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Marcus Quent und Eckardt Lindner (Hrsg.): Das Versprechen der Kunst. Aktuelle Zugänge zu Adornos Ästhetischer Theorie. Wien: Turia + Kant 2014. 270 Seiten. [ISBN 978-3-85132-741-0]

Rezensiert von Andreas Wiebel

Neue Stimmen zur Ästhetischen Theorie: Das Versprechen der Kunst

Es geht um den Rest. Um das, was in einer durchrationalisierten und vom Identitätsprinzip bestimmten Gesellschaft hinten runter fällt. Theodor W. Adorno war ein Denker dieses Rests. Des „Moments, in dem die Menschen einmal aufatmen mögen“, auch als „Versöhnung“ (7) bezeichnet. Insbesondere in der Ästhetischen Theorie, in der Adornos Auseinandersetzung mit der Kunst stattfindet, die ihm als „Hort des Rests“, als „Zufluchtsstätte des Unverfügbaren“ (9) galt. Denn die Kunst hat nach Adornos Verständnis die Kraft, das Bestehende zu transzendieren und dadurch als Korrektiv auf den instrumentalisierten Erkenntnisprozess der Menschen zu wirken. Obwohl bereits 1970 erschienen, besitzt die Ästhetische Theorie auch heute noch viele „unabgegoltene Potentiale“ (Sonderegger 2011: 426). Auf diese haben es die Herausgeber des Bandes Das Versprechen der Kunst abgesehen, wenn sie im Vorwort schreiben, Adornos Ästhetische Theorie stelle „eine reiche Fundgrube dar […], weil hier Verknüpfungen entfaltet werden, die in gegenwärtigen Diskursen, die Ästhetisches und Politisches in Beziehung zu setzen versuchen, merklich unbedacht bleiben“ (9).

Auf 270 Seiten sollen daher aktuelle Zugänge zur Ästhetischen Theorie eröffnet werden, ohne den Herausforderungen, die dieses Unterfangen mit sich bringt, aus dem Weg zu gehen. Im fragmentarisch gebliebenen Spätwerk Adornos ist die Idee von Kunst zu einem emphatischen Begriff verdichtet. Kunst, Philosophie und Gesellschaft sind untrennbar ineinander verflochten (vgl. 9), was automatisch die Frage aufwirft, ob dieser Kunstbegriff heute noch Gültigkeit besitzt. Adorno war sich seiner Zeitgenossenschaft und deren Implikationen ebenso bewusst wie die Autoren des Bandes. Sie stellen fest, dass der Frankfurter Philosoph und Kulturkritiker heute nur noch „als musealisierter Denkerkopf präsent“ (7) sei. Lediglich zu Jubiläums- und Straßenbenennungs-Zwecken werde seiner gedacht, was die beiden Herausgeber „Präsenz im Stillstand“ (7) nennen. Nicht ohne Grund, wie Marcus Quent und Eckardt Lindner zugeben, denn die Auseinandersetzung mit Adorno führt in tiefe, dialektische Zusammenhänge, bisweilen auch unüberwindbare Widersprüche, weil „alle Begriffe der Ästhetischen Theorie […] janusköpfig“ (10) sind. Dazu kommen die „vielgestaltigen Diffusionstendenzen in der Kunstwelt“ (10f.), die seit Mitte des 20. Jahrhunderts nicht weniger geworden sind und sich zu einer „Ästhetisierung des Alltags“ und „Alltäglichkeit der Ästhetisierung“ (13) entwickelt haben. Schon Adorno reagierte auf diesen Paradigmenwechsel mit Begriffen wie Entgrenzung und Verfransung, ohne jedoch seinem bürgerlichen Werk-Kanon untreu zu werden. Insofern gelte es, den Wegfall des Werkbegriffs beim Abgleich der Phänomene der Gegenwartskunst mit seinen Studien über Beckett, Schönberg oder Beethoven zu bedenken, um dem „Eindruck des Unzeitgemäßen“ (11) zu entgehen. Das Versprechen der Kunst ist das Ergebnis zweier studentisch organisierter Veranstaltungsreihen zur Frage nach der Aktualität von Adornos Kunst-Philosophie, die 2012 und 2013 in Leipzig stattfanden. Herausgekommen ist ein Sammelband mit 14 Beiträgen über Kunst, Philosophie und allem was dazu gehört. Der räumlichen Beschränkung dieser Rezension ist es geschuldet, dass hier nicht alle Beiträge berücksichtigt werden können. Die Auswahl richtete sich nach den eigenständigsten und im Hinblick auf den Untertitel (Aktuelle Zugänge zu Adornos Ästhetischer Theorie) gehaltvollsten Inhalten.

Den Anfang machen die Aufsätze von Anna Danilina und Marcus Quent, die sich mit Grundbegriffen adornitischer Kunstphilosophie beschäftigen – Wahrheit, Identität, Natur, Mimesis – und deshalb auch als Einführungen in die Debatte gedacht sind. Quent legt seinen Fokus überdies auf die Möglichkeiten von Praxis ästhetischer Theorie, das heißt auf die Frage, wie sich autonome Kunst auf Gesellschaft auswirke. „Fremdheit zur Welt ist ein Moment der Kunst; wer anders denn als Fremdes sie wahrnimmt, nimmt sie überhaupt nicht wahr“ (Adorno 1970: 274) – und Quent fügt als Argument für diese Definition Adornos hinzu:

Kunst, sofern sie sich selbst keiner ontologischen Substanzialität versichern kann, existiert einzig in dieser Emphase und als diese Emphase, in der Geste des Einschnitts. Ohne diese ist es sinnlos, Dinge und Praktiken unter dem Namen Kunst anzurufen. (30)

Will man also keinem Kunst-Essentialismus verfallen, bleibe als Erfahrung nur die Alterität, denn Kunst könne keine unmittelbaren Handlungsalternativen oder Lösungskonzepte re-präsentieren, sonst verhielte sie sich selbst affirmativ zum schlechten Lauf der Welt, wie Quent schlussfolgert.

An die sozial-utopische Dimension der Kunst schließt sich Danilinas Studie über die ästhetische Form als Kritik. Die Autorin setzt sich dafür mit dem Zentralbegriff der Ästhetischen Theorie auseinander: dem Formbegriff. Denn dieser ist das „Schlüsselmotiv in der Ästhetik Adornos, durch das mimetische Erfahrung von der Idee der Unmittelbarkeit geschieden und die ästhetische Erfahrung an Gesellschaft und Geschichte rückgebunden wird“ (55). Kraft seiner ästhetischen Form werde das autonome Kunstwerk „zum Vermittler zwischen dem dargestellten Objekt und dem betrachtenden Subjekt“ (55). So heißt es bei Adorno: „Form versucht, das Einzelne durchs Ganze zum Sprechen zu bringen“ (Adorno 1970: 217), weil in der Form das Singuläre und Besondere mit dem Allgemeinen und Ganzen amalgamiere. Einzelne Töne, Worte, Farben oder Bewegungen werden durch die Komposition, den Text, ein Gemälde, Tanz- oder Theaterstück „aufeinander und zum Ganzen“ (Adorno 1970: 216) in Beziehung gesetzt und weil Form sich nicht jenseits von Geschichte denken lasse, weshalb sie immer schon gesellschaftlich vermittelt sei, was Adorno als Doppelcharakter der Kunst, als autonom und fait social bezeichnet. Danilina führt aus: „Die Aktualität von Kunst ist nicht an Inhalt gebunden, sondern an die Form der Darstellung und die darin artikulierte Kritik an Formen von Denken und Gesellschaft“ (56). Dementsprechend liegen in der Auseinandersetzung mit der ästhetischen Form die Konstitutionsbedingungen einer neuen Wahrnehmung (vgl. 57) und letztlich einer anderen Form der Gesellschaft (vgl. 62).

Bis zu dieser Stelle liefert der Sammelband zwar keine wesentlich neuen Forschungsergebnisse und bei diversen Referenzen auf Beckett und Kafka hätte man sich mehr Gegenwartsbezug gewünscht. Die Begriffe allerdings sind solide erarbeitet und der in seiner Komplexität anregende Zusammenhang zwischen Kunst und Gesellschaft bei Adorno kann nicht oft genug erläutert werden. Auch Michael Hirsch hält sich in seinem Text über ästhetischen und politischen Messianismus nach Adorno mit Novitäten zunächst zurück. Grundsätzliches zu dieser spiritual-politischen Kategorie hat bereits Walter Benjamin geschrieben, der hier als Stichwortgeber recht spärlich Verwendung findet. Hauptreferenz bleibt Adornos Ästhetische Theorie, aus der Hirsch Beachtliches freilegt, indem er die Funktionslosigkeit der Kunst mit der Rettung verknüpft und sie als radikal ethischen Wert, als uneingelöste Utopie bezeichnet (vgl. 73): „Funktionslosigkeit ist eine Metapher für den messianischen Zustand der Befreiung“ (84). Woran Hirsch einen Konjunktiv-Gedanken knüpft: Was wäre, wenn die messianische Rettung wirklich würde? Wenn das Bilderverbot fiele und der Modellcharakter der Kunst sich einlöste? Als Antwort spricht der Autor aus, was den gesamten Band als positionsfest und in Zeiten akademischer Ohnmacht als mutig auszeichnet. An der „Möglichkeit einer vernünftigen Einrichtung der Gesellschaft“ (71) müsse festgehalten und die falsche Einrichtung der Welt beim Namen genannt werden: kapitalistische Lohnarbeit (vgl. 74). Mit Bezug auf die Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, in denen Karl Marx schreibt, dass es auf die Reduktion der notwendigen Arbeitszeit auf ein Minimum ankomme, um die Befreiung der Individuen zu verwirklichen, fordert Hirsch auch für heute weniger Funktion und mehr Haltung (vgl. 75), was sich eben qua bestimmter Negation anhand funktionsloser, ästhetischer Gebilde zeigen lasse. Allerdings sei jene Kunst, die als Modellcharakter und Vorläufer dieses Lebens und Arbeitens in Frage komme – klassischerweise als Avantgarde bezeichnet – im vergangenen Jahrhundert in die Krise geraten (vgl. 78f.). Hirsch hält sich nicht weiter mit der Genese dieser Entwicklung auf, die er als „Unspezifischwerden der Kunst“ (80) klassifiziert, sondern kommt gleich auf deren Konsequenzen zu sprechen: In der Suche nach freien Betrachtungs- und Lebensweisen – und zwar nicht die der Professionellen, sondern jenen der Amateure –, bestehe die Hoffnung auf ein besseres Morgen; worin er auch eine Herausforderung an die klassischen Intellektuellen erkennt (vgl. 85).

Ein spießbürgerlicher Positivist, wer die messianische Spur der Kunst als frommes Wunschkonzert abtut. Aber dass die Bedingungen für die ästhetisch vermittelten Forderungen erst politisch vorbereitet werden müssen, dessen ist sich am Ende auch Hirsch bewusst (86).

Flüssige Verhältnisse oder das Ästhetische als Meta-Medium

Im Text „Verfransung und Digitalität“ bespricht Kerstin Stakemeier das verhängnisvolle Autonomwerden des Marktes und die Ent-Autonomisierung der Künste. Die Entgrenzung der Künste, bzw. Verfransung, wie Adorno es nannte, markierten das Ende der Moderne. Während Adorno noch „von einer ursächlichen Differenz zwischen Kunst und Leben“ (149) ausging, „um die Autonomie der einen für das andere zu sichern“ (155), ist dieser Kontext in der Gegenwartskunst nicht mehr gegeben (vgl. 149). Laut Juliane Rebentisch sei die Autonomie heute nicht mehr durch die Produktion definiert, sondern in der spezifischen Erfahrung der Künste, zwischen Kunstobjekt und erfahrendem Subjekt (vgl. 145), was Rebentisch als Intermedialität beschreibt. Dadurch sei die Autonomie kommunikativ geworden, die Trennung von Kunst und Leben habe sich dynamisiert und den genuinen Bereich der Kunst verlassen: „Autonomie prozessiert“ (146), das heißt Kunst wird zum Plural. Stakemaier positioniert sich mit ihrem Autonomiebegriff zwischen Peter Bürgers Theorie der Avantgarde und Rebentischs Ästhetik der Installation, indem sie ihn einerseits von künstlerischen Arbeitsformen abkoppelt und andererseits am künstlerischen Produktionsparadigma und damit an Adornos Begriff festhält (vgl. 144). Das Resultat der Neo-Autonomie bestehe darin, dass die Kategorisierungen „der ästhetischen Medien selbst außerästhetisch geworden sind“ (147). Wirklich wertvoll wird Stakemeiers Beitrag durch ihre Transferleistung: Zeitgleich zum Übergang der künstlerischen Gattung zum offenen Medium ereignete sich im Verlauf der 1990er Jahre eine Veränderung im ökonomischen Bereich, die in die künstlerische Produktion hinein spiele: Kapitale Digitalisierung! Nach der Dienstleistung wurde die Digitalisierung zum Maßstab gesellschaftlicher Reproduktion (vgl. 150f.). So seien Real- und Finanzökonomie heute ununterscheidbar und auch die Zweckgebundenheit des Kapitals habe sich autonomisiert, infolgedessen sich Kunst und Leben in entgegengesetzte Richtungen trennten: „Das Leben im Kapitalismus wurde fraglich, während die Kunst zu einem alltäglichen kulturellen Ausdruck wurde. Das Verhältnis ‚autonomer‘ und ‚zweckgebundener‘ Medien scheint umgekehrt“ (155). Um der Parallelisierung unter umgedrehten Vorzeichen zu begegnen, plädiert Stakemeier deshalb sehr anregend für eine digitale Medienspezifik als Produktions- bzw. Desintegrationsform, in der „Intermedialität und Gattungsgrenzen der Kunst sich nicht ausschließen, sondern der Zeitkern künstlerischer Arbeit mit demjenigen des krisengeschüttelten Kapitalismus zersplittert und ausformulierbar wird“ (152f.). Digitalität solle dabei als Metamedium auftreten, als Vermittlungsform und „Autonomisierung der Kunst inmitten von Intermedialitäten“ (153). Oder klassisch à la Hegel, als Erscheinung der Wahrheit?

„Adorno und die Musik“ heißt Claus-Steffen Mahnkopfs kurzweilig formulierter Beitrag, der mit einem Experiment beginnt. Einer Frage, die sich vermutlich jeder ‚Adorno-Fan‘ schon einmal gestellt hat: Was hätte Adorno dazu gesagt? Zu den Entwicklungen der Neuen Musik, die Mahnkopf als Komponist dieser Tradition besonders am Herzen liegen, aber auch zu Techno, Punk und Popmusik? Gerade die Konfrontation mit der populären Musik hält Mahnkopf für den „Lackmustest einer Dialektik der Aufklärung“ (189) und fühlt sich realistisch in Adorno ein: „Als Musiker hätte er nur Abscheu und Verachtung empfunden. Aber als Soziologe hätte er auf Angriff umschalten können“ (189). Mahnkopf hat nicht nur ein positives Bild eines zeitgenössischen Adornos im Kopf – er hatte keine „Konsensmentalität, „hätte bei der ubiquitären Kumpanei sicherlich nicht mitgemacht“ (196) –, sondern glaubt auch an die Kraft der Kritik und des aufgeklärten Diskurses. Denn neben Adornos Meinung als Konsument spekuliert er vor allem auf dessen Einlassungen als Autor kulturindustriekritischer Texte. „Ich glaube nicht, dass Adorno sich in einen Elfenbeinturm zurückgezogen hätte“ (194). Im Gegenteil, Mahnkopf nimmt an, Adorno hätte den Herbst seines Lebens nicht im Tessin, sondern mit dem Schreiben von Schlageranalysen verbracht (vgl. 194) und dabei nicht nur Töne, Text und Tanz berücksichtigt hätte, sondern auch den Kontext. Zum Beispiel bei Lena Meyer-Landrut: Für einen Musiksoziologen wäre es interessant zu erfahren, wie so ein Mädchen ohne Gesangsvermögen ein Millionenpublikum begeistern könne. Im Sinne Adornos hätte die Antwort auf diese Frage immer die Gesamtgesellschaft zu berücksichtigen und für alle Gattungen seine Gültigkeit: Kunst heute sei Kunstmarkt und die berühmten Künstler seien es nicht aufgrund ihrer Genialität, sondern ihrer Verkäuflichkeit (vgl. 195). „Angesichts all dessen hätte Adorno sein Kapitel über Kulturindustrie nicht zurückgenommen, er hätte es zu einem – ätzend scharfen – Buch ausgeweitet“ (196).

Beständige Sehnsucht nach dem Unzugerichteten

In der Tradition der Ästhetischen Theorie begreift der Sammelband Ästhetik als philosophische Disziplin, womit die Herausgeber am Wahrheitscharakter und Erkenntnisanspruch der Kunst festhalten, da „das philosophische Denken der einzige Weg [ist], die Wahrheit der Kunst […] aufzudecken“ (10). Die Begriffsarbeit nicht aufzugeben, bedeutet auch die Zurückweisung der ästhetischen Posthistoire, in der Kunst mehr oder weniger nur noch Zufall, bloße Behauptung ist.

Denn in einer Zeit, in der fast alle zwischenmenschlichen Beziehungen zur Ware geworden sind und deshalb offensichtlich ist, dass Kapitalismus und Kunst nicht funktionieren (vgl. 195), sind bloße Behauptungen zu wenig. Im Gegenteil: Folgt man dem Tenor der Autoren, so lässt sich festhalten, dass das, was Horkheimer und Adorno beschreiben, zwar heute schlimmer ist, „als diese sich das je hätten vorstellen können“ (239), aber dennoch die Chance besteht, mit der Kunst darüber hinauszugehen, weil in ihr eine messianische Kraft liegt, mit einem „alles verwandelnden Potenzial“ (68). Oder wie Quent es formuliert: „Ohne das Moment der Transzendenz wäre jegliche Kunst obsolet, schlichtweg ‚Ding unter Dingen‘“ (26).

Dennoch bleibt diese Utopie der Ästhetik nur ein Versprechen, das Versprechen der Kunst, da die Kunst zwar vom Glück spricht, aber es nicht einlöst. Für die Vermittlung dieser Leerstelle bzw. Negativerfahrung bedarf es der begrifflichen Reflexion, „auch wenn eben diese Negativität nie ganz im Begriff aufgeht“ (10). Der Band nimmt dazu nicht nur Bezug auf die gängigen deutschsprachigen TheoretikerInnen ästhetischer Theorie wie Christoph Menke, Martin Seel, Juliane Rebentisch u.a., sondern auch auf den französischsprachigen Diskurs. Insbesondere in Jan Völkers Beitrag „Aufgabe und Elend der Philosophie“ kommen Jacques Rancière und Alain Badiou zur Sprache. Im Anschluss an vergleichbare Sammelbände über Adornos (ästhetische) Theorie, zum Beispiel Ästhetische Positionen nach Adorno (Schwering/Zelle 2002), Adorno im Widerstreit (Ette et al. 2004), Kritische Theorie Heute (Winter/Zima 2007) oder Wozu Adorno? (Kohler/Müller-Doohm 2007), gehört Das Versprechen der Kunst sicherlich zu den gelungeneren Aktualisierungsversuchen, weil hier nicht nur Thesen recycelt werden, sondern um eine kompromisslose, aber den aktuellen Phänomenen nicht abgewandte Fortführung des erwähnten Rests und das heißt um kritische Theorie gerungen wird. Oder wie Christoph Türcke es im abgedruckten Interview formuliert:

Kultur lässt sich heutzutage weder erzeugen noch wahrnehmen an den Standards der Kulturindustrie vorbei. Nur durch die Selbstreflexion dieser Standards hindurch lassen sich die Widerstands- und Bremsfunktionen ausüben, die dann vielleicht den Titel „Kunst“ verdienen. (240)

Zwar lässt auch Das Versprechen der Kunst keine klar definierte, gemeinsame Forschungsfrage erkennen, bisweilen gehen die einzelnen Beiträge sogar höchst eigenen Motiven nach, wie Mahnkopfs Rede gegen die Negative Dialektik (vgl. 193) oder Hirschs Plädoyer für eine Lockerung des Bilderverbots (vgl. 86), aber als Sammelband funktioniert die Publikation. In ihrer Multi-Perspektive auf und aus dem Theater, der Musik, Literatur, Theologie und Philosophie wird eingelöst, was sich die Herausgeber vorgenommen haben: Den „Zeitkern“ der Ästhetischen Theorie auszugraben und keine Inhalte und Urteile zu wiederholen, „sondern die Praxis, Form und Methode dieses Denkens“ (8). Dies gelingt trotz oder vielleicht gerade wegen einer weit auseinander gehenden Altersstruktur der BeiträgerInnen. So sind in diesem Band nahezu drei Generationen Adorno-ForscherInnen vertreten, was auch belegt: Die Ästhetische Theorie ist und bleibt ein widerständiges, und damit reizvolles Programm.

Stichwortgeber nach wie vor

Was fehlt, ist ein kurzer Abriss der gegenwärtigen Ästhetik-Diskussion und Informationen darüber, welche Rolle Adorno noch spielen könnte. Im Anschluss an Rüdiger Bubner scheint es, als sei der Begriff der ästhetischen Erfahrung ins Zentrum der Auseinandersetzung gerückt, nachdem die Grenzen der Künste aufgelöst worden sind und das Werk zu einem Prozess geworden ist. Dieser Erfahrungsbegriff zielt allerdings nicht mehr auf Wahrheit ab, sondern nur mehr auf Wirkung. Am Bruch von Philosophie und Kunst lässt sich mit Adorno kritisieren, dass es folglich nur noch um sinnliche Wahrnehmung geht und nicht mehr um philosophische Erkenntnis. Ästhetik heute hat deshalb kaum mehr etwas „mit der kritischen Selbstreflexion des Reflexionsvermögens zu tun, […] sondern ist ein alltagssprachliches Synonym für eine bloß noch aufs Dekorative reduzierte Idee der Schönheit“ (Behrens o.J.: 5). In den Werken der Kulturindustrie ist Erkenntnis sogar komplett verstellt, weil dort zur Erfahrung wird, was man ohnehin weiß: Die Wahrheit ist der Warencharakter.

Daneben gibt es aber Gegenwartskunst, die auf ernsthafte Auseinandersetzung wartet, weil an Gegenwartsästhetik großer Mangel herrscht. Für den emanzipativen und moralisch konsequenten Diskurs bleibt Adornos Ästhetische Theorie nach wie vor der bedeutendste Stichwortgeber. Zugegeben, seine Konzeption lässt sich nicht ohne Subjekt-Objekt-Logik denken und auch beim Materialbegriff, der mit geschichtsphilosophischen Herausforderungen einhergeht, muss man Zugeständnisse machen. Denn Adorno war ja der Meinung, dass ein gelungenes Kunstwerk ein Statthalter der befreiten Menschheit ist und eine ästhetische Erfahrung bedeute, am „Vorschein von Versöhnung“ (Adorno 1970: 251) teilzuhaben. Aber das Festhalten am objektiven Gehalt von Kunst, der Spiegelung von Geschichte und einer formalästhetischen Spannung, die durch Nichtidentität zur Gesellschaftskritik wird, behält so lange Gültigkeit, bis die (Wert-)Form entweder radikal abgeschafft oder umgesetzt wird und das Leben nicht mehr für andere, sondern für sich selbst sein kann – wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse also keine ästhetisch-scheinhaften Versprechungen mehr erforderlich machen.

Literatur

Adorno, Theodor W. Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften Band 7, hg. von Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1970.

Behrens, Roger. Kunst als soziales Verhältnis. Anmerkungen zur Ästhetisierung der Politik. ‹http://txt.rogerbehrens.net/kunstsozial.pdf› (Letzter Abruf: 31. Januar 2015).

Ette, Wolfram, Günter Figal, Richard Klein und Günter Peters (Hg.). Adorno imWiderstreit. Zur Präsenz seines Denkens. Freiburg: Alber, 2004.

Kohler, Georg und Stefan Müller-Doohm (Hg.). Wozu Adorno? Beiträge zur Kritik und zum Fortbestand einer Schlüsseltheorie des 20. Jahrhunderts. Weilerswist: Velbrück, 2008.

Sonderegger, Ruth. „Ästhetische Theorie.“ In: Adorno-Handbuch, hg. von Richard Klein, Johann Kreuzer und Stefan Müller-Doohm, 414–427. Stuttgart: Metzler, 2011.

Schwering, Gregor und Carsten Zelle (Hg.). Ästhetische Positionen nach Adorno. München: Fink, 2002.

Winter, Rainer und Peter V. Zima (Hg.). Kritische Theorie Heute. Bielefeld: transcript, 2007.

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