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Rensmann, Lars/Gandesha, Samir (Hrsg.): Arendt and Adorno. Political and Philosophical Investigations. Stanford: Stanford University Press 2012. 352 Seiten. [978-0-8047-7539-7]

Rezensiert von Tobias Albrecht (Goethe-Universität Frankfurt)

I

Nicht ohne ein gewisses Maß an Stolz bemerken Lars Rensmann und Samir Gandesha gleich zu Beginn des gemeinsam herausgegebenen Sammelbandes Arendt and Adorno. Political and Philosophical Investigations, dieser sei „the first book in English that takes a comparative look at both authors“ (vii). Selbst unter Mitberücksichtigung der deutschsprachigen Forschung kann man dem Buch von Rensmann und Gandesha seine Innovation kaum absprechen. Auch auf Deutsch sind erst zwei Sammelbände mit diesem beziehungsweise ähnlichem Thema erschienen: Zum einen der 2003 ebenfalls von Rensmann mit herausgegebene Band Arendt und Adorno (Auer et al. 2003),1 zum anderen das von Liliane Weissberg (2011) herausgegebene Buch Affinität wider Willen?, das sich mit Arendts Verhältnis zu verschiedenen Mitgliedern der Frankfurter Schule befasst. Tatsächlich beleuchten die wenigsten dort versammelten Texte das Verhältnis zwischen Arendt und Adorno, sondern rücken zumeist Walter Benjamin in den Mittelpunkt.

Ohnehin stellt die Rezeptionsgeschichte des theoretischen Verhältnisses von Hannah Arendt und Theodor W. Adorno eine Kuriosität dar. Während die Anzahl der Einzelstudien zu beiden AutorInnen kaum noch zu überblicken ist, werden sie so gut wie nie gemeinsam rezipiert. Nicht nur haben die beiden ProtagonistInnen sich, trotz Zeitgenossenschaft und ähnlichen Themenfeldern, niemals gegenseitig wahrgenommen – was wohl auf ihre legendäre gegenseitige Antipathie zurückzuführen ist –, auch hat sich dieses Nicht-Verhältnis interessanterweise bis heute fortgesetzt. Jahrzehntelang wurde die Rezeptionsgeschichte sowohl auf theoretischer wie auf politischer Ebene durch eine merkwürdige Dichotomie gekennzeichnet: Man berief sich entweder auf die kritische Theorie Adornos oder auf Arendts politischen Republikanismus. Nachdem es in der englischsprachigen Forschung Mitte der 1990er Jahre wenigstens vereinzelt zur Aufweichung dieser Dichotomie gekommen war – so haben etwa Seyla Benhabib, Martin Jay, oder auch Jürgen Habermas angefangen, sich, wenn auch in verschiedenen Texten, auf beide zu beziehen und so zumindest eine implizite Kommunikation zwischen den Strömungen befördert –, verspricht der Sammelband von Rensmann und Gandesha den Auftakt zu einer ersten systematischen und ernsthaften Auseinandersetzung mit den beiden TheoretikerInnen.

II

Der Band gliedert sich in drei Teile, denen die Herausgeber Rensmann und Gandesha einen umfangreichen einführenden Text vorangestellt haben, der zwischen dem Status einer Einleitung und dem eines eigenständigen Kapitels changiert. Einer Einleitung entsprechend übernimmt der Beitrag eine einordende Funktion, stellt die in den späteren Aufsätzen verhandelten Einzelaspekte in einen Zusammenhang und präsentiert sich bereits zu Beginn als systematischster Text des Buches. Zugleich kommt er mit einer eigenständigen These daher: Obwohl es sich bei Arendt und Adorno um „unlikely philosophical encounters“ (1) handele, die wie kaum andere die sozialphilosophischen und politiktheoretischen Debatten des 20. Jahrhunderts geprägt haben, wundern sich Rensmann und Gandesha, dass beide Werke niemals zueinander in Beziehung gesetzt wurden. Dem möchten die Herausgeber Abhilfe schaffen. Denn einerseits glauben sie, dass es trotz offensichtlicher Unterschiede zwischen Arendt und Adorno auch Gemeinsamkeiten gibt – trotz jener unterschiedlichen Traditionsbeständen, aus denen sie sich ihren Fragestellungen jeweils nähern: hier Arendts idiosynkratrischer Methoden-Mischmasch aus antiker Philosophie, Existentialismus und politischem Republikanismus, kritisch gegenüber Marx und abwiesend gegenüber dem „Unsinn des Unbewußten“ (Arendt 2003: 659); dort Adornos Kombination aus Hegel-Marxismus, Psychoanalyse und Weber’schem Rationalitätskonzept mit wenig mehr als Verachtung für Theorien Heidegger’scher Spielart. Andererseits verbinden Rensmann und Gandesha damit die These, dass ein Weiterdenken mit Arendt und Adorno gerade zu Beginn des 21. Jahrhunderts aktuell ist. Vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Globalisierung stünden die Sozialwissenschaften heute erneut vor der Frage nach dem richtigen Verhältnis von Universalismus und Partikularismus. Als Antwort böten Arendt und Adorno einen „difference-sensitive universalism“ (14) an, der zwischen „empty or formalistic conceptions of justice“ auf der einen Seite und dem Rückzug in „blind particularity of postmodernism“ (18) auf der anderen Seite anzusiedeln sei.

Der anschließende erste Teil des Buches befasst sich unter dem Titel „Political Modernity, Theory, and Philosophy“ mit grundsätzlichen Motiven Arendts und Adornos zu philosophischer Tradition und Moderne. Den Auftakt macht Seyla Benhabib mit der These, dass das Denken Arendts und Adornos, aller persönlichen Animositäten zum Trotz, einen ähnlichen Ausgangspunkt hat: Beide fragen danach, wie es möglich sei, nach dem Zivilisationsbruch weiterzudenken. Beide tun dies aus einer ähnlichen Warte heraus: „They shared a profound sense that one must learn to ‚think anew‘, beyond the traditional schools of philosophy and methodology.“ (33) In diesem Anlauf ‚to think anew’ macht Benhabib das aus, was sie das gemeinsame „Benjaminian Moment“ (31) in Arendts und Adornos Denken nennt. Sowohl für Arendt, als auch für Adorno war demnach zentral, „that thinking must free itself from the power of ‚false universals‘“ (34). Dieses Motiv verdeutlicht Benhabib mit Hilfe eines ‚close readings‘ zweier früher Texte: Adornos noch vor dem Krieg erschienenem Zur Aktualität der Philosophie und Arendts Was ist Existenzphilosophie? aus dem Jahr 1946. Benhabib zeigt, dass es sich bei beiden frühen Essays nicht nur um dezidierte Kritiken des deutschen Idealismus sowie der damaligen Philosophie handelt, sondern dass beide letztendlich auf die Zurückweisung falscher Universalien (34–48) zielen. Ihr Erkenntnisinteresse ist dabei keineswegs rein philologischer Art; vielmehr glaubt Benhabib, dass es sich bei beiden Texten um frühe Formulierungen eines Motivs handelt, welches das gesamte spätere Werk beider AutorInnen durchziehen sollte.

J. M. Bernstein beginnt den zweiten Beitrag mit einem grundlegenden Paradox, vor dem Adornos Nachdenken über die Moderne steht: Auf der einen Seite gehört es zum Selbstverständnis der Moderne, sich ihrer Kontingenz bewusst zu sein und daher „the new as itself an indeterminate sign of value“ (56) zu würdigen. Auf der anderen Seite ist jede Vorstellung des Neuen durch Schemata des Alten determiniert und muss daher beim Versuch scheitern, der Logik des Immergleichen zu entkommen. Glaubt man Adorno, dann vollbringt nur die moderne Kunst den „Münchhausen trick“ (57), diesem Dilemma entkommen. Wie Bernstein allerdings zu Recht kritisiert, hat Adorno es nie geschafft, das Versprechen der modernen Kunst in ein Verständnis von kollektiver politischer Praxis zu übersetzen. Diese Übersetzungsleistung, so Bernsteins Vorschlag, könne Arendts Politikbegriff leisten. Nicht nur betone dieser Kontingenz und new beginnings, auch könne er als „ongoing experiment“ (58) verstanden werden – als andauerndes Ringen mit der Frage, wie Freiheit (Pluralität) institutionell verstetigt werden kann, ohne, um in Adornos Terminologie zu sprechen, dass das Besondere durch ein falsches Allgemeines unterdrückt würde. Bernstein verdeutlicht diese These am Beispiel von Arendts Überlegungen zum zivilen Ungehorsam, in dem sich die Dialektik von absolut Neuem und Rückbezogenheit auf existierende Ordnung paradigmatisch zeigt.

Dana Villa greift in seinem Aufsatz Motive sowohl von Benhabib als auch von Bernstein auf. Wie Benhabib befasst er sich mit der Frage nach dem Verhältnis des Universellen zum Partikularen. Wie Bernstein deutet Villa an, dass Arendts Politikbegriff die Kritische Theorie Adornos sozusagen komplettieren könnte. Um diesen Nachweis bemüht, rekonstruiert er zunächst Adornos Kritik jeglicher Form von Identitätsphilosophie (82–95). Deren zentrale Behauptung sei, dass Rationalität, Identität und Universalismus immer nur in Abhängigkeit zu Partikularität, Differenz und Nichtidentität gedacht werden sollten. Dem stellt Villa Arendts Ideen von Differenz und Pluralität gegenüber und argumentiert auf kreative Weise für Arendts Politikbegriff als Erweiterung von Adornos Konzept: Während es Adornos „difference affirming Utopia“ ähnlich dem Marx’schen Diktum der freien Assoziation der Produzenten nur „on a plane beyond politics“ (95) geben kann, ist eine Grundidee von Arendt Pluralität – und damit das was Adorno mit dem Nichtidentischen meint – gerade im politischen Handeln zu institutionalisieren.

Umgekehrt zum Vorgehen Bernsteins und Villas nimmt Dieter Thomä in seinem Beitrag den Ausgangspunkt von Arendt, um von ihr auf Adorno zu sprechen zu kommen. Er kritisiert die Neigung vieler Arendt-InterpretInnen, ihre Theorie unter dem Schlagwort der Liebe zur Welt zusammenzufassen. Wollten sie sich zu ihrer Konzeption des Politischen kohärent verhalten, so Thomä, dann repräsentiere grade ein wie auch immer gearteter Liebesbegriff einen illegitimen Standpunkt. Stattdessen schlägt er vor, sich auf Arendts Natalitäts-Idee zu konzentrieren und diese in einem anerkennungstheoretisch anmutenden Argument um Adornos Vokabular des Nicht-Identischen zu erweitern: Die Nicht-Identität des Anderen führt demnach zur Anerkennung der eigenen Nicht-Identität.

Der zweite Teil des Bandes, „Legacies of Totalitarianism, Antisemitism, and Crimes against Humanity“, behandelt nicht nur Arendts und Adornos Versuche, den Totalitarismus zu verstehen. Er fragt auch danach, wie sich vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Globalisierung mit Arendt und Adorno über neue (institutionelle) Möglichkeiten zur Prävention und Ahndung von Menschenrechtsverstößen nachdenken lässt. Den Anfang macht mit Lars Rensmann einer der beiden Herausgeber. Er zeigt, dass sowohl Arendt als auch Adorno der Erfahrung des Totalitarismus mit einer ausdrücklich kosmopolitischen Antwort begegnen. Das ist alles andere als ein selbstverständliches Argument. Zwar muss Arendts zum geflügelten Wort aufgestiegene Idee vom „Recht, Rechte zu haben“ heute noch für jede kosmopolitische Theorie als Referenz herhalten, doch ist aufmerksamen LeserInnen ihre strikte Ablehnung jeglicher Form dessen, was wir heute als supranationale Institution bezeichnen, ebenso bekannt. Auch Adorno steht der Idee eines seiner Meinung nach alles homogenisierenden kosmopolitischen „melting pots“ (Adorno 2012: 116) skeptisch gegenüber. Diesem möglichen Einwand scheint Rensmann sich bewusst und spricht daher im Anschluss an Arendt und Adorno von einem „grounded cosmopolitism“ (131). Dieser gehe vom Partikularen („sociohistorical conditions, political contexts, and particular human experience“) aus, um von da aus über die Realisierung des Universellen („the unconditional prevention of genocide and […] the possiblity of human freedom“, 131) nachzudenken.

Nach Robert Fine besteht ein Grundproblem der Moderne sowohl für Arendt als auch für Adorno in der modernen Trennung von Subjekt und Objekt. Diese Trennung habe nicht gezwungenermaßen in die Katastrophe des 20. Jahrhunderts geführt, stelle aber eine notwendige Bedingung für diese dar. Um nicht wieder in die Barbarei abzurutschen, braucht es nach Fine „human insitutions“ (155). In den Arbeiten von Arendt und Adorno fänden sich zum einen Skizzen solcher Institutionen – vor allem juridischer Art: „ideas of right, law, and legality“ (156) –, zum anderen aber auch – sozusagen als Warnung – „enduring images of what can happen when theses institutions are destroyed“ (156).

Die beiden letzten Aufsätze dieses Teils, von Jonathan Judaken sowie von Julia Schulze Wessel und Lars Rensmann, liefern zwei unterschiedliche Interpretationen des Antisemitismus-Themas bei Arendt und Adorno. Für Judaken teilen Arendt und Adorno, trotz aller Unterschiede in ihren jeweiligen Erklärungsansätzen zum Antisemitismus („interactionist“ vs. „psychoanalytic approach“), ein nicht unproblematisches Erklärungsmuster: eine Figur der Differenz, die Judaken als „the conceptual jew“ (173) bezeichnet. Zwar liefere diese Chiffre, die neben Juden auch andere gesellschaftliche Außenseiter wie Homosexuelle oder Nomaden mit einbezieht, ein wichtiges Analyse-Instrument, um einige Funktionsweisen des Antisemitismus besser zu verstehen. Allerdings führe die Art der Personalisierung, die dieses Konzept vornehme, auch dazu, dass Arendt und Adorno bestimmte stereotype Vorstellungen vom Judentum gerade wiederholten.

Für Julia Schulze Wessel und Lars Rensmann ist der Antisemitismus der konstitutive Baustein der Nazi-Ideologie. Den AutorInnen dieses Kapitels zufolge nähern sich Arendt und Adorno dem Thema vom gleichen Paradox aus: Während der Antisemitismus als „individual resssentiment“ (199) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung verlor – ob diese These empirisch haltbar ist, sei hier dahingestellt –, wurde er als „ideological system“ (199) zur Rechtfertigung des Mordes an Millionen von Jüdinnen und Juden immer relevanter. Arendt und Adorno sehen dieses scheinbare Paradox in einem modernen Verlust von Erfahrungsfähigkeit und Urteilskraft begründet. So steht für Arendt Eichmann und für Adorno der manipulative Typ aus seinen Studien zum autoritären Charakter paradigmatisch für den modernen totalitären Antisemiten, für den die soziale und politische Funktion des Antisemitismus wichtiger ist als der eigentliche Judenhass. Auf diese Weise könne die Nazi-Ideologie „den Juden“ gerade unabhängig von individuellen Erfahrungen mit real existierenden jüdischen Menschen zum „objective enemy“ (215) erklären.

Der abschließende dritte Teil des Bandes enthält nur zwei Aufsätze. Er konzentriert sich unter dem Titel „Political Theory in Exile“ auf die Exil-Erfahrung der beiden AutorInnen. Dem Abschnitt liegt die Intuition zugrunde, nach der für Arendt wie für Adorno die Exil-Erfahrung nicht nur eine geteilte biographische Auffälligkeit darstellt, sondern auch eine politische, theoretische und epistemische Perspektive geprägt hat. Dirk Auer hebt in seinem Beitrag zwar hervor, inwiefern Emigration und die damit verbundene Erfahrung der Entwurzelung sowohl für Arendt als auch für Adorno Schlüsselerlebnisse darstellen. Gleichzeitig warnt er jedoch vor der gängigen Gewohnheit vieler RezipientInnen, einen allzu monokausalen Zusammenhang zu suggerieren. Er schlägt stattdessen vor, das Exil bei Arendt und Adorno als „metaphorical description of an epistemological-political position“ (243) zu verstehen, von der aus das Denken nach dem Zivilisationsbruch einzig noch möglich ist. Mit dieser Figur, die zwischen Innen und Außen, Individuum und Kommunitarismus, leerem Universalismus und blindem Partikularismus oszilliert, verortete er beide in einer „intermediate position […] in the discussion about modernity and postmodernism“ (238) und steht damit im Einklang mit der zu Beginn des Bandes formulierten These der Herausgeber.

Mit Samir Gandesha beschließt der zweite Herausgeber den Band. Für ihn liegt die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Adorno und Arendt darin, dass beide den Erfahrungsbegriff ins Zentrum ihres Denkens stellen. Nicht nur diagnostizieren beide eine in der Moderne zunehmende Erfahrungsunfähigkeit, auch sei es grade die eigene Exil-Erfahrung, die die jeweiligen Rehabilitationsversuche anleitet. Jedoch begründet Gandesha diese These nicht biographisch, sondern anhand der Kritik (Adorno) bzw. kritischen Aneignungen (Arendt) der Philosophie Martin Heideggers. In dieser – in Auseinandersetzung mit Heidegger entstandenen – „homeless philosophy“ (279) sieht Gandesha die Aktualität beider DenkerInnen in einer Zeit „of forced migration perhaps unseen on such a scale since the interwar period, which will no doubt increase in the near future as a result of global climate change“ (249).

III

Ein Verdienst des Bandes besteht schon allein darin, dass er ein echtes Forschungsdesiderat angeht. Er tut dies ernsthafter als das 2003 ebenfalls unter Rensmanns Mitwirken entstandene deutschsprachige Buch, in dem manche Beiträge (wie die von Alex Demirović oder Jörg Ahrens) eher darauf zielten, die Dichotomie zu verschärfen, als Arendt und Adorno tatsächlich miteinander ins Gespräch zu bringen. Auch haben einige AutorInnen damals noch einen historisierend-biographischen Schwerpunkt gewählt. Der Band von Rensmann und Gandesha ist insgesamt theoretisch durchdrungener.

Das Buch stellt also einen Schritt in die richtige Richtung dar, obgleich es sich schon aufgrund der essayistischen Darstellungsform noch nicht um eine vollständig systematische Darstellung handeln kann. Es ist schon der Konzeption solcher Sammelbände geschuldet, dass in den verschiedenen Aufsätzen jeweils nur Einzelaspekte beleuchtet werden. So vergleicht beispielsweise Benhabibs Beitrag buchstäblich nur zwei – noch dazu kleinere – Texte. Manche dieser hier behandelten Einzelheiten sind dabei als zentral anzusehen – Beispiele wären die Beiträge von Bernstein oder Villa, die Arendts Politikbegriff im Lichte von Adornos Kritischer Theorie (und deren Ermangelung einer Politikkonzeption) behandeln. Andere sind eher peripher: Thomä beispielsweise muss für seine adornitisch inspirierte Kritik an Arendts Liebesbegriff letzteren erst einmal sorgfältig aus randständigen Frühschriften und privaten Notizen herausdestillieren. Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass das erste Kapitel der Herausgeber so ausführlich angelegt ist. Im Rahmen einer verlängerten Einleitung muss ihr Versuch einer systematischen Beschreibung zwar an der Oberfläche bleiben, stellt aber einen guten Rahmen für die einzelnen Aufsätze des Bandes dar.

Ebenfalls der grundsätzlichen Konzeption von Sammelbänden ist es geschuldet, dass die Beiträge in Herangehensweise und Niveau etwas schwanken. Manche Beiträge (wie der von Jonathan Judaken) verfahren rein rekonstruktiv und sind in erster Linie als Beiträge zur intellectual history zu verstehen. Andere gehen stärker aneignend vor und fragen nach der Bedeutung von Arendts und Adornos Denken für die aktuelle politische Theorie. Manche nehmen es dabei mit der Exegese genauer. Ein besonders positives Beispiel ist Benhabibs Aufsatz, in dem sie nachweist, dass es einige erstaunliche Gemeinsamkeiten gibt, ohne über die Unterschiede hinwegzusehen. Andere Texte bieten idiosynkratischere Lesarten an; beispielsweise überrascht die Nonchalance, mit der Fine aus Arendt und Adorno lupenreine RechtstheoretikerInnen macht.

Wenn es einen echten Kritikpunkt gibt, dann dass einige Beiträge dazu neigen, die jeweiligen Rekonstruktionen von Arendt und Adorno nebeneinander stehen zu lassen. Ein Beispiel hierfür ist wiederum Fine, der Arendts und Adornos jeweiligen Ausführungen zu Nationalstaat und Menschenrechten in verschiedenen Unterkapiteln diskutiert. Eine Zusammenführung sucht man anschließend vergebens. In einer noch problematischeren Variante geht dieses Vorgehen damit einher, dass der betreffende Autor einen ‚Liebling‘ hat. Der sehr gute Aufsatz von Bernstein zum Beispiel besticht durch die These, dass Arendts Politikbegriff Adornos Paradox des Neuen lösen könnte. Auf die Nennung von Adornos Namen im Rahmen dieser These folgt eine ausführliche Besprechung von Arendts Konzeption des Versprechens und dessen Transformation in Macht sowie ihres Verständnisses des zivilen Ungehorsams und wie dieses als Neugründung verstanden werden kann. Eine Rückbindung dieser – klugen und differenzierten (!) – Arendt-Analyse an die Ausgangs-These und damit an Adornos Denken kommt allerdings viel zu kurz. Wie bereits erwähnt, sind das alles aber für einen Sammelband typische Phänomene, die teilweise der Kürze und essayistischen Form der Texte geschuldet sind, in denen sich hier einem schwierigen und kontroversen Thema genähert wird. Diese Anmerkungen sollen den Verdienst des Bandes insgesamt nicht schmälern.

Denn: AutorInnen, die auf die Unterschiede von Arendt und Adorno verweisen, gibt es genug. Meist bleibt es bei diesem Verweis und einer daraus abgeleiteten Entweder/Oder-Dichotomisierung. Rensmann und Gandesha kommt das große Verdienst zu, diese Dichotomie zu hinterfragen und auch einmal auf die oft übersehenen Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Was darüber hinaus noch interessant wäre – allerdings im Rahmen eines solchen Sammelbandes kaum geleistet werden kann und schon deshalb nicht als Vorwurf zu verstehen ist –, ist die Frage, inwiefern produktiv mit diesen Gemeinsamkeiten und Unterschieden umgegangen werden könnte. Die Herausgeber deuten diese Forderung mit ihrer Annahme, nach der Arendt und Adorno gemeinsam für einen difference-sensitive-universalism jenseits von Moderne und Postmoderne stehen, selbst an. Doch gehen nur wenige Beiträge dieser These intensiver nach, sondern verweisen oft nur vage auf die merkwürdige Zwischenposition, die Arendt und Adorno zwischen Universalismus und Partikularismus einnehmen. Wünschenswert wäre hier eine noch tiefergehendere Auseinandersetzung mit der Frage, welches Potential ein solcher difference-sensitive-universalism heute – vor dem Hintergrund einer globaler werdenden Welt – anbietet. Das allerdings bleibt vorerst eine Forderung an die weitere Forschung.

Literatur

Adorno, Theodor W. Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2012.

Arendt, Hannah. Denktagebuch 1950–1973, Band 2. Hrsg. von Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann, München: Piper, 2003.

Auer, Dirk/Rensmann, Lars/Schulze Wessel, Julia (Hrsg.). Arendt und Adorno, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003.

Weissberg, Liliane (Hrsg.). Affinität wider Willen? Hannah Arendt, Theodor W. Adorno und die Frankfurter Schule, Frankfurt am Main/New York: Campus, 2011.


  1. Beim hier besprochenen Buch handelt es sich aber, trotz ähnlichen Titels, nicht um eine Übersetzung. Lediglich zwei Aufsätze, die im 2003er Band bereits erschienen sind, wurden für den besprochenen Sammelband in leicht abgewandelter Form ins Englische übersetzt.

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