bossert, Leonie: Wildtierethik. Verpflichtungen gegenüber wildlebenden Tieren. Baden-Baden: Nomos 2015. 157 Seiten. [978-3-8487-1693-7]

Rezensiert von Frauke Albersmeier (Universität Düsseldorf)

Leonie Bosserts Wildtierethik behandelt die theoretischen Grundlagen der Forderung nach allgemeinen Tierrechten und ihre Implikationen für menschliche Verantwortung gegenüber wildlebenden Tieren. Das Hauptaugenmerkt liegt auf Clare Palmers Theorie spezieller, von der Art mensch-tierlicher Beziehungen abhängiger Tierrechte, die sie in der Monografie Animal Ethics in Context (2010) ausgearbeitet hat. Als Anwendungsfall betrachtet Bossert Interessenkonflikte im Kontext der Auswirkungen sogenannter „invasiver Arten“ auf ihre Umwelt.

Ich werde zunächst das inhaltliche Anliegen der Arbeit erörtern und dabei kritisch auf den eigentlichen argumentativen Beitrag zur Diskussion der Tierrechte eingehen, bevor ich auf einige Probleme hinsichtlich wissenschaftlicher Sorgfalt hinweise.

I.

Der Text ist in fünf Abschnitte unterteilt: Nach einer kurzen Einleitung stellt Bossert im zweiten Kapitel den Begriff des Sentientismus, Peter Singers Ansatz der gleichen Interessenberücksichtigung, Tom Regans Argumentation für Tierrechte und die Beiträge zur Tierethik von Schopenhauer, der Ethics of Care sowie Ursula Wolfs vor. Im dritten und umfangreichsten Kapitel behandelt sie einerseits Martha Nussbaums „capability approach“ sowie, am ausführlichsten, Clare Palmers Theorie kontext-spezifischer Tierrechte. Auch einige der alternativen Beiträge zur Ethik des Umgangs mit wildlebenden Tieren erwähnt Bossert anschließend.

Dem eigenen Anspruch nach ermöglicht Clare Palmer mit ihrer Theorie, zwei auseinanderklaffende Bereiche der normativen und angewandten Ethik zu verbinden: jene Positionen in der Tierethik, die auf die moralische Relevanz individueller Eigenschaften fokussieren, und solche umweltethischen Positionen, die den Wert des Erhalts von Wildnis betonen (Palmer 2010: 165). Dieser Überschneidungsbereich ist für Bossert interessant, da sie mit dem mutmaßlichen Problem „invasiver Spezies“ einen tierethischen Anwendungsfall aus dem Bereich des Naturschutzes herausgreift. Diesem Anwendungsproblem widmet sie sich im vierten Kapitel, in dem sie das implizite Einbringen menschlicher Interessen in die Problembeschreibung (132) und die Unverhältnismäßigkeit letaler Maßnahmen gegen Vertreter nichtheimischer Arten kritisiert (133). Bossert spricht sich für eine sentientistische Rechtfertigungsgrundlage für Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt aus, also für die Rückführung entsprechender Forderungen auf die Interessen empfindungsfähiger Individuen (132). Sie fordert, die relevanten miteinander in Konflikt stehenden Interessen (131–132) korrekt zu identifizieren, menschliche Verantwortlichkeit für den Konflikt zwischen heimischen und nichtheimischen Tieren zu klären (133), und befürwortet Einzelfalllösungen (141). Kapitel 5 enthält im Sinne eines Schlusswortes einige Bemerkungen zu einer „Sentientistische[n] Naturschutzethik“.

Um Bosserts theoretische Grundlage zu verstehen, ist es nötig, zunächst einen Blick auf ihren wesentlichen Bezugspunkt zu werfen: In Animal Ethics in Context argumentiert Clare Palmer für eine Unterscheidung der normativen Grundlagen und infolgedessen der Geltungsbereiche einerseits der Pflicht, Schädigungen zu unterlassen, und von Hilfspflichten andererseits (Palmer 2010: 68, 75). Ihr Ziel ist es dabei, eine „Laissez-faire“-Intuition zum Problem der Pflichten gegenüber wildlebenden Tieren zu plausibilisieren, wonach es zwar nicht verboten, jedoch prima facie auch nicht geboten ist, wildlebenden Tieren Hilfe angedeihen zu lassen, zumindest solange keine historischen Umstände eine Pflicht zur Hilfe generiert haben (Palmer 2010: 68). Während die Pflicht, Schädigungen zu unterlassen, nach Palmer direkt aus der Anerkennung tierlicher Leidensfähigkeit erwächst und prima facie gegenüber allen Tieren besteht (Palmer 2010: 68), folgen Hilfspflichten für sie nur aus früherer Interaktion (bzw. aus „Kontakt“) und insbesondere zurückliegenden Verletzungen der Pflicht, nicht zu schädigen; Hilfspflichten bestehen daher nicht gegenüber vollkommen wilden Tieren (Palmer 2010: 90), die sowohl einen von Menschen weitgehend unbeeinflussten Lebensraum bewohnen als auch einen Endpunkt auf einer Skala von „wilden“ bis „domestizierten“ Tieren einnehmen (Palmer 2010: 64). Umgekehrt bestehen für Palmer gegenüber domestizierten Tieren deshalb zusätzlich spezielle Pflichten zur Hilfe, weil sie von Menschen im Zuge ihrer gemeinsamen Geschichte in ihren Überlebensmöglichkeiten eingeschränkt und abhängig gemacht wurden (Palmer 2010: 159). Dazwischen erkennt sie ein Spektrum unterschiedlich weitreichender Kontakte zwischen Menschen und nicht-domestizierten Tieren an, der sich die Tierethik annehmen muss (Palmer 2010: 166).

Bossert übt berechtigte Kritik an Palmers Bestimmung der Kategorie der „Kontaktzone“, also jenes Bereichs möglicher Kontakte zwischen Menschen und weder domestizierten, noch völlig wilden Tieren. Palmers Andeutungen über die Extension dieser Kategorie kritisiert sie als inkonsistent, woraus sich auch Klärungsbedarf an der Intension des Begriffs ergibt (106–107). Dies ist für Palmers Ansatz in der Tat ein wichtiges Problem, insofern sie bestimmte moralische Pflichten als relational ausweisen möchte und es daher bedeutsam ist, welche Art von „Kontakt“ sie als beziehungsstiftend anerkennt.

Die wichtigste Kritik Bosserts an Palmers Theorie relationaler Tierrechte richtet sich jedoch gegen deren Einordnung von Hilfs- und Wiedergutmachungspflichten in das Klassifikationsmuster von negativen und positiven Pflichten. Hier setzt sich Bossert kritisch von ihrer wichtigsten Bezugsautorin ab, was auch in der Behandlung des von ihr gewählten Anwendungsfalls der „invasiven Arten“ immer wieder zur Sprache kommt.

Palmers Strategie bei der Rechtfertigung einer „Laissez-faire“-Intuition gegenüber wildlebenden Tieren (die so nicht bezüglich des Umgangs mit domestizierten Tieren auftritt) besteht darin, die negative Pflicht zur Nicht-Schädigung an die Leidensfähigkeit des Trägers eines korrespondierenden Rechts zu knüpfen, positive Pflichten jedoch als relational auszuweisen (vgl. Palmer 2010: 75). Für Palmer kann eine positive Pflicht, verstanden als eine solche, die eine Handlung vorschreibt, nur in vorheriger Interaktion und kausaler (Mit-)Verantwortung für die gegenwärtige Lage desjenigen begründet sein, zu dessen Vorteil diese Pflicht bestehen soll.

Bossert moniert nun, dass Palmer Pflichten zur Wiedergutmachung als positive Pflichten klassifiziert (112). Zunächst stellt sie fest, dass „negative Pflichten […] häufig als Unterlassungspflichten bezeichnet [werden], positive Pflichten als Hilfspflichten“, um anschließend diese Unterscheidung deshalb als unzureichend zu kritisieren, weil sich „begrifflich jedes ‚du sollst nicht‘ auch durch ein ‚du sollst‘ ausdrücken“ ließe (18). Dabei beruft sie sich, etwas irreführend, auf einen Aufsatz von Marcus Singer (1965), in dem dieser zwar die Erhaltung des normativen Gehalts vieler moralischer Regeln bei Umformung in negative bzw. positive Versionen aufzuzeigen versucht, jedoch ausdrücklich betont, nicht jede negative Regel müsse eine positive Entsprechungen haben, und umgekehrt (Singer, 1965: 103). Er will also die „difference between a duty to do something, and a duty not to do it“ (Singer 1965: 98) nicht aufheben. Seine Charakterisierung entspricht vielmehr der üblichen Unterscheidung in „positive (Handlungs-) [und] negative (Unterlassungs‑)Pflichten“ (Birnbacher 2013: 131), mit der auch Palmers Begriffsverwendung im Einklang steht.

Bossert hingegen will negative und positive Pflichten lediglich hinsichtlich ihres Konkretisierungsbedarfs unterschieden wissen. Anders als negative Pflichten seien positive unbestimmt, d.h. es sei nicht unmittelbar klar, durch welches Verhalten genau sie erfüllt werden müssen (18). Im zweiten Schritt ihrer Kritik stellt Bossert dann fest, dass Wiedergutmachungspflichten nicht zu den positiven, sondern den negativen Pflichten gehören würden (112). Die Grundlage dafür ist Bosserts Gleichsetzung von „positiven Pflichten“ mit „Hilfspflichten“: Anstatt letztere unter positive Pflichten zu subsumieren, werden beide Begriffe synonym gebraucht. Offenbar motiviert durch (nachvollziehbare) Vorbehalte dagegen, Wiedergutmachung als genuine Hilfeleistung einzuordnen (112), macht Bossert geltend, die Unbestimmtheit von Hilfspflichten unterscheide diese von Wiedergutmachungspflichten, bei denen klar sei, dass ein in der Vergangenheit zugefügter Schaden kompensiert werden müsse (112). Den Einwand, „dass die Art und Weise, wie man den Schaden kompensieren soll, Spielraum lässt“, akzeptiert sie nicht (112, Fußnote 83, Hervorhebung im Original). Damit bleibt jedoch die Unterscheidung zu Hilfspflichten unklar, über die es weiter vorne heißt: „Aus dem Wissen um eine bestehende Hilfspflicht gegenüber einem Individuum folgt nicht das Wissen, wie diese Hilfe konkret aussehen soll“ (18).

Auch die Folgen der alternativen Kategorisierung von Wiedergutmachungs- als negative Pflichten für das vorliegende Projekt erscheinen problematisch. Da Palmers Theorie Ausgangspunkt bleibt und darin positive Pflichten an Beziehungen zwischen Individuen, negative aber an die individuelle Eigenschaft Empfindungsfähigkeit geknüpft sind, folgert Bossert, „dass Wiedergutmachungspflichten, wie die Pflicht zur Nicht-Schädigung, allen (empfindungsfähigen) nicht-menschlichen Tieren gegenüber bestehen“ (113). Diese Konsequenz ist begrifflich vollkommen inakzeptabel, kann doch von einer Pflicht zur Kompensation nur aufgrund einer vorangegangenen Schädigung, nicht aber unabhängig davon gegenüber allen prinzipiell moralisch zu berücksichtigenden Wesen gesprochen werden. Das sieht auch Bossert, wenn sie anschließend eingrenzt, es müsse definiert werden, „ab wann vergangene Schädigungen Kompensationsansprüche gerechtfertigt machen“ (113). Mit dieser Kurskorrektur wird der bisherige Argumentationsgang durchkreuzt, denn eine vorangegangene Schädigung stellt, auch in Palmers Konzeption, ein Paradebeispiel für die Konstitution einer moralisch relevanten Beziehung dar (Palmer 2010: Kapitel 6), womit daraus resultierende Pflichten eben doch relational sind.

Es wird nicht klar, wozu Bossert ihre eigentümliche Abweichung von Palmer und der etablierten Kategorisierung benötigt. Bei ihrem Problemfall „invasive Arten“ kommt sie erneut auf ihre Unterscheidung von Pflichttypen zurück. Im Fall der Ausbreitung einer nichtheimischen Art in einem Ökosystem möchte Bossert sagen können, dass gegenüber allen Betroffenen negative Pflichten bestehen: eine Nicht-Schädigungspflicht gegenüber den sogenannten Invasoren und eine Wiedergutmachungspflicht gegenüber Angehörigen von benachteiligten heimischen Arten, falls Menschen für die Einführung der neun Art verantwortlich sind (134). Für Bossert steht also der menschliche Anteil an der „Invasion“ im Fokus der normativen Bewertung. Den anthropogenen Faktor zu berücksichtigen wäre aber gerade auch aus Palmers Sicht wesentlich für die korrekte Beurteilung der Situation – Hilfspflichten bestehen für sie im Falle eines vorherigen menschlichen Eingreifens. Bosserts Umdeklarierung von Wiedergutmachungspflichten scheint vor allem in der Absicht begründet zu liegen, diese gegenüber negativen Pflichten aufzuwerten. Dazu hätte es aber gereicht, eine grundsätzliche Vorrangstellung von negativen Pflichten gegenüber Hilfspflichten anzuzweifeln, anstatt sie deshalb vorauszusetzen, weil erstere „generell“, letztere aber „speziell“ seien (133), was lediglich bedeutet, dass der Objektbereich negativer Pflichten größer ist. Stattdessen fasst Bossert so implizit positive Pflichten als prinzipiell supererogatorisch auf (133), was zur Hierarchie von negativen und positiven Pflichten per se führt. Bosserts eigener theoretischer Beitrag scheint vor diesem Hintergrund inkonsistent zu sein und keine folgenreiche Loslösung von Palmers Theorie darzustellen.

II.

Im Folgenden möchte ich auf einige formale Schwierigkeiten der Arbeit eingehen. Denn ein weite Strecken des Buches durchziehendes Problem ist die mangelnde Unterscheidbarkeit von Übersetzung, Paraphrase und eigener Argumentation. In etlichen Absätzen fehlen Literaturverweise gänzlich, manchmal werden auch in längeren paraphrasierten Abschnitten erst nach wörtlichen Übernahmen Textverweise gesetzt. Problematisch ist diese mangelnde Kenntlichmachung besonders dort, wo nicht nur die argumentative Struktur der Leitautor_innen rekonstruiert, sondern auch deren Selbsteinordnung in den weiteren Diskussionsrahmen übernommen wird. So stellt Bossert etwa Bezüge zwischen den diskutierten Tierethiker_innen einerseits und andererseits Autoren her, deren Texte sich dann aber gar nicht im Literaturverzeichnis finden (Regan – Kant [28]; Nussbaum – Aristoteles, Kant, Rawls [51]; Palmer – Hare [110]). Dabei werden die Positionen der aus zweiter Hand zitierten Autoren oftmals nur noch stark verkürzt angesprochen und in ihrer Relevanz für das jeweilige Problem nicht immer deutlich.

Die Übersetzung ist oftmals wort-, damit aber nicht immer sinngetreu, teilweise wirken aber auch stilistische Variationen irreführend, wenn es etwa heißt, Palmer wende sich gegen Positionen, nach denen „man nicht nur für das verantwortlich ist, was man tut, sondern auch für das, was man nicht verhindern kann.“ (76; Palmer 2010: „what one fails to prevent”, 75; meine Hervorhebungen). Gelegentlich sind Übersetzungen auch nur unnötig technisch („Berücksichtigungswürdigung“ für „consideration“ (19); „Dependenz“ und „Vulnerabilität“ statt „Abhängigkeit“ und „Verletzlichkeit“ [z.B. 90]). Martha Nussbaums Ansatz wird immer wieder als „ihre Ausdehnung“ (52), „Ausweitung“ (53) oder „Erweiterung“ (52) angesprochen – eine Kennzeichnung, die für Nussbaum selbst als Abgrenzung ihrer Arbeiten von denen Amartya Sens sinnvoll sein mag, aber in einer Rekonstruktion (ausschließlich) ihrer Position doch eher irritiert und ablenkt.

Mehrfach entsteht beim Leser der Eindruck, die Darstellung der ausgewählten Texte münde in eine eigenständige Bewertung, während tatsächlich weiter übersetzt bzw. paraphrasiert wird. So lobt Bossert etwa Palmers Ansatz dafür, dass er es vermeide,

abstrakte Prinzipien auf komplexe Situationen anzuwenden, ohne dabei ausreichend Sensitivität für Kontexte aufzubringen, wie es Singer und Regan vorgeworfen wird (111).

Bei Palmer heißt es:

leading approaches to animal ethics (such as those of Singer and Regan) have been called oversimplifying […], applying abstract principles to complex situations without adequate sensitivity to context.

On the relational approach that I am proposing, however, there is a place for complexity (Palmer 2010: 139, 140).

Bossert weist nicht deutlich genug aus, dass sie hier relativ textnah übersetzt und von wem der angesprochene Vorwurf der Übervereinfachung gegen Singer und Regan vorgebracht wird (Palmer selbst verortet ihn, pars pro toto, in einem Aufsatz von Deborah Slicer), zumal Bossert ihn selbst bereits wesentlich früher im Text und ebenfalls ohne Verweise auf Palmer, Slicer oder andere Autoren erhoben hat (24). Daneben ist auch unklar, dass die Bewertung von Palmers Beitrag nicht über deren Selbsteinschätzung hinausgeht.

Im folgenden Absatz schreibt Bossert über das Verhältnis von Palmers Position zur Umweltethik:

Der relationale Ansatz ist mit holistischen Umweltethik-Theorien besser vereinbar als utilitaristische Positionen der Tierethik oder Tierrechts-Ansätze, und Palmer legt dar, weshalb er ihrer Ansicht nach, trotz Differenzen, nicht als inkompatibel mit ihnen angesehen werden sollte. (111)

Trotz des eingeschobenen Hinweises auf Palmer gibt es keine konkreten Textverweise und die Textstelle, an der Palmer eine zumindest ähnliche Einordnung ihrer eigenen Position vornimmt, wird auch zuvor und im Folgenden nicht zitiert:

The relational view of animal assistance, for which I have argued here, is more compatible with many positions in environmental ethics than those emerging from utilitarian and capabilities approaches. […] I have defended a laissez-faire approach to the wild […]. And this does seem to accommodate a good deal of what “holistic” environmental ethicists […] want (Palmer 2010: 162, Hervorhebung im Original).

Dass im Fall des Palmer-Kapitels ein Abschnitt „Kritik und Weiterführung“ den Abschluss bildet, genügt keinesfalls, um dem Leser deutlich zu machen, dass zuvor eingeflochtene Bewertungen den besprochenen Texten selbst entnommen sind.

Unübersichtlich ist die Grenze zwischen Übernahme und eigenem Text auch bei der Wiedergabe des Forschungsstands. So scheint sich etwa die Rekonstruktion von vertragstheoretischen Ansätzen zur Frage nach speziellen Rechten domestizierter Tiere (78, 79) stark an Palmer zu orientieren, aber einen Textverweis setzt Bossert erst am Beginn des Absatzes, in dem sie Palmers eigene (negative) Bewertung solcher Ansätze explizit anspricht (78). Dafür werden dann aber weiterführende Literaturhinweise zur Diskussion spezieller vertragstheoretisch begründeter Pflichten gegenüber domestizierten Tieren gegeben (79), die wiederum eine Auswahl der von Palmer herangezogenen Literatur darstellen und auch in ähnlichen Worten zusammengefasst werden.

Bossert schätzt Palmers Ansatz als die „umfangreichste“ (12), „umfassendste“ (49, 73) „und überzeugendste Auseinandersetzung mit der Frage des moralisch richtigen Umgangs mit wildlebenden Tieren“ (73) und sogar als den „überzeugendsten Tierethik-Ansatz“ (112) ein. Die Bewertung als „umfangreichsten“ Beitrag zum Thema erscheint spätestens seit der Veröffentlichung der Monografie Zoopolis von Sue Donaldson und Will Kymlicka (2011) falsch. Dass dieser Beitrag nur kurz und mit dem eigentümlichen Hinweis, er enthielte „etliche strittige Fragen“ (125) abgehandelt wird, ist umso erstaunlicher, insofern Donaldson und Kymlicka in ihrem Vorschlag für die Begründung von positiven Pflichten gegenüber Tieren explizit über Palmers auf Kausalfaktoren fokussierte Rechtfertigungsgrundlage hinauszugehen beanspruchen (Donaldson/Kymlicka 2011: 12). Diese Strategie hätte eventuell zu Bosserts Absicht gepasst, bestimmte positive Pflichten gegenüber wildlebenden Tieren aufzuwerten. So ist auch die qualitative Beurteilung von Palmers Beitrag nicht überzeugend, denn insgesamt fehlt es hierfür an einer nachvollziehbaren Argumentation, die einerseits ihre Bewertungsgrundlage offenlegt sowie deutlich kennzeichnet, wo Bewertungen anderer übernommen werden, und die andererseits alternativen Auffassungen entsprechenden Raum gibt. Unliebsame Positionen werden jedoch kaum adäquat rekonstruiert und teils mit wenigen Bemerkungen verworfen.

Auch Cowen (2003) spricht sich für eine Differenzierung aus, allerdings für die zwischen karnivoren und nicht-karnivoren Individuen. „Most generally, […] we should weight carnivores and non-carnivores differently.“ (Cowen 2003, 182) Da solch eine Auffassung schwer zu verteidigen sein dürfte, er keine adäquate Begründung für diese Aussage liefert und seine Schlussfolgerungen vollkommen verfehlt scheinen, [Fußnote] wird hierauf nicht weiter eingegangen. (121)

Die angegebene Fußnote nennt einige Forderungen des kritisierten Autors für einen weniger weitreichenden Schutz karnivorer Tiere, erklärt aber nicht näher, inwiefern diese Forderungen kommentarunwürdig sind oder worin die inadäquate Begründung besteht.

Die vorliegende Arbeit besteht zu einem Großteil aus der Rekonstruktion tierethischer Arbeiten. Problematisch daran ist in erster Linie, dass der Text über weite Strecken nah an den Vorlagen bleibt, ohne diese Nähe nachvollziehbar zu machen. Die kritische Abweichung von der primären Bezugsautorin bedürfte zudem weiterer Erläuterung oder begrifflicher Korrekturen, um überzeugend zu sein und um ihre entscheidende Konsequenz für den gewählten Anwendungsfall sichtbar werden zu lassen. Dem Selbstanspruch, zur „Brückenbildung zwischen […] Tierrechts-[…]bewegung und dem Naturschutz“ beizutragen (127), kann die Arbeit aber bereits aufgrund der mangelnden Sorgfalt im Umgang mit den Quellen nicht gerecht werden.

Literatur

Birnbacher, Dieter. Analytische Einführung in die Ethik. 3. durchgesehene Auflage. Berlin: De Gruyter, 2013.

Donaldson, Sue, und Will Kymlicka. Zoopolis. A political theory of animal rights. Oxford: Oxford University Press, 2011.

Palmer, Clare. Animal Ethics in Context. New York: Columbia University Press, 2010.

Regan, Tom. The Case for Animal Rights. 2. Auflage. Berkeley/Los Angeles: University of California Press, 2004.

Singer, Marcus G. „Negative and Positive Duties.“ In: The Philosophical Quarterly 15.59 (1965), 97–103.

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