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Zeitschrift für philosophische Literatur 1. 1 (2013), 26-34

Haslanger, Sally: Resisting Reality. Social Construction and Social Critique. New York, NY: Oxford University Press 2012. 490 Seiten. [978-0-19-989263-1]

Rezensiert von Kristina Lepold (Goethe-Universität Frankfurt a.M. und Institut für Sozialforschung Frankfurt a.M.)

Aussagen, die die soziale Konstruktion von etwas behaupten, vermögen in den Geistes- und Sozialwissenschaften gegenwärtig kaum jemanden noch zu mehr als einem müden Nicken zu bewegen. Was einst zur „Kampfvokabel“ (Hacking 1999) taugte, wirkt heute oft abgenutzt und wenig informativ, ja mitunter banal. Dass eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der sozialen Konstruktion durchaus sehr lohnend sein kann, zeigt nun der Band Resisting Reality: Social Construction and Social Critique von Sally Haslanger. In 17 Aufsät­zen, die Haslanger von 1993 bis 2012 verfasst hat, untersucht sie mit großem analytischem Scharfsinn, was „soziale Konstruktion“ im Kontext von Gender und Rasse heißen kann. Die Aufsätze sind um drei Themenkomplexe herum gruppiert, die sich in den drei Teilen des Bandes, „Social Construction“, „Gender and Race“ und „Language and Knowledge“, widerspiegeln. Thema­tische Verschiebungen wie methodische Weiterentwicklungen sind dabei nicht zu übersehen. Dennoch zeichnet sich über die einzelnen Aufsätze hin­weg ein erstaunlich kohärentes sozialkonstruktivistisches Projekt ab, das durch eine ungewöhnliche Verbindung philosophischer Festlegungen cha­rakterisiert ist. Einem moderaten Realismus, Objektivismus und Naturalismus sowie der Idee einer kritischen Theorie verpflichtet, entwirft Haslanger ein Bild von Gender und Rasse als objektiven sozialen Realitäten, die untrennbar mit Herrschaftsverhältnissen verbunden sind und denen es sich daher zu wi­dersetzen gilt. Im Folgenden wird es kaum möglich sein, den Band in seiner Komplexität angemessen vorzustellen; ich werde mich daher auf eine kriti­sche Rekonstruktion der zentralen Ideen beschränken.

In den Aufsätzen im ersten Teil des Bandes untersucht Haslanger unter dem Titel „Social Construction“, auf was sich Aussagen über soziale Kon­struktion im Kontext von Gender und Rasse eigentlich belaufen. Dabei spielt vor allem die Frage nach der Realität von sozialen Konstruktionen eine Rolle: Ist etwas, das sozial gemacht, das heißt: Produkt sozialer Praktiken ist, des­halb weniger real oder gar illusorisch? Diesem Themenkomplex nähert sich Haslanger in zwei frühen Aufsätzen aus den Jahren 1993 und 1996 und einem Aufsatz aus dem Jahr 2000 (Kap. 1, 2 und 4), in denen sie zunächst klassische Argumente feministischer Kritik an Konzepten der traditionellen Metaphysik und Epistemologie einer sorgfältigen Prüfung unterzieht. Inwieweit kann Vernunft als männlich und damit als in geschlechtliche Herrschaftsverhält­nisse verstrickt gelten (Kap. 1)? Wie weit trägt die kritische Einsicht in den sozial konstruierten Charakter unseres Wissens in Bezug auf die Frage, ob es Wahrheit und eine unabhängige Realität gibt (Kap. 2)? Ist die gegenwärtige akademische Metaphysik und Epistemologie androzentrisch und wenn ja, in welcher Hinsicht (Kap. 4)? In diesen Aufsätzen nimmt Haslanger bereits we­sentliche Weichenstellungen für ihr weiteres sozialkonstruktivistisches Projekt vor: Nur weil jeder Zugang zur Realität notwendig sozial vermittelt ist, lässt dies – wie Haslanger überzeugend darlegt – nicht den Schluss zu, dass nichts wirklich existiert bzw. real ist und wir die Unterscheidung von Epistemologie und Ontologie ganz aufgeben sollten. Es bedarf Haslanger zufolge vielmehr einer moderat realistischen Ontologie sowie einer feministischen (und antiras­sistischen) Epistemologie (111f., 152–157).

Haslanger ist besonders daran interessiert, die Grundlagen eines sozial­konstruktivistischen Projekts zu klären, das sie „the ‚debunking’ project“ (113) nennt. Diesem Projekt, das auf eine lange Tradition verweisen und als eine Version von Ideologiekritik gelten kann (vgl. dazu Geuss 1996 [1981]: 24), geht es um die Sichtbarmachung des Sozialen und damit Veränderlichen an Phänomenen, die wir im Alltag oft als natürlich oder doch zumindest als fraglos gegeben wahrnehmen. Konkret geht es Haslanger um die Sichtbarma­chung von Gender und Rasse als sozialen Kategorien. Vor allem in zwei neu­eren Aufsätzen von 2003 und 2012 (Kap. 3 und Kap. 6), aber auch schon in dem eben erwähnten Aufsatz von 1996 (Kap. 2) entwickelt Haslanger anhand der sozialkonstruktivistischen Literatur eine hilfreiche analytische Unterschei­dung von drei Aussagen über soziale Konstruktion, die für dieses Projekt von besonderer Bedeutung sind und die ich kurz am Beispiel von „Gender“ (also des sozialen Geschlechts) erläutern möchte (vgl. 86–90, 129ff., 194ff.): Die Aussage, dass Gender sozial konstruiert sei, kann erstens eine Aussage über die kausale Konstruktion von Gender sein und heißen, dass soziale Ursachen (mit)verantwortlich dafür sind, dass es gegenderte Arten von Menschen, also Frauen und Männer gibt. Sie kann zweitens als Aussage über die pragmatische Konstruktion von Gender verstanden werden und heißen, dass der Gebrauch der Gender-Klassifikation durch soziale Faktoren bedingt ist. Sie kann drit­tens eine Aussage über die konstitutive Konstruktion von Gender sein und da­rauf hinauslaufen, dass die Kategorie nur unter Rückgriff auf soziale Faktoren definiert werden kann und keine natürlich vorkommende Kategorie ist. Ein sozialkonstruktivistisches Projekt der Sichtbarmachung setzt mit einer Aus­sage letzterer Art ein, wie Haslanger insbesondere gegenüber Ian Hackings Auffassung (1999) betont: „[A]n important first step is to make the category visible as a social category“ (132). Erst dann können wir begreifen, wie etwa in unserem Beispiel die sozialen Unterschiede zwischen Männern und Frauen durch Normen und Erwartungen und unter Mitwirkung unserer Klassifikati­onen auch sozial verursacht werden.

Dass Gender und Rasse soziale Arten („social kinds“) sind, Arten also, die entscheidend durch soziale oder relationale und nicht intrinsische Eigen­schaften konstituiert sind, macht sie in Haslangers Augen jedoch nicht weni­ger real. Wir erliegen im Alltag zwar oft einer Illusion darüber, was es etwa heißt, eine Frau zu sein – indem wir nämlich denken, es handele sich dabei um etwas Natürliches. Dennoch sind Aussagen über Frauen oft wahr, das heißt, sie beziehen sich in einem minimal realistischen Sinn auf etwas in der Welt (198f.). Haslanger möchte aber zusätzlich auch noch einen stärkeren Punkt machen, der im ersten Teil jedoch eher Puzzlestück bleibt, das die Le­ser/innen selbst in das größere Bild einfügen müssen: Die Mitgliedschaft in sozialen Arten beruht laut Haslanger auf objektiven, also in der Wirklichkeit vorkommenden Typen, weil die Mitglieder solcher Arten jeweils bedeutende Ähnlichkeiten aufweisen (202ff.). Damit deutet Haslanger nur an, was sie im zweiten Teil des Bandes – wenn auch keineswegs in einer unproblematischen Weise – explizit diskutiert: dass es nämlich objektive Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern, Schwarzen und Weißen (und anderen rassifizierten Gruppen) gibt, diese also jeweils durch eine bestimmte, asymmetrische Posi­tionierung im Sozialen geeint sind. Aussagen über Frauen würden sich dem­nach nicht nur auf (irgend)etwas in der Welt beziehen, sondern auf spezifische Phänomene der strukturellen Benachteiligung und Unterordnung.

In den fünf Aufsätzen, die den zweiten Teil des Bandes („Gender and Race“) bilden, entfaltet Haslanger ihr Verständnis von Gender und Rasse im Detail. In einem Aufsatz aus dem Jahr 2000 (Kap. 7), der den zweiten Teil einleitet, umreißt Haslanger zunächst grob ihre methodische Strategie: Da un­sere Alltagskonzepte von Gender und Rasse notorisch vage sind, schlägt Haslanger angeregt von Elizabeth Andersons (1995) feministisch-epistemolo­gischen Überlegungen vor, „analytische“ Konzepte von Gender und Rasse zu entwickeln, die für unsere Zwecke nützlich sind. Die Ausgangsdiagnose Haslangers lautet, dass es hartnäckige soziale Ungleichheiten zwischen sol­chen Körpern gibt, die weiblich und männlich sowie unterschiedlicher „Farbe“ sind. Wenn wir also wie Haslanger antirassistische Feminist/innen sind und das Ende dieser Ungleichheiten anstreben, sollten wir geeignete Konzepte entwickeln, um diese Phänomene fassen und kausal erklären zu können (226f.). Vor diesem Hintergrund verschreibt sich Haslanger zunächst der bekannten, in der feministischen Theorie nicht unumstrittenen Formel, Gender sei die soziale Bedeutung des biologischen Geschlechts. Analog dazu möchte sie Rasse als die soziale Bedeutung von „Farbe“ begreifen, die für eine bestimmte geographische Abstammung steht, wobei „Farbe“ viel mehr als nur Hautfarbe im engen Sinn einschließt (etwa Körperbau, Augen etc.). Diesen Formeln gibt Haslanger dann eine verblüffende Wendung: „Gender“ und „Rasse“ sollen nämlich spezifisch auf eben jene Phänomene der syste­matischen Über- und Unterordnung zielen, die durch die soziale Deutung be­stimmter physischer Eigenschaften bedingt sind. Frau ist man etwa nur dann, wenn man in einer entscheidenden Hinsicht (politisch, ökonomisch, rechtlich etc.) systematisch untergeordnet ist und diese Unterordnung sozial durch den Rekurs auf bestimmte biologische Eigenschaften gerechtfertigt wird. Daraus folgt, dass es in Gesellschaften (oder auch einzelnen Fällen), in denen eine weibliche Anatomie keine soziale Unterordnung bedingt, für Haslanger keine Frauen gibt (229–35). Analog verhält es sich im Fall von Rassen (in ihrer Re­deweise also Schwarzen, Weißen und anderen rassifizierten Gruppen) (235–8). Inwiefern es sich dabei um Phänomene struktureller und nicht individueller Unterdrückung von etwa Frauen oder Schwarzen als Gruppen handelt, legt Haslanger in einem Aufsatz von 2004 genauer dar (Kap. 11).

Diese pragmatische Aneignung und Revision von Konzepten, die wir auch im Alltag verwenden, ist in Haslangers Augen in semantischer Hinsicht dadurch gerechtfertigt, dass die Konzepte sich nach wie vor auf dieselben Phänomene in der Welt beziehen, und – in politischer Hinsicht – dass sie bei der Realisierung legitimer Ziele behilflich sind (225). Beides ist in meinen Au­gen allerdings keineswegs evident: Erstens müsste Haslanger die starke These vertreten, dass immer wenn wir im Alltag selbstverständlich oder gar affirma­tiv „Frau“ sagen, damit eigentlich – zumeist wohl ohne es zu wissen und ver­mutlich auch zu wollen – Personen meinen, die aufgrund ihrer weiblichen Anatomie benachteiligt oder untergeordnet sind. Über die Plausibilität dieser semantischen Behauptung lässt sich streiten, zählt doch etwa ein nicht unter­drückter weiblicher Körper in Haslangers Vokabular nicht als Frau. Zudem scheint diese These auf einer Unterscheidung (letztlich zwischen „sex“ und „gender“) zu beruhen, die wir im Alltag aber kaum vornehmen. Zweitens ist fragwürdig, ob Haslangers kontraintuitiver begrifflicher Vorschlag, demzu­folge etwa Frauen und Schwarze per definitionem untergeordnet sind, politisch nützlich ist, und ob wir durch eine solche globaleNeubeschreibung unserer selbst tatsächlich politisch aufgerüttelt und vor allem ermächtigt (240ff.) und nicht vielmehr – sofern wir uns in dieser Neubeschreibung überhaupt wieder­finden – von einem Gefühl der Ohnmacht heimgesucht würden (vgl. dazu auch Saul 2006: 136-140). In beiden Hinsichten scheint der Mangel einer ge­naueren Differenzierung problematisch, die Haslanger an anderen Stellen – wenn sie etwa von der Unterordnung in nur einer Hinsicht, von Benachteili­gung in Begriffen von Wahrscheinlichkeit (326f.) oder vom kontextabhängi­gen Einsatz der von ihr vorgeschlagenen Konzepte (242) spricht – ja durch­aus andeutet und die für eine effektive politische Praxis auch dringend not­wendig wäre.

Ein wesentlicher Aspekt von Haslangers Verständnis von Gender und Rasse, der bisher noch etwas zu kurz gekommen ist, verdient zudem nähere Betrachtung, nämlich das Verhältnis von sozialer Konstruktion und physi­schen Eigenschaften. Dieses wird von Haslanger komplexer gedacht, als es auf den ersten Blick scheinen mag, wie sie insbesondere in den drei letzten Aufsätzen des zweiten Teils klar macht (Kap. 8, 9 und 10). Sowohl im Fall von Gender als auch im Fall von Rasse werden zwar in der sozialen Realität physische Marker als Grundlage einer ungleichen Behandlung herangezogen, doch variieren die spezifischen physischen Marker von Kontext zu Kontext (249, 277, 307): Die Welt ist voll von Unterschieden und welche Unterschiede lokal relevant werden, ist – um in Haslangers eigenem Vokabular aus dem ersten Teil zu bleiben – eine Frage pragmatischer Konstruktion, eine Frage der Unterscheidungen, die wir treffen. Dabei können die physischen Marker in unterschiedlichem Grade zwischen tatsächlich beobachteten und imagi­nierten Markern einzuordnen sein. In dieser Hinsicht funktionieren die Fälle von Gender und Rasse also analog zueinander; in einer anderen Hinsicht un­terscheiden sie sich Haslanger zufolge jedoch bedeutend: Denn es gibt – wie man wohl plausibel annehmen kann – Körper, die tatsächlich die Hauptlasten menschlicher Reproduktion schultern, und eine gerechte, insbesondere femi­nistische Gesellschaft müsste dieser biologischen Tatsache Rechnung tragen, indem alternative, nicht-hierarchische Gender konstruiert werden (243ff., 254). Demgegenüber gibt es Haslanger zufolge im Fall von „Farbe“– wie auch ein Blick auf die gegenwärtige genetische Forschung zeigt – keine biolo­gisch bedeutsamen Unterschiede, die etwa bei der medizinischen Versorgung berücksichtigt werden müssten; „Farbe“ fängt als sozial gemachte Unter­scheidung ausschließlich sozial gemachte Unterschiede ein (255–62, 299–303).

In den im dritten und letzten Teil des Bandes versammelten Aufsätzen widmet sich Haslanger unter dem Titel „Language and Knowledge“ schließ­lich spezifischen Fragen einer feministischen bzw. antirassistischen Episte­mologie, wobei – wie der Titel dieses Teils schon nahelegt – der Zusammen­hang von Sprache und Wissen im Vordergrund steht. Diesem Komplex nä­hert sich Haslanger in einem Aufsatz aus dem Jahr 1999 (Kap. 12) noch tas­tend, in dem sie sich mit der Frage auseinandersetzt, was Wissen überhaupt ist, und drei prinzipielle Herangehensweisen zur Beantwortung dieser Frage unterscheidet: eine begriffliche, eine deskriptive und schließlich eine kritische bzw. normative Herangehensweise, die wir in der Diskussion des zweiten Teils schon unter einem anderen Namen, nämlich als „analytische“ kennen­gelernt hatten. Wie schon im zweiten Teil macht sich Haslanger hier zunächst für ein kritisches bzw. normatives Vorgehen stark, das nach dem pragmati­schen „Wozu?“ von Konzepten fragt. In drei weiteren Aufsätzen von 2005, 2006 und 2010 (Kap. 13, 14 und 16) geht sie dann vor allem spezifischer auf das Verhältnis ein, das zwischen diesem Vorgehen und den anderen beiden besteht.

Eine begriffliche Analyse kann uns auf dem in der analytischen Philosophie beliebten Wege eines Überlegungsgleichgewichts zunächst klar machen, was unser Alltagskonzept („manifest concept“) etwa von Gender oder Rasse ist. Da aber Bedeutungen mit Hilary Putnam (1973: 704) gesprochen – auf dessen semantisch-externalistische Einsichten Haslanger sich hier unter anderem stützt – nicht „im Kopf“ sind und wir uns im Alltag mit Begriffen oft auf et­was beziehen, ohne zu wissen, was die genaue Bedeutung dieser Begriffe ist, kann uns eine deskriptive Analyse zeigen, auf welche objektiven Typen sich un­sere Begriffe wirklich beziehen (373ff.), in anderen Worten: was wir eigentlich meinen, wenn wir etwas sagen, was also das tatsächlich gebrauchte Konzept („operative concept“) ist. Die deskriptive Analyse verfährt dabei so, dass sie gemeinhin anerkannte Fälle als paradigmatische Beispiele herausgreift, sozial­theoretisch informiert nach deren Gemeinsamkeit fragt und so den objektiven Typ bestimmt, zu dem nicht nur diese Fälle gehören, sondern – qua Exten­sion – auch andere der gleichen Art. Schließlich fragt eine kritische oder norma­tive Analysedanach, welche Phänomene in der Realität unsere Konzepte ein­fangen sollten, was also unser Zielkonzept („target concept“) sein könnte. Haslanger zufolge gibt es Fälle, in denen alle drei Konzepte übereinstimmen, in denen wir also wissen, worüber wir sprechen, und in denen das, worüber wir sprechen auch das ist, worüber wir sprechen sollten. Oft ist das aber ge­rade nicht der Fall. Dann gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese Konzepte in Übereinstimmung zu bringen. Idealerweise lassen wir uns dabei von einem legitimen Zielkonzept leiten (377).

Für die Sozialkonstruktivistin interessant ist (ganz im Sinne des ideolo­giekritischen „‚debunking’ project“, das Haslanger schon im ersten Teil vor­schlug) insbesondere der Fall, in dem das Alltagskonzept und das tatsächlich gebrauchte Konzept auseinander treten: So verwenden wir etwa Gender und Rasse im Alltag oft als natürliche Kategorien, dabei beziehen sich die Begriffe in Wirklichkeit auf soziale und nicht auf natürliche Typen (377ff., 394–8). Haslanger legt hier überzeugend dar, inwiefern ein Konzept unseres sein kann, obwohl unsere Intuitionen über die Bedeutung dieses Konzepts fehlgehen und wir so zur Naturalisierung sozialer Phänomene beitragen – was Haslanger auch als philosophischen Punkt gegen das ausschließliche Vertrauen auf Intui­tionen verstanden wissen will: „Philosophical analysis has a potential for unmasking ideology, not simply articulating it.“ (379) Unklar bleibt in allen drei Aufsätzen allerdings, wie sich die tatsächlich gebrauchten Konzepte von Gender und Rasse zu den hierarchisch gefassten Zielkonzepten verhalten sollen, die Haslanger im zweiten Teil in revisionistischer Absicht formuliert hatte (insb. in Kap. 7). Haslanger geht es vermutlich auch hier nicht einfach nur um die Entnaturalisierung von sozialen Phänomenen wie Gender und Rasse, sondern konkreter um Phänomene der gender- und rassenspezifischen Unterordnung und Benachteiligung, worauf auch die Rede von „objektiven Typen“ hindeutet. Vertritt sie an dieser Stelle also eine ähnlich starke These wie die bereits von mir problematisierte, wonach sich etwa Aussagen über Frauen im Alltag immer schon auf spezifische Phänomene der strukturellen Unterordnung beziehen?

Einiges weist darauf hin, dass Haslanger eine differenziertere Betrach­tung als zuvor anstrebt (vgl. dagegen jedoch Saul 2006). So diskutiert sie zum einen (Kap. 13), inwiefern eine deskriptive, semantisch-externalistische Ana­lyse genealogisch verfahren und das tatsächlich gebrauchte Konzept innerhalb eines historisch spezifischen Komplexes sozialer Praktiken erschließen könnte (370), was eine sozialtheoretisch wie politisch wünschenswerte Kontextuali­sierung bedeuten würde. Zum anderen spricht sich Haslanger mehrfach in allgemeinerer Hinsicht dafür aus, dass man versuchen solle, unsere soziale Praxis an legitime Zielkonzepte anzupassen (vgl. 377, 387ff.), was impliziert, dass diese Zielkonzepte nicht bereits die gleiche Extension wie unsere tat­sächlich gebrauchten Konzepte besitzen müssen. Dann könnten wir mit Haslanger politisch immer noch der Ansicht sein, dass wir einen Begriff wie „Schwarze“ in Zukunft nur für spezifische Phänomene der Unterdrückung reservieren sollten, unser alltäglicher Gebrauch dieses Begriffs hätte aber nicht schon immer diese Phänomene als Bezugsobjekt gehabt. Auf diese Wei­sen würde Haslanger also zumindest teilweise die Probleme umgehen, die noch zuvor ihre Analyse plagten, doch bleibt sie den Leser/innen eine syste­matische Klärung dieser Punkte schuldig.

In den zwei übrigen Aufsätzen von 2007 und 2011 (Kap. 15 und 17) geht Haslanger schließlich explizit auf das Thema der Ideologiekritik ein und schlägt inhaltlich noch einmal einen Bogen zu den Aufsätzen im ersten Teil des Bandes, in denen es ja vor allem um Fragen der sozialen Konstruktion ging. Sie diskutiert, wie wir durch bestimmte Klassifikationsschemata an der Konstruktion der sozialen Realität teilhaben, wie wir auf diese Weise Aussa­gen wahr machen und wie etwas gleichzeitig wahr und falsch sein kann. Hier­bei konzentriert sie sich vor allem auf sozialtheoretische Fragen und zeigt an­hand einiger beispielhafter Aussagen wie „Schwarze sind kriminell“ oder „die meisten Frauen sind unterwürfig“ wie bestimmte Deutungsmuster, die unser Verstehen, Handeln und Machen von Welt strukturieren, praktisch bestritten werden können, sofern sie falsche Rückschlüsse auf die „Natur“ oder das „Wesen“ von – in diesen Beispielen etwa – Schwarzen und Frauen nahelegen (457-461, 467-470). „Die Welt“ macht durchaus bestimmte Aussagen wahr, doch sie existiert nicht unabhängig von unseren Klassifikationsschemata und Praktiken. Dies zu zeigen, ist das Hauptanliegen des sozialkonstruktivisti­schen Projekts, wie Haslanger es begreift. Dabei kann das Aufzeigen der sozia­len Dimension an Phänomenen, die uns natürlich und zwangsläufig er­scheinen, schon ausreichen, um eine Veränderung zum Besseren anzustoßen. Haslanger glaubt aber, dass es in den meisten Fällen zusätzlicher normativer Ressourcen bedarf, um zu entscheiden, ob und in welche Richtung Verände­rung wünschenswert ist (474f.). Mit dieser Feststellung endet dieser ein­drucksvolle und überaus anregende Band, und man darf sehr gespannt sein, wie Haslanger dieses interessante und wichtige Projekt in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird.


Literatur

Anderson, Elizabeth. „Knowledge, Human Interests, and Objectivity in Feminist Epistemology.” Philosophical Topics 23.2 (1995), 27–58.

Geuss, Raymond. Die Idee einer kritischen Theorie. Übers. von Anna Kusser, Bodenheim: Syndikat, 1996 [1981].

Hacking, Ian. Was heißt „soziale Konstruktion“? Zur Konjunktur einer Kampfvokabel in den Wissenschaften. Übers. von Joachim Schulte, Frankfurt a.M.: Fischer, 1999.

Putnam, Hilary. „Meaning and Reference.“ The Journal of Philosophy 70.19 (1973), 699–711.

Saul, Jennifer. „Gender and Race.“ Aristotelian Society Supplementary Volume 80.1 (2006), 119–43.

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