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Santner, Eric L.: Was vom König übrigblieb. Die zwei Körper des Volkes und die Endspiele der Souveränität. Wien: Turia + Kant 2015. 348 Seiten. [978-3-85132-761-8]

Rezensiert von Felix Trautmann (Institut für Sozialforschung, Frankfurt)

Was hält den politischen Körper im Innersten zusammen? Was trug den Körper des Königs und was bindet uns im bio-politischen Körper der Bevölkerung? Eine Antwort auf diese Fragen wird, so der amerikanische Philosoph, Literatur- und Religionswissenschaftler Eric L. Santner, im wörtlichen Sinne ‚entsetzend‘ sein. Sein eigener Versuch, eine solche Antwort zu geben, führt ihn zu nichts weniger als dem Entwurf einer neuen Wissenschaft. Diese versteht sich weniger als eine Theorie des Staates und seiner Institutionen, sondern vielmehr als eine aufregende Reise ins Reich der Libido und der affektiven Bindungskräfte, die uns aus- und Politik allererst denkbar machen. Der Gegenstand dieser Wissenschaft – unsere Affekte und Regungen – lässt sich nicht positivistisch distanzieren, sondern stellt eine Dynamik dar, die unsere Lebensrealität und unser Selbstverständnis wesentlich bedingen. Santner bezeichnet das zu erkundende, unfassliche Gewebe der symbolischen und sozialen Bindungen konsequent als ‚Fleisch‘ (flesh), das im Gegensatz zum Körper stets unförmig und doch formbar bleibt. Die Geschichte dieser besonderen Substanz kann ihm zufolge bis in die monarchische Herrschaft zurückverfolgt werden und scheint noch in der politischen Ordnung von Massendemokratien auf.

Das bereits 2011 im Original erschienene und nun sorgfältig übersetzte Buch The Royal Remains, das sich als Prolegomenon dieser neuen Wissenschaft des Fleisches versteht, folgt wie schon frühere Arbeiten Santners einer psychoanalytischen Intuition: etwas scheinbar Vergangenes, hier: das Royale, wirkt in der Gegenwart fort. Die im Titel angezeigten remains besitzen darin etwas Unheimliches. Die Psychoanalyse – genauso wie die moderne Literatur – hat für diese spektrale Präsenz eine Sprache gefunden, die gleichsam zur Fachsprache der neuen Wissenschaft des Fleisches avanciert. Santner setzt damit sein Denkprojekt einer heimlichen Geschichte der Moderne fort, durch das er den Zusammenhang von Körper und Politik, Affekt und Libido genauer zu verstehen versucht. In unterschiedlichen Nuancierungen war dies bereits Gegenstand seiner Studie über den Fall des Juristen Daniel Paul Schreber (Santner 1997), seines Buches über Freud und Rosenzweig (Santner 2001) wie auch der Arbeit zu Sebald, Benjamin und Rilke (Santner 2006).

Was vom König übrigblieb setzt nun beim historischen Beginn der Moderne ein, den Santner mit der Französischen Revolution datiert. Der Übergang von den politisch-theologischen Souveränitätslehren zur Idee der Volksherrschaft bleibt ihm zufolge unverstanden, wenn er der Enthauptungsszene entsprechend als klarer cut dargestellt wird. War die royale Inkorporationslogik selbst bereits nicht ohne ‚theologische Mucken‘ zu begreifen, so bleibt auch in demokratischen Gesellschaften ‚etwas‘ davon übrig. Ausgangspunkt von Santners Nachdenken über die Beschaffenheit des body politic ist die hierfür mittlerweile fast schon überbeanspruchte Arbeit Ernst Kantorowicz’ über die zwei Körper des Königs (Kantorowicz 1957). Die moderne Politik vor dem Hintergrund der politischen Theologie des Mittelalters und der Neuzeit zu deuten, mag riskant erscheinen. Santners eigene Studie hängt jedoch in ihrer methodologischen Ausrichtung entscheidend von Kantorowicz ab. Während der erste Teil des Buches im Anschluss an zahlreiche Positionen der zeitgenössischen (politischen) Philosophie (insbesondere Arendt, Foucault und Agamben wie auch Esposito und Lefort), eine äußerst voraussetzungsreiche und kritische Lektüre des biopolitischen Paradigmas liefert, besteht der daran anschließende zweite Teil vor allem aus einer Reihe von virtuosen Lektüren modernistischer Kunstwerke (beginnend beim ersten ‚Modernisten‘, Shakespeare, über eine Bildbetrachtung von Jacques Louis Davids Der Tod des Marat bis hin zur Literatur von Rilke und Hofmannsthal). Beide Teile des Buches verbinden sich in ihrem Erkenntnisinteresse, die symbolische Investitur des Königskörpers genauso wie die des modernen Subjekts als einen Prozess zu beschreiben, der in der Verbindung von Person und Titeln, Ämtern, Ehren, etc. die besondere Materialität des Symbolischen aufscheinen lässt.

Santners kühne und näher zu diskutierende These besteht darin, dass die Substanz der zwei Körper des Königs in die demokratischen Massengesellschaften disseminiert ist. Damit ist der weite historische wie systematische Horizont benannt, vor dem Santner nach einer bis heute ‚übriggebliebenen’ Substanz der royalen Inkorporation fragt und durch den er sich zur Rede von den zwei Körpern des Volkes hinreißen lässt. Mit dieser Wendung will er sich nachvollziehbar von den Narrativen des radikalen Bruchs durch die Französische Revolution abwenden. Ausgehend von der Dimension des Fleisches lässt sich verstehen, dass es in der Moderne, so Santner, „nicht allein um das biologische Leben oder die Gesundheit der Bevölkerung geht, sondern um die ‚sublime‘ Lebenssubstanz des Lebens des Volkes, das, zumindest im Prinzip, zum Träger der Souveränität geworden ist“ (12). Die daraus resultierende politische Theorie orientiert sich weniger an der Frage nach der Legitimität von Herrschaft und Rechtsstaatlichkeit als vielmehr an der Fähigkeit, „uns im gesellschaftlichen Feld repräsentiert zu fühlen und solche Repräsentationen als brauchbare Mittel zur Förderung unserer Lebenskraft zu erfahren“ (16). Politische Autorität erfolgt erst – und das gilt für die monarchische Herrschaft ebenso wie für moderne Gesellschaften – aus der Einsetzung und Übertragung von Autorität im Symbolischen, durch die eine Ordnung als unsere Ordnung und wir als Teil dieser Ordnung erscheinen. Santners zugleich riskantes und raffiniertes methodologisches Kalkül ist, die Effekte und die Dynamik dieser symbolischen Investitur gerade ausgehend von ihren Momenten des Scheiterns oder der Störung zu deuten. In Freuds Interpretation von Schrebers Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken genauso wie in den von Kantorowicz angeführten mittelalterlichen Doktrinen findet Santner das der biopolitischen – oder wie er schreibt: „biokratischen“ (13) – Gegenwart angemessene interpretatorische Werkzeug.

Das politische Subjekt der Moderne, die Masse, erscheint so von der gleichen Logik durchzogen, die zuvor den singulären Königskörper organisierte. In beiden Fällen findet die Integrität des politischen Körpers ihr Maß weniger im Physiologischen als vielmehr in der Fiktion der symbolischen Einheit. Doch gerade diese Fiktion darf, so Santner, nicht als eine bloße Vorstellung in unseren Köpfen verstanden werden, der wir im Fall des glorreichen Königs allzu viel Glauben geschenkt haben – und über die wir uns entsprechend aufgeklärt haben. Die monarchische Souveränität lässt sich nicht einfach dadurch ungeschehen machen, indem ihr Träger sein entsprechendes Amtskleid verliert. Am Kreuzungspunkt von royalem Amt und Person des Königs offenbart sich vielmehr die besondere Dynamik des Fleisches. Das Fleisch stellt sich dabei als eine dem Amt wie der Person gegenüber exzessive Dimension dar. Der Königskörper mit „seiner merkwürdigen materiellen und mythischen Gegenwart“ (diese Formel Foucaults zitiert Santner geradezu notorisch) ist weder auf seine Physiologie noch auf seinen fiktiven Charakter reduzierbar. Immer bleibt etwas Materielles oder etwas Mythisches übrig. Um diesen Rest geht es Santner, wenn er von den royal remains spricht. Erst die vom physischen Körper und von der bloß illusionistisch verstandenen Fiktion unterschiedene Dimension des Fleisches erlaubt es, die Geschichte der Modernen so zu erzählen, dass sich die symbolische Investitur des Volkes in ihr nicht mehr als eine von jeder mythischen Gegenwart bereinigte oder als bloße Versammlung von Einzelkörpern vollzieht.

Aber wie ist das Fleisch zu begreifen, wie wird es sichtbar? Und was genau kann als das Fleisch des Volkes verstanden werden? Zunächst macht Santner am Fall des Königskörpers klar, dass das surplus an Immanenz in ihm nicht gänzlich immaterieller Art ist: es ist, wie es an einer Stelle heißt, die „Dimension eines Etwas im Körper, das mehr ist als der Körper ohne einfach Geist zu sein“ (63). Im Fleisch kann somit die Gleichzeitigkeit einer semiotischen wie somatischen Lebhaftigkeit erkannt werden. Fleisch ist das lebendige Gewebe, genauer: das Binde-Gewebe der symbolischen Existenz, das dem Körper allererst seine Körperlichkeit gibt – wie Santner unter anderem gegen Arendts und Agambens Rede vom nackten Leben, bar jeder symbolischen Signatur, einwendet. Mit der Dimension des Fleisches ist kein bloßes Trägermedium eines symbolischen Gewands gemeint. Vielmehr offenbart sich in ihr die lebendige und stets pulsierende Verknüpfung von Körper und symbolischer Ordnung, von der jedes Sein, jedes Leben abhängt. Im Fleisch – und nicht im Körper – zeigt sich, dass wir als soziale Wesen im Symbolischen gegründet sind, jedoch keine Gründung hinreichend oder endgültig ist. Die menschliche Vulnerabilität offenbart nicht eine ursprüngliche Animalität, sondern ist immer Effekt einer symbolischen Exponierung. Erst im Symbolischen gewinnt der König und gewinnen die modernen Subjekte ihre Existenz, die sie beide im Symbolischen auch wieder verlieren können. Flesh ist weder biologisch, anthropologisch noch physiologisch, sondern sozial-ontologisch zu verstehen.

Anhand der Investitur der monarchischen Souveränität lässt sich Santner zufolge die prekäre Dynamik jeder symbolischen Einsetzung nachvollziehen, weil sich in der Verknüpfung von Glorie und sterblichem Körper zeigt, wie lose und doch manifest diese im Königskörper ist. Die Bedingung der symbolischen Investitur des Königskörpers ist zugleich dessen Unbestimmtheitssignatur. Dies offenbart sich in jeder Krise der Investitur – oder in der Sprache der Psychoanalyse, in jeder Psychose oder Hysterie. In einer häufig überdehnten Symmetrie will Santner in der krisenhaften Logik monarchischer Inkorporation auch die libidinöse Ökonomie und symbolische Prekarität moderner Subjektivität beschreiben. Der König und das moderne Subjekt können ihm zufolge beide als Versuche gedeutet werden, die exzessive Dynamik des Fleisches zu kontrollieren – oder besser noch: sich den Gefahren der sozialontologischen Vulnerabilität gegenüber zu immunisieren, wie Santner auch mit Blick auf Espositos immunologische Dialektik schreibt (vgl. 35f.). Durch die moderne politische Transformation wir diese Dynamik horizontal in der Menge verteilt. Santners zentrale These lautet somit, dass die symbolische Dynamiken der Souveränität „nicht einfach aus dem politischen Raum verschwinden“, sondern an den Ort des Volkes „wandern“ und diesem so erst seine „semiotische Dichte“ verleihen (69).

Für die These von der Transformation oder „Migration“ des Königskörpers in den politischen Körper des Volkes bezieht sich Santner auch auf die Demokratietheorie Leforts. Dieser hat im Anschluss an seinen Lehrer Merleau-Ponty bereits vom Fleisch des Sozialen (bzw. vom Fleisch der Welt) gesprochen. Mit ‚Fleisch‘ (la chair) hatte der späte Merleau-Ponty die phänomenologische Unterscheidung von Leib und Körper wesentlich um die Dimension einer Selbstbezüglichkeit erweitert, durch die die Verflechtung von Leib und Welt erfahren wird (vgl. Merleau-Ponty 2004). Santner erkennt den politischen Einsatzpunkt einer solchen Phänomenologie darin, dass erst ausgehend von der Dimension des Fleisches die biopolitische Problemkonstellation der Moderne überhaupt erklärbar werde. Denn auch die Volksherrschaft ist damit konfrontiert, die symbolische Lebendigkeit des demos zu schützen und zu hegen – so wie zuvor die politisch-theologisch begründeten Liturgien es in Bezug auf den Königskörper taten. „Biopolitik“ ist lediglich der post-monarchische Name dafür.

Spätestens hier zeigt sich die enorme Hypothek, die sich Santners Projekt einhandelt. So unbefriedigend die Säkularisierungsthese bzw. die rationalistische Idee der Entzauberung aller politischen Theologie ist – Santners These von der Migration der sublimen Substanz des Fleisches in die Körper der Bevölkerung ist nur zum Preis einer kostspieligen Symmetriebildung zwischen monarchischer und moderner politischer Herrschaft zu bekommen. Demnach zeige sich der prekäre Status des royalen Körpers transformiert in der prekären Ausgesetztheit zahlloser Subjekte in den heutigen Gesellschaften, von den ‚Nervenkranken‘ wie Schreber bis zu den radikal ausgeschlossenen homines sacri. Die effektvolle Fetischisierung des royalen Körpers setzt sich bei Santner methodologisch in der nunmehr leergelaufenen Metapher der two bodies fort. Die Metaphorik verstellt nicht nur die politische Realität von heutigen Ausschlüssen, sondern bisweilen auch die Perspektive der Kritik. Zwar weist Santner überzeugend die einfache Devestitur des monarchischen Königskörpers und seiner Glorie durch eine Strategie der Demaskierung als allzu trivial zurück, doch bleibt unklar, weshalb die politische Selbstbefreiung und Instituierung des Volkes nicht anders denn über die Logik der zwei Körper zu verstehen sein sollte (vgl. 40, 62). Gerade Lefort, den Santner für seine Beschreibung der monarchischen Investitur aufruft, hat gezeigt, dass das Politische von einer wesentlichen Desinkorporierung gekennzeichnet ist, durch die die neue Pluralität des politischen Subjekts institutionell wie praktisch beschrieben werden kann, ohne auf die dann problematische Semantik des politischen Körpers und der ihr eingeschriebenen Logik der Integrität zurückzugreifen. Dort, wo dies noch – wie im nationalsozialistischen Volkskörper oder in Bezug auf die stalinistischen Einheitspartei – geschieht, spricht Lefort gerade von der so gefährlichen Wiederkehr des Bildes des Körpers (vgl. Lefort 1981). Santner verstellt sich somit selbst die radikaldemokratische Perspektive auf die gesellschaftliche Pluralität, wenn er lediglich die nationale Volksgemeinschaft als Nachfolgerin des toten Königs erkennt: „Das Fleisch gesellschaftlicher Bande erhielt jetzt [i.e. im späten 18. Jahrhundert; F.T.] mit der Nationalgemeinschaft einen neuen Lokus repräsentativer Körperlichkeit.“ (92) Die Strukturähnlichkeit von ungeformtem Fleisch und Menge im Sinne der multitude (vgl. 65, 148f.) – durch die das kritische Verständnis einer desinkorporierten politischen Gemeinschaft eröffnet wird – erwähnt Santner lediglich am Rande. Dieser Mangel zeigt sich dann vor allem hinsichtlich der eingeschränkten demokratietheoretischen Perspektive dieser neuen Politologie des Fleisches. Zu vermuten ist, dass sich hier der durch Santners lacanianische Theoriemanöver eingehandelte Hobbesianismus bemerkbar macht. Denn gerade Lacans Rede vom signifiant maître exerziert jene methodische Bildung von Strukturanalogien vor, der sich Santner anschließt: der Gesellschaftsvertrag und Hobbes’ Leviathan besitzen für beide die Eigenschaften, die später die symbolische Ordnung moderner Gesellschaften kennzeichnet (vgl. 49). Diese Abhängigkeit von der Figur der Einheit bzw. Vereinigung beschränkt dabei den Blick auf die Demokratie, deren Repräsentationsweise und Lebendigkeit doch gerade von einer Affirmation der Teilung, Entzweiung und Vielheit getragen wird.

Für das Verständnis moderner Politik überzeugender bleibt die von Santner entfaltete Theorie der Freud’schen Libido als gesellschaftstheoretische Perspektive. Freud wird dadurch als ‚Philosoph des Fleisches‘ (Merleau-Ponty) lesbar: „Das merkwürdige überflüssige Fleisch, das Freud Libido nannte und das den Stoff unserer erotischen Bindungen in der Welt ausmacht, wird aus der Tatsache ‚geboren‘, dass unser Dasein sich in einer Matrix bedeutender Repräsentationen entfalten muss, in einem Feld, dessen Maß dem Tier, das wir auch sind, nicht wirklich angemessen ist.“ (114) Die Theorie der Libido ist somit „immer schon eine besondere Art von Gesellschaftstheorie“ (120). Das bedeutet auch, dass die affektive Lebendigkeit von Gesellschaften und ihre Bindungskräfte nicht vom Verständnis der physiologischen oder biologischen Lebensform, sondern von den symbolischen Konstitutionsbedingungen der Gesellschaft abhängen. Die Psychoanalyse, die die politische Theologie beerbt und aus dem Tod des Königs, d.h. der symbolischen Kastration der Monarchie, geboren wird, liefert hierfür die entsprechende Beschreibungsperspektive. Sie entfaltet eine Sprache für das Genießen und Leiden ebenso wie für die phantasmatischen und erotischen Besetzungen des symbolischen Raums der Gesellschaft, in dem die sublime Substanz des Fleisches jedes Subjekt hält.

Neben der Psychoanalyse kommt dabei auch die im zweiten Teil des Buches gewürdigte Sprache der Literatur und bildenden Kunst zur Geltung. Sie besitzt auf eine ihr eigene Weise die Fähigkeit, die entsetzende Dynamik der monarchischen Investitur wie auch der politischen Subjektivierung ansichtig werden zu lassen, ohne sie bloß auf eine einfache Illusion zu reduzieren. Bereits Shakespeares Königsdrama Richard II., die ‚Tragödie der zwei Körper des Königs‘ (vgl. Kantorowicz 1957), zeigt uns weniger den bloßen Pomp des Royalen, sondern vielmehr, dass „in solchem theatralen Schein […] mehr Wirklichkeit liegt als in unserer alltäglichen Realität und dass unser Innenleben von der Logik dieses Scheins durchdrungen ist“ (84). Die Literatur, das Theater, die Malerei spielen allesamt mit den Fiktionen, die eine „Wahrheit über unser Innenleben“ entdecken und „einen Blick auf jene Substanz erhaschen“ lassen, die die unheimliche Lebendigkeit unserer moralischen Verpflichtungen und politischen Leidenschaft nährt (85). Seit Shakespeare hilft uns die Kunst zu erkennen, dass sich der König nicht einfach entblößen lässt, sondern allein im Medium seiner symbolischen Investitur depotenziert werden kann. Unter dem symbolischen Gewand des Königskörpers zeigt sich, dass der sterbliche Körper ohne seine symbolische Investitur nichts, mehr noch: ein unheimliches Nichts wäre. Die fundamentale symbolische Devestitur ist dabei zugleich die Konfrontation mit der sublimen Materialität des Fleisches: „Am Nullpunkt jeder Investitur bleibt allein die gleichsam fleischige Substanz ihres Überschusses übrig.“ (88) Shakespeares Königsdrama besitz darin bereits einen modernistischen Zug, dass in seiner Darstellung der monarchischen persona auf der Bühne diejenige Materialität erkennbar wird, die zugleich weniger und mehr als das animalische Leben ist, und die dem dunklen Stoff einer „negativen oder abgründigen Erhabenheit“ gleicht, „die nicht vollständig gespiegelt werden kann und dennoch da ist, ein Ding, drängend und dicht“ (90). Santner bezeichnet dieses royale ‚Ding‘ als wretchedness, die sich nicht in der Entblößung eines nackten Königs, sondern erst in der Darstellung des Königs in seiner ent-setzten Gestalt, als einer „monströsen Kreatur“ (91), zeigt.

Die Volkssouveränität geht nun genau aus diesem Entsetzen hervor – und zugleich geht das Entsetzen in die Libido moderner Subjektivität ein. Dies entfaltet Santner anhand seiner Lektüren nicht nur von Shakespeare, sondern auch der Literatur der klassischen Moderne bis einschließlich Beckett. In ihren Werken wird demnach die Kastration des „‚souveränen‘ Phallus“ und des „‚phallischen‘ Souveräns“ nachvollzogen (130). Auf diese folgt dabei auch die Reorganisation des politischen Körpers. Das zeigt etwa auch die bildende Kunst, wie Santner in seiner nahezu vollständig von T. J. Clark übernommenen Deutung von Jacques-Louis Davids Der Tod des Marat – das titelgebende Bild – zeigt. In diesem Bild erkennt Santner nichts weniger als den „Auftritt des Volkes auf der Bühne der Macht“ (143). Die symbolische Investitur des demos an der Stelle des Monarchen erweist sich darin jedoch als eine scheinbar unmögliche Aufgabe, da sie eine „ganz neue Art der Fleischwerdung des entfleischten Prinzips der Souveränität“ erfordert (143). An Clark anschließend verortet Santner die ‚Fleischwerdung‘ des Volkes gerade nicht im kranken bzw. toten Körper Marats, in dem sich die revolutionäre Masse repräsentiert fühlt und symbolisch identifiziert, sondern in der abstrakten Fläche des oberen Bildbereichs: „Die leere obere Bildhälfte steht für eine fehlende, mehr noch: für eine unmögliche Darstellung des Volkes“ (144). Im Spiel mit dieser Unmöglichkeit scheint Santner den Beitrag der modernen Kunst zu erkennen, den diese zur Wissenschaft des Fleisches und damit auch zu einer neuen Perspektive auf die Herrschaft des Volkes leistet.

Der enorme Parcours von Santners theoretischer Fragestellung ebenso wie seiner Lektüren der modernen Kunst lassen schnell erkennen, dass es hier um ein groß angelegtes Denkprojekt geht, von dem The Royal Remains selbst nur einen Teilabschnitt darstellt. Seine intensiven Anknüpfungsversuche an aktuelle Diskurspositionen unterstreichen das Bestreben, die politische Diskussion voranzutreiben. Die vorgeschlagenen Lektüren und kritischen Verschiebungen insistieren dabei allesamt darauf, die Persistenz einer sublimen Substanz ernst zu nehmen und für ein besseres Verständnis moderner Demokratie und Subjektivität – und ihrer Abgründe – zu gewinnen. Doch genau hierin gründet auch, neben den häufig ausufernden und allzu voraussetzungsvollen Theoriereferenzen, der größte Einwand gegen Santners Projekt. Die Orientierung an der Investitur des monarchischen Körpers scheint den Blick der modernen Gesellschafts- und Demokratietheorie zu sehr zu verengen.

Unbeirrt hat Santner sein Projekt mit den im April 2014 gehaltenen Tanner Lectures an der University of California, Berkeley, fortgesetzt, und ist der Frage nach der mythischen Materialität des Königskörpers im Feld der politischen Ökonomie nachgegangen. Die Marx’sche Warenformanalyse liest er dabei analog zu Freuds Theorie des Unbewussten. Auch The Weight of All Flesh (Santner 2016) greift für die Beschreibung des Warenfetischismus auf jenen Fetischismus der royalen Person zurück. Der enthauptete Königskörper, der abgeschlagene Kopf, offenbart Santner zufolge wesentliche Einsichten, in die Investitur des neuen, kapitalistisch organisierten Gesellschaftskörpers, der nicht zufällig von einem ebenso partiellen wie unheimlichen Körperteil beherrscht wird: der Smith’schen invisible hand. Auch diese Strukturanalogie ist zugleich vielversprechend wie, in mancher Hinsicht, bemüht.

Dennoch empfiehlt sich The Royal Remains als ein guter Quereinstieg in Santners Arbeit. Denn wer sich auf deren theoretische Rahmung einlässt, der wird die Lektüre – auch aufgrund des drängenden Schreibstils und der beeindruckenden Bündelung verschiedenster Diskursfelder – selbst als einen lebendigen und affizierenden Prozess erfahren, in dem die Buchseiten wie von unsichtbarer Hand umgeblättert werden. Entsetzen wird sie dagegen jene, die an der immanenten Rationalität liberaler Rechtstaatlichkeit oder einer ursprünglich kreatürlichen Substanz menschlicher Subjektivität festhalten wollen. Beide Lektüreeffekte wünscht man sich nun auch für die Diskussion innerhalb der deutschsprachigen politischen Philosophie.

Literatur

Kantorowicz, Ernst H. The King’s Two Bodies. A Study in Mediaevel Political Theology. Princeton: Princeton University Press, 1997.

Lefort, Claude. „L’image du corps et le totalitarisme“, in: ders.: L’invention démocratique. Les limites de la domination totalitaire. Paris: Edition Fayard, 1981.

Merleau-Ponty, Maurice. Das Sichtbare und das Unsichtbare. München: Wilhelm Fink Verlag, 2004.

Santner, Eric L. My Own Private Germany. Daniel Paul Schreber’s Secret History of Modernity. Princeton: Princeton University Press, 1997.

Santner, Eric L. Psychotheology of Everyday Life. Reflections on Freud and Rosenzweig. Chicago: University of Chicago Press, 2001.

Santner, Eric L. On Creaturely Life. Rilke, Benjamin, Sebald. Chicago: University of Chicago Press, 2006.

Santner, Eric L. The Weight of all Flesh. On the Subject-Matter of Political Economy. Oxford: Oxford University Press, 2016.

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