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Garfield, Jay L.: Engaging Buddhism. Why it matters to philosophy. Oxford: Oxford University Press 2015. 376 Seiten. [978-0-19-020434-1]

Rezensiert von Sebastian Gäb (Universität Trier)

Das akademische Interesse an buddhistischer Philosophie ist in der westlichen Welt während der letzten Jahrzehnte deutlich gestiegen. In den stetig anschwellenden Strom von Einführungs- und Forschungsliteratur reiht sich auch Jay Garfields Buch Engaging Buddhism (in Anspielung auf die zeitgenössische Bewegung des Engaged Buddhism) ein. Dieses Buch unterscheidet sich jedoch deutlich von den meisten seiner Verwandten in der Intention, die hinter Garfields Projekt steht. Was Garfield im Sinn hat, ist nämlich weder eine Einführung in die buddhistische Philosophie noch in ihre Geschichte; es soll auch keine Abhandlung über spezielle Themen innerhalb der buddhistischen Philosophie sein, ebenso wenig wie ein Vergleich zwischen westlicher und buddhistischer Philosophie. Sein Ziel ist zu zeigen, dass und wie die buddhistische Philosophie in systematischer Perspektive für westliche Philosoph_innen relevant sein kann (xii). Dieser Ansatz ist so neu, insofern es wenig Literatur mit einer vergleichbaren Intention gibt, wie er innovativ ist, denn dahinter steckt nichts Geringeres als der Versuch, bestehende Grenzen zwischen philosophischen Disziplinen (und auch zwischen der Philosophie und anderen Wissenschaften) einzureißen. Forschungsgebiete wie buddhistische (oder indische, chinesische, islamische etc.) Philosophie führen zumeist eine Randexistenz neben der „eigentlichen“ (und das heißt hier: westlichen) Philosophie. Man überlässt sie den jeweiligen Spezialisten und geht davon aus, dass deren Forschungen für die eigene Arbeit tendenziell irrelevant sind. Garfield greift diese fast schon kolonialistisch anmutende philosophische Arbeitsteilung an und erklärt die Beschäftigung mit buddhistischer Philosophie für prinzipiell wichtig und sinnvoll. Nicht, weil wir einer vernachlässigten intellektuellen Tradition mehr Aufmerksamkeit schulden, sondern weil unsere eigene, aktuelle und systematische Arbeit in der Philosophie davon profitieren kann.

Ich will zunächst einen selektiven Überblick über die Inhalte des Buches geben, um einen Eindruck von der Breite und Tiefe der behandelten Themen zu geben. Danach werde ich mich der Frage widmen, ob und wie es Garfield gelingt, seinem Ziel näherzukommen, die Relevanz buddhistischer Philosophie zu vermitteln.

Garfield beginnt sein Buch mit der Grundfrage: Was ist buddhistische Philosophie? Zu Recht antwortet er, dass es darauf keine eindeutige Antwort geben kann. Zu verschieden sind die zahlreichen Schulen und Strömungen, die sich im Lauf einer mehr als zweitausendjährigen Geschichte ausgebildet haben. Dennoch sieht er einen gemeinsamen Kern von Basisüberzeugungen, die in der einen oder anderen Interpretation von allen Schulen geteilt werden, und die daher zumindest als eine Art provisorisches Kriterium dienen können. Für Garfield sind dies in der Hauptsache die vier edlen Wahrheiten, insbesondere die Unvermeidlichkeit des Leidens (dukkha), seine Entstehung aus Unwissenheit (avidya) und seine Überwindung durch Einsicht in den wahren Charakter der Realität.

Die nächsten beiden Kapitel widmen sich der buddhistischen Metaphysik, zunächst dem Begriff des bedingten Entstehens und der daraus resultierenden Unbeständigkeit aller Dinge, anschließend dem Konzept der Leere. Bedingtes Entstehen bzw. kausale Interdependenz und Unbeständigkeit aller Dinge sind Kerngedanken buddhistischer Metaphysik, und daher, so Garfield, unabdingbare Voraussetzungen, um die darauf aufbauenden epistemischen, ethischen oder sprachphilosophischen Thesen zu verstehen. Garfield zergliedert den Begriff der Interdependenz in die drei Komponenten kausale, mereologische und konzeptuelle Interdependenz, wobei der Schwerpunkt auf der konzeptuellen liegt: Dinge werden erst dadurch zu dem, was sie sind, indem wir sie als solche auffassen. Dann zeigt er, wie sich der Begriff der Identität einer Person durch das Konzept der doppelten Wahrheit auflösen lässt: Während die konventionelle Wahrheit eine identische Person sieht, die geboren wird, heranwächst und altert, lautet die ultimative Wahrheit, dass es keine solche Person gibt, sondern nur ein Kontinuum von einzelnen Phasen, die einander permanent ablösen. Aus dieser Argumentationsfigur entsteht, so zeigt Garfield, die buddhistische Hinwendung zu einer nominalistischen Theorie genereller Terme: Universalien sind unabhängig von konkreten Gegenständen und ewig existierende Entitäten. Doch die Interdependenz-Metaphysik lässt die Existenz unbedingter Entitäten nicht zu, so dass sich der Nominalismus als unmittelbare Konsequenz ergibt.

Im nächsten Kapitel legt Garfield zunächst relativ kurz dar, wie Leere in der Abhidhamma- und in der Madhyamaka-Tradition interpretiert wird: während für die ältere Abhidhamma-Tradition nur die Dinge der gewöhnlichen Alltagsrealität leer sind, d.h. keine intrinsische Natur besitzen und nicht aus sich selbst heraus existieren, kommt den Dhammas als ontologischen Elementen der Realität sehr wohl diese intrinsische Natur zu. Anders hingegen für die Madhyamikas: Da aus der Selbstständigkeit der Dhammas folgen würde, dass sie nicht unbeständig sind, argumentieren sie, dass auch die Dhammas selbst leer sein müssen. Die Leere, d.h. das Fehlen jeder intrinsischen Natur der Dinge, ist ihre intrinsische Natur (66). Das aber, so Garfield, darf nicht so verstanden werden, als wäre Leere nur eine Alternative zu anderen möglichen Kandidaten für die intrinsische Natur der Dinge: Materie, Bewusstsein, Information usw. Auch die Leere selbst ist leer, insofern sie nur in Abhängigkeit von den Dingen besteht, die leer sind. Garfield sieht hier zu Recht Anknüpfungspunkte an die Realismus-Debatte in der gegenwärtigen analytischen Metaphysik (Näheres dazu unten).

Kapitel 4 befasst sich mit der Frage nach dem Selbst. Garfield referiert zunächst recht gründlich die wesentlichen Positionen der westlichen Debatte. Hier diagnostiziert er einen reflexhaften Essentialismus, der sich darin zeigt, dass die Frage, ob das Selbst existiert, nicht als problematisch erscheint, sondern nur die, was es ist (99). Anders im Buddhismus, zu dessen Grundüberzeugungen die Theorie der Nichtexistenz des Selbst gehört. Garfield sieht hier Parallelen zu minimalistischen Konzeptionen des Selbst, jedoch haben alle buddhistischen Ansätze ein eliminatives Ziel: Die Existenz des Selbst ist eine Illusion, die erklärt und überwunden werden muss, da sie einem korrekten und erlösenden Verständnis der Realität im Weg steht. Aus diesem Grund hat jede Theorie des Selbst zugleich eine moralische und soteriologische Dimension (120).

Kapitel 5, das längste des Buches, zeichnet die buddhistische Debatte über den Begriff des Bewusstseins nach. Garfield beginnt mit einer Analyse und Gegenüberstellung der aktuellen westlichen und der buddhistischen Terminologie und weist darauf hin, dass die jeweiligen Begriffe eher unsere Vorstellung von der Realität strukturieren als sie zu reflektieren, weshalb es vermessen wäre, zu erwarten, dass westliche und buddhistische Begriffe prinzipiell austauschbar oder koextensional sein sollten (126). Dann folgt eine Darstellung verschiedener Theorien des Bewusstseins. Garfield geht auf Reflexionstheorien des Bewusstseins, Higher-Order-Theorien, Bewusstsein als phänomenale Qualität und Bewusstsein als Selbstbewusstsein ein und gibt einen Überblick über die verschiedenen einschlägigen Standpunkte in der buddhistischen Philosophie sowie die wichtigsten Argumente für und gegen die jeweiligen Positionen, wie sie in der buddhistischen Debatte zu finden sind. Hier überrascht (und erdrückt schon fast) die Fülle des Materials, das in diesem langen und sehr dichten Kapitel verarbeitet ist. Darüber hinaus sucht Garfield immer wieder Anknüpfungspunkte an die westlichen Bewusstseinstheorien und stellt Parallelen zu z.B. Husserl oder Sellars fest. Den wesentlichen Beitrag der buddhistischen Philosophie zur Debatte sieht Garfield jedoch darin, dass die stillschweigende Voraussetzung, es gebe überhaupt so etwas wie ein einheitliches Phänomen des Bewusstseins, plötzlich begründungsbedürftig wird: „Just as the illusion of a self is resolved in favor of a network of interconnected psychophysical processes, the illusion that there is a special property or center of consciousness is resolved in favor of a network of processes.“ (161)

Kapitel 6 widmet sich der Phänomenologie im Buddhismus, worunter Garfield das Problem der Subjektivität im weitesten Sinne versteht: „the reflective investigation of the nature and of the transcendental conditions of the possibility of subjectivity.“ (176) Sein Interesse gilt allerdings nicht der Frage, ob die meditative Introspektion im Buddhismus unser Verständnis von Subjektivität erweitern kann (dem steht er skeptisch gegenüber), sondern wie wir das Verhältnis von Subjektivität und objektiver Wirklichkeit zu denken haben. Garfield übernimmt von Husserl die Idee des Einklammerns der Wirklichkeit, durch die bewusste Erfahrung auf ihren phänomenalen Gehalt reduziert wird, und gebraucht sie als Interpretationsansatz für Vasubandhus und Candrakirtis Theorien der Subjektivität. Garfield argumentiert, dass uns das eigene Selbst nicht vollkommen transparent ist – ebenso wie uns die Außenwelt nur durch Wahrnehmungsprozesse vermittelt ist, so ist auch der Bereich des Subjektiven stets durch Introspektion gegeben. Ein unmittelbarer Zugang besteht weder zur Außen- noch zur Innenwelt. Hieraus ergibt sich für Garfield die Konsequenz, die Realität subjektiver Tatsachen, eines „Wie-es-ist“ im Sinne Nagels, abzulehnen.

Kapitel 7 beschäftigt sich mit buddhistischer Erkenntnistheorie, einerseits mit dem Konzept der pramanas als Quellen oder Rechtfertigungen von Erkenntnis und dem damit verbundenen Nominalismus des Buddhismus, andererseits mit der Theorie der zwei Wahrheiten, der konventionellen und der ultimativen Wahrheit. Garfield arbeitet heraus, dass konventionelle Wahrheit eine Form der Wahrheit ist, trotz ihres illusorischen Charakters. Ultimative Wahrheit und konventionelle Wahrheit sind daher letztlich identisch: Die ultimative Wahrheit ist, dass es nur konventionelle Wahrheit gibt (239).

Das achte Kapitel behandelt Logik und Sprachphilosophie. Garfield widmet sich zunächst der Methode des catuskoti (oder Tetralemma), das er nicht als vierwertige Logik versteht, sondern als Logik, die vier Kombination von zwei Wahrheitswerten zulässt. Das catuskoti ist für Garfield eine Methode, um an die Realität heranzuführen, die sprachlich nicht mehr erfasst werden kann. Alle Konzeptualisierungen sind zum Scheitern verurteilt, so dass keine sprachliche Formulierung hinreicht, um die Realität zu erfassen. Das erklärt für Garfield, weshalb der Buddhismus so oft sprachkritisch erscheint: Indem sie zeitlose, unabhängig existierende Universalien in Form von Propositionen und Ideen suggeriert, verleitet uns Sprache dazu, die illusorische, konventionelle Wirklichkeit für ultimativ real zu halten (249). So lösen sich für Garfield auch die Paradoxien auf, die sich ergeben, wenn (sprachlich) gesagt wird, die Wirklichkeit sei unsagbar. Aufgabe dieser sprachlichen Äußerung ist nicht eine korrekte Beschreibung der Realität (denn dann würde sie sich selbst widersprechen), sondern eine pragmatisch zu verstehende Heranführung an den Charakter der Wirklichkeit, der nicht-sprachlich erfasst werden muss. Garfield betont – insbesondere gegen Ende des Kapitels – den pragmatischen und kausativen Charakter der Sprache für die buddhistischen Theoretiker, der von der Funktion des mantra her gedacht wird, und sieht hierin eine Alternative zu dem auf die Semantik fokussierten Ansatz zeitgenössischer westlicher Sprachphilosophie: Semantische Bedeutungen könnten als eine spezielle Form der kausalen Einwirkung der Sprache verstanden werden (274). Hier liegt wiederum Potenzial für einen alternativen Ansatz zur Naturalisierung der Semantik.

Kapitel 9 widmet sich der buddhistischen Ethik (oder eher der Metaethik), allerdings nicht in Hinblick auf bestimmte Gebote, Werte oder Tugenden, die für den Buddhismus charakteristisch sind, sondern in Bezug auf die Frage, wie buddhistische Ethik zu klassifizieren sei. Garfield verweigert sich einer Einordnung des Buddhismus in die westlichen Kategorien von Deontologie, Konsequentialismus und Tugendethik (278), und stellt sich damit gegen die Mehrheit der Interpreten. (Mir scheint allerdings, dass sich Garfields Interpretation und eine tugendethische Deutung wie bei Damien Keown (z.B. Keown 2005) nicht ausschließen, in dem Sinne, dass beide betonen, es komme auf die konkrete Entwicklung der Person an, um Egoismus und damit Leiden zu überwinden.) Für Garfield hat der Buddhismus ein grundlegend anderes Verständnis von Ethik: nicht moralische Pflichten oder Regeln sind das Ziel, sondern eine bestimmte Art und Weise, die Welt zu sehen. Garfield spricht von moralischer Phänomenologie (299) – aus dieser ergeben sich dann Tugenden, Regeln und Pflichten. Ziel der Ethik ist immer die Erlösung vom Leiden, und der Weg zu dieser Erlösung liegt nicht in einem starren Befolgen von Regeln und Geboten, sondern in einer Transformation der Sicht der Wirklichkeit, so dass alle theoretische Philosophie einen ethischen Aspekt erhält: „The project of leading a life that is a solution to, rather than a reinforcement of, the problem of universal suffering is at least in large part the project of reordering our perceptual engagement with the world.“ (288)

Das letzte Kapitel schließlich spricht die Frage nach den Methoden an: Wie soll man vorgehen, um eine fruchtbare Begegnung zwischen buddhistischer und westlicher Philosophie zu ermöglichen? Garfield empfiehlt einen respektvollen und empathischen Zugang über die Literatur (327). Respektvoll in dem Sinne, dass wir bereit sind, von den fremden Texten wahre oder zumindest vernünftige und interessante Beiträge zu philosophischen Problemen zu erwarten; empathisch in dem Sinne, dass wir den Zugang zur buddhistischen Philosophie zunächst in ihr selbst suchen, d.h. durch die klassischen Texte und Kommentare uns zunächst in die Innenperspektive hineindenken, um dann die Brücke zum eigenen Denken zu schlagen.

Wie überzeugend ist nun Garfields Darstellung der Relevanz der buddhistischen Philosophie? In einigen Fällen gelingt es ihm, diese Relevanz mehr als nur überzeugend darzustellen, insbesondere in den Kapiteln über Metaphysik und Bewusstsein. So zeigt Garfield beispielsweise in seiner Darstellung der Leere (shunyata) in Madhyamaka (speziell bei Nagarjuna) und Yogacara, wie eine moderne Interpretation dieser Ansätze zu einer neuen Herangehensweise an die Problematik von Realismus und Antirealismus führen kann. Es läge zwar nahe, in Nagarjunas Metaphysik der Leere eine Variante des Antirealismus zu sehen, da ja alle Dinge abhängig von etwas anderem existieren. Doch Garfield argumentiert, dass es sich hier vielmehr um den Versuch handelt, den Gegensatz von Realismus und Antirealismus zu überwinden, und zwar nicht in Wittgensteinianischer Weise, indem das Ganze zu einer sprachlichen Verwirrung deklariert wird, sondern indem die falschen Präsuppositionen dieses Gegensatzes aufgezeigt werden (65): Sowohl Realismus als auch Antirealismus setzen voraus, dass es eine intrinsische Natur der Wirklichkeit gibt; die Frage lautet lediglich, worin sie besteht. Nagarjuna hingegen verwirft diese Vorannahme und gelangt dadurch zu einer Position, die jenseits beider Alternativen steht. Dass hierin ein unauflösbares Paradox liegt, erkennt Garfield an und argumentiert, die Konsequenz dürfe nicht sein, die These als inkonsistent zu verwerfen, sondern zu akzeptieren, dass die Realität inkonsistent (oder nur mit den Mitteln einer parakonsistenten Logik zu beschreiben) ist. Unsere Erwartung, die Realität müsse rational erfassbar sein, ist nur ein weiterer Ausdruck unserer fundamentalen Verwirrung.

Ideen wie diese finden sich über das ganze Buch verstreut: Die Einheit des Bewusstseins ist eine Illusion, die zugunsten einer Menge disparater Phänomene aufgelöst werden sollte (Kap. 5); es gibt keinen privilegierten, direkten Zugang zu eigenen Bewusstseinszuständen (Kap. 6); eine naturalisierte Semantik sollte von den kausalen Wirkungen der Sprache zur Bedeutung übergehen (Kap. 8); Ethik ist ein Aspekt der Weltanschauung und keine Verwendungsregel für das Wort „gut“ (Kap. 9). Über weite Strecken gleicht das Buch einer Schatzkarte (wobei die Schätze Themen für philosophische Aufsätze sind): Es zeigt an, wo etwas zu holen ist, aber macht sich nicht selbst auf den Weg dahin. Garfield bindet diese Überlegungen in seine Ausführungen zur buddhistischen Philosophie ein und skizziert, wohin die Reise gehen könnte, entwickelt aber die Gedanken nicht im Detail weiter (was für ein einzelnes Buch auch zu viel verlangt wäre).

Auf der anderen Seite finden sich im gleichen Buch auch teils quälende Durststrecken, auf denen man vergeblich auf solch inspirierende Einsichten wartet. Oft gibt Garfield bloß den Hinweis, eine bestimmte Position oder Gedankenfigur sei bereits von bestimmten buddhistischen Philosoph_innen antizipiert worden. Ein solcher Hinweis allein ist aber noch nicht unbedingt interessant. Denn die bloße Tatsache, dass jemand anderes etwas Bestimmtes schon einmal gedacht hat, ist in sich selbst noch nicht relevant für westliche Leser_innen – ein altbekannter Gedanke bleibt altbekannt, auch wenn er in exotischem Gewand am anderen Ende der Welt auftaucht. Selbst wenn sich vertraute Positionen in der buddhistischen Philosophie wiederfinden lassen, so sind doch die sprachlichen, kulturellen und begrifflichen Hürden sehr hoch, um ihnen ernsthaft zu begegnen – zu hoch, wenn der einzige Gewinn darin bestünde, Dinge zu finden, die man ohnehin schon kennt. Andererseits ist es natürlich doch interessant, diese Parallelen aufzuzeigen, insofern sich damit durch das Instrumentarium moderner westlicher Philosophie ein neuartiger Interpretationsansatz für die buddhistische Philosophie eröffnet. Wird diese bisher mehr oder weniger aus ihrer eigenen Perspektive wahrgenommen, durch ihre eigenen Begriffe und Konzepte, so zeigt Garfield eine alternative Sichtweise, durch die der Buddhismus bedeutend weniger fremd, exotisch oder mysteriös erscheint. Eine Demystifizierung östlicher Philosophie könnte das Ergebnis sein, und damit zugleich eine Relativierung des Primats der westlichen Philosophie. Denn wenn bestimmte fundamentale Gedanken unabhängig voneinander und vor unterschiedlichen Hintergründen in völlig verschiedenen Kulturen und zu unterschiedlichen Zeiten gedacht werden, dann ist dies ein starkes Argument gegen kulturrelativistische (und kulturchauvinistische) Vorstellungen von Philosophie.

Es bleibt zu fragen, an wen sich Garfields Buch eigentlich richtet. Einerseits erwartet Garfield Leser_innen, die bereits über das Niveau einer bloßen Einführung in die buddhistische Philosophie hinausgegangen sind, und denen man nicht mehr alles detailreich und sorgfältig erklären muss. Andererseits schreibt er aber auch nicht für Expert_innen, denn über weite Strecken ist sein Buch eine kompakte Darstellung und Interpretation der wichtigsten Thesen buddhistischer Philosophie, und erst in einem zweiten Schritt wird der Bogen zur westlichen Philosophie geschlagen. Das anvisierte Publikum dürfte wohl die philosophische community des Westens sein, die sich nicht speziell mit buddhistischer Philosophie beschäftigt hat. Nun gelingt es Garfield zwar gut, die fremdartige Terminologie und Methode der buddhistischen Philosophie durch sorgfältige Diskussion der Übersetzungsoptionen und plastische Beispiele zugänglich zu machen – insofern ist er ein idealer Vermittler. Doch gleichzeitig sind die Voraussetzungen, die er von seinen Leser_innen erwartet, nicht gering, und wer zwar philosophisch ausgebildet, aber nicht buddhologisch vorgeschult ist, wird mit diesem Buch zu kämpfen haben. Ob Garfield also tatsächlich sein Ziel erreichen kann, die fachphilosophische Welt auf das Potenzial aufmerksam zu machen, das in der buddhistischen Philosophie liegt, bleibt nicht zuletzt aus diesem Grund fraglich: nicht wegen des Buches, sondern wegen der Leser_innen.

Das wichtigste Verdienst des Buches dürfte darin liegen, eine neue Perspektive auf die Beschäftigung mit buddhistischer Philosophie zu werfen, und sie dadurch in gewisser Weise den Spezialist_innen ein wenig aus der Hand zu nehmen. Niemand erwartet von allen Philosoph_innen, die sich zu Aristoteles äußern, sie müssten Altgriechisch studiert haben und den Text im Original lesen können, um sich qualifiziert dazu äußern zu können. Denn wir sehen, dass die Relevanz dessen, was Aristoteles sagt, nicht an seine Zeit, Kultur oder Sprache gebunden ist. Vielleicht leistet Garfields Buch einen Beitrag dazu, dass westliche Philosoph_innen (und Asienwissenschaftler_innen, unter anderem Vorzeichen) eine solche Einstellung zukünftig nicht nur gegenüber Aristoteles und Platon, sondern auch gegenüber Nagarjuna, Vasubhandhu und Candrakirti entwickeln.

Literatur

Keown, Damien. Buddhist Ethics. A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2005.

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