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Zeitschrift für philosophische Literatur 2.1 (2014), 111–121

Assadi, Galia: Ordnung durch Verantwortung. Neue Perspektiven auf einen philosophischen Grundbegriff. Frankfurt a. M./New York: Campus 2013. 269 Seiten. [978-3-593-39949-2]

Rezensiert von Frieder Vogelmann (Universität Bremen)

Galia Assadis Buch geht von zwei Prämissen aus: Erstens hält sie Foucaults archäologische Analyse der modernen Episteme in der zeitgenössischen Philosophie für zu wenig beachtet und möchte zeigen, dass sie mehr Aufmerksamkeit verdient (12, 244). Zweitens zeige sich die Produktivität von Foucaults Diagnose, so Assadi, insbesondere mit Blick auf die philosophischen Reflexionen von „Verantwortung“: Foucaults Beschreibung des modernen Wissensraums – der modernen Episteme – kreist um die ihm zufolge erst im 19. Jahrhundert entstandene epistemologische Figur des „Menschen“. Seit Kant seine drei leitenden Fragen – „Was kann ich wissen?“, „Was soll ich tun?“, „Was darf ich hoffen?“ – in der vierten Frage „Was ist der Mensch?“ zusammenfasste, sei der Mensch zugleich Grundlage allen Wissens und werde doch erst in diesem Wissen konstituiert. Diese von Foucault als paradox beschriebene Position des Menschen könne zur Analyse der „Architektur des modernen philosophischen Verantwortungsdiskurses“ (244) genutzt werden, so Assadi, weil sich die Arbeiten am Begriff der Verantwortung als Antworten auf die Probleme verstehen lassen, die sich aus dieser Ordnung des Wissens ergeben. Daher formuliert Assadi das Ziel der Arbeit wie folgt:

Gelänge es nachzuweisen, dass moderne Verantwortungsmodelle auf den von Foucault rekonstruierten Möglichkeitsbedingungen beruhen und sie sich infolgedessen als konzeptionelle Versuche lesen lassen, mittels derer die Paradoxie der modernen Subjektposition aufgelöst werden soll, ließe sich die Frage nach der theoretischen Funktionalität des Verantwortungskonzepts in neuer Form beantworten (12).

So ließe sich klären, „ob – und wenn ja – um welchen Preis am Verantwortungsdenken festgehalten werden sollte“ (12).

Folgerichtig beginnt Assadi nach ihrer Einleitung mit einer Interpretation von Foucaults Die Ordnung der Dinge, die vor allem die Stellung des Menschen als „unterworfene[m] Souverän“ herausarbeitet (Kap. 2). Anschließend liefert das dritte Kapitel unter dem Titel „Ordnungen der Verantwortung“ einen Überblick über den „Verantwortungsdiskurs“ (53), ehe dieser in zwei Stränge unterteilt wird, die zwei „Theoriebildungsstrategien“ (76) zur Auflösung der Paradoxie verfolgen und jeweils anhand dreier exemplarischer Positionen vorgestellt werden (Kap. 4 und 5). Das Schlusskapitel fasst die Ergebnisse der Analysen zusammen, bevor es die Vor- und Nachteile der beiden Lösungsstrategien abwägt (Kap. 6). Diesem Aufbau folgend, werde ich zunächst die Foucault-Interpretation (I) und Assadis Analyse des „Verantwortungsdiskurses“ wiedergeben (II), ehe ich auf zwei der von ihr untersuchten „Verantwortungsmodelle“ (III) und auf den Zusammenhang von Verantwortung und „Ordnung“ eingehe (IV). Zuletzt werde ich drei kritische Fragen stellen (V).

  1. Die Paradoxie „Mensch“

Assadi liest Foucaults „Archäologie der Humanwissenschaften“ als Analyse der „historisch kontingenten Bedingungen der Möglichkeit für Wissensbildung“ (24), deren zentrales Ergebnis es sei, dass die Figur „Mensch“ innerhalb der modernen Episteme ab 1825 eine instabile, aber fundierende Position besetze. Foucault (2003b: Kap. 9) zufolge oszilliert der Mensch als Subjekt eines Wissens, das er die „Analytik der Endlichkeit“ nennt, zwischen der Position eines transzendentalen Erkenntnissubjekts und eines empirischen Wissensobjekts, zwischen dem transparenten Cogito und einem intransparenten Ungedachten sowie zwischen dem unaufhörlichen Rückzug des Ursprungs und seiner ewigen Wiederkehr.

Assadi reduziert diese komplexe Analyse für den für ihre Zwecke wesentlichen Punkt:

Die moderne Episteme lässt sich […] als eine subjektzentrierte Wissenskonfiguration beschreiben, innerhalb derer das Subjekt als paradoxale Figur aus Souveränität und Unterwerfung konstruiert wird. Aufbauend auf diesem argumentativem Fundament kann konstatiert werden, dass sich die moderne Theoriebildung als Ensemble differenter Lösungsversuche und Antwortstrategien beschreiben lässt, mit Hilfe derer der konstitutive Widerspruch, der die moderne Wissensordnung charakterisiert, aufgehoben werden soll. (50f.)

Das Subjekt wird also in der modernen Episteme zugleich zum Fundament allen Wissens und insofern unbeschränkt souverän, und doch enthüllt das von ihn fundierte Wissen seine umfassende Bedingtheit. Wegen dieser paradoxen Verfasstheit des Subjekts nennt Assadi es mit Foucault den „unterworfenen Souverän“ (50; vgl. Foucault 2003b: 377).

Ohne an dieser Stelle tiefer in Assadis Interpretation von Die Ordnung der Dinge einsteigen zu können, ist vielleicht eine kritische Bemerkung erlaubt: Es verwundert schon, dass Assadi Foucaults komplexen Text weitgehend ohne Rückgriff auf die philosophischen Diskussionen über dieses Buch rekonstruiert.1 Wie genau die These der späten Geburt und des möglicherweise frühen Todes des Menschen zu verstehen ist, welche Rolle Kant dabei spielt und dass die Archäologie ja nicht nur dazu auffordert, eine Analyse der modernen Episteme zu liefern, sondern dass „Denken“ aus seinem „anthropologischen Schlaf“ zu wecken, indem sie sich an einer „Entwurzelung der Anthropologie“ (Foucault 2003b: 412) versucht – all dies bleibt weitgehend ausgeblendet. Nicht einmal die in dieser Beziehung reichhaltigen weiteren Schriften Foucaults – etwa seine thèse complémentaire (Foucault 2010), die im Kern bereits jene Analyse des Menschen bei Kant enthält, die im neunten Kapitel von Die Ordnung der Dinge verhandelt wird – berücksichtigt Assadi. Allerdings muss man ihr zugute halten, dass ihr Ziel keine umfassende Foucaultrekonstruktion, sondern die kritische Untersuchung des Verantwortungsdiskurses ist, den sie aus ihrer zugespitzten Interpretation als Teil der modernen ethischen Theoriebildung ansieht, die mit zwei Strategien auf die instabile Position des Subjekts als unterworfener Souverän antwortet.

  1. Diskurse und Metadiskurse

Zufrieden mit dem Stand der Begriffsgeschichte verzichtet Assadi auf eine „historische[…] Gesamtdarstellung“ (53) des Verantwortungsbegriffs und stellt im dritten Kapitel lediglich die lineare Erzählung einer kontinuierlichen Entwicklung des Verantwortungsbegriffs, wie sie Kurt Bayertz (1995) geliefert hat, der „genealogischen“ Geschichtsschreibung gegenüber, die sie Tatjana Schönwälder-Kuntze praktizieren sieht und der sie sich anschließt.2 Welche Folgen das für Assadis Vorgehen hat, bleibt unklar; ihr Überblick über den „Verantwortungsdiskurs“ (53) soll letztlich nur zeigen, dass Verantwortung einerseits höchst unterschiedlich konzipiert wird und dass andererseits ein Metadiskurs existiert, der diese Differenzierung bereits kritisch mitdiskutiert (54). Die verschiedenen Verantwortungsbegriffe sortiert Assadi danach, ob ihre Veränderungen des klassisch-kausalen Verantwortungsmodells am Verantwortungssubjekt oder am Verantwortungsobjekt ansetzen: Während „Husserl, Heidegger und Weischedel Verantwortung konzeptionell an ein Subjektivitätsmodell [koppeln], demgemäß Autonomie und Rationalität als angeborene Vermögen konstatiert werden“ (64), gebe es außerdem Verantwortungsbegriffe wie den des Theologen Eberhard Grisebachs oder Martin Bubers, die Verantwortung dialogisch denken; und eine dritte Modifikation des Verantwortungssubjekts sei in der Diskussion um kollektive Verantwortung zu beobachten (66f.). Eine andere „Theorieströmung“ (67) setze am Verantwortungsobjekt an – Assadi nennt allerdings ausschließlich Georg Picht, der die Verantwortung auf die „nichtmenschliche Umwelt“ (68) erweitere. Einmal abgesehen von der Frage, inwieweit sich Husserls Verantwortungsbegriff gemeinsam mit demjenigen Heideggers als an substantielle Rationalitäts- und Autonomieunterstellungen einer Subjektphilosophie gebunden bezeichnen lässt, erscheint dieser Überblick wahllos; fehlende Positionen wie diejenigen Webers oder Jonas’ werden zwar in den folgenden Kapiteln nachgeliefert, aber warum die Aufteilung so und nicht anders vorgenommen wird, bleibt ungeklärt.

Der kritische Metadiskurs, den Assadi als zweite Ebene des „Verantwortungsdiskurses“ ausmacht, sieht die als Diffusion beschriebene Konjunktur des Verantwortungsbegriffs in der zunehmenden funktionalen Differenzierung der Gesellschaft begründet (69f.). Assadi hat hier vor allem Positionen wie die von Ludger Heidbrink (2003) vor Augen, der Verantwortung als semantische Strategie ansieht, um die Komplexitätssteigerung der Zurechnungsproblematik in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften zu bewältigen.

Assadi selbst will ebenfalls einen Metadiskurs über den „Verantwortungsdiskurs“ eröffnen, allerdings einen, der nicht von der Beziehung zwischen Semantik und Sozialstruktur ausgeht, sondern einen, der „Verantwortungsmodelle als Lösung einer theoriegeschichtlichen Problemlage“ (75) beschreibt, die sie Foucaults Diagnose entnimmt. Wie sich dieser Metadiskurs zum vorher skizzierten verhält, erfährt man indes nicht.

Ebenso wenig verrät Assadi, wie sich der „Verantwortungsdiskurs“ abgrenzen lässt. Klar ist, dass sie nicht Foucaults Diskursbegriff verwendet, da dieser Diskurse gerade nicht anhand der Einheit von Begriffen (wie „Verantwortung“) isoliert.3 Reicht also das Vorhandensein des Wortes „Verantwortung“? Es ist ein kleines, aber exemplarisches Problem, weil es zeigt, wie Assadi einerseits eng an Foucault anschließt, indem sie sich die Problemlage, auf die „Verantwortung“ antwortet, von ihm vorgeben lässt, andererseits aber methodologisch in großer Distanz operiert, ohne darüber Rechenschafft abzulegen.

  1. Verantwortung und der unterworfene Souverän

Der eigentliche Schwerpunkt von Assadis Arbeit liegt auf der ausführlichen Rekonstruktion der beiden Möglichkeiten, mit „Verantwortung“ auf die „Paradoxie der modernen Subjektposition“ (78) zu antworten, indem Verantwortung entweder die vorausgesetzte Souveränität des Subjekts limitiert oder ausgehend von der vorausgesetzten Bedingtheit des Subjekts dessen begrenzte Souveränität konstituiert. Beide Antwortmöglichkeiten verfolgt Assadi in Bezug auf jeweils drei Verantwortungsmodelle: Dabei handelt es sich um die Modelle von Søren Kierkegaard, Max Weber und Hans Jonas einerseits sowie Emmanuel Levinas, Hannah Arendt und Judith Butler andererseits. Assadi will zeigen, dass die jeweiligen Verantwortungskonzeptionen tatsächlich auf Probleme antworten, die sich aus der „paradoxen Subjektposition“ ergeben, und welche theoretischen Funktionen die Verantwortungsbegriffe dadurch erhalten. Weil ich im Rahmen einer Rezension unmöglich alle Verantwortungsmodelle besprechen kann, greife ich mit Hans Jonas und Judith Butler die aktuellsten aus den beiden Reihen heraus. Allerdings muss man sich vorher noch einmal vergegenwärtigen, was in den Lektüren der verschiedenen „Verantwortungsmodelle“ auf dem Spiel steht: Assadi muss zeigen, dass sich alle sechs Modelle als Antworten auf das „Paradox“ des Subjekts als „unterworfener Souverän“ verstehen lassen – und welche Antwort sie geben.

Welche Antwort Jonas gibt, ist verhältnismäßig leicht zu sehen: Weil er Verantwortung als Sorge eines machtvollen Subjekts für ein ohnmächtigeres Sein begreift – sei es für ein anderes Subjekt, wie beim Urbild der Verantwortung, für den Säugling (Jonas 1983: 234–241), sei es für die in der Moderne endgültig der Menschheit unterworfene Natur –, muss er von einem souveränen Subjekt ausgehen. Seine Ethik steht daher vor dem Problem, wie sich diese Souveränität angesichts ihres selbstzerstörerischen Potentials begrenzen lässt. Dazu dient der Verantwortungsbegriff:

Verantwortung zielt […] durch die Aufstellung unbedingter Postulate auf eine Limitierung und Ordnung des menschlichen Handlungsspektrums, das ferner nur noch Handlungen umfassen soll, die mit dem kategorischen Imperativ der Erhaltung der Idee des Menschen in Einklang steht. (137)

Soweit ist Assadis Darstellung nachvollziehbar. Doch warum Jonas’ Verantwortungsbegriff als Antwort auf Problem des „unterworfenen Souveräns“ zu verstehen ist, bleibt offen. Hier wie anderswo zieht sich Assadi auf konditionale Phrasen zurück: „Reflektiert man vor dem Hintergrund der Foucaultschen Argumentation auf diese Theoriebildungsstrategie, kann die These gestützt werden, dass Jonas die Paradoxie des ‚unterworfenen Souveräns‘ zugunsten der Souveränität auflöst […].“ (137) Die Frage bleibt, ob es Gründe dafür gibt, es so zu sehen, und ob diese These tatsächlich etwas über den Begriff der Verantwortung sagt oder ob sie unter Voraussetzung der von Foucault beschriebenen modernen Episteme nicht schlicht für jeden Begriff eines subjektiven Vermögens oder einer Subjektivierungsweise gilt. Könnten wir nicht „Freiheit“, „Prekarität“ oder „Vernunft“ aus Foucaults archäologischer Perspektive untersuchen und würden stets dasselbe Ergebnis erhalten: dass sie die Paradoxie mal zu dieser und mal zu jener Seite hin auflösen?

Ähnliche Probleme zeigen sich in Assadis Lektüre von Butler, deren Konzeption von Verantwortung Assadi als Versuch versteht, „die weltpolitischen Problemlagen, die durch den 11. September und dessen kriegerische Konsequenzen aufgeworfen wurden, mit einem Verantwortungsmodell zu beantworten, das im Dienste einer Ethik der Gewaltfreiheit steht“ (207). Sinnvollerweise greift Assadi also vor allem auf jüngere Texte Butlers nach deren „ethischer Wende“ zurück, da sich Butler bis 2001 ja kaum mit Verantwortung beschäftigt hatte. Butler argumentiert gegen das „klassische“ Verantwortungsdenken, dass es ein Subjekt mit uneingeschränkter Souveränität voraussetze und dieses damit stark überfordere (224). Ihr Gegenentwurf geht daher, wie Assadi ausführlich darstellt, von der unausweichlichen Gefährdung des Subjekt, seiner Abhängigkeit und damit seiner Bedingtheit von anderen aus; Verantwortung sei insofern „als ethische Verpflichtung des bedingten Subjekts zu verstehe […], die sich aus einer universalisierten Gefährdung des Lebendigen ableitet“ (233). Der Inhalt von Butlers Verantwortungsbegriff ergebe sich direkt aus dieser Abhängigkeit: es handelt sich um eine Verantwortung für die Bedingungen, die Leben ermöglichen (228).

Inwiefern antwortet Butler mit diesem „Verantwortungsmodell“, das zumindest in direkter Nachbarschaft zu Jonas ebenso vitalistisch anmutet und aus bloß umgekehrten Voraussetzungen zum gleichen Schluss zu kommen scheint – hier Bewahrung der Menschheit als Verantwortungsimperativ, den die Macht derselben Menschheit ihr auferlegt; dort im Bewusstsein der eigenen Bedingtheit und Machtlosigkeit Bewahrung der Bedingungen, die das Leben ermöglichen – nicht nur auf die „weltpolitischen Problemlagen nach dem 11. September“ (207), sondern auch auf das Paradox des „unterworfenen Souveräns“? Sie ist, soviel ist klar, auf der Seite zu verorten, die das Paradox in Richtung Bedingtheit auflösen will; Verantwortung hat hier keine Limitierungsfunktion, sondern soll die Subjektkonstitution erklären. Aber in welchem Sinne gibt Butler eine Antwort auf die Paradoxie des „unterworfenen Souveräns“, wenn sie diese tatsächlich nach der Seite der Bedingtheit aufzulösen versucht? Sind Paradoxien nicht Widersprüche, die sich nach dem Muster „A weil non-A“ und „non-A weil A“ ergeben,4 so dass einseitige Auflösungsversuche eher Bestandteil oder sogar Grund denn Auflösung der Paradoxie sind?

  1. Ordnung und Verantwortung

Im Schlusskapitel ihrer Arbeit fasst Assadi den Gang der Argumentation zusammen und diskutiert die Vor- und Nachteile der beiden von ihr unterschiedenen „Lösungsstrategien“ für das Paradox des unterworfenen Souveräns. Wenngleich sie bereits in der Untersuchung der sechs Verantwortungsmodelle die Frage nach der Beziehung des jeweiligen Verantwortungsbegriffs zur Ordnung angerissen hatte, wird das Argument hier in seine stärkste Form gebracht: Auch die „Ordnung der Welt“ (245) ist Assadi zufolge abhängig von der Wahl des Subjektbegriffs, weil dieser vorbestimmt, welche Stellung Subjekte in einer solchen Ordnung finden können. Konzipiert man das Subjekt als souveränes, das die Ordnung der Welt gestalten kann, übernimmt der Verantwortungsbegriff die Aufgabe, die Bindung dieser Souveräne an die Welt und die Limitierung ihrer Souveränität zu explizieren, damit Ordnung überhaupt möglich ist (245f.). Beginnt man stattdessen mit einem Subjekt, dem eine „eigenlogisch strukturierte Welt“ (250) vorausgeht, erklärt Verantwortung die Entstehung zumindest relativ autonomer Subjekte und benennt demnach eine Subjektivierungsweise.

Assadi nennt nun jeweils einige Vor- und Nachteile der beiden „Theoriebildungsstrategien“ (76) von Verantwortung: Während die Betonung souveräner Subjekte „gesellschaftliche Ordnung denkbar“ (247) mache und konkrete Überlegungen zur individuellen Verhaltensregulation bereitstellen könne, überfordere es das als Souverän konzipierte Subjekt, unterwerfe es der herrschenden Ordnung, auf deren Stabilisierung dieses Denken gerichtet sei, und sei stets in Gefahr, „politisch und ethisch fragwürdige Praktiken der Diskreditierung und Diskriminierung des Anderen zu legitimieren“ (248). Umgekehrt könne ein Begriff der Verantwortung, der ausgehend von der Bedingtheit des Subjekts verstanden wird, leichter an Diskurse nicht-philosophischer Disziplinen andocken und sei sensibler für kulturelle Diversität. Problematisch wäre hier die unzureichende Begrenzung dessen, was das bedingte Subjekt zu verantworten habe, sowie die Annahme von „Leid als unaufhebbare[m] Teil der conditio humana“ (253), die schnell zu einer theoretischen Fixierung auf Leidenszustände führen könne.

Aus drei Gründen ist für Assadi die zweite „Lösungsstrategie“ dennoch im Vorteil gegenüber der ersten: Weil mit Verantwortung dabei auf die „Möglichkeitsbedingungen der Subjektkonstitution“ (253) reflektiert werde, sei Verantwortung leichter zu universalisieren, ohne dadurch Unterschiede in den Subjektformen einebnen zu müssen. Zweitens sei sie politisch überlegen, weil sie weniger stabilitätsfixiert sei. Und zuletzt könne sie als kritische Infragestellung des herkömmlichen Verantwortungsdenkens „einen Beitrag zu Aufklärung im Sinne Kants leisten“ (254), mit dessen Hoffnung, das „freie Denken“ möge schließlich nicht nur das Volk zum freien Handeln befähigen, sondern sogar die Regierung dahin bringen, den Menschen nicht als Maschine zu behandeln,5 Assadi ihr Buch beschließt.

  1. Kritische Fragen

Eine ganze Reihe von zumeist methodologischen Problemen ist bereits angeklungen: Assadi reflektiert nicht, wie sich ihre Analyse von sechs Verantwortungsmodellen zur archäologischen Diagnose Foucaults verhält, so dass unklar bleibt, in welchem Sinne diese philosophischen Texte auf das Paradox des unterworfenen Souveräns antworten. Angesichts der Geläufigkeit einer Aufteilung von Verantwortungsbegriffen in exakt die beiden Modelle, die auch Assadi untersucht, stellt sich einerseits die Frage, ob Assadi die Foucaultsche Diagnose überhaupt benötigt. Andererseits ist unklar, warum sie nicht die Entstehung des philosophischen Gebrauchs von Verantwortung und die spätestens seit Nietzsche6 erfolgte Aufspaltung von Verantwortungsmodellen im 19. Jahrhundert untersucht, sondern schlicht voraussetzt, dass Foucaults Archäologie des vorletzten Jahrhunderts auch heute noch zutrifft.

Inhaltlich gewichtiger ist die Frage danach, was es bedeutet, auf die paradoxe Subjektposition des Menschen in der Moderne zu antworten. Die sechs vorgestellten Verantwortungsmodelle sind bestenfalls verschiedene Weisen, sich mit der Paradoxie zu arrangieren; als Versuche, jeweils eine der beiden Seiten zu verabsolutieren, können sie jedoch keine Antwort auf die Paradoxie liefern, sondern festigen sie. In diesem Sinne sind beide „Theoriebildungsstrategien“ (76) unkritisch. Dass Assadi einen ganzen Metadiskurs über Verantwortung als Antwort auf die Paradoxie des unterworfenen Souveräns eröffnen will, nur um sich am Ende doch einer der beiden konventionellen Strategien anzuschließen, enttäuscht.

Schließlich muss man nach der titelgebenden „Ordnung durch Verantwortung“ fragen. Von Ordnung ist ausnehmend oft die Rede, doch Assadi erklärt nirgends, welche Ordnung(en) von Verantwortung eigentlich tangiert, geschaffen oder kritisiert werden. Geht es um die „Ordnung des modernen Wissensraums“ (244), die „gesellschaftliche Ordnung“ (246) oder gar die „herrschende Ordnung“ (248) – oder doch gleich um die „Ordnung der Welt“ (245)? Sicher, Verantwortung ist ein vielschichtiger Begriff, wie ja allein die diversen von Assadi untersuchten Verantwortungsmodelle belegen, aber es hilft wenig, ihm ein noch unbestimmteres Ordnungskonzept beizugesellen. Assadi schwankt vielleicht deshalb so stark, weil sie versucht, die Unterscheidung von Verantwortungsmodellen innerhalb einer „Wissenskonfiguration“ (244) – also innerhalb der Ordnung des Wissens gemäß Foucaults moderner Episteme – mit der politischen Fragen nach der Kritikfähigkeit des Verantwortungsbegriffs vis-à-vis der „gesellschaftlichen“ bzw. „herrschenden“ Ordnung zu verknüpfen. Dies über einen nicht explizierten Ordnungsbegriff zu behaupten statt für eine entsprechende These zu argumentieren, ist allerdings eher ein Kurz- denn ein produktiver Anschluss an Foucaults Politisierung von Wissen.

Ich bin jedoch versucht, diese Kritik im Konditional zu formulieren, weil dieses von Assadi ausgiebig genutzte Stilmittel die wohl größte Herausforderung der Lektüre ihres Buches darstellt. Auf nahezu jeder Seite begegnen einem Formulierung wie die beiden folgenden:

Denkt man im Anschluss an Foucaults These der „Entstehung“ der modernen Menschen als paradoxaler Figur aus Unterwerfung und Souveränität, kann erstens die These aufgestellt werden, dass sich der moderne Verantwortungsdiskurs, als Teil der ethischen Theoriebildung, als Antwort auf diese Paradoxie lesen lässt. (14)

Ordnet man den Verantwortungsdiskurs vor dem Hintergrund der von Foucault skizzierten paradoxalen Architektur der modernen Wissenskonfiguration, lassen sich die innerhalb des Diskurses zirkulierenden Modelle als theoretische Antworten rekonstruieren, mittels derer der konstitutive Widerspruch zwischen Souveränität und Unterwerfung aufgehoben werden soll. (75)

Diese beiden exemplarischen Sätze, die hier absichtlich unverkürzt zitiert wurden, zeigen die beiden größten Probleme der Studie an: Erstens ist klar, dass man an alle möglichen Thesen alles Mögliche anschließen kann. Aber warum sollte man? Mit welchen Gründen ließen sich Leser_innen überzeugen, dass Assadi hier zu Recht oder zumindest nachvollziehbar irgendwelche Anschlüsse macht? Zweitens bleibt im gesamten Buch vollkommen unklar, was es bedeutet soll „im Anschluss“ oder „vor dem Hintergrund“ einer These zu denken. Eine Argumentation käme erst in Gang, wenn Assadi sagen würde, wie sie anschließen möchte: durch die Übernahme methodologischer Verfahren? Indem sie Foucaults Diagnose weiterführt (und auf welche Weise könnte man das tun)? Indem sie schlicht das Paradox des „unterworfenen Souveräns“ aufnimmt? Solange diese Frage unbeantwortet ist, lässt sich nicht angemessen beurteilen, was ihre Interpretationen der verschiedenen Verantwortungsmodelle liefern müssten, um ihre These zu bestätigen oder zu widerlegen.

Das ist schade, denn es gibt eine Reihe diskussionswürdiger und -bedürftiger Thesen und man kann einiges Interessante von Assadi über Verantwortung lernen – leider aber auch, wie viel Ungenauigkeit philosophische Bücher sich nicht leisten dürfen.

Literatur

Bayertz, Kurt. „Eine kurze Geschichte der Herkunft der Verantwortung.“ In Verantwortung. Prinzip oder Problem?, hg. von Kurt Bayertz, 3–71. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995.

Deleuze, Gilles. Nietzsche und die Philosophie. München: Rogner & Bernhard, 1976.

Djaballah, Marc. Kant, Foucault, and Forms of Experience. New York: Routledge, 2008.

Ellrich, Lutz. „Semantik und Paradoxie.“ In Germanistik und Komparatistik, hg. von Hendrik Birus, 378–398. Stuttgart: Metzler, 1995.

Foucault, Michel. Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2003a.

Foucault, Michel. Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2003b.

Foucault, Michel. Einführung in KantsAnthropologie. Berlin: Suhrkamp, 2010.

Gutting, Garry. Michel Foucault’s Archeology of Scientific Reason. Cambridge: Cambridge University Press, 1989.

Gutting, Garry. „Review of Beatrice Han: Foucault’s Critical Projekt.“ Notre Dame Philosophical Reviews, ‹http://ndpr.nd.edu/review.cfm?id=1262›, 2003.

Han-Pile, Béatrice. „Is early Foucault a historian? History, history and the analytic of finitude.“ Philosophy and Social Criticism31. 5/6 (2005): 585–608.

Han, Béatrice. Foucault’s Critical Project. Between the Transcendental and the Historical. Stanford: Stanford University Press, 2002.

Hartmann, Martin. „Widersprüche, Ambivalenzen, Paradoxien. Begriffliche Wandlungen in der neueren Gesellschaftstheorie.“ In Befreiung aus der Mündigkeit. Paradoxien des gegenwärtigen Kapitalismus, hg. von Axel Honneth, 221–251. Frankfurt a. M./New York: Campus, 2002.

Heidbrink, Ludger. Kritik der Verantwortung. Zu den Grenzen verantwortlichen Handelns in komplexen Kontexten. Weilerswrist: Velbrück Wissenschaft, 2003.

Jonas, Hans. Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt a. M.: Insel, 1983.

Kant, Immanuel. „Beantwortung einer Frage: Was ist Aufklärung?“ In Werkausgabe Band XI, hg. von Wilhelm Weischedel, 51–61. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2006.

Luhmann, Niklas. „Die Theorie der Ordnung und die natürlichen Rechte.“ Rechtshistorisches Journal3 (1984): 133–149.

Pfeuffer, Silvio. Die Entgrenzung der Verantwortung. Nietzsche, Dostojewskij, Levinas. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2008.

Raffoul, François. The Origin of Responsibility. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, 2010.

Schönwälder-Kuntze, Tatjana. „Auf wen oder was antwortet ‚Verantwortung‘? Zur Genealogie (und Pathologie) des Verantwortungsdenkens.“ Jahrbuch für Recht und Ethik19 (2011): 367–395.


  1. Hier seien nur Gutting (1989) und Han (2002) sowie die Diskussion zwischen den beiden (in Gutting [2003], Han-Pile [2005]) und für ein aktuelleres Beispiel Djaballah (2008) genannt.

  2. Hier ließen sich einige Fragen stellen, denn Schönwälder-Kuntze (2011) bietet ja weder eine Genealogie nach dem Modell Nietzsches, also eine fiktional-hyperbolische Geschichte, die den Verantwortungsbegriff destabilisiert, noch eine Genealogie nach dem Modell Foucaults, die sich gerade nicht auf die kanonischen Texte der Philosophie beschränken dürfte. Genealogie scheint bei Assadi für eine relativ anspruchslose Geschichtsschreibung zu stehen, die lediglich von starken Kontinuitätsannahmen befreit ist.

  3. Foucault probiert und verwirft diese Hypothese in der Archäologie des Wissens schon sehr früh: vgl. Foucault (2003a: 53f.).

  4. So Hartmann (2002: 237) mit Verweis auf Ellrich (1995: 384), der diesen Paradoxiebegriff allerdings von Luhmann nimmt: vgl. z.B. Luhmann (1984: 141).

  5. „Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat: so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volks, (wodurch dies der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird), und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschineist, seiner Würde gemäß zu behandeln.“ (Kant 2006: 61) Man muss allerdings schon fragen, ob das Warten auf die Natur eine politische Strategie darstellt, die zu empfehlen ist. 5

  6. Einige willkürlich herausgegriffene Interpretationen, die diese Zweitteilung an Nietzsche festmachen, sind beispielsweise Deleuze (1976: 155), Pfeuffer (2008: 102ff.), Raffoul (2010: 118).

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