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Zeitschrift für philosophische Literatur 2. 2 (2014), 64–71

Meylan, Anne: Foundations of an Ethics of Belief. Frankfurt a. M. u. a.: Ontos 2013. 218 Seiten. [978-3-86838-189-4]

Rezensiert von Tim Kraft (Universität Regensburg)

Einer der großen Trends in der gegenwärtigen Erkenntnistheorie ist die zunehmende Aufmerksamkeit, die normativen Fragen gewidmet wird: (Warum) Ist Wissen wertvoll? (In welchem Sinne) Sind wahre Überzeugungen besser als falsche? Gibt es Überzeugungen, zu denen wir verpflichtet oder die verboten sind? Können wir für unsere Überzeugungen genauso getadelt und gelobt werden wie für unsere Handlungen? Wie bei vielen jungen, neu aufkommenden Debatten sind jedoch sowohl die Grundannahmen hinter diesen Fragen als auch die zur Auswahl stehenden Positionen noch vergleichsweise ungeklärt. In dieser Situation ist ein Versuch, die Grundlagen einer „Ethik des Glaubens“ zu entwickeln – wie Anne Meylan ihn mit dieser Überarbeitung ihrer Genfer Dissertation vorlegt –, verdienstvoll und höchst willkommen. Ihr Ziel ist dabei keine Ethik des Glaubens im Sinne einer inhaltlich ausgefeilten Theorie der Werte, Normen und Tugenden für Überzeugungen, sondern eine „Metaethik des Glaubens“, die die Voraussetzungen einer inhaltlichen Ethik des Glaubens klärt. Welche das sind, wird anhand eines Beispiels deutlich, das Meylan als Ausgangspunkt ihrer Untersuchung wählt: Henry führt eine Gruppe Touristen auf einer Skitour. Er glaubt aufgrund wenig belastbarer Gründe (Nationalität der Teilnehmer), dass die Gruppe aus erfahrenen Skifahrern besteht, und entscheidet sich daher für die anspruchsvollere von zwei Routen. Die Überzeugung stellt sich jedoch als falsch heraus und es kommt zu einem Unfall. Henry ist sicherlich (mit-)verantwortlich für den Unfall. Aber wofür genau kann Henry getadelt werden? Die Entscheidung für die Route kann ihm nicht direkt zu Last gelegt werden, da sie vor dem Hintergrund seiner Überzeugungen gerechtfertigt war. Der Tadel muss daher an seiner Überzeugung ansetzen: Henry hätte niemals auf diese Weise diese Überzeugung bilden dürfen. Die Schwierigkeit liegt nun darin zu erklären, wie man für Überzeugungen (bzw. genauer: für Überzeugungserwerb, -erhaltung und -aufgabe) verantwortlich sein kann.

Damit ein Überzeugungserwerb tadelnswert ist, müssen, so Meylan, zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss die Person für den Überzeugungserwerb verantwortlich sein, zum anderen muss die Überzeugung in irgendeinem Sinn (und für die Person einsehbar) schlecht oder verkehrt sein. Aus dieser Überlegung ergeben sich zwei Grundprobleme: das Verantwortungsproblem und das normative Problem. Während das Verantwortungsproblem darin besteht zu erklären, inwiefern wir für unsere Überzeugungen verantwortlich sind bzw. diese unserer Kontrolle unterliegen, liegt das normative Problem in der Frage begründet, welche normativen Eigenschaften einer Überzeugung zukommen können. Meylans Untersuchung umfasst dementsprechend neben einer Einleitung und einer Zusammenfassung zwei Teile, einen Teil zum Verantwortungsproblem (Kap. 1–4) und einen Teil zum normativen Problem (Kap. 5–7).

Indirekte Verantwortung für Überzeugungen

Sind wir für unsere Überzeugungen verantwortlich? Die Antwort auf diese Frage hängt stark davon ab, wie Überzeugungen klassifiziert werden. Die in der Literatur diskutierten Optionen sind vielfältig: Wenn der Überzeugungserwerb ein bloßes Geschehen ist, können wir nur sehr indirekt dafür verantwortlich sein. Wenn der Überzeugungserwerb dagegen eine Handlung ist, können Positionen aus der allgemeinen Handlungstheorie unmittelbar auf den Überzeugungserwerb übertragen werden. Dabei ist jedoch entscheidend, ob der Überzeugungserwerb als Verhalten, als basale oder als nicht-basale Handlung verstanden wird. Nicht-Basale Handlungen sind Handlungen, die ausgeführt werden, indem eine andere Handlung ausgeführt wird; beispielsweise rettet die Chirurgin das Leben des Patienten, indem sie seinen entzündeten Blinddarm entfernt, was sie wiederum tut, indem sie ihre Finger auf geeignete Weise bewegt. Basale Handlungen dagegen werden unmittelbar ausgeführt, wie das Bewegen eines Fingers (bzw. der Versuch, dies zu tun). Ist der Überzeugungserwerb eine basale Handlung, ist die Verantwortung direkt, ist er eine nicht-basale Handlung, fällt die Verantwortung indirekt aus. Eine weitere Möglichkeit, eine Brücke zur allgemeinen Handlungstheorie zu schlagen, besteht darin, Überzeugungen analog zu Absichten zu verstehen und Überlegungen zu Absichten auf Überzeugungen zu übertragen. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, Verantwortung für Überzeugungen als sui generis aufzufassen und nicht auf Parallelen aus der allgemeinen Handlungstheorie zurückzugreifen.

Im ersten Kapitel trifft Meylan die wichtige Entscheidung in der Klassifikationsfrage. Ihre zentrale These lautet, dass der Überzeugungserwerb eine nicht-basale Handlung ist. Im zweiten Kapitel erklärt Meylan, warum der Überzeugungserwerb keine basale, direkt kontrollierte Handlung sein kann. Dazu unterscheidet sie zwei Fälle, den epistemischen und den nicht-epistemischen. Im epistemischen Fall wird der Überzeugungserwerb durch das Ziel motiviert, wahre anstatt falscher Überzeugungen zu erwerben, während im nicht-epistemischen Fall der Überzeugungserwerb durch andere Ziele motiviert wird. Ein direkter epistemischer Überzeugungserwerb sei unmöglich, da er einerseits per definitionem von „epistemisch“ auf Wahrheit zielt, aber andererseits per definitionem von „direkt“ gerade ohne Beachtung der Wahrheit der Überzeugung geschieht. Die Unmöglichkeit eines direkten nicht-epistemischen Überzeugungserwerb erläutert Meylan anhand einer Analyse von Bernard Williams’ Argumentation aus „Deciding to Believe“ (1973): Die Unmöglichkeit, eine Überzeugung schon allein deshalb zu erwerben, weil es beispielsweise angenehm wäre, sie zu haben, ergebe sich aus der begrifflichen Unmöglichkeit, einen mentalen Zustand sowohl für eine Überzeugung als auch für nicht-epistemisch begründet zu halten. Dabei handele es sich um eine grundlegende begriffliche Unmöglichkeit, die nicht aus anderen Eigenschaften von Überzeugungen abgeleitet werden kann, die jedoch andere Eigenschaften von Überzeugungen, wie etwa ihre Transparenz, erklären kann.

Wenn der Überzeugungserwerb niemals eine basale Handlung ist, stellt sich die Folgefrage, durch welche anderen Handlungen Überzeugungen erworben werden können. Diese anderen Handlungen bestehen immer darin, wie Meylan im dritten Kapitel ausführt, die zur Verfügung stehende Evidenz zu modifizieren. Damit sind Handlungen gemeint, die zu einer Ergänzung oder Verringerung der totalen, einer Person zur Verfügung stehenden theoretischen Gründe führen. Im epistemischen Fall, dem Standardfall, motiviert der Wunsch, Wahres zu einem bestimmten Thema (z. B. das Wetter) zu glauben, zu einer Handlung (z. B. Blick durchs Fenster), durch die neue Evidenz erworben und als Konsequenz eine Überzeugung über das Thema gebildet wird. Im (selteneren) nicht-epistemischen Fall motiviert der Wunsch, eine bestimmte Überzeugung zu haben (z. B. über die Intelligenz des eigenen Kindes), zu einer Handlung (z. B. Unterlassen bestimmter Fragen), durch die die zur Verfügung stehende Evidenz beeinflusst und als Konsequenz die gewünschte Überzeugung gebildet wird. In beiden Fällen ist der Überzeugungserwerb indirekt, da eine andere Handlung ausgeführt werden muss, aber dennoch absichtlich, da der Erwerb einer Überzeugung gewollt und vorhersehbar ist. Charakteristisch für Meylans Konzeption ist daher, dass der epistemische und der nicht-epistemische Fall strukturell gleich analysiert werden: Ein Überzeugungserwerb aus epistemischen Gründen ist nicht etwa direkter als ein Überzeugungserwerb aus nicht-epistemischen Gründen, sondern unterscheidet sich von letzterem nur darin, welcher Wunsch die Evidenzmodifikation motiviert.

Im vierten Kapitel entfaltet Meylan die Konsequenzen dieser Überlegungen für die These, dass wir für unsere Überzeugungen verantwortlich sind. Das Problem ist nun, dass wir nicht für jede beliebige Konsequenz unserer basalen Handlungen verantwortlich sind. Daraus, dass wir indirekte Kontrolle über unseren Überzeugungserwerb haben, folgt daher noch nicht, dass wir für den Überzeugungserwerb auch verantwortlich sind. Beispielsweise ist es denkbar, dass ich das Licht einschalte, indem ich den Schalter betätige, aber dennoch nicht verantwortlich für das Einschalten des Lichtes bin, weil entweder ich nicht vorhersehen konnte, dass das Licht angehen wird, oder das Licht ohnehin angegangen wäre. In Auseinandersetzung mit Überlegungen von John Fischer und Mark Ravizza, Peter van Inwagen und Harry Frankfurt stellt Meylan folgende, etwas vereinfacht dargestellte Bedingungen auf (119f.): Eine Person ist verantwortlich für den Erwerb der Überzeugung, dass p, genau dann, wenn der Überzeugungserwerb die Konsequenz einer Evidenzmodifikation ist, für die gilt: (a) Hätte die Person ihre Evidenz nicht modifiziert, wäre die Überzeugung nicht erworben worden; (b) die Evidenzmodifikation ist reasons-responsive, das heißt, die Person kann Gründe für und gegen die Evidenzmodifikation erkennen und darauf reagieren; und (c) die Evidenzmodifikation hätte von der Person auch unterlassen werden können.

Normative Bewertung von Überzeugungen

Die Argumentation des ersten Teils soll aufzeigen, unter welchen Umständen wir für Überzeugungen verantwortlich sind. Aber aus ihr folgt noch nichts darüber, ob und unter welchen Umständen wir für Überzeugungen getadelt bzw. gelobt werden. Die Möglichkeit von Lob und Tadel setzt voraus, dass wir nicht nur für unsere Überzeugungen verantwortlich sind, sondern diese auch normative Eigenschaften haben können, also geboten und verboten, gut und schlecht sein können. Im zweiten Teil geht Meylan der Frage nach, was dafür sorgt, dass Überzeugungen normative Eigenschaften haben können.

Im fünften Kapitel unterscheidet Meylan die epistemische und nicht-epistemische Bewertung von Überzeugungen und vertritt die These, dass Wahrheit aller epistemischer Bewertung zugrunde liegt, also jede wahre Überzeugung positiv und jede falsche negativ bewertet wird. Meylan spricht sich damit für den Wahrheitsmonismus aus, dem zufolge es genau ein oberstes epistemisches Ziel gibt und zwar Wahrheit. Sie gesteht jedoch ein, dass sie kein konklusives Argument für den Wahrheitsmonismus anzubieten hat und verteidigt ihn stattdessen, indem sie seine Konsequenzen für ihn sprechen lässt.

Unabhängig von der Frage, wie sich der Wahrheitsmonismus verteidigen lässt, stellt sich jedoch die Frage, wie Rechtfertigung sich zum Wahrheitsziel verhält. Intuitiv werden gerechtfertigte Überzeugungen positiver bewertet als nicht-gerechtfertigte. Um die Frage nach dem normativen Status von Rechtfertigung zu beantworten, unterscheidet Meylan zunächst verschiedene Optionen. Eine erste Option, der zufolge Rechtfertigung final wertvoll ist, scheidet aus, da dies dem Wahrheitsmonismus widerspricht. Dies lässt jedoch als zweite Option offen, dass Rechtfertigung instrumentell wertvoll ist, das heißt, als Mittel zur Erreichung des obersten epistemischen Ziels. Rechtfertigung kann aber auch deontisch bewertet werden, das heißt drittens als rational oder viertens als ratsam (commendable). Eine rationale Überzeugung ist dabei eine Überzeugung, die gegeben den jetzigen Stand der Evidenz angemessen ist, während eine ratsame Überzeugung eine Überzeugung ist, die auch nach weiteren Evidenzmodifikationen angemessen ist.

Meylan argumentiert im sechsten Kapitel, dass diese Optionen keine Rivalen seien: Unterschiedliche Theorien der Rechtfertigung seien nicht inhaltlich divergierende Theorien desselben Gegenstandes, sondern analysierten jeweils eine andere der drei Weisen, wie eine Überzeugung bewertet werden kann. Verstehe man Rechtfertigung als etwas instrumentell Wertvolles, werde man Rechtfertigung externalistisch analysieren. Denn nur in externalistischen Theorien sei Rechtfertigung stets ein Mittel zur Erreichung wahrer Überzeugungen. Verstehe man jedoch Rechtfertigung im Sinne von Rationalität oder Ratsamkeit, werde man Rechtfertigung internalistisch analysieren. Diese Zuordnungen sollen auch verdeutlichen, wie die unterschiedlichen Theorien von Rechtfertigung sowohl den Wert von Rechtfertigung als auch den Mehrwert einer gerechtfertigten wahren Überzeugung gegenüber einer bloß wahren Überzeugung erklären können. Da der Externalismus auf den instrumentellen Wert von Rechtfertigung abhebt, kann er den Mehrwert gerechtfertigter wahrer Überzeugungen dadurch erklären, dass gerechtfertigte wahre Überzeugungen zu mehr wahren Überzeugungen führen als bloß wahre Überzeugungen. Meylan weist jedoch darauf hin, dass diese Erklärung mit einem bestimmten Typ von Beispielen nicht umgehen kann: Nehmen wir an, zwei Personen haben genau dieselben Überzeugungen, weil die erste Person der zweiten Person alle mitteilt. Die erste Person ist dabei sehr gewissenhaft und gründlich in ihrem Überzeugungserwerb, während die zweite Person die Überzeugungen der ersten nur kopiert. Die Überzeugungen der ersten Person, so Meylan, seien epistemisch besser als die Überzeugungen der zweiten Person, obwohl die Überzeugungen der zweiten Person ihnen hinsichtlich finaler (Wahrheit) und instrumenteller (Wahrscheinlichkeit weiterer wahrer Überzeugungen) gleichen. Dies spricht dafür, dass sich der Wert der Rechtfertigung nicht in instrumentellem Wert erschöpft. An dieser Stelle hilft der credit Ansatz weiter, wie er von Ernest Sosa und John Greco vertreten wird: Der Mehrwert von Rechtfertigung gegenüber bloß wahren Überzeugungen bestehe darin, dass die Wahrheit der Überzeugung der Person zurechenbar ist. Diese Grundidee kann, wie Meylan aufzeigt, in verschiedenen Weisen weiterentwickelt werden. Wiederum ist jedoch zu beachten, dass Meylan nicht beansprucht, eine Entscheidung zwischen den verschiedenen Ansätzen herbeizuführen, sondern lediglich aufzeigen will, dass keine Theorie von Rechtfertigung alle normativen Bewertungen abdecken kann.

Die bisherigen Überlegungen betreffen epistemische Bewertung, doch offensichtlich können Überzeugungen auch nach nicht-epistemischen Maßstäben bewertet werden. Im siebten Kapitel rundet Meylan die Diskussion ab, indem sie Möglichkeiten auslotet, das Verhältnis zwischen epistemischer und nicht-epistemischer Bewertung zu bestimmen. Dazu formuliert und diskutiert sie – vornehmlich anhand einer vergleichenden Diskussion der Positionen von William K. Clifford und William James – die Divergenzthese, der zufolge epistemische und nicht-epistemische Bewertungen auseinanderfallen können und inkommensurabel sind, und deren Negation, die Konvergenzthese.

Eine Grundlegung der Ethik des Glaubens?

Mit ihrer Verteidigung indirekter Verantwortung für den Überzeugungserwerb positioniert sich Meylan sowohl gegen Skeptiker, die eine Ethik des Glaubens deshalb für unmöglich halten, weil wir für unseren Überzeugungserwerb nicht verantwortlich sind, als auch gegen Proponenten einer Ethik des Glaubens, die diese darauf gründen, dass wir für unsere Überzeugungen in demselben Ausmaß verantwortlich seien wie für unsere Absichten oder Handlungen. Einerseits sind wir, so Meylan, sehr wohl für manche unserer Überzeugungen verantwortlich, andererseits ist diese Verantwortung begrenzt: Wir sind es nur insofern, als wir für den Erwerb bzw. Nicht-Erwerb von Evidenz verantwortlich sind; alles, was danach geschieht, ist für uns als Konsequenz zwar oft vorhersehbar, aber unserer Kontrolle entzogen.

Auch wenn diese Konzeption als Mittelweg daherkommt, sollte ihre Radikalität nicht unterschätzt werden. Zwei Konsequenzen dieser Konzeption der Verantwortung für Überzeugungen sind meines Erachtens besonders auffällig und lassen sich wahlweise als reductio ad absurdum oder als wichtige, der Sache gerecht werdende Einsichten ansehen. Welche dieser beiden Sichtweisen richtig ist, werde ich nicht entscheiden; es soll mir hier genügen, auf Konsequenzen von Meylans Konzeption hinzuweisen.

Erstens sind laut Meylans Konzeption Personen schon dann nicht verantwortlich für ihre Überzeugungen, wenn sie nicht verantwortlich für die ihnen zu Verfügung stehende Evidenz sind. Angenommen, ein Entführer zwingt seine Geiseln zur Lektüre eines Buches; man denke an einen Fanatiker, der hierin die einzige Möglichkeit sieht, auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. Die Geiseln sind sicherlich nicht verantwortlich für die ihnen zur Verfügung stehende Evidenz und können sie auch nicht modifizieren. Doch sind sie deshalb schon nicht verantwortlich für ihre neuen Überzeugungen über das Anliegen des Entführers? Allgemein formuliert ist nicht zu sehen, warum Verantwortung für Überzeugungen immer von der Verantwortung für Evidenzmodifikationen geerbt werden muss und nicht beispielsweise durch den Umgang mit der Evidenz, wo auch immer diese herkommen mag, bestimmt wird. Für Meylans Konzeption lässt sich an dieser Stelle anführen, dass dieser Hinweis nur ausbuchstabiert, was indirekte Verantwortung bedeutet, und daher kein Einwand sein kann. Gegen diese Konzeption lässt sich anführen, dass damit ein zentraler Fall doxastischer Verantwortung prinzipiell ausgeblendet wird.

Zweitens legt sich Meylan auf eine bestimmte Klassifikation des Überzeugungserwerbs als einer nicht-basalen Handlung fest. Warum das merkwürdig ist, lässt sich mittels einer Analogie verdeutlichen: Den Wecker auf sieben Uhr zu stellen, ist ein geeignetes Mittel, um dafür zu sorgen, dass ich morgen um sieben Uhr aufstehe, aber ich stehe nicht um sieben Uhr auf, indem ich jetzt den Wecker auf sieben Uhr stelle. Das Stellen des Weckers gibt mir nur die Gelegenheit, morgen eine bestimmte Handlung ausführen zu können, die ich ohne Weckerstellen nicht ausführen könnte. Das Aufstehen ist nicht schon wegen des planerischen Drumherums keine basale Handlung mehr. Denn aus dem Umstand, dass ich eine bestimmte Handlung nicht jederzeit ausführen kann, folgt nicht, dass dann, wenn ich es kann und ich diese Gelegenheit selber herbeigeführt habe, die Handlung nicht-basal ist. Das gleiche gilt für Evidenzmodifikationen und Überzeugungserwerb: Ich erwerbe keine Überzeugung, indem ich meine Evidenz modifiziere, sondern die Evidenzmodifikation verschafft mir die Gelegenheit, eine andere Handlung, nämlich den Überzeugungserwerb, ausführen zu können, die ich sonst nicht hätte ausführen können. Für Meylans Konzeption lässt sich an dieser Stelle anführen, dass dieser Einwand auf einer unpassenden Analogie beruhe; eine treffendere Analogie sei, Evidenzmodifikation und Überzeugungserwerb mit Weckerstellen und Aufwachen (statt Aufstehen) zu vergleichen. Gegen Meylans Konzeption lässt sich anführen, dass sie die Verbindung zwischen Evidenzmodifikation und Überzeugungserwerb dermaßen indirekt verstehen muss, dass sie sich kaum unterscheidet von der Verbindung etwa zwischen einem Stadionbesuch und der daraus resultierenden Freude oder Frustration.

Wie eingangs bemerkt, ist Meylans Buch ein Versuch, grundlegende Fragen einer neuen und unübersichtlichen Debatte zu klären. Dies ist Meylan in vorzüglicher Weise gelungen, auch wenn ein umfassender und auch gegenüber anderen Positionen wohlwollend eingestellter Überblick über die Probleme und Optionen weiterhin ein Desiderat bleibt. Inhaltlich wird die Position, die Meylan entwickelt, manche ansprechen – nämlich diejenigen, die indirekte doxastische Verantwortung für ausreichend halten, um dem Verantwortungsskeptizismus zu entgehen – und andere enttäuschen – nämlich diejenigen, die eine solche indirekte Konzeption für zu dünn halten, um den Phänomenen gerecht zu werden. Aber wohin auch immer die Neigungen gehen, kann ich dieses Buch jedem, der sich in der Debatte zur Ethik des Glaubens orientieren möchte, mit Nachdruck empfehlen.

Literatur

Williams, Bernard. „Deciding to believe.” In Problems of the Self. Philosophical Papers 1956–1972, 136–151. Cambridge, Cambridge University Press, 1973.

© 2014 Zeitschrift für philosophische Literatur, ISSN 2198-0209, lizenziert unter CC-BY-ND-3.0-DE