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Zeitschrift für philosophische Literatur 1. 1 (2013), 35–43


Cappelen, Herman: Philosophy Without Intuitions. Oxford: Oxford University Press 2012. 242 Seiten. [0199644861]

Rezensiert von Sebastian J. Müller (Universität Bielefeld)


In der ausufernden Debatte unter analytischen Philosophen darüber, ob Intui­tionen in philosophischen Argumenten eine wichtige Rolle spielen dür­fen und müssen, ist Herman Cappelens Buch Philosophy Without Intuitions ein geradezu überfälliger Beitrag. Während eine Vielzahl von Philosophen da­rüber diskutiert, ob es angemessen ist, sich im Rahmen philosophischer Ar­gumente auf Intuitionen zu verlassen, versucht Cappelen die Probleme, die die scheinbare Nutzung von Intuitionen in der Philosophie aufwirft, auf ganz einfache Weise zu lösen. Ihm zufolge verlassen sich Philosophen gar nicht wirklich auf Intuitionen. Wenn er hiermit Recht hat, dann wird die Frage, ob Intuitionen verlässlich sind, für die Philosophie unwichtig. Daher ist seine These von großer Bedeutung für Debatten, die die Methodologie der Philo­sophie im Ganzen und der meisten ihrer Teilbereiche betreffen. Sein Buch kann also bereits dann als wichtig bezeichnet werden, wenn es ihm gelingt, eine breitere Diskussion über die Frage, welche Rolle Intuitionen in der ana­lytischen Philosophie wirklich spielen, auszulösen.

Cappelen greift in seinem Buch die von ihm so genannte Zentralitäts­these an, welche besagt, dass Intuitionen als Indizien eine Rolle für die analy­tische Gegenwartsphilosophie spielen.

Centrality (of Intuitions in Contemporary Philosophy): Contempo­rary analytic philosophers rely on intuitions as evidence (or as a source of evi­dence) for philosophical theories. (3)

Das gesamte Buch stellt im Wesentlichen eine kritische Ausei­nanderset­zung mit zwei Argumenten dar, die vorgebracht werden, um die Zentralitäts­these zu begründen. Im ersten Teil (25–93) versucht Cappelen, nachzuweisen, dass das Sprechen über Intuitionen nicht wirklich zeigt, dass sich Philosophen in ihren Argumenten auf diese verlassen. In der zweiten Hälfte (95–228) ver­sucht er zu zeigen, dass in der philosophischen Praxis, entgegen dem Selbst­bild vieler Philosophen, nicht wirklich von Intuitionen Gebrauch gemacht wird. Dabei bilden das siebte und das achte Kapitel das Herzstück von Cap­pelens Buch. In diesen Kapiteln dringt er am tiefsten in die Praxis der Philo­sophie vor. Am Ende diskutiert Cappelen schließlich die Rolle von Intuitio­nen für begriffliche Analysen und die Rolle solcher Analysen für die Philosophie und zieht Konsequenzen seiner Überlegungen für die Experimentalphi­losophie.


Was meint Cappelen mit „Intuition“?

Cappelen legt sich in der Frage, ob Intuitionen Überzeugungen, Neigungen zu Überzeugungen oder grundlegend von Überzeugungen verschieden sind, nicht fest. Seine Analyse soll diesen Unterscheidungen gegenüber neutral bleiben. Allerdings macht Cappelen drei für intuitive Urteile charakteristische Eigenschaften aus (112):


Eigenschaft 1: erscheint als wahr (spezielle Phänomenologie)

Eigenschaft 2: benötigt keine Rechtfertigung (Sie hat „Fels-Status“)

Eigenschaft 3: basiert ausschließlich auf begrifflicher Kompetenz.


Diese drei Eigenschaften entnimmt Cappelen den Beschreibungen von Intui­tionen, die Metaphilosophen wie Weinberg, Plantinga, Williamson und vor allem Bealer gegeben haben, die entweder Verteidiger oder Gegner einer in­tuitionsbasierten Philosophie sind (117ff.). Wenn in einem philosophischen Argument keine Urteile eine Rolle spielen, die zumindest eine dieser Eigen­schaften aufweisen, so Cappelen, ist es plausibel, dass in ihm nicht von Intui­tionen Gebrauch gemacht wird ist (114).


Das Argument auf Basis des Redens über Intuitionen

Man könnte die Zentralitätsthese so begründen: Philosophen sagen häufig, dass etwas intuitiv oder kontraintuitiv ist. Die Prämissen vieler ihrer Argu­mente enthalten die Worte „Intuition“ oder „intuitiv“. Hieran zeigt sich, dass Intuitionen für die Philosophie zentral sind.

Gegen eine solche Argumentation führt Cappelen an, dass diese Ausdrü­cke, so wie sie alltäglich gebraucht werden, nicht auf bestimmte mentale Zu­stände, Dispositionen oder ähnliches Bezug nehmen (29–48). Wenn man also anhand der Rede über Intuitionen zeigen will, dass Intuitionen zentral für die Philosophie sind, muss man annehmen, dass es sich bei „Intuition“ um einen erfolgreich eingeführten technischen Ausdruck handelt (50). Anhand eines Vergleichs versucht er jedoch zu zeigen, dass der Ausdruck „Intuition“ nicht erfolgreich eingeführt wurde. Zu diesem Zweck vergleicht er den Ausdruck mit technischen Ausdrücken aus der Ökonomie. Diese sind erstens klar defi­niert und spielen zweitens eine wichtige und nützliche Rolle in ökonomischen Texten. Drittens schließlich sind sich Ökonomen hinsichtlich paradigmati­scher Fälle einig, in denen die bezeichneten Phänomene vorliegen.

Intuitionen hingegen erfüllen Cappelen zufolge keine dieser Anforde­rungen. Es ist zum Ersten nicht klar, was „Intuition“ bedeutet – zum Beispiel, ob Intuitionen auf begrifflicher Kompetenz beruhen müssen oder nicht, ob sie sich auf das Kontingente, das Notwendige oder beides beziehen können usw. Zweitens spielen sie keine wichtige und nützliche Rolle in der Philoso­phie. Drittens schließlich herrscht Uneinigkeit darüber, was paradigmatische Fälle von Intuitionen sind – so nehmen die meisten Philosophen zwar zum Beispiel an, dass Intuitionen für die Beurteilung der Gettierfälle wichtig sind, aber es ist nicht klar, welche Intuitionen genau eine Rolle spielen (52ff.).

Ich denke, wir können Cappelen hier teilweise zustimmen. „Intuition“ ist nicht ebenso klar in die Philosophie eingeführt wie viele ökonomische Fach­ausdrücke in die Ökonomie eingeführt sind. Jedoch sind seine Ansprüche zu hoch, wenn man „Intuition“ mit anderen philosophischen Fachtermini ver­gleicht.

Nehmen wir „Notwendigkeit“ als Beispielfall. Es ist nicht klar, was es ge­nau bedeutet, dass etwas schlechthin notwendig ist – heißt dies, dass die Negation logisch oder begrifflich widersprüchlich ist, wie Chalmers (Chalmers 2010: 186ff.) meint? Oder geht es darum, dass es sich aus den Essenzen aller Dinge ergibt (Fine 1994: 9)? Manche Philosophen glauben, es gebe zwei grundlegende Arten von Notwendigkeit, andere akzeptieren nur eine Art. Der Nutzen des Ausdrucks „ist notwendig“ ist dementsprechend fragwürdig. Die Überzeugungskraft von Argumenten, die auf Annahmen darüber beruhen, was möglich und notwendig ist, ist ebenso zweifelhaft (Van Inwagen 1998). Es ist zudem auch im Hinblick auf „Notwendigkeit“ nicht völlig geklärt, was die paradigmatischen Fälle sind. Viele Philosophen würden auf analytische Wahrheiten verweisen, deren Existenz jedoch von anderen, einflussreichen Philosophen bestritten wird (Vgl. Williamson 2007: Kap. 3 & Kap. 4). An­dere würden behaupten, die einzige grundlegende Art von Notwendigkeit sei die, die sich ausde re modalen Eigenschaften (Van Inwagen 1998: 71) oder Essenzen (Fine 1994) ergibt.

Wir könnten hieraus schließen, dass wir den Ausdruck „notwendig“ aus der Philosophie heraushalten sollten. Doch dies ist nicht die einzig angemes­sene Reaktion. Stattdessen könnte man auch versuchen, den Ausdruck klarer zu definieren und herauszufinden, was wirklich Fälle von Notwendigkeit sind. Dies ist ein Projekt, an dem tatsächlich viele Philosophen teilnehmen. Die Argumente, die auf „Notwendigkeit“ zutreffen, könnten auch auf „intuitiv“ zutreffen.

So rigorose Ansprüche, wie Cappelen sie stellt, könnten uns außerdem allzu viele Ausdrücke kosten. Für viele philosophische Fachtermini liegt der Verdacht nahe, dass sie an ähnlichen Problemen leiden wie „Intuition“. Dies mag in der Ökonomie gänzlich anders sein - doch warum beschränkt sich Cappelen auf Beispiele aus einem grundlegend anderen Gebiet? Stattdessen wäre es ratsam, zu untersuchen, ob die Probleme von „Intuition“ nicht eher durch die Eigenarten der Philosophie als durch die Besonderheiten dieses Ausdrucks zustande kommen. Hier wäre mehr konkrete Arbeit nötig, um zu zeigen, dass der Ausdruck „Intuition“ nicht nur im Vergleich zu manchen theoretischen Ausdrücken mancher anderer Wissenschaften, sondern auch nach den Standards der theoretischen analytischen Philosophie unklar und nutzlos ist.


Das Argument auf Basis der philosophischen Praxis

Im zweiten Teil seines Buchs versucht Cappelen zu zeigen, dass Intuitionen in der philosophischen Praxis keine (oder zumindest keine wichtige) Rolle spielen. Hierzu untersucht er zehn Fälle – allesamt bekannte Beispiele aus der philosophischen Literatur – von denen viele Philosophen glauben, dass Intui­tionen in ihnen eine zentrale Rolle spielen, beispielsweise Chalmers Zombie­argument gegen den Materialismus und Thomsons Violinisten­argument für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch (130ff.).

Wie bereits dargestellt, macht Cappelen drei entscheidende Eigen­schaf­ten intuitiver Urteile aus,


Eigenschaft 1: erscheint als wahr (spezielle Phänomenologie)

Eigenschaft 2: benötigt keine Rechtfertigung (Sie hat „Fels-Status“)

Eigenschaft 3: basiert ausschließlich auf begrifflicher Kompetenz.


In der Untersuchung der zehn Fälle, so Cappelen, zeigt sich, dass die Prämis­sen der Argumente, die vorgebracht werden, keine der Eigenschaften E~1, E2~ und E3 aufweisen. Hieran können wir ihm zufolge erkennen, dass Intui­tionen in diesen Fällen keine Rolle spielen. Da die Fälle typische Kandidaten für das Vorliegen von Intuitionen sind, können wir schließen, dass die Zen­tralitäts­these falsch ist. Intuitionen spielen keine rechtfertigende Rolle in philosophi­schen Argumenten.

Diese Vorgehensweise wirft jedoch eine Reihe von Fragen auf. Die of­fensichtlichste betrifft die ausgewählten Fälle. Zwar muss man Cappelen zu­gestehen, dass diese allesamt philosophische Prominenz genießen und die Vielfalt philosophischer Disziplinen recht gut abbilden. Wenn es ihm gelänge, zu zeigen, dass Intuitionen in ihnen keine Rolle spielen, wäre dies bereits ein sehr herausforderndes Ergebnis für Vertreter der Zentralitätsthese. Ein sol­cher Nachweis würde zeigen, dass Intuitionen zumindest in vielen Fällen, in denen Philosophen glauben, dass sie eine wichtige Rolle spielen, gar nicht von Belang sind. Damit wäre gezeigt, dass die Annahme, dass sich Philosophen immer oder fast immer auf Intuitionen verlassen, auf einem Irrtum beruht.

Da Cappelen aber noch mehr beansprucht – nämlich zu zeigen, dass Intuitionen in der Philosophie generell keine Rolle spielen – wäre es wichtig, zu zeigen, dass die ausgewählten Beispiele wirklich genau die für die These rele­vanten Fälle sind. Jedoch gibt Cappelen weder eine systematische Begrün­dung, warum er genau die zehn diskutierten Beispiele ausgewählt hat, noch ergibt sich dies unmittelbar aus ihrer Relevanz für die Philosophie. Beispiels­weise wird in der gesamten Diskussion Kripkes Naming and Necessity nicht ein­bezogen, obwohl es zweifellos eines der wichtigsten Werke der analytischen theoretischen Philosophie ist und eine Reihe von Argumenten enthält, in de­nen Intuitionen eine Rolle zu spielen scheinen – so z.B. das Gödel-Argument gegen den Deskriptivismus und das modale Argument gegen die Identitäts­theorie. Auch befasst Cappelen sich nicht mit George Bealers Argument ge­gen den Materialismus, was umso erstaunlicher ist, als er sich in der Frage, was Intuitionen sein sollen, über weite Strecken an Bealers Bestimmungen anlehnt. Es wäre wünschenswert gewesen, von Cappelen eine Begründung dafür zu enthalten, weshalb die Diskussion der Fälle, die er behandelt, als er­schöpfend gelten kann.

Das zweite Problem betrifft die Auswahl der Eigenschaften E1, E2 und E3. Dies sind keineswegs offensichtliche Eigenschaften. Dass Intuitionen eine spezielle Phänomenologie haben, als wahr erscheinen, also E1 haben, ist eine kontroverse theoretische Annahme, die man nicht machen muss, und die nur wenige explizit machen. Für E3 gilt ähnliches. Es gibt zwar Philosophen, die annehmen, dass Intuitionen auf begrifflicher Kompetenz beruhen, aber ob diese eine Mehrheit oder auch nur eine wichtige Minderheit bilden, ist sehr fraglich. Selbst Autoren wie Bealer, der glaubt, dass Intuitionen deshalb ver­lässlich sind, weil sie auf begrifflicher Kompetenz beruhen (Bealer 2000: 38ff.) müssen nicht behaupten, dass alle Intuitionen die Eigenschaften E3 haben. Sie können sich vielmehr auf die normative These beschränken, dass wir uns nur auf Intuitionen verlassen dürfen, die E3 haben.

E2 scheint am besten gewählt zu sein. Dass sie keine Rechtfertigung be­nötigen, scheint wirklich eine typische Eigenschaft von Intuitionen zu sein, so wie Philosophen sie nutzen. Dies erklärt auch, weshalb die Diskussion um ihre Verlässlichkeit so wichtig ist. Wenn E2 auf Intuitionen zutrifft, dann können sie die Rolle des Fundaments philosophischer Argumente spielen, nach dem wir seit Jahrhunderten suchen.

Wie überprüft man, ob Überzeugungen oder mentale Zustände, die in bestimmten Fällen vorkommen, Fels-Status haben, also epistemisch grundle­gend sind? Cappelen geht mehrfach so vor: Er identifiziert in einem konkre­ten Beispiel die These, die intuitiv sein könnte, und zeigt dann, dass ihr Autor diese These argumentativ begründet. Hieraus schließt er, dass der Autor der These nicht wirklich Fels-Status zuschreibt. Dieser Schluss ist aber nicht an­gemessen. Nur weil jemand Gründe für eine These gibt, heißt dies nicht, dass diese These eine Begründung benötigt. Es heißt nur, dass es möglich ist, diese These zu begründen, und weshalb sollte dies auf Intuitionen mit Fels-Status nicht zutreffen?

Zuletzt möchte ich auf ein Beispiel eingehen, das Cappelen diskutiert, nämlich Chalmers Zombieargument. Dessen Grundlage ist die Annahme, dass Zombies – exakte physisch-funktionale Kopien von wirklichen Men­schen, die jedoch keine phänomenalen Zustände haben – vorstellbar sind.

ZA: Zombies sind vorstellbar.

Diese Vorstellbarkeitsannahme wird laut Cappelen von vielen Philoso­phen fälschlich als intuitiv betrachtet. Man kann jedoch, so sein Argument, an Chalmers Umgang mit dieser Annahme sehen, dass ihr kein Fels-Status zu­kommt (185). Cappelen argumentiert folgendermaßen: „Vorstellbar“ heißt bei Chalmers „ideal vorstellbar“. Ideale Vorstellbarkeit wird von Chalmers jedoch so bestimmt, dass wir, um zu wissen, ob es ideal vorstellbar ist, dass p, inten­siv darüber nachdenken müssen, und beispielsweise nach logischen oder be­grifflichen Widersprüchen suchen müssen. Folglich kann E2 keineswegs er­füllt sein.

Bis hierhin trifft Cappelens Ausführung weitgehend zu. Allerdings zeigt sie nicht, dass in Chalmers Argument an keiner Stelle auf Intuitionen zurück­gegriffen wird. Chalmers begründet ZA unter Rückgriff auf bestimmte An­nahmen. Das Fundament von Argumenten wie demjenigen von Chalmers scheint die Annahme zu sein, dass es irgendeine Art epistemischer Lücke zwi­schen dem Physisch-Funktionalen und dem Phänomenalen gibt, ohne dass ganz genau bestimmt wäre, welcher Art diese Lücke ist. Es ist ja genau diese unbegründete Annahme, die Autoren wie Chalmers von einigen Physikalisten vorgeworfen wird (vgl. Dennett 2005: 103ff.). Natürlich mag man hier strei­ten, ob diese Annahme wirklich Fels-Status hat, aber selbst wenn dem nicht so ist, ist damit noch keinesfalls gezeigt, dass es nicht eine Annahme hinter dem Zombieargument gibt, die Fels-Status hat. Hier wäre es nötig gewesen, tiefer in die Materie einzudringen. Nur weil in Chalmers Argument keine un­begründete Prämisse vorkommt, heißt dies nicht, dass er sich nicht implizit, aber doch erkennbar, auf eine Prämisse verlässt, die nicht begründet wird und nicht begründet werden muss. Wenn es Cappelens Anspruch ist, die philoso­phische Praxis auf das Vorkommen von Intuitionen zu überprüfen, genügt es also nicht, zu zeigen, dass in bestimmten Fällen an der Oberfläche keine In­tuitionen genutzt werden. Um von der Nicht-Erwähnung von Intuitionen da­rauf zu schließen, dass diese nicht genutzt werden, ist es vielmehr nötig, Ar­gumente möglichst wohlmeinend zu rekonstruieren – dies betrifft auch die Prämissen, mit denen die Prämissen begründet werden. Auch im Hinblick auf diese muss untersucht werden, ob Intuitionen in ihnen eine Rolle spielen.


Begriffsanalyse und Experimentelle Philosophie

In den letzten beiden Kapiteln widmet sich Cappelen schließlich der Be­griffsanalyse und der Experimentalphilosophie. Einige Verteidiger der Zen­tralitätsthese behaupten ihm zufolge, dass Philosophie wesentlich Begriffsa­nalyse ist und dass in ihr Intuitionen eine wichtige Rolle spielen (205). Gegen diese Behauptung argumentiert Cappelen, dass es schwierig ist, zu zeigen, dass es begriffliche Wahrheiten gibt, die philosophische Relevanz haben und für deren Evaluation Intuitionen eine zentrale Rolle spielen. Ich kann seinen Einwand hier nicht ausführlich diskutieren. Jedoch ist zumindest prima facie fraglich, ob Cappelen dem Thema angemessen begegnet. Eine Reihe von Ar­gumenten für die Relevanz der Begriffsanalyse wird im Schnelldurchlauf ab­gehandelt, wichtige Vertreter kommen kaum (Jackson) oder gar nicht (Chal­mers) zu Wort. Die zweidimensionale Semantik, die eine Erklärung dafür gibt, warum begriffliche Wahrheiten zusammen mit empirischen Wahrheiten zu philosophisch hoch interessanten Einsichten führen können, findet keine Erwähnung. Die These, Begriffsanalyse sei philosophisch interessant, weil sie zu a priori wissbaren Wahrheiten führt, wird polemisch in sechs Zeilen abge­handelt. An dieser Stelle wäre eine gründlichere, differenziertere Behandlung des Gegenstands dringend nötig gewesen.

Ähnliches trifft auf Cappelens Kritik an der Experimentalphilosophie zu. Diese setzt Cappelen zufolge die Zentralität von Intuitionen voraus, liegt je­doch hiermit falsch. Experimentelle Philosophen untersuchen empirisch, wel­che Intuitionen Menschen zu philosophisch relevanten Fällen haben. Intuitio­nen sind aber philosophisch irrelevant. Also kann die Experimentalphiloso­phie nichts philosophisch Relevantes herausfinden (221ff.).

Nehmen wir einmal an, Intuitionen seien wirklich philosophisch irrele­vant. Dies wäre natürlich eine wichtige Einsicht, mit der die Experimen­talphilosophie umgehen müsste. Aber es würde doch nicht zeigen, dass diese auf einem Irrweg ist. Wie auch immer man es genau nennen möchte – Philo­sophen machen manchmal Annahmen, von denen sie glauben, dass sie uni­versell geteilt werden und die sie nicht sonderlich gut begründen. Eine völlig legitime Methode, dies zu kritisieren, ist, zu zeigen, dass diese Annahmen nicht universell geteilt werden. Genau dies ist aber ein mögliches Projekt der experimentellen Philosophie. Wenn diese nun häufig auf Intuitionen abzielt und es sich zeigt, dass dasjenige, was Philosophen in ihren Prämissen nutzen, niemals intuitiv begründet ist, dann zeigt dies nur, dass die Tätigkeit von ex­perimentellen Philosophen anders beschrieben werden muss, und nicht, dass die die experimentelle Philosophie auf einer falschen Grundannahme aufge­baut ist.

Fazit

Cappelens wichtige Untersuchung leidet, wie gerade gezeigt, an einigen Män­geln, besonders in der konkreten Diskussion der ausgewählten Fälle. Daher verfehlt er sein hoch gestecktes Ziel, zu zeigen, dass Intuitionen in der Philo­sophie keine Rolle spielen. Seine Diskussion weist höchstens nach, dass Intui­tionen in einigen wichtigen Fällen keine explizite Rolle spielen. Ob dies auf alle Fälle zutrifft, und dies auch dann noch, wenn man die Fälle ausführlicher analysiert, bleibt nach der Lektüre seines Buches offen. An einigen Stellen hätte man sich mehr Tiefe gewünscht, denn auch wenn das oberflächliche Thema Intuitionen sind, so betrifft das Thema grundlegende Fragen philoso­phischer Metholodogie, zum Beispiel, ob wir substanzielles A-Priori-Wissen erwerben können. Cappelen sagt schließlich auch zu wenig darüber, wie Phi­losophen wirklich argumentieren. Seine isolierte Betrachtung von Intuitionen wird zudem den erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten, die die Philosophie mindestens seit Kant umtreiben, nicht gerecht.

Die Fragen, die er stellt, und die Probleme, die er aufwirft, sind dennoch wichtig. Sein Buch stellt einen äußerst anregenden Beitrag dar, der weit ge­teilte Annahmen in Frage stellt. Diejenigen, die ihm nicht zustimmen, werden dadurch gezwungen, kritischer gegenüber ihrer eigenen Vorgehensweise zu sein. Aufgrund der Klarheit der darin enthaltenen Ausführungen und der provokativen Thesen, die in ihm aufgestellt werden, ist Philosophy Without Intui­tions für jeden, der sich mit Fragen der philosophischen Methodologie befasst – und das muss ja beinahe jeder Philosoph – lesenswert, lehrreich und voller wichtiger Denkanstöße.


Literatur

Bealer, George. „A Theory of the A Priori.“ Philosophical Perspectives 13 (2000): 29–55.

Chalmers, David. „The two-dimensional argument against materialism.“ In The Character of Consciousness, hg. von David Chalmers, 141–191. Oxford: Oxford University Press, 2010.

Dennett, Daniel. Sweet Dreams. Philosophical Obstacles to a Science of Consciousness.Cambridge, Mass.: MIT Press, 2005.

Fine, Kit. „Essence and Modality.“ Philosophical Perspectives8 (1994): 1–16.

Lycan, William. „Bealer on the Possibility of Philosophical Knowledge.“ Philosophical Studies 81 (1995): 143–150.

Van Inwagen, Peter. „Modal Epistemology.“ Philosophical Studies 92 (1998): 67–84.

Williamson, Timothy. The Philosophy of Philosophy. Malden, Mass.: Wiley-Blackwell, 2007.

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