Artikel als PDF herunterladen

Zeitschrift für philosophische Literatur 2. 3 (2014), 56–69

Varga, Somogy: Authenticity as an Ethical Ideal. New York und Abingdon: Routledge 2012. 185 Seiten. [978-0-415-89533-0]

Schweber, Howard H.: Democracy and Authenticity. Toward a Theory of Public Justification. Cambridge: Cambridge University Press 2012. 439 Seiten. [978-1-10-701533-3]

Rezensiert von Jan Achim Richter (Universität Hamburg)

Charles Taylor spricht in seinem Werk Das Unbehagen an der Moderne (1995) davon, dass wir in einem Zeitalter der Authentizität leben – einem Ideal, nach dem man ein Leben führen soll, das ausdrückt, wer man wirklich ist. Taylors Anliegen war es, das Ideal vor dem verbreiteten Verständnis zu retten, Authentizität beziehe sich allein auf einen inneren Kern des Ichs, weil damit der Vorwurf verbunden wurde, das Ideal leiste einer Passivität gegenüber sozialen Zuständen und einem Narzissmus Vorschub. Im Gegensatz zu diesem rein individualistischen Verständnis stellt Taylor Authentizität in einen sozialen Zusammenhang, in dem jedes Individuum auf sein soziales Umfeld angewiesen sei, um sein „wahres Ich“ auszubilden, und dabei aufgrund des menschlichen Grundbedürfnisses nach Anerkennung immer abhängig von anderen bleibe. Wichtiger noch für ein angemessenes Verständnis von Authentizität ist jedoch für Taylor, dass sie sich auf die Art und Weise bezieht, wie man Ziele und Zwecke verfolgt. Authentisch ist nach Taylor, wer etwas von ganzem Herzen will. Authentizität wird so unmittelbar in Verbindung zur Identität gebracht, da die „authentische Person“ als Ideal der individuellen Identität angestrebt werde. Authentizität als eine Form der Selbstverwirklichung wird so zu einem zentralen Bestandteil eines gelingenden Lebens.

Angesichts dieser Leistung hat Christoph Menke zutreffend bemerkt, dass „[i]n der gegenwärtigen philosophischen Diskussion […] niemand so sehr zur Klärung dieser weitgehend vulgarisierten Idee beigetragen [hat] wie Charles Taylor“ (Menke 2011: 217). Zu Taylors Verdiensten gehört zudem, aus dem personenbezogenen Ideal explizit eine politische Implikation abzuleiten. Indem er das Ideal von Individuen auf Kollektive wie etwa kulturelle oder religiöse Minderheiten überträgt, ergibt sich die Forderung nach einer „Politik der Anerkennung“ für kollektive Identitäten, sodass diese ihre Lebensform authentisch verwirklichen können. Dahinter steht die Überlegung, dass eine kollektive ebenso wie eine individuelle Identität in ihrer freien Entfaltung behindert wird, wenn ein authentisches Leben nicht anerkannt wird. Um solche Konsequenzen zu verhindern und letztlich das Überleben kultureller oder religiöser Minderheiten zu sichern, bedürfe es daher Sonderrechte, wie sie z. B. der frankophone Minderheit in Kanada eingeräumt wurden (Taylor 1997).

Taylors Verbindung von Authentizität, Identität und gelingendem Leben findet bis heute große Resonanz (z. B. Kühnlein/Lutz-Bachmann 2011), wenngleich ihre politischen Implikationen in Bezug auf eine „Politik der Anerkennung“ als eine Art des Multikulturalismus durchaus kritisch gesehen werden (z. B. Bienfait 2006). Zwei neuere Bücher, die einander aufgrund ihrer unterschiedlichen theoretischen Ausrichtung und ihrer gegensätzlichen Bewertungen des Ideals der Authentizität gut ergänzen, führen nun die Diskussion um „Authentizität“ fort: Somogy Varga untersucht das Konzept der Authentizität in Authenticity as an Ethical Ideal aus moralphilosophischer und gesellschaftstheoretischer Perspektive und verteidigt dieses Ideal als Teil eines guten Lebens (I). In Democracy and Authenticity. Toward a Theory of Public Justification greift dagegen Howard H. Schweber die politischen Implikationen des Authentizitätsideals auf, um mit Blick auf die legitimen Rechtfertigungen in der politischen Deliberation gegen Authentizität als politisches Ideal zu argumentieren (II).

I.

Somogy Varga hat unter der Betreuung von Axel Honneth eine anregende, kurze und dichte Dissertation an der Goethe-Universität Frankfurt verfasst. Die zentrale These der Untersuchung lautet, dass sich das Ideal der Authentizität und die kapitalistische Produktionsweise gegenseitig geformt hätten. Dadurch habe sich ein mittlerweile deformiertes Authentizitätsverständnis ausgebildet, das für Varga mitverantwortlich für den Anstieg an Depressionen ist. Um diese ambitionierte gesellschaftskritische These zu belegen, gliedert Varga sein Werk in drei Teile und verbindet dabei unterschiedliche philosophische Traditionen (kritische Gesellschaftstheorie, Phänomenologie, analytische Philosophie) in der Form einer „post-analytischen“ (9) Herangehensweise.

Im ersten Teil erläutert Varga die Grundlagen für die weitere Abhandlung. Neben Erläuterungen zum Begriff Authentizität in Abgrenzung zu anderen Begriffen, wie dem der Autonomie, einem kurzen, systematischen Abschnitt über die Begriffsgeschichte und einem historischen Abriss über die Emergenz des Ideals der Authentizität geht es hier darum, die kritische Gesellschaftstheorie innerhalb der Anerkennungstheorie Axel Honneths zu verorten. Nach Honneths auf Hegel und Mead basierendem Ansatz besteht ein anthropologisch angelegtes Verlangen nach Anerkennung und eine damit einhergehende Forderung nach Anerkennung, deren Erfüllung die Bedingung einer ungestörten Ausbildung der Selbstbeziehung ist – und damit zugleich auch eines authentischen Lebens. Entsprechend ist Vargas These, dass sich hinter der Theorie der Anerkennung bei Honneth implizit das Ideal der Authentizität verbirgt. Honneth habe jedoch dieses Ideal nicht expliziert, weshalb seine Theorie für Varga unterbestimmt bleibt. In diesem Sinne lassen sich Vargas weitere Ausführungen auch als eine normative Unterfütterung des Anerkennungskonzeptes von Honneth lesen. Mit dem formalen anthropologischen Fundament beansprucht Varga darüber hinaus für sein Modell der Authentizität einen „relaxed universalism“ (55), der sich seines Kontextes bewusst bleibe und zudem einen Paternalismusvorwurf vermeide, da er keine substantiellen Aussagen über das authentische Leben treffe.

Im zweiten Teil entwirft Varga das Konzept der Authentizität durch eine detaillierte Beschreibung der „practice of authenticity“ (96) neu. Er wählt einen Mittelweg zwischen einem an Rousseau angelehnten Verständnis, wonach Authentizität die Entdeckung der eigenen Natur unabhängig von äußeren Einflüssen sei („inner-sense-model“, 62), und einem mit Nietzsche verbundenen rein konstruierten Modell der Authentizität, nach dem man sich selbst erschaffe („productionist model“, 70). Wie bei Charles Taylor steht bei Varga die Art und Weise des Wollens im Fokus seines Authentizitätsverständnisses. Hierfür verweist Varga jedoch nicht auf Taylor, sondern auf Harry Frankfurt und dessen Konzept der „wholeheartedness“ (80). Harry Frankfurt hatte diesen Ansatz im Zusammenhang mit Wünschen erster und zweiter Ordnung eingeführt. Letztere seien entscheidend für das wirkliche Selbst, während Wünsche erster Ordnung nur Ausdruck eines oberflächlichen Selbst seien. Im Fall konfligierender Wünsche zweiter Ordnung würde das höhere Maß an Ernsthaftigkeit, das man mit einem Wunsch verbinde, den Ausschlag geben. Varga zieht nun die Parallele zur Authentizität, indem er eine begriffliche Zuordnung davon abhängig macht, wie ernsthaft wir uns mit unserem Verhalten oder – wie Varga es auch nennt – unserem Projekt identifizieren. Vier Komponenten füllen Vargas Verständnis der „wholeheartedness“ aus: Ausdruck einer ganzheitlichen Identifikation sei erstens die zentrale Bedeutung („centrality“, 81), die einer Aussage oder einem Verhalten beigemessen werde. Durch die starke Bindung an zentrale Werte, Wünsche oder Motivationen käme ein Verstoß gegen diese einem Selbstbetrug an dem Projekt gleich. Zweitens sei ein authentischer Mensch geprägt von einer Kontinuität in der Orientierung an diesen Wünschen und Werten, wodurch unsere ganzheitliche Bindung gewöhnlich von langfristiger Dauer sei und zugleich ein Wunsch nach dieser Kontinuität bestehe.

Was sich bis hierhin nach einem reinen Voluntarismus anhört, verbindet Varga drittens und ähnlich wie Taylor mit einem komplexen Prozess der Eingebettetheit („embeddedness“, 98) des Individuums in soziale Strukturen und Wertungen, woraus das authentische Selbst hervorgehe. Dazu wird die Beziehung zwischen den Bindungen und Verpflichtungen, die wir eingehen, und dem kollektiven Hintergrund als konstitutiv angesehen, indem das Selbst als immer schon „eingebettet“ in die sozialen Wertestrukturen der Gemeinschaft beschrieben wird. So soll eine Verbindung entstehen zwischen dem Individuum, das selbstbestimmt über seine Identität verfügt, und den sozialen Strukturen, die Aufschluss geben über die normativen Quellen unserer Verpflichtungen. Für Varga findet dann die Wahl – das voluntaristische Moment – nur innerhalb des intersubjektiv konstituierten Hintergrunds statt, womit sie nicht determiniert, aber auf die kulturellen Werte der Gemeinschaft beschränkt sei.

Die Beschreibung der dynamischen Identitätsbildung führt über zur vierten Komponente des Konzeptes der „wholeheartedness“, der Artikulation. Varga folgt an dieser Stelle explizit Charles Taylor in der Ansicht, dass der Bedeutungshorizont selbst von qualitativen Werteunterschieden zwischen öffentlichen Gütern geprägt sei. Die Praktik der Authentizität beinhalte starke Wertungen in Form von Wertungen zweiter Ordnung über diese Güter. Diese Wertungen seien subjektiver Natur, aber – weil sie sich vor dem Hintergrund des kulturellen Bedeutungshorizontes ausgebildet hätten – nicht rein willkürlich. Da die Artikulation dieser wertenden Entscheidungen Ausdruck eines höheren, wahl-transzendierenden Wertes ist, der nicht unserer subjektiven Entscheidung für diesen Wert, sondern aus unserem eingebetteten Sein entspringt, übe dieser Wert eine normative Kraft auf uns aus, die uns dazu motiviert, ihn langfristig zu verfolgen.

So konstituieren wir uns also nach Varga über die Aggregation von starken Wertungen, die unseren Standpunkt gegenüber dem Guten offenbaren und zugleich Orientierung im Leben geben. Zum Ausdruck komme die Authentizität in Situationen, in denen wir existentielle Entscheidungen treffen. Dies veranschaulicht Varga anhand des Beispiels von Martin Luther, der bei seiner Auflehnung gegen die Kirche vor einer existentiellen Wahl gestanden habe. Luther, so Varga, musste sich für den Protest – und nicht für den Rückzug in die Kontemplation – entscheiden, da es sich für ihn um eine praktische Notwendigkeit gehandelt habe, die mit der Undenkbarkeit verbunden gewesen sei, anders zu entscheiden: „he really had no options“ (111). Varga schließt hierbei nicht aus, dass Luther sich theoretisch auch anders hätte entscheiden können, doch nur um den Preis, entweder nicht authentisch zu handeln oder seine bisherige authentische Lebensform bewusst aufzugeben und zu einer neuen Artikulation starker Wertungen und so zu einem neuen Selbstverständnis zu gelangen.

Vargas Phänomenologie der Praktik von Authentizität kann eindrücklich vermitteln, wie ein authentisches Selbst ausgebildet wird. Unklar bleibt jedoch, warum man sich in einer pluralen Gesellschaft, die von einer Vielzahl an starken Werten geprägt ist, für einen Wert bzw. für eine bestimmte Aggregation von Werten entscheidet. Ohne auf Mead zu verweisen, deutet Varga nur an, dass hier die Interaktion mit signifikanten Anderen eine Rolle spielt. Offen bleibt auch, wie man sich in Dilemmasituationen verhält. Varga lehnt die Interpretation von Sartre ab, der die Entscheidung zwischen zwei zentralen Werten als dezisionistischen Sprung darstellt, bietet jedoch keine plausible alternative Erklärung an. Dass er solche Dilemmasituationen kaum berücksichtigt, ist ebenso überraschend wie die weitgehende Ausblendung der Diskussion um multiple oder hybride Identitäten mit entsprechenden pluralen Zugehörigkeiten (vgl. z. B. Sen 2007). Eine Betrachtung solcher Identitäten ist jedoch gerade in pluralen Gesellschaften nötig, in denen man davon ausgehen kann, dass es vielfältige ernsthafte Bindungen (etwa zu zwei Staaten) geben kann, die in einem Extremfall in Konflikt geraten können. Wie hier begründet Prioritäten gesetzt werden, bleibt unbeantwortet. Für Varga kann es bei einer authentischen Person nur eine mögliche Entscheidung und nur eine mögliche Zugehörigkeit geben; ein authentisches Selbst jenseits dieser Vorstellung schließt seine Konzeption aus. Die authentische Person erscheint damit bei Varga als ein moralischer Monist mit einem gewissen Mangel an Kontingenzbewusstsein, das allerdings durchaus wünschenswert sein kann, weil es vor einer fundamentalistischen Authentizität schützen könnte.

Unabhängig davon, ob diese Einschätzung zutrifft oder nicht, ist festzustellen, dass das Ideal der Authentizität „stumm“ bleibt im Hinblick auf die Haltung zu verschiedenen Formen von Authentizität. Die Frage nach dem „authentischen Neonazi“ legt offen, dass das Konzept der Authentizität – ähnlich wie die Anerkennungstheorien – unter einer normativen Leerstelle leidet, da beide theoretischen Vorhaben mit der Herausforderung kämpfen, zwischen normativ zu affirmierenden oder zu kritisierenden Formen der Authentizität bzw. deren Anerkennung zu differenzieren. Dass sich aus dem Ansatz hierfür nicht direkt ein Maßstab ergibt, fordert dazu auf, noch einmal neu über den Stellenwert des Ideals der Authentizität nachzudenken.

Während Varga die besonderen Schwierigkeiten, ein authentisches Ich in pluralen Gesellschaften auszubilden, weitgehend ausblendet, ist er äußerst sensibel für die gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen, die er im spannenden und innovativen, aber wenig mit dem vorhergehenden Teil verbundenen dritten Teil der Dissertation behandelt. Darin wird das formale Konzept der Authentizität als kritisches Ideal genutzt, mit dem pathologische Praktiken identifiziert werden können. Varga will zunächst die gegenseitige Beeinflussung des Ideals der Authentizität und bestimmter Praktiken im Kapitalismus aufdecken. Dazu skizziert er anhand weniger Belege eine Entwicklung von drei Idealtypen der Authentizität. Nach einem Autonomiemodell (Authentizität durch Internalisierung kollektiver Werte) und wiederum einem „inner-sense-model“ (131) habe sich schließlich ab den 1980ern ein performatives Modell der Authentizität herausgebildet, wie etwa die gegenwärtig populäre Selbsthilfeliteratur zeige. Das performative Modell stehe dafür, dass es zu einer systemischen Forderung des Marktes geworden sei, sich ständig in Differenz zu anderen neu zu erfinden. Demnach müsse man seine Authentizität in Form einer permanenten Grenzziehung zu anderen vermarkten, um ökonomischen Erfolg zu haben. Für Varga steht diese Entwicklung des Authentizitätsverständnisses in einer direkten Beziehung zu sozialen Prozessen. Mit Rückgriff auf die Thesen von Luc Boltanski und Ève Chiapello zum neuen Geist des Kapitalismus zeigt er auf, dass der gegenwärtige Kapitalismus und das Ideal der Authentizität nicht länger im Gegensatz zueinander stehen, sondern kompatibel geworden sind. Veränderungen wie die Individualisierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt müssten demnach als Reaktionen auf eine Kritik am Kapitalismus begriffen werden, die der fordistischen Produktionsweise vorwarf, keine Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz zuzulassen. Die neuen Formen des Kapitalismus verwandelten dagegen Arbeitnehmer_innen in Unternehmer_innen, die auch am Arbeitsplatz authentisch sein sollen. Auf diese Weise sei die Kritik am Kapitalismus und das Ideal der Authentizität vom Kapitalismus vereinnahmt worden, um es mit dem Streben nach Gewinnmaximierung kompatibel zu machen.

Auf der Grundlage dieses ökonomisierten Authentizitätsverständnisses sieht Varga zwei sich gegenwärtig vollziehende paradoxe Entwicklungen: Zum einen fungiere das Ideal der Authentizität nicht mehr als eine kritische Komponente gegen kapitalistische Anforderungen, sondern entspreche selbst der kapitalistischen Logik, und zum anderen – und das ist Vargas innovative These –, führten interne Spannungen im Konzept des performativen Modells zu einer Konstellation, in der es immer unwahrscheinlicher sei, authentisch leben zu können. Letzteres hinge damit zusammen, dass die ständige Forderung nach performativer Neuerschaffung des Selbst gleichzeitig die Ausbildung eines authentischen Selbst verunmögliche, da die nach Vargas Authentizitätsverständnis notwendigen tiefgehenden und langfristigen Bindungen nicht mehr entwickelt werden könnten. Das fortwährende Streben nach einer nicht zu erreichenden Authentizität, verknüpft mit der gleichzeitigen Angst, nicht authentisch (genug) zu sein, führt für Varga letzten Endes zu Erschöpfungszuständen, die sich an der Zunahme von Depressionen und dem steigenden Absatz an Antidepressiva zeigen würden, wie Alain Ehrenberg deutlich gemacht habe. Authentizität als performatives Modell wirke so als Stressfaktor, der zu depressiver Erschöpfung führe.

Vargas anregende These in diesem letzten Teil ist deshalb besonders hervorzuheben, weil er damit Theorie und Praxis, normatives Konzept und Gegenwartsdiagnose miteinander verknüpft und zugleich moralphilosophische mit ökonomischen Überlegungen zusammenbringt. Allerdings ist die Verbindung zwischen dem formalen Konzept und dem sozialkritischen Impuls nur ungenügend ausgearbeitet, da man den letzten Teil auch ohne das Authentizitätsmodell von Varga nachvollziehen könnte. Fraglich ist zudem, ob die Beziehung von Kapitalismus und Authentizität hin zu Erschöpfungszuständen ausreichend belegt ist. Eher scheint es sich um eine originelle Hypothese zu handeln, die einer genaueren Untersuchung bedürfte. Dazu könnte eine Befragung von depressiven Personen gehören, um herauszufinden, ob sie das performative Modell der Authentizität verinnerlicht haben. Ohne eine empirische Prüfung bleiben Zweifel an Vargas These, dass das Ideal der Authentizität selbst Grund für Pathologien ist, weil beispielsweise Elin Thunman (2013) in einer empirischen Studie zeigt, dass die Krankheitszustände durch bestimmte strukturelle Bedingungen des gegenwärtigen Kapitalismus hervorgerufen werden, die gerade im Widerspruch zu den mit der Authentizität verbundenen Werten der Betroffenen stehen. Folgt man dieser Untersuchung, existiert im Gegensatz zu Vargas Interpretation weiterhin eine Unvereinbarkeit zwischen dem Ideal der Authentizität und den gegenwärtigen Formen des Kapitalismus, denn ein performatives Verständnis von Authentizität lässt sich bei den Betroffenen zumindest nach Thunmans Studie nicht nachweisen.

Jenseits dieser Fragen an Vargas Thesen hätte man sich gewünscht, dass er einige politische Lösungen für die Pathologien skizziert hätte. Seine Ausführungen beendet er mit der Andeutung, dass sein Konzept der Authentizität möglicherweise als vereinigendes Band für demokratische Gesellschaften fungieren könnte. Offen ist, wie dieser tentative Schluss gerade unter den Bedingungen des gegenwärtigen Kapitalismus konkret auszusehen hätte. Insgesamt bleibt so unbeantwortet, welchen Stellenwert das Ideal der Authentizität in der Politik einnehmen soll. Für eine Diskussion darüber lohnt es sich, auf die Untersuchung von Schweber zurückzugreifen, die allerdings zu ganz anderen Ergebnissen kommt, als sie Varga vorschweben.

II.

Hatte Varga die pluralen Bedingungen moderner Gesellschaften vernachlässigt, stehen genau diese im Mittelpunkt der politikphilosophischen Überlegungen von Schweber, der Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wisconsin-Madison ist. Er beginnt mit der durch Rawls bekannt gewordenen Frage, wie man in einer pluralen Gesellschaft noch die Zustimmung aller (vernünftigen) Bürger_innen für eine staatliche Ordnung finden kann, um eine gerechte und stabile Gesellschaft zu schaffen. Aus Schwebers Sicht sind weder institutionelle noch tugendethische Ansätze in der Lage, eine angemessene Antwort auf die Herausforderung der Diversität von Werten, Weltanschauungen und Identitäten zu finden, sondern nur ein „consensus liberalism“ (9) mit den Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und einem beschränkten Staat. Möchte man diese Wertegrundlage aufrechterhalten, dann ergibt sich, so Schwebers erste These, die von allen Bürger_innen prinzipiell einsehbare Notwendigkeit einer Selbstbeschränkung auf eine bestimmte Art von Gründen für die Rechtfertigung staatlicher Zwangsmaßnahmen, die ohne eine solche öffentliche Rechtfertigung gleichbedeutend mit illegitimem Zwang oder einer Tyrannei der Mehrheit seien.

Mit dieser Ansicht reiht sich Schweber in die Gruppe von Autoren ein, die einen in den letzten Jahrzehnten immer prominenter gewordenen „rechtfertigenden Liberalismus“ (Gaus 1996) vertreten. Schweber behandelt das Thema „Authentizität“ damit in einem speziellen politikphilosophischen Kontext – dem der Legitimität öffentlicher Rechtfertigungen – und fokussiert seine Untersuchung auf die politischen Implikationen von Authentizität. Kontrovers an Schwebers Theorie der öffentlichen Rechtfertigung sind vor allem diese unterstellten politischen Implikationen. Denn – so Schwebers zweite These – eine Theorie der öffentlichen Rechtfertigung könne die Werte des Konsensliberalismus nur aufrechterhalten, wenn eine Abkehr jeglicher Nähe zu einer „Politik der Authentizität“ (3) erfolgt, nach der Politik die tiefgehenden und identitätskonstituierenden Bindungen der Bürger_innen zum Ausdruck bringen soll.

Den Ausgangspunkt für die beiden Thesen stellt eine Auseinandersetzung mit den Ansätzen von Robert Audi, John Rawls und Charles Larmore dar, die alle eine Theorie der öffentlichen Vernunft mit der Forderung nach Selbstbeschränkung im öffentlichen Diskurs vorgelegt haben. Hier werden etwa religiöse Gründe weitgehend ausgeschlossen, weil sie die Bürger_innen entzweiten oder weil sie wegen der unterstellten Unzugänglichkeit für nicht-religiöse Bürger_innen einen Mangel an Respekt gegenüber diesen Bürger_innen offenbarten. Schweber stimmt diesen Ausschlussgründen zu, entwickelt jedoch vor dem Hintergrund einer Kritik an anderen Punkten dieser Theorien einen alternativen Ansatz, der sich aus mehreren zentralen Aspekten zusammensetzt. Grundlage seiner wie auch der vorgenannten Theorien des rechtfertigenden Liberalismus ist die Annahme, dass sich Bürger_innen gegenseitigen Respekt schulden. Für Schweber folgt aus dem Grundsatz des Rechts auf Respekt, dass alle Bürger_innen die moralische Pflicht haben, bestimmte Formen politischen Handelns so zu rechtfertigen, dass ein_e Bürger_in davon ausgehen könne, die Rechtfertigung sei für die anderen Bürger_innen verständlich (intelligible) oder zugänglich (accessible). Daraus folgt zunächst ein „antidenigration principle“ (20), nach dem Verunglimpfungen von Mitbürger_innen wegen des Mangels an Respekt verboten sind. Somit sind jegliche Rechtfertigungen im öffentlichen Diskurs ausgeschlossen, die jemanden oder eine Gruppe als minderwertig einstufen.

Vor diesem Hintergrund entwickelt Schweber nun die These, dass nur solche Rechtfertigungen diesen Maßstäben genügen könnten, die keine identitätskonstituierenden Bindungen der Bürger_innen zum Ausdruck bringen. Deshalb führt er ein objektives und zuhörerorientiertes Modell ein, das keinerlei subjektive Standards – zu denen Schweber identitätskonstituierende Bindungen zählt – als Kriterien der öffentlichen Rechtfertigung aufweisen soll. Objektiv bedeutet hier, dass über die Zugänglichkeit von Argumenten auf der Grundlage von objektiven Kriterien entschieden werde. Diese objektiven Kriterien ergeben sich – so erläutert Schweber in zwei nicht immer leicht nachzuvollziehenden Kapiteln zu den epistemologischen Maßstäben – aus einem „web of beliefs“ (365). Dieses Netz soll auf die in einer liberalen Gesellschaft immer schon geteilten Werte und Konventionen verweisen, auf die man sich berufen müsse, um die objektiven Maßstäbe der Zugänglichkeit von Argumenten festzustellen. Das „web of beliefs“ stellt insofern das Fundament zur Bewertung der Zugänglichkeit von Argumenten dar. Für Schweber ergibt sich daraus erstens, dass Argumente plausibel und glaubwürdig sein müssten, was z. B. empirische oder normative Behauptungen religiöser Art nach seinem Verständnis nicht sein können. Zweitens zeichnen sich die aus dem „web of beliefs“ hervorgehenden Konventionen einer liberalen Gesellschaft Schweber zufolge dadurch aus, dass sie unterbestimmt seien. Diese inhaltliche Unterbestimmtheit sei wiederum ein Unterschied zu nicht-legitimen religiösen Konventionen. Zugleich sei eine öffentliche Rechtfertigung erst mit dieser Unterbestimmtheit der Konventionen nötig und sinnvoll.

Im weiteren rückt Schweber im Gegensatz zu den Theorien von Audi, Rawls und Larmore statt des Sprechers den Zuhörer in den Mittelpunkt der Suche nach den objektiven Maßstäben. Der objektive Gradmesser müsse aus der Perspektive des Zuhörers, unabhängig von den subjektiven Erfahrungen der Sprecherin gewonnen werden, womit jede_r Bürger_in aufgefordert ist, die Wirkungen auf einen widerwilligen Zuhörer („unwilling listener“, 73) bei einer öffentlichen Rechtfertigung zu berücksichtigen. Irrelevant werden somit die subjektiven Überzeugungen der Sprecherin. Somit soll den Maßstäben einer öffentlichen Rechtfertigung eine objektive Evaluation der Zugänglichkeit einer vorgebrachten Rechtfertigung aus der Perspektive eines widerwilligen Zuhörers zugrunde liegen.

Schwebers Betonung der Zuhörer-Orientierung verwundert insofern, als objektive Maßstäbe einer öffentlichen Rechtfertigung unabhängig von Sprecherin wie auch vom Zuhörer sein sollten. Erklärbar wird die Absage an eine Sprecher-Orientierung erst durch Schwebers im Laufe des Werkes sich herausbildende dreifache emphatische Ablehnung einer politischen Theorie, die in irgendeiner Weise das authentische Selbst von Bürger_innen oder Gruppen betrifft. Eine Sprecher-Orientierung, die das authentische Selbst berücksichtigt, könne erstens auf eine rein subjektive Begründung zulaufen, die sich auf die eigene Identität oder Tradition bezieht („weil wir so sind“ oder „weil wir das immer schon so getan haben“), was Schweber für willkürlich hält. Eine Sprecher-Orientierung sei zweitens problematisch, weil man Schweber zufolge die den Überzeugungen zugrundeliegenden authentischen Lebensformen der Sprecher_innen nicht verändern kann. Damit sei kein Gespräch über sie möglich, vielmehr ende die Kritik der authentischen Lebensformen immer in Konflikten, die Schweber vermeiden möchte. Und drittens seien mit der Sprecher-Orientierung nicht-akzeptable Anforderungen an Sprecher_innen in Hinsicht auf ihre Motivation und Einstellung verbunden. Schweber bespricht in diesem Zusammenhang zum Beispiel den Anspruch der Wahrhaftigkeit, der bei Rawls oder Habermas an Aussagen geknüpft ist. Solche und andere identitätsbasierten Theorien, etwa von Seyla Benhabib oder Iris Marion Young, sind für Schweber mit einer „Politik der Authentizität“ verknüpft, die die Bürger_innen dazu auffordert, ihre identitären Bindungen – also ihr authentisches Selbst – wahrhaftig in einer politischen Diskussion zu offenbaren. Die Kehrseite dieser Aufforderung besteht für Schweber jedoch darin, dass in einer solchen politischen Diskussion denjenigen, die eine andere Meinung haben, signalisiert werde, dass nicht ihre Meinung „fehlerhaft“ sei, wohl aber ihre Identität: Solche abweichenden Überzeugungen seien „not errors of fact or even errors of false belief; they are errors of being“ (135; Hervorh. im Original). Entsprechend handele es sich um identitätstransformierende Ansätze, bei denen diese Bürger_innen, solange sie noch einer „fehlerhaften“ authentischen Lebensform anhingen, nicht gleichberechtigt behandelt würden, womit gegen das Gleichheitsprinzip und das Respektsprinzip verstoßen werde. Konsequenterweise verabschiedet Schweber Forderungen nach Wahrhaftigkeit im politischen Deliberationsprozess. Darüber hinaus kritisiert Schweber die identitätsbasierten Theorien, weil sie mit der „Politik der Authentizität“ einen epistemologischen Perfektionismus mit der Behauptung verträten, es gebe einen idealen Modus des Wissens und des Bezuges zur Welt, der für alle gelte. Damit sind die identitätsbasierten Theorien mit einem von Schweber befürworteten epistemologischen Pluralismus unvereinbar.

Authentizität bezieht sich in Schwebers Überlegungen somit immer auf feste Identitäten von Individuen oder Gruppen, die aus seiner Sicht rein subjektiver Natur seien. Weil die mit diesen Identitäten im Zusammenhang stehenden Argumente zu problematischen Konsequenzen führten und wegen ihrer Unzugänglichkeit für alle einen Mangel an Respekt ausdrückten, ist für Schweber eine „Politik der Authentizität“, die den authentischen Personen oder Gruppen politisches Gehör schenkt, mit keinem der drei Werte des Konsensliberalismus kompatibel und damit abzulehnen. Diese Unvereinbarkeit betreffe auch Theorien der Anerkennung wie die von Charles Taylor. Nach diesen Theorien seien Beschränkungen der öffentlichen Rechtfertigung unfair, da sie einer Missachtung gegenüber bestimmten Kulturen, Lebensformen oder Gruppen gleichkämen. Schwebers Hauptkritikpunkt in diesem Zusammenhang ist, dass die Anerkennungstheorien das negative Potential der Anerkennung nicht genügend zur Kenntnis nähmen. Denn die Anerkennung von kollektiven Identitäten könne dazu führen, dass Individuen oder Minderheiten innerhalb der Minderheiten unterdrückt würden, ohne eine Ausstiegsmöglichkeit zu besitzen. Dazu komme noch, dass durch die Anerkennung einer Identität von außen autoritativ eine Identität vorgegeben würde.

Schwebers klassisch liberale Lösung für den Umgang mit authentischen Lebensformen in der Politik besteht in einer strikten Trennung „between the social and the political“ (127). Die Politik solle zu einer autonomen Sphäre werden, die von Fragen der Identität bzw. Authentizität frei gehalten werden müsse, um die gesellschaftliche Pluralität aufrechtzuerhalten. Die authentischen und identitätskonstituierenden Bindungen könnten dagegen in der Zivilgesellschaft ausgelebt werden. Die Aufgabe der Politik bestehe allein darin, die Bedingungen zu schaffen, damit eine Anerkennung kultureller Identitäten gelingen kann.

In Schwebers Konzept umfasst die Selbstbeschränkung daher jegliche Zwangshandlung des Staates und jeden öffentlichen Diskurs, dessen Ergebnis auf staatlichen Zwang abzielt. Dies hat unterschiedliche Konsequenzen für die Akteure. So gilt die Anforderung einer Selbstbeschränkung für die Exekutive, die Judikative und Legislative sowie für Kandidaten für öffentliche Ämter. Bürger_innen wiederum dürften bei einer Wahl aus religiösen Gründen für einen Politiker stimmen. Moralisch verboten ist es ihnen indes, Politiker_innen zu wählen, die sich nicht an die Beschränkungen der öffentlichen Rechtfertigung halten, selbst wenn sie deren nichtöffentliche Rechtfertigung unterstützen. Die Selbstbeschränkungsanforderungen betreffen darüber hinaus religiöse Institutionen, wenn sie politische Aussagen machen, sowie Demonstrationen, da sich im Erfolgsfall deren Anliegen in Gesetzen manifestieren würden. Am Ende resultiert dieses Staatsbürgerethos bei Schweber in einer „self-consciously inauthentic politics of artifice“ (161), bei der „citizens recognize themselves as the artisans – the architects, engineers, and mechanics – of a consciously and deliberately crafted polity“ (26).

Während des Lesens stellen sich einige Fragen ein, deren Antworten Schweber bis zuletzt schuldig bleibt. Dies betrifft vor allem sein Authentizitätsverständnis. Während Schweber Authentizität mit einer eindeutig festgeschriebenen Identität verbindet und damit für unveränderbar hält, weist Varga darauf hin, dass sich ein authentisches Selbst verändern könne, auch wenn diese Entwicklung nicht ohne existentielle Entscheidung verlaufe. Damit ergeben sich aber auch neue Möglichkeiten für eine deliberative Politik – gerade wenn man annimmt, dass viele Personen plurale Zugehörigkeiten besitzen, deren Priorisierung kontextuell stets neu abgewogen werden. Ob diese Entwicklung eintritt, ist letztlich eine empirische Frage, bei der sich etwa herausstellen könnte, dass religiöse Positionen nicht fundamentalistisch sein müssen, sondern auch dialogfähig sein können. Wichtiger ist die Frage, wie realistisch die strikte Trennung von Politischem und Privatem oder Sozialem bei Schweber ist, wenn man die von Varga hervorgehobene zentrale Bedeutung der identitären Bindungen für Personen unterstellt. Indem Schweber diese Bedeutung einfach beiseiteschiebt, wenn es um Politik geht, ignoriert er diese Problematik, anstatt zu fragen, wie eine Politik mit der Herausforderung der Authentizität angemessen und realistisch umgehen kann.

Abgesehen von der Frage, wie realistisch Schwebers Modell ist, ergibt sich bei ihm an dieser Stelle zudem eine Widersprüchlichkeit, da er Identitäten nicht über die Politik verändern möchte, gleichzeitig jedoch diejenigen Personen, die eine Aufspaltung ihrer authentischen Lebensform in Politisches und Privates nicht mit ihrer Identität vereinbaren können, implizit auffordert, genau diese Identitätstransformation zu durchlaufen. Obwohl Schweber also jegliche identitätstransformierenden Effekte durch die Politik vermeiden möchte, kommt er offensichtlich selbst um dieses von ihm abgelehnte perfektionistische Moment nicht herum. Dies gibt er teilweise zu, wenn er davon spricht, dass sich – entgegen seinem sonstigen Verständnis von festgeschriebenen authentischen Lebensformen – eine neue Authentizität ausbilden müsse (vgl. 110 und 162). Wie sich diese Authentizität ausbildet und wie und wo die dafür notwendige Fähigkeit zur Einhaltung der Regeln der öffentlichen Rechtfertigung eingeübt werden soll, bleibt jenseits eines knappen Verweises auf die Zivilgesellschaft unbeantwortet. Spätestens bei der Bildungspolitik wird die Frage der staatlichen Förderung bestimmter Identitäten für einen liberalen Staat jedoch unausweichlich. Fraglich ist folglich insgesamt, ob Politik umhin kommt, Fragen der Authentizität zu diskutieren und dabei dann auch bestimmte Formen von Identitäten normativ auszuzeichnen – was letztlich auch Schweber tut, indem er nur diejenige authentische Identität für wünschenswert hält, die eine Akzeptanz der Aufspaltung in Privates und Politisches ermöglicht.

Trotz dieser Kritikpunkte kommt Schweber das Verdienst zu, eine sehr ergiebige und mit breitem Wissen über unterschiedliche Theorieströmungen versehene Abhandlung zur Theorie der öffentlichen Rechtfertigung verfasst zu haben. Neben der Bedeutung seiner Argumente für identitätsbasierte Ansätze hat Schweber mit seiner Theorie der öffentlichen Rechtfertigung eine ebenso radikale wie anregende und herausfordernde Position innerhalb der Theorien der öffentlichen Vernunft formuliert. Damit setzt er ein Zeichen gegen die bei vielen Autoren – prominent zuletzt bei Habermas (2005) – erkennbare Abschwächung der Anforderung an die Selbstbeschränkung im politischen Diskurs. Innerhalb des Themas der öffentlichen Rechtfertigung und der deliberativen Demokratie wird man somit um eine Auseinandersetzung mit Schwebers Thesen nicht herumkommen. Dabei kann dann sicherlich auch Vargas konzise Darstellung instruktiv sein, denn selbst wenn er die politischen Implikationen seines Authentizitätsmodells nicht ausbuchstabiert, werden Differenzen zu Schweber erkennbar, die den Wunsch aufkommen lassen, dass die Autoren in einen Dialog miteinander treten.

Literatur

Bienfait, Agathe. 2006. Im Gehäuse der Zugehörigkeit. Eine kritische Bestandsaufnahme des Mainstream-Multikulturalismus. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Gaus, Gerald F. 1996. Justificatory Liberalism. An Essay on Epistemology and Political Theory. New York: Oxford Univ. Press.

Habermas, Jürgen. 2005. „Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den ‚öffentlichen Vernunftgebrauch‘ religiöser und säkularer Bürger.“ In: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, 119–154. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Kühnlein, Michael und Matthias Lutz-Bachmann (Hrsg.). 2011. Unerfüllte Moderne? Neue Perspektiven auf das Werk von Charles Taylor. Berlin: Suhrkamp.

Menke, Christoph. 2011. Was ist eine ‚Ethik der Authentizität‘? In: Unerfüllte Moderne? Neue Perspektiven auf das Werk von Charles Taylor, hg. von Michael Kühnlein und Matthias Lutz-Bachmann, 217–238. Berlin: Suhrkamp.

Sen, Amartya K. 2007. Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. Bonn: Bpb.

Taylor, Charles. 1995. Das Unbehagen an der Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Taylor, Charles. 1997. Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Mit Kommentaren von Amy Gutmann (Hg.), Steven C. Rockefeller, Michael Walzer, Susan Wolf. Mit einem Beitrag von Jürgen Habermas. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag.

Thunman, Elin. 2013. „Burnout als sozialpathologisches Phänomen der Selbstverwirklichung.“ In: Leistung und Erschöpfung. Burnout in der Wettbewerbsgesellschaft, hg. von Sighard Neckel und Greta Wagner, 58–85. Berlin: Suhrkamp.


© 2014 Zeitschrift für philosophische Literatur, ISSN 2198-0209, lizenziert unter CC-BY-ND-3.0-DE