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Menke, Christoph: Kritik der Rechte. Berlin: Suhrkamp 2015. 486 Seiten. [978-3-518-58625-9]

Rezensiert von Eva Deitert und Tobias Wieland (FU Berlin)

Motiviert wird Christoph Menkes Kritik der Rechte vom Marxschen Diktum, dass die bürgerliche Erklärung gleicher Rechte ein Rätsel darstelle (Marx 1977, 347). So sei jene Erklärung nämlich einerseits ein revolutionärer, politischer Akt, der andererseits jedoch eine Entpolitisierung zur Folge habe. Mit ihm wird die bürgerliche Gesellschaft als Raum privater Willkür und Interessenbefriedigung emanzipiert und der Politik als „Naturbasis“ (8) vorausgesetzt, die politisch nur noch zu verwalten, nicht aber zu gestalten sei. Dies nennt Menke die „Naturalisierung des Sozialen“ (10), die er als den kennzeichnenden Mechanismus des bürgerlichen Rechts ausmacht, den es zu verstehen gelte, um das Rätsel der bürgerlichen Revolution zu lösen. Dafür bedarf es in seinen Augen einer Formanalyse der bürgerlichen Rechte, die er in Kritik der Rechte unternimmt. Sie konfrontiert die bürgerlichen Rechte mit „ihrer Genesis, ihrem Grund“ (11). Diese Genealogie ist für Menke der einzige Weg einer „wahren Kritik“ dieses Rechts, die schließlich zu dessen Überwindung und hin zu einem „neuen Recht“ führen soll (11–12).

Menke verfolgt drei Ziele. Er möchte erstens Form und Funktionsweise des modernen Rechts aufzeigen, zweitens eine spezifische Art der Kritik von Recht etablieren und aus der Formanalyse drittens Hinweise darauf destillieren, wie eine „wahre Gestalt“ (170) des modernen Rechts aussehen könnte. Er gebraucht dabei sowohl historische als auch begriffliche Einsichten: So zeigt er zum einen auf, wie sich das bürgerliche Recht als eine Gestalt des modernen Rechts aus den traditionellen Rechtsgestalten des athenischen und römischen Rechts entwickelt (Teil I) und welche gesellschaftlichen Formationen damit einhergehen (Teil III). Zum anderen stehen auf begrifflicher Ebene das rechtskonstitutive Verhältnis von Form und Materie (Teil II) sowie die Form juridischen Urteilens im Mittelpunkt (Teil IV).

Im ersten Teil, Geschichte: Die Legalisierung des Natürlichen, zeichnet Menke die Entwicklung vom traditionellen Recht der Gerechtigkeit zum modernen Recht der Legalität nach. Negativ wird diese als „Entsittlichung des Rechts“, positiv als „Rekonfiguration des Grundverhältnisses von Rechtlichem und Vor- oder Außerrechtlichem, von Norm und Natur“ (18) erzählt. Zugrunde liegt hier die methodische Grundannahme, dass das moderne Recht in der Form subjektiver Rechte nur durch seine Geschichtlichkeit zu verstehen ist.

Der Bruch des modernen mit dem traditionellen Recht basiert auf der Unterscheidung zwischen dem Recht als einer gerechten Ordnung allgemeiner Gesetzen und einem Recht als subjektivem Anspruch einer Person. Sie wird erst in der Neuzeit explizit gemacht und begründet eine „Verkehrung des Primats“ (22), so Menke. Subjektive Rechte werden nicht mehr aus der gerechten Ordnung abgeleitet, sondern dem Recht zwar nicht normativ als rechtfertigende Gründe, aber doch funktional vorgeordnet: Es wird zur Funktion des allgemeinen Gesetzes, subjektive Ansprüche zu sichern. Das Primat der Rechte bedeutet für Menke damit keine inhaltliche Neubestimmung von Gesetzen, wohl aber „eine radikal neue Bestimmung der Form rechtlicher Normativität.“ (39) Mit ihr wiederum werde das Verhältnis von Norm und Natur revolutioniert: „Die Normativität des neuzeitlichen Rechts der Rechte hat die Struktur der Legalisierung des Natürlichen.“ (33)

Mit Luhmann erklärt Menke diese Legalisierung als neue Regierungsweise des Rechts, die sich in die Aspekte der Verteilung von subjektiven Ansprüchen und der Sicherung rechtlicher Herrschaft spaltet. Deren Herausbildung erzählt er anhand von zwei stark stilisierten Geschichten der privatrechtlichen Entwicklung von Athen über Rom nach London.

Die erste nimmt ihren Ausgang von der Feststellung, dass mit der neuzeitlichen Unterscheidung von Recht und Rechten eine neue Art von subjektivem Anspruch einhergeht. Im traditionellen Recht erwächst der subjektive Anspruch aus der von der allgemeinen Ordnung vorgegebenen sozialen Position der Einzelnen. Das moderne Recht, das Menke vor allem in den Begriffen des Naturrechts erläutert, regelt hingegen Ansprüche auf Natürliches, auf Außerrechtliches. Der Inhalt dieser Ansprüche ist kein rechtlich bestimmter, sondern ein vorrechtlicher: das natürliche Streben sich selbst zu erhalten. Ebenso wenig ist die Verteilung der Rechte auf Sicherung dieser Ansprüche an den sozialen Status gebunden, sondern basiert auf dem natürlichen, vorsozialen Menschsein. Zweck und Grund modernen Rechts ist, so Menke, die Ermöglichung des natürlichen Strebens nach Selbsterhaltung.

Die zweite Geschichte nimmt die Entwicklung der Herrschaftsweise des Rechts in den Blick. Das athenisch-paideische Recht herrscht durch Erziehung zur Tugend, das römische Recht durch Befehl des Vernünftigen und das moderne Recht schließlich durch Erlaubnis des Natürlichen. Die Herrschaft durch Erlaubnis bildet das negative Pendant zur Ermöglichung des natürlichen Strebens. Als gewährter und zu sichernder Anspruch von Rechtssubjekten machen natürliche Strebungen Inhalt und Zweck des Rechts aus. Insofern das Recht sie aber als natürliche ermöglicht, muss es diese Strebungen auch als natürliche erlauben und das bedeutet: als Strebungen, auf die es als Recht keinen Einfluss üben kann. „Erlaubnis des Natürlichen heißt: Selbstbegrenzung des Rechts gegenüber dem Inneren und damit auf das Äußere.“ (77) Die Erlaubnis natürlichen Strebens als Willkür bestimmt die Form der Herrschaft modernen Rechts.

Gemeinsam machen Ermöglichung und Erlaubnis des Natürlichen die Performanz des modernen Rechts aus und bilden die Struktur der Legalität, der neuzeitlichen Form von Normativität.

Im zweiten Teil, Ontologie: Der Materialismus der Form, greift Menke das Verhältnis von Ermöglichung und Erlaubnis als Grundbestimmungen der Legalität auf, um daran den spezifischen Bezug des modernen Rechts auf sein Anderes, das Nichtrecht, zu erläutern. Dieser Bezug kennzeichnet das moderne Recht als wesentlich selbstreflexives und materialistisches Recht und bestimmt dessen Form und Ontologie (vgl. 103).

Legalität sei zum einen als „Prozess der Legalisierung“ zu verstehen, durch den die Verwirklichung von bereits vorrechtlich existierenden, in diesem Sinne für das Recht natürlichen Strebungen berechtigt und ermöglicht wird. Legalisierung heißt also nicht Schaffung von Normativität aus dem Nichts, sondern Transformation vorrechtlicher Faktizität in Normativität. Zum anderen ist das legale Recht eines, das sich selbst begrenzt und zwar genau an jenen natürlichen Strebungen, die es berechtigt. Diese sind seine Voraussetzungen, auf die es aber als faktisch gegebene keinen Einfluss hat und die es deshalb freigeben und erlauben muss (vgl. 103–105). Zusammen machen Selbstbegründung und Selbstbegrenzung des modernen Rechts dessen spezifischen Bezug auf Natur als Nichtrecht aus und damit seine Form als selbstreflexives Recht.

Die Selbstreflexion des Rechts versteht Menke nicht als den rationalen Akt eines selbstbewussten Wesens. Er erläutert sie vielmehr systemtheoretisch als die Weise oder Form, in der sich das Recht als Gesellschaft organisierendes System selbst hervorbringt. Dies geschieht durch zwei verschiedene vom Recht getroffene Unterscheidungen, die wiederum durch den Bezug des Rechts auf sich selbst miteinander verbunden werden. So trifft das Recht einerseits innerrechtlich die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht und andererseits nach außen die Unterscheidung von Recht und Nichtrecht als dem Bereich, in dem jene erste Unterscheidung keine Gültigkeit hat (vgl. 112–114).

Entscheidend für Menkes Verständnis des modernen Rechts als selbstreflexives Recht ist dessen Verhältnis zum Nichtrecht, durch den es sich vom traditionellen Recht unterscheidet. Im paideischen Recht Athens wird das Nichtrecht als Nochnichtrecht verstanden, als ein die Möglichkeit des Rechts enthaltender Zustand, in dem das Recht allerdings noch durchgesetzt werden muss. Im römischen Recht ist das Nichtrecht umgekehrt ein Nichtmehrrecht, dem ein ehemals vernünftiger Zustand vorausging, in den jedoch korrumpierend die Natur Einzug gehalten hat. Das Nichtrecht ist also einmal Vergangenheit (Rom) und einmal Zukunft (Athen) eines an sich vollkommen rechtlichen Zustands. Anders im modernen Recht: hier ist das Nichtrecht Gegenwart des Rechts, eine durchgehend anwesende Möglichkeit der Störung des Rechts durch Natur. Das moderne Recht weiß um sein Anderes als sein permanentes Außen, das ihm zugleich Grund und Grenze ist. So sind es genau jene natürlichen Strebungen, die das moderne Recht ermöglicht und erlaubt, die das Nichtrecht bilden. Sie sind das Material des Rechts, das von diesem einerseits in die rechtliche Form gebracht wird, insofern das Recht sie berechtigt und seine Unterscheidung von Recht und Unrecht auf es anwendet. Andererseits können sie, insofern das Recht sie als natürliche erlaubt, nie ganz und gar verrechtlicht werden und bleiben damit das nichtrechtliche Andere des Rechts.

Dieses selbstreflexive Verhältnis zum Nichtrecht bestimmt Menke weiter als Materialisierung des Rechts. Auch diese hat wieder zwei Seiten. So meint Materialisierung einerseits die stete Prozessualisierung: die Selbsthervorbringung des legalen Rechts. Umgekehrt möchte Menke jede Prozessualisierung als Materialisierung verstehen und somit zum Ausdruck bringen, dass die Materie des Rechts kein gegebener Stoff ist, sondern als Kraft in den Prozess der Selbsthervorbringung hineinwirkt und diesen antreibt.

Die als Materialisierung bestimmte Selbstreflexion ist für Menke das Wesen oder, hegelianisch gesprochen, der Begriff des modernen Rechts, den es zu verwirklichen gilt. Das bürgerliche Recht als einzig bislang wirkliche Gestalt modernen Rechts vermag dies jedoch nicht in angemessener Weise, was es für Menke zu einem falschen Recht macht. Zwar ist das bürgerliche Recht einerseits selbstreflexives Recht, insofern es natürliche Strebungen ermöglicht und erlaubt. Doch andererseits verleugnet und blockiert es die Selbstreflexion, da es jene Strebungen als gegebenen subjektiven Eigenwillen voraussetzt und so das Nichtrecht positiviert. Der Fehler des bürgerlichen Rechts liegt darin, die Materialisierung des Rechts empiristisch zu wenden und „das in dem selbstreflexiven Formprozeß wirksame Materielle als positiv Gegebenes aufzufassen“ (167). Dies ist für Menke ein ontologischer Fehler, der eine falsche, den Begriff des selbstreflexiven Rechts verfehlende Gestalt modernen Rechts hervorbringt. Damit einher geht jene mit Marx’ Rätsel zum Ausdruck gebrachte Entpolitisierung. Denn das bürgerliche Recht nimmt sich mit seinem Empirismus die Möglichkeit, gestaltend in das Nichtrecht hineinzuwirken. Das wahre, den Begriff der Selbstreflexion tatsächlich verwirklichende Recht muss, so Menke, einen dialektischen Materialismus zu Grunde legen, der das Materielle als ein mit der Form zu vermittelndes Moment im Prozess der rechtlichen Selbsthervorbringung versteht.

Vor dem Hintergrund eines solchermaßen umrissenen Materialismus zeichnet Menke im dritten Teil, Kritik: Die Ermächtigung des Eigenen, die Doppelbewegung der modernen Selbstkritik des Rechts nach. Als faktische Folge des Positivismus kommt es nach Menkes Deutung zur Selbstkritik des bürgerlichen Rechts. Das bürgerliche Recht erkennt nämlich seine herrschaftskonstituierende Wirkung. Das Interessante an dieser Deutung ist, dass diese Kritik selbst als Teil des bürgerlichen Rechts verstanden wird. Menke stellt der bürgerlichen Revolution der Reklamation gleicher Rechte die sozialistische Revolution der materiellen Gleichheit aller systematisch zu Seite. Der Einsatzpunkt sozialistischer Kritik am bürgerlichen Recht ist, dass durch das Privatrecht Arbeitskraft zur Ware unter anderen degradiert wird. Somit bringt das subjektive Privatrecht entgegen seines eigenen Versprechens auf die Gleichheit aller soziale Herrschaft hervor, weil es Ausbeutung und Zwang realisiert. Das ist die kritische, sozialistische Perspektive auf das Privatrecht. In dieser Perspektive werden damit sogenannte Sozialrechte begründet, die die materielle Gleichheit im Sinne der gleichen Teilhabe am sozialen Vermögen sicherstellen sollen.

Aus der Sicht der bürgerlichen, anti-sozialistischen Kritik an Sozialrecht wiederum wird dessen „Normalisierung“ als soziale Herrschaft kritisiert. Man denke etwa an Reagan oder Thatcher in den 1980er Jahren. Das Sozialrecht sei paternalistisch oder gar „der größte denkbare Despotismus“ (Kant), weil es die individuelle Freiheit beschneide. Menke bilanziert, dass beide Rechtsbegründungen (die liberale pro Privatrecht, die sozialistische pro Sozialrecht) „einander die Folgen ihrer sozialen Verwirklichung vorrechnen“ (303) und dies mit der politischen Absicht tun, ihr jeweiliges Regime durchzusetzen. Menke macht aber deutlich, dass beide Rechtsbegründungen Teil der Politik der bürgerlichen Gesellschaft sind. Er legt sich also auf die These fest, dass der Kampf für mehr Sozialrechte Teil der bürgerlichen Gesellschaft ist. Der „Kampf ums Recht in der bürgerlichen Gesellschaft“ ist nicht der Kampf zweier Rechtsformen, sondern der inhärente Kampf der bürgerlichen Rechtsform als der Rechtsform durch subjektive Rechte. Dieses „Tableau“ der gegenseitigen Kritik der bürgerlichen Rechtsgestalten entwickelt Menke stark anhand der hegelianisch-marxistisch inspirierten Methode immanenter Kritik, da er den inhärenten Widerspruch des bürgerlichen Rechts aufzeigt. Allerdings kritisiert Menke Marx dafür, nicht die Form subjektiver Rechte selbst zu attackieren, sondern nur deren liberale Ausdeutung als Privatrecht.

Im vierten Teil, Revolution: Die Dialektik des Urteilens, geht Menke systematisch weiter und unternimmt unter dem Titel der „Revolution der Gegenrechte“ die Kritik der Form des subjektiven Rechts, geht also über Marx hinaus. Dafür verlässt er das Terrain immanenter Kritik und greift auf Nietzsches genealogische Kritik an den Subjektivierungsformen zurück (vgl. 346). Menke interpretiert dessen Deutung des Sklavenaufstandes auf innovative Weise, nämlich als Genealogie des Subjekts, wie es in der Bestimmung sozialer Praxis teilhat. Dafür zeichnet Menke in einem ersten Schritt ein Bild von der geschichtlichen Lebendigkeit sozialer Praxis und greift dafür auf hegelsche Motive zurück. Soziale Praxis sei nur als Selbstbestimmung lebendig. „Daher nimmt jeder, der an einer Praxis teilnimmt […], zugleich an dem Prozess teil, in dem sie sich fortbestimmt.“ (341) Diesem Bild guter, weil lebendiger Praxis stimmt Menke zwar prinzipiell zu, nutzt aber im nächsten Schritt die Genealogie Nietzsches als Mittel zu Kritik der hegelianisch-marxistischen Deutung dieser Selbstbestimmung. Die marxistische Radikalisierung der hegelianischen Grundüberlegung begründe mit der Identität von Teilhabe und Mitbestimmung lebendiger Praxis die Forderung nach einer „Gleichheit ohne Rechte“. Menke rekonstruiert diese Begründung so, dass die kommunistische Revolution das Subjekt der Praxis in dem Sinne als der „Herrenmoral“ zugehörig versteht, als dass es Mitbestimmung, also Herrschaft will. Die kommunistische Annahme ist, dass alle die Praxis, an der sie teilnehmen, auch mitbestimmen wollen. Eine Praxis ist in marxistischer Perspektive „wahrhaft demokratisch“, wenn die mögliche Gleichheit aller – alle wollen mitbestimmen – auch mit tatsächlicher politischer Gleichheit – alle bestimmen mit – korrespondiert. Ein solchermaßen realisierter Kommunismus brauche keine rechtliche Sicherung der Privatsphäre und der Teilhabe am sozialen Vermögen mehr. Die Entfremdung vom citoyen und bourgoise wäre, anders gesagt, aufgehoben.

Menkes affirmative Deutung des Sklavenaufstandes wendet sich nun gegen die anthropologische Annahme der kommunistischen Revolution, indem er argumentiert, dass die These von der Identität von Teilnahme und Mitbestimmung die konstitutive Endlichkeit des Menschen missversteht. Der Kommunismus zeichne ein aktivistisch und rationalistisch verkürztes Bild vom Subjekt sozialer Praxis, wenn er Teilhabe und Mitbestimmung gleichsetzt. Dagegen reklamieren die bürgerliche und die zukünftige Rechtsgestalt des Gegenrechts das Recht auf Passivität. Wir sollen auch Nichtmitregieren dürfen, und trotzdem Berücksichtigung erwarten können. Im Kommunismus, wie Menke ihn fasst, gibt es dafür keinen Raum, nur das bürgerliche und das neue Recht gestatten das Recht auf Passivität. Das Verhältnis von bürgerlichem Recht und neuem Recht ist damit das einer Verwandtschaft mit etwas unklaren Familienbeziehungen. Beide reklamieren das Recht auf Passivität gegen den Kommunismus, unterscheiden sich aber darin, wie sie diese Reklamation begründen. Das bürgerliche Recht affirmiert unsere Negativität, vergibt aber die Pointe der Genealogie der Moral, weil es diese Schwäche zum natürlichen Eigenwillen verdinglicht. Menkes neues Recht affirmiert ebenfalls unsere Schwäche, aber in dialektischer Manier. Es begreift den Eigenwillen nicht als natürlich, sondern als Moment einer Vermittlung.

Um diese Vermittlung zu beschreiben, geht Menke dazu über, die Theorie des Urteils des neuen Rechts zu entwerfen. Hier wird der Adorno’sche Hintergrund des Projektes besonders deutlich. Die kommunistische Revolution einer wahren Demokratie fordert – urteilstheoretisch gesprochen – ein praktisches Urteilsvermögen ohne Rezeptivität. Ihre Annahme, alle sollen immer mitregieren, entspricht der Annahme, man könne ohne Rezeptivität, ohne Sinnlichkeit urteilen, als gäbe es keine praktische Negativität des Menschen. Dagegen beharren das bürgerliche und das neue Recht auf der Rezeptivität des Urteilens. Der Positivismus im bürgerlichen Recht fasst diese Rezeptivität – analog zum Empirismus – aber als ein Gegebenes. Das neue Recht bringt die Idee des mimetischen Nachvollzugs im Urteilen ins Spiel. Diese Idee zielt auf eine Veränderung der Urteilspraxis, indem es den passiven, mimetischen Aspekt des Urteils nicht als das Andere des Urteils beschreibt, sondern als das Andere im Urteilen selbst. An dieser Stelle greift Menke auf Überlegungen früherer, ästhetischer Überlegungen zurück und spricht von der „Kraft der Negativität“. Das Subjekt der Urteilspraxis als Kraft zu verstehen, heißt es als vermögend und unvermögend zugleich zu erläutern. Die Kunst ist die paradigmatische Praxis, in der wir das Können des Nichtkönnens erlernen. Diese ästhetischen Überlegungen werden auf den rechtstheoretischen Kontext übertragen. Dieser Zusammenhang ist systematisch anspruchsvoll und sehr elaboriert dargestellt. Es scheint um den Nachweis zu gehen, dass die juridische Urteilspraxis – analog zur bis epistemischen –lernen muss, sich dialektisch, das heißt transformatorisch auf ihr Anderes zu beziehen. Es geht Menke aber nicht darum, dieses Andere des Urteils so ins Urteil einzugliedern, dass es sich zu rationalisieren habe, sondern als das Nicht-Rationale Geltung im Rationalen beanspruchen zu können. Diese Idee ist systematisch anspruchsvoll, eben weil dieses Moment nicht institutionalisiert werden kann. Die konkrete Institutionalisierung der Gegenrechte wäre ja keine Etablierung des mimetischen Moments im Urteil, sondern bereits dessen Rationalisierung.

Die bürgerliche, positivistische Form der Rationalisierung meint die Sicherung des Eigenwillens vor dem Zugriff Anderer und folgt damit, wie Menke im abschließenden Kapitel sagt, dem „Programm der Sicherung“ des Privaten vor dem Öffentlichen. Die nicht-institutionalisierbaren Gegenrechte brechen nun mit dieser Idee der Sicherung des Privaten. Die Gegenrechte sichern das Private, indem sie es transformieren. Das bezeichnet Menke als die „Vollzugsformen seiner dialektischen Selbstreflektion“ (406). Diesen Vollzug skizziert Menke in etwas martialischen Tönen als „gewaltsam“. Die Gegenrechte üben als transformatorische Kraft Gewalt auf ihr Anderes aus, allerdings, so schließt das Buch mit einem Lenin-Zitat, mit einer „Gewalt, die mit ihrer Ausübung ‚sofort […] beginnen wird abzusterben‘“ Sie sei die Gewalt der Befreiung. Vielleicht ließe sich dieser Punkt weniger martialisch ausdrücken: Das Gegenrecht fordert vom Subjekt der Urteilspraxis, die eigenen Rechte nicht als Tatsachen zu verstehen, die durch die normativer Ordnung gesichert werden, sondern zu lernen, die Offenheit ungesicherter sozialer Praxis auszuhalten. Wer auf die Unsicherheit sozialer Praxis mit dem Wunsch auf institutionelle Absicherung reagiert, verfehlt die Pointe der Gegenrechte. Diese wollen Unabgesichertheit als Moment der Praxis wahren.

Dem bürgerlichen Recht stellt Menke also seine Konzeption der Gegenrechte gegenüber, die das Problem der Entpolitisierung beheben soll. Vor diesem Hintergrund lassen sich aus unserer Perspektive mehrere Fragen in systematischer Hinsicht stellen.

1) Unsere erste Frage bezieht sich auf das Subjekt der Gegenrechte, das Subjekt der Kraft. Dieses trägt starke Züge von Menkes ästhetischer Anthropologie. Sein Wesen liegt in der sensitiven Rezeptivität und damit verkörpert es das passive, leidende Moment eines sozial konstituierten Subjekts. Es wirkt als Kraft der Negativität und Unbestimmtheit in den politischen Prozess der Selbstbestimmung sozialer Praktiken hinein, durch den sich das soziale Subjekt aktiv hervorbringt. Bei Menke klingt es zuweilen so, als wäre jene Kraft eine Art Urvermögen des Subjekts, die sein eigentliches Wesen ausmacht. Dies aber kann nicht in seinem Sinne sein, würde es doch den dem bürgerlichen Recht zu Grunde liegenden Fehler der Voraussetzung eines Gegebenen wiederholen. Zudem würde es der Prämisse eines sozial konstituierten Subjekts, die der Idee der Gegenrechte ebenfalls zu Grunde liegt, widersprechen. Diese ernst zu nehmen bedeutet, auch die negierende Kraft des Subjekts als Resultat der Subjektwerdung durch aneignende Teilnahme an sozialen Praktiken aufzufassen. Dann allerdings lässt sie sich unseres Erachtens nicht mehr als reines Nichts verstehen, sondern muss als die bestimmte Negation bestimmter Subjektivierungen verstanden werden. Auch muss in den Blick genommen werden, dass sich das Subjekt nicht allein in der Auseinandersetzung mit dem Recht, sondern auch mit anderen Formen der Subjektivierung konstituiert. Das sozial konstituierte Subjekt ist damit Resultat einer Vielzahl von Bestimmungen und deren Negation. Wird Kraft nun als das passive, leidende Moment dieses vielfach bestimmten Subjekts verstanden, das als solches in den Normbestimmungsprozess hineinwirkt, so äußert sich in ihr nicht das reine Nichts. Plausibler wäre, sie als Ausdruck der vielen verschiedenen Erfahrungen zu verstehen, die das Subjekt als Erleidendes unterschiedlichster Subjektivierungen macht. Jene Erfahrungen könnten dann als Quelle nicht nur bloß verneinenden Protests gegen bestehende Rechte, sondern auch der Forderung anderer, dem Subjekt angemessenerer Rechte gesehen werden. Das Zusammenspiel verschiedener Formen von Subjektivierung wird von Menke leider weder in der Analyse des bürgerlichen Rechts noch im Entwurf eines neuen Rechts in den Blick genommen. Damit wird zum einen die Chance vertan, zu untersuchen inwiefern im bürgerlichen Recht die rechtliche Subjektivierung als Eigenwille durch andere Formen der Subjektivierung unterstützt oder aber auch in Frage gestellt wird. Zum anderen bleibt unklar, woher Inhalte der Gegenrechte kommen sollen.

2) Die durch eine als Nichts in das Recht hineinwirkende Kraft eingeforderten Gegenrechte laufen Gefahr, rein negativ und inhaltsleer zu bleiben und damit ihre Schutzfunktion zu verlieren. Besteht die Kraft tatsächlich in reiner Unbestimmtheit, so vermag das Subjekt nichts anderes als gegen ein Recht Nein zu sagen, ohne aber Gründe für dieses Nein und für ein anderes Recht angeben zu können. Nichts kann Rechte nur aufheben, nicht aber bestimmen und setzen. Dies soll nicht heißen, dass in unseren Augen der Gedanke vom Nichtrecht als Unbestimmtheit in Gänze aufzugeben ist. So wird mit ihm die Möglichkeit eines Neins gegen eine bestimmte soziale Praxis, in die das Subjekt eingebunden ist, eingeräumt, für das (noch) keine allgemeinen Gründe zur Verfügung stehen.

Wird dieses Nein nur als reine Negation verstanden, können die es berücksichtigenden Gegenrechte nicht mehr als gesetzte Rechte verstanden werden. Ihr Wesen besteht im Gegenteil gerade in der Auflösung bestehender Rechte, die mit jeder Setzung bestimmter Rechte unterlaufen wird. Sie werden damit einerseits zu politischen, beständig zu verhandelnden Rechten, die ihren Grund in der politischen Praxis sozialer Selbstbestimmung haben. Zugleich werden sie aber andererseits zu hochgradig unsicheren Rechten und es ist fraglich, ob sie überhaupt noch Rechte sind, auf die sich das Subjekt berufen kann und das Subjekt damit schützen. Die Abkehr von der naturalisierenden Voraussetzung eines Subjekts mit gegebenen Neigungen, Interessen und Zielen bringt zumindest die Gefahr mit sich, dass Rechte ihre Schutzfunktion verlieren. Diese Schutzfunktion jedoch ist gerade für die Position der Schwachen im politischen Prozess der Selbstbestimmung von eminenter Wichtigkeit, deren Stimme andernfalls droht unterzugehen. Insofern stellt sich die Frage, ob Menke mit der Konzeption der Gegenrechte nicht über das Ziel hinausschießt und das im bürgerlichen Recht steckende Emanzipationspotenzial vergibt.

3) Diese Frage ließe sich auch in methodischer Hinsicht stellen. Der Gang der Argumentation in Kritik der Rechte macht nach der obigen Rekonstruktion Gebrauch von zwei Verständnissen von Kritik, wie sie in der gegenwärtigen kritischen Theorie diskutiert werden: immanenter und genealogischer Kritik. Die affirmative Umdeutung des Sklavenaufstands bietet ein neues Narrativ von Subjektivierung und soll uns dazu bringen, das gewohnte, positivistische Bild aufzugeben. Damit folgt dieses Kritikmodell dem Motto des „So nicht regiert werden Wollens“ – Foucault spielt eine prominente Rolle in Menkes Argumentation. Gleichzeitig wird Kritik als immanente Kritik gedacht, für deren Verständnis es wesentlich ist, dass sie an Widersprüchen sozialer Praxis ansetzt und als Motor der Transformation versteht. Entsprechend ist in Kritik der Rechte an zentralen Stellen von Widersprüchen im bürgerlichen Recht die Rede. Für Menke greifen beide Kritikformen ineinander. Die genealogische Kritik soll die immanente Kritik gewissermaßen vor positivistischer Selbstverkürzung absichern. Ist das aber wirklich so? Ein Unterschied der beiden Formen ließe sich anhand des Begriffs der Negation festmachen. Genealogische Kritik stellt einer spezifischen Subjektivierungsform ein So-Nicht! entgegen. Die Gegenrechte zeigen die Verkürzung des gegenwärtigen Verständnisses des Rechtssubjekts auf, sehen sich aber außerstande, ein konkreteres Wie-dann? anzugeben, da die Institutionalisierung der Gegenrechte bereits deren Preisgabe bedeuten würde. Immanente Kritik sucht hingegen die konkrete Negation des Widerspruchs in dem Sinne, dass der Widerspruch von Verrechtlichung und Herrschaft produktiv. Das heißt, immanente Kritik versucht sich an einem Wie-dann? Der Zusammenhang beider Kritikformen kann also auch wesentlich disharmonischer ausfallen, als es Menke suggeriert. Mit dieser Nachfrage nach deren Verhältnis soll keineswegs unterstellt werden, dass immanente und genealogische Kritik einander ausschlössen, nur bleibt ihr Zusammenspiel unterbestimmt.

4) Weiter ließe sich fragen, ob der Dreiklang aus kommunistischer, bürgerlicher und zukünftiger Revolution des neuen Rechts nicht eine unvollständige Alternative präsentiert. Dies ließe sich an der Figur der kommunistischen Revolution in systematischer Hinsicht festmachen: Der Kommunismus verspricht in Menkes Rekonstruktion „Gleichheit ohne Rechte“. Wenn alle wirklich an der Regierung mitbestimmen könnten, bräuchte es keine juridische Sicherung des Vermögens zur Mitbestimmung.

Dagegen wird das Argument der Affirmation unserer Negativität in Stellung gebracht. Der Kommunismus fordert nämlich aus Menkes Perspektive etwas aufgrund der menschlichen Negativität Unmenschliches vom Menschen: Immer Mitregieren zu müssen. Dagegen setzt das Neue Recht – im Chor mit dem bürgerlichen Recht – das Gegenrecht als das Recht auf Berücksichtigung trotz des Unwillens oder Unvermögens, dieses Gegenrecht allgemein begründen zu können. Wir affirmieren unsere Schwäche.

Der Kommunismus und seine „Herrenanthropologie“ wird aber, so ließe sich argwöhnen, mit einer stark rationalistischen und aktivistischen Schlagseite präsentiert. Ein dogmatischer Kommunismus mag nur als Grund anerkennen wollen, was sich vollständig transparent ist und von daher Anspruch auf Mitbestimmung erheben kann. Was wäre aber mit einem spekulativen Kommunismus, der die Negativität des Menschen anerkennt und zugleich den Vorrang der materiellen Gleichheit, im Sinne der Teilhabe am gesellschaftlichen Vermögen, hochhält? Anders gefragt, ist nicht ein Kommunismus denkbar, der die materielle Gleichheit nicht an die Identität von Teilnahme und Mitbestimmung bindet? Diese Option, die Menke nicht in Betracht zieht, könnte sich auf Hegels Einsicht stützen, dass Freiheit grundlegend als „konkrete“ oder, in gegenwärtigem Vokabular gesagt, „soziale“ zu verstehen ist. Konkret ist Freiheit nur, wenn sie die grundlegende Endlichkeit des Menschen anerkennt. Das hieße letztlich, im Begriff der Anerkennung selbst ein konstitutives Moment von Negativität zu platzieren, sie also nicht aktivistisch zu verkürzen.

Die genannten Kritikpunkte sollen nicht darüber täuschen, dass Christoph Menke mit Kritik der Rechte ein beeindruckendes Buch vorlegt, das in der Tradition Adornos stehend mit dem rechtstheoretischem Feld dessen Philosophie um einen großen Bereich erweitert und aktualisiert.

Literatur

Marx, Karl. „Zur Judenfrage.“ In: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke (MEW). Berlin: Dietz, 1977.

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